Berlin, 11.11.2018/cw – „Wie schon im Fall Hubertus Knabe agiert die aktuelle Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) auch bei der Kritik an der Grenztoten-Studie vorschnell und zumindest unglücklich. Die Kritik an der Arbeit des Forschungsverbundes ist wenig überzeugend und getrieben von der Konkurrenz um Forschungsmittel. Um die Sache geht es offensichtlich weniger.“ So der leitende Redakteur Geschichte, Sven Felix Kellerhoff, in DIE WELT (7.11.2018) in seiner Kritik an den jüngsten Auseinandersetzungen um die reale Anzahl der Mauertoten. Der Forschungsverbund SED-Staat hatte 2017 eine Studie vorgelegt, in der 327 Tote an der innerdeutschen Grenze dokumentiert worden waren.

Nach einem Bericht des Senders RBB waren 50 der 327 Toten zum großen Teil Täter, also keine Grenzopfer. Die Staatsministerin hat nach der jüngsten Kritik den Bericht von der Internetseite nehmen lassen, um eine nochmalig Prüfung vornehmen zu lassen. 2017 hatte die Stellungnahme von Monika Grütters zu der jetzt kritisierten Studie noch anders geklungen: „Die Erinnerung an die Schrecken des Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufrechtzuerhalten ist ein zentrales Anliegen bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur.“ (DIE WELT, 07.06.2017).

Scharfe Kritik von der UOKG

Zu den schärfsten Kritikern der Studie gehört mittlerweile der Historiker Christian Sachse vom Dachverband der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), der in den vergangenen Jahren durch eigene Studien, zum Beispiel zur Zwangsarbeit von politischen Häftlingen für den schwedischen Möbelkonzern IKEA und für die Reichsbahn bekannt wurde. Sachse war allerdings um 2006 im Unfrieden aus dem Forschungsverbund ausgeschieden.

So erhob Sachse seitens der UOKG in der rbb-Sendung sogar Manipulationsvorwürfe gegen den Forschungsverbund: „Wenn Täter zu Opfern gemacht werden, dann ist das eine Verhöhnung der Opfer.“ Der Verbands-Historiker bezog sich in seiner Kritik auf den in Moskau hingerichteten ehemaligen DDR-Polizisten Walter Monien, der 1951 die Flucht in den Westen plante und von einem MfS-Informanten verraten wurde: „Den Fall des SS-Mannes Monien kann ich nur als gewollte Manipulation verstehen,“ so Sachse.

Dagegen stellt der Forschungsverbund in einer Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen, die von Prof. Dr. Klaus Schroeder und Dr. Jochen Staadt unterzeichnet ist, fest, dass der rbb-Bericht „gezielte Auslassungen wichtiger Zusammenhänge und Falschbehauptungen“ enthalte.

So habe die Moderatorin Gabi Probst wichtige Tatsachen zu Walter Monien verschwiegen, obwohl ihr diese bekannt gewesen seien. Der Forschungsverbund hatte sich  bei der Einbeziehung Moniens als „Teilungsopfer“ auf den  biografischen Eintrag und die seinerzeitige Urteilsbegründung in der Dokumentation „Erschossen in Moskau – Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953“ (3. Auflage 2008) bezogen. Dieser Dokumentation ist zu entnehmen, dass Walter Monien von der Russischen Militärstaatsanwaltschaft am 15. Februar 1999 rehabilitiert wurde. Der Forschungsverbund: „Die russischen Militärstaatsanwälte gingen 1999 mit den von stalinistischen Geheimpolizisten erzwungenen Aussagen Moniens wesentlich quellenkritischer um als der rbb in seinem Bericht. Völlig unkritisch verbreitet die öffentlich-rechtliche Anstalt die nach stalinistischen Verhörmethoden zustande gekommenen Aussagen Moniens eins zu eins in ihrer Sendung.“

Das Totenbuch wurde von Memorial Moskau, dem Forschungsinstitut Facts&Files und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben.

Forschungsverbund: Seitens der UOKG gab es 2012 keine Kritik

Schröder und Staadt weisen in ihrer Stellungnahme auch darauf hin, dass Staadt auf dem Verbändetreffen der UOKG vom 17. November 2012 das Forschungsprojekt zu den Todesopfern des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze vorgestellt habe. Dabei war „insbesondere die sensible Fallgruppe der „Suizide im Grenzdienst““ ausführlich erläutert worden. Der auf der Veranstaltung anwesende und nun als Kritiker im rbb präsentierte Dr. Christian Sachse „meldete sich in der Diskussion über die Todesfallgruppe nicht zu Wort und erhob auch im Nachgang des Verbändetreffens ebenso wie andere Mitglieder der UOKG dagegen keine Einwände.“

Nach Felix Kellerhoff dürfte der Hintergrund des jetzigen Streites und der Kritik der UOKG eher sein, „dass vor wenigen Monaten der Forschungsverbund SED-Staat vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Geld für eine Anschlussstudie zu den deutschen Opfern der Grenze zur Ostsee hin und der nichtdeutschen Außengrenzen des Warschauer Paktes bekommen hat“.

Nach Meinung von Insidern spricht einiges für diese Wertung des angesehenen WELT-Journalisten. In der UOKG werde mit „viel Aufwand um weitere Finanzierungsmittel“ gerungen. Dabei komme es wohl „nicht immer auf die gebotene Sorgfalt und Seriosität“ an. So habe der Vorsitzende im letzten Jahr eine Stiftung „Haftzwangsarbeit“ ins Leben gerufen, deren Eintragung beinahe an der notwendigen aber zunächst ausgebliebenen Startfinanzierung gescheitert wäre. Zwar sei im Frühjahr die Eintragung nach einem Geldmitteleingang (dem Registergericht war eine Zahlung von IKEA über 50.000 Euro avisiert worden) erfolgt, die Stiftung komme allerdings nicht in Schwung, weil „angestrebte Finanzierungen durch die öffentliche Hand“ ausgeblieben seien. Zu den Gründungsmitgliedern gehören neben dem Vorsitzenden Dieter Dombrowski (CDU) Hildigund Neubert (CDU) und Dr. Christian Sachse.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.354).

Hanau/Berlin, 18.04.2024/PE – Die in Berlin ansässige „Vereinigung 17. Juni“ hat sich im Vorfeld des bevorstehenden 35. Jahrestages der Maueröffnung am diesjährigen 9. November an die älteste, 1950 gegründete Verfolgtenorganisation, „Vereinigung der Opfer des Stalinismus – VOS“ und den 1992 gegründeten Dachverband „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft – UOKG“ gewandt und an diese appelliert, aus dem gen. Anlass „endlich gemeinsam“ die Interessen betroffener ehemaliger, aus politischen Gründen verfolgter Menschen zu vertreten. 

In einer heute von der Vereinigung verbreiteten Presseerklärung informiert der neue Vorsitzende Mike Mutterlose die Öffentlichkeit über das von ihm und seinem Vorgänger und jetzigen Ehrenvorsitzenden Carl-Wolfgang Holzapfel unterzeichnete Schreiben an Felix Heinz Holtschke (VOS) und Dieter Dombrowski (UOKG).

„35 Jahre nach dem endlichen Fall der Mauer, 34 Jahre nach dem (juristischen) Ende der DDR stehen einstige Opfer politischer Verfolgung vielfach noch immer vor ungelösten Problemen,“ führt Mutterlose aus und beklagt, das „uns in den Opferverbänden diese Probleme zwar bekannt (seien), wir aber an diesen durch die Politik verantworteten bzw. hinausgeschobenen Lösungen dieser Probleme bisher wenig bzw. nichts ändern“ konnten.  Die Vereinigung zählt nachfolgend die ihr wichtig erscheinenden Punkte auf:

  • –         Beweislastumkehr bei der Anerkennung gesundheitlicher Verfolgungsschäden;
  • –         Beweislastumkehr bei der Anerkennung beruflicher Nachteile als Folge einstiger
    • politischer Verfolgung;
  • –         Widerruf der Aussetzung einstiger Anerkennung bzw. Gleichsetzung der Altersvorsorge für
    • einstige Flüchtlinge aus der DDR > Rentenüberleitungsgesetz;
  • –         Festsetzung einer „sozialen Zuwendung“ als sogen. „Opferrente“ anstelle einer
    • „Ehrenpension“, wie diese für eine fünfmonatige Tätigkeit als Minister in der letzten DDR- Regierung festgeschrieben wurde.
  • –        Widerruf der Aussetzung einstiger Anerkennung bzw. Gleichsetzung der Altersvorsorge für
    • einstige Flüchtlinge aus der DDR >Rentenüberleitungsgesetz;

Diskrepanz zwischen „Sozialer Zuwendung“ und „Ehrenpension“

Die den ehem. Ministern zugedachte „Ehrenpension“ werde regelmäßig mit den Bezügen von Bundesministern erhöht und sei, im Gegensatz zu der „Sozialen Zuwendung“ an einst politisch Verfolgte, vererbbar. Auch werde die „Soziale Zuwendung“ nicht regelmäßig oder gar automatisch erhöht. Überdies betrug diese „weniger als 50% der Anfangsentschädigung der „Ehrenpension“ (250,–€ / 600,–€).“ Auch sei die „Soziale Zuwendung“ seit 2007 (!) erst einmal, von 250 € auf 330 €)  erhöht worden und überdies an EK-Grenzen gekoppelt.“ Nach Einschätzung der „Vereinigung 17. Juni“ dürfte „die „Ehrenpension“ mittlerweile die 1.000-€-Grenze seither weit überschritten haben.“ 

Im Ergebnis dieser „traurigen Bestandsaufnahme“, so die Verfasser, hat uns dies „zu folgenden Überlegungen veranlasst: Über alle Unterschiede in der Vergangenheit hinweg sehen wir die einzige Chance zum nachhaltigen Vortrag unserer Forderungen in einem gemeinsamen Auftreten ggüb. der Öffentlichkeit.
Der 35. Jahrestag der Maueröffnung sollte für uns Anlass sein, die möglicherweise letzte Chance wahrzunehmen, unsere berechtigten Forderungen nachhaltig zu artikulieren.“ Nachfolgend schlägt die 1953 nach dem Volksaufstand in Westberlin gegründete Vereinigung den angeschriebenen Verbänden vor: 

Öffentliche Konferenz der Opferverbände in Berlin

–        Eine kurzfristig einzuberufende Konferenz der Vorstände (in Berlinzwecks entsprechender Planungen und Beschlussfassungen;-

– Einberufung einer Öffentlichen Konferenz der Opferverbände noch in diesem Jahr in Berlin, um unsere bestehenden Probleme und daraus resultierenden Forderungen an die Politik zu debattieren, zu beschließen und vorzutragen;

        Symbolische, also beispielhafte gemeinsame Klage der hier angeschriebenen maßgeblichen Opferverbände zur Durchsetzung einer Anerkennung eines Opfers politischer Verfolgung durch verwaltungstechnische, also administrative Verfolgung (veranlasst durch das MfS) einreichen.“ 

Durch eine gemeinsame Klage könnten die Verfolgtenverbände vor der Öffentlichkeit zumindest symbolisch „auch die Wichtigkeit unserer Anliegen in  Sachen  Rehabilitierung von Unrecht nachhaltig einbringen.“ Weiter schlägt dieVereinigung 17. Juni vor, parallel zu diesen Vorschlägen „um den 35. Jahrestag herum gemeinsam eine Großveranstaltung in Berlin zu organisieren, zu der  a l l e  noch lebenden einst politisch Verfolgten der DDR-Diktatur eingeladen werden sollten, um unsere Anliegen öffentlich vorzutragen.“ 

Symbolisch, also stellvertretend, sollten auf einer solchen Veranstaltung auch von den drei Verbänden gemeinsam vorgeschlagene ehemals politisch Verfolgte angemessen geehrt werden, „um dadurch die Schicksale der einstigen Diktatur-Opfer (erneut und wirksam) in das öffentliche Bewußtsein zu rücken.“  

Mutterlose und Holzapfel erinnern abschließend daran, das eine solche Veranstaltung die (notwendige) und „wohl letztmalige Chance eines geschlossenen, gemeinsamen Auftretens der Opferverbände im Interesse der von diesen vertretenen Personen“ bieten würde. Anstelle der bisherigen – aus unterschiedlichen Motiven betriebenen – „Gegensätzlichkeiten“ sollte die „Gemeinsamkeit“ der Verbände in der Vertretung der Opfer der kommunistische Diktatur herausgestellt werden. 

Mutterlose: „Lassen Sie uns diese gemeinsame Chance ergreifen, ehe es auch für uns zu spät ist!“

V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V., Berlin – Pressestelle Mobil: 0176-48061953 – Mike Mutterlose, Hanau, Mobil: 0176-48008406 (1.817)

Berlin, 10. April 2024/PE – Der Vorstand der Vereinigung würdigte in einem Glückwunschschreiben zum 80. Geburtstag des bisherigen Vorsitzenden Carl-Wolfgang Holzapfel (2002 – 2023) dessen „unermüdlichen Einsatz für die Deutsche Einheit“ und dessen „mutigen Widerstandes gegen das SED-Regime und die Berliner Mauer.“ Diese seine inspirierend gewesen und „verdienten höchste Anerkennung.“

„Dein persönliche Einsatz, durch den Du auch Lebenszeit in politischer Haft verbringen musstest, war nicht vergebens. Der Sieg des Widerstandes gegen das Kommunistische Regime in der DDR ist im hohen Maße auch Dir zu verdanken.“

Der Vorstand möchte „einem besonderen Menschen und seiner imposanten Lebensleistung Danke sagen.“

Mike Mutterlose                  Andrea Rugbarth                      Kathi Albrecht-Gericke

V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V., Mike Mutterlose, Mobil: 0176-48008406 (1.816).

Von Carl-Wolfgang Holzapfel

Berlin, Weihnachten 2023/cw – Nein, machen Sie sich bitte keine Sorgen! Noch bin ich Optimist und hoffe doch, z.B. meinen runden Geburtstag im nächsten Jahr putzmunter begehen zu können. Der „Abschied“ bezieht sich auf meine bisherige Funktion in der VEREINIGUNG 17. JUNI 1953, in der ich die Ehre habe, ihr seit 1962 anzugehören und die bewegende Dankbarkeit, davon Jahrzehnte im Rahmen des Vorstandes dienen zu dürfen. Mit diesen Zeilen zu Weihnachten möchte ich also nicht nur Segenswünsche für ein frohes Fest und einen gesunden Rutsch in das Neue Jahr 2024 aussprechen, sondern mich bei dieser Gelegenheit für die breite Kameradschaft und die vielfache Unterstützung unserer Anliegen bei Ihnen allen, ob Weggefährte, Freund oder Freundin, MdB oder MdA wie auch sonst tätigen Politikern bedanken! Dieser Dank gehört nicht zuletzt meinen verstorbenen Eltern, meinen Geschwistern, meinen Ehefrauen und meinen Kindern, die diese Aktivitäten getragen und ertragen haben.

Nach zwei Jahrzehnten als Vorsitzender in Nachfolge unseres unvergessenen Manfred Plöckinger, der für seine Teilnahme am Volksaufstand von 1953 als Bauarbeiter aus der Stalinallee harte Jahre Gefangenschaft hinnehmen mußte, und angesichts des bevorstehenden 80. Geburtstages war es an der Zeit, die ehrenvolle Aufgabe in jüngere Hände zu legen. Der 2021 unternommene Versuch, diesen notwendigen Schritt zu gehen, scheiterte leider. So mußte ich noch einmal in die entstandene Lücke springen, bis es 2023 zum 70. Jahrestag endlich gelang.

Erster Hungerstreik im Oktober 1962 am Mahnmal für Günter Litfin. Hier sprachen  Manfred Plöckinger und Friedrich Schorn den Achtzehnjährigen an – Foto: LyrAg-Press

Als mich 1962 Manfred Plöckinger und Friedrich Schorn, Letzterer war Aufstandsführer in den Leuna-Werken bei Merseburg, während eines Hungerstreiks am Mahnmal für Günter Litfin am Lehrter Bahnhof (heute: Hauptbahnhof) ansprachen, um mich für die Vereinigung zu werben, war ich mit meinen 18 Jahren bewegt: Zwei Helden des 17. Juni sprachen mich an, wollten mich für ihre 5 Jahre zuvor eingetragene, aus dem ursprüngliche Komitee 17. Juni hervorgegangene Vereinigung gewinnen. 1965, also nur drei Jahre später, wurde ich als Hauptgeschäftsführer bereits in den Bundesvorstand gewählt. Damals gab es noch Landesverbände und daher auch einen Bundesvorstand.

Nach mehreren Hungerstreik-Aktionen, zuletzt zehn Tage am zuvor von mir und Berthold Rubin erstellten Mahnkreuz für den am 1. Weihnachtsfeiertag 1963 hinter der Thomas-Kirche am Mariannenplatz in Kreuzberg,

Nach mehreren Hungerstreik-Aktionen, zuletzt zehn Tage am zuvor von mir und Berthold Rubin erstellten Mahnkreuz für den am 1. Weihnachtsfeiertag 1963 hinter der Thomas-Kirche am Mariannenplatz in Kreuzberg ermordeten Paul Schulz aus Neubrandenburg, hatten mir die Ärzte nach dem folgenden sechswöchigen Krankenhausaufenthalt empfohlen, mehr auf meine konstitutive Gesundheit zu achten. So beschloß ich, mich künftig aktiv für die Freilassung von „14.000 Politischen Gefangenen in der SbZ“ (Sowjetische besetzten Zone, der selbsternannten DDR) einzusetzen.

Bericht in „Corriere della Sera“ , Italien, v. 15.11.1964

Schlüsselerlebnis: Ich verlor die Angst

Am 14. November 1964 marschierte ich daher mit einem entsprechenden Schild zum Grenzübergang „Heinrich-Heine-Straße“ am Moritzplatz. Analog zu einer Demonstration meines zum Freund gewordenen Vorbildes und Gandhi-Anhängers T.N. Zutshi, der bereits 1960 am Alexanderplatz mutig für die Freiheit demonstriert hatte, wollte ich mit meinem Schild nach Ostberlin gehen. Etwa 30 Freunde aus der VEREINIGUNG 17. JUNI  und der APM (Außerparlamentarische Mitarbeit) begleiteten mich bis zum Übergang.

Dieser 14. November 1964 wurde für mich zum denkwürdigsten Tag, hatten mir doch meine Freunde die unmittelbar folgende Verhaftung und den Abschied „für mehrere Jahre“ prophezeit. Auch ich hatte natürlich das berühmte „Herzklopfen“. Als ich mich aber dem Kontrollpunkt näherte, sah ich keine „einfachen“ Grenzposten, sondern nur Offiziere ab Oberleutnant aufwärts. Und in diesem Moment, für mich ein Schlüsselereignis, fiel von mir jegliche Angst ab: „Die haben ja mehr Angst vor dir, als du vor denen.“

In einer Schrift hatte T.N. Zutshi seinen Gewaltlosen Kampf begründet . Oben links: Demonstration 1960 am Alexanderplatz in Ostberlin – Foto: LyrAg-Press

Zutshi hatte 1960 am Alexanderplatz mit einem Schild demonstriert: „Menschen hinter dem Eisernen Vorhang, der erste Weg zur Freiheit: Legt Eure Furcht ab und sprecht die Wahrheit.“

1989 hatten  die Menschen diesen Spruch umgesetzt und die Freiheit erkämpft. Schade, dass Zutshi diesen Triumph nicht mehr selbst erleben konnte.

Ein Offizier schubste mich vor der Mauer in Richtung Westen zurück, und ich brach diese erste Demo, nicht ohne die Botschaft „Nächstes mal bleibe ich länger“  ab. Später habe ich diese Demo noch zweimal wiederholt, am 17. Juni 1965 (eine Stunde) am Kontrollpunkt Heinrich-Heine-Strasse, und am 18. Oktober d.J. nach einer Unterschriftensammlung in zwölf Großstädten der (alten) Bundesrepublik am Checkpoint Charlie, wo ich dann verhaftet und am 7. April 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

Für mich war diese Erfahrung des „Angst-Verlierens“ in der Folgezeit, also auch während meiner Inhaftierung einfach unschlagbar. Das vermittelte mir die Kraft des Überstehens. Und es erlaubte mir, auch nach meiner Entlassung (Ende Oktober 1966 wurde ich freigekauft) Angst-frei Demonstrationen „über den weißen Grenzstrich“ bis zum Fall der Mauer.

Würde ich hier alle Erfahrungen, Enttäuschungen (die es fraglos auch gab) wie aufbauende Begegnungen und Aktionen schildern, würde der Platz nicht reichen. In 62 Jahren sammeln sich viele Ereignisse an. Diese haben mich geprägt, meine Arbeit aber auch lebendig gehalten. Nunmehr ist der Zeitpunkt gekommen, zumindest kürzer zu treten. Auch fordert das Alter seinen Tribut, ich bemerke das bald jeden Tag.

So werde ich nicht mehr jeder Einladung folgen (können), werde ab 2024 nicht mehr jeden Tag Emails lesen, nicht mehr so viele Ereignisse kommentieren, wie bisher gewohnt. Dafür bitte ich um, danke ich ausdrücklich für das Verständnis! Meinen Verpflichtungen zu Vorträgen, z.B. für die „Berliner Unterwelten“ werde ich so lange wie möglich nachkommen. Meinen Kampf um die Anerkennung erlittenen Unrechtes – zum Beispiel an der Tochter meines verstorbenen Freundes, Tunnelbauers und Fluchthelfers Gerhard Weinstein durch 11 jährigen Entzug der Eltern durch den DDR-Terror – werde ich nicht aufgeben. So hat auch der Großvater von Gerhard, Bruno Weinstein, in Berlin einen Stolperstein verdient, weil er 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Es gibt also nach wie vor viel zu tun (Anfragen beantworte ich in dieser Hinsicht gerne), aber ich werde künftig meine Arbeit den verbleibenden Möglichkeiten anpassen.

Vergeblicher Appell an die UNO: „Wir brauchen die Tat.“  Zehntägiger Hungerstreik 1963/64 am Mahnmal für den am 25.12.1963 erschossenen Paul Schulz – Foto: LyrAg-Press 

Gedenken an Paul Schulz am 25. Dezember, 17:00 Uhr

Dazu gehört unbedingt das Gedenken am 1. Weihnachtsfeiertag (25.12.2023, 17:00 Uhr, hinter der Thomas-Kirche am Mariannenplatz in Kreuzberg) an den vor 60 Jahren ermordeten Paul Schulz, zu dem Sie als Leser oder Leserin dieser Zeilen ganz herzlich eingeladen sind. Das Alter hindert uns an manchen Aktivitäten, es darf uns niemals daran hindern, Unrecht nie zu vergessen und sich der Opfer stets zu erinnern.

An dieser Stelle bitte ich nachdrücklich auch darum, dem neuen Vorstand  der VEREINIGUNG 17.JUNI, Mike Mutterlose, Andrea Rugbarth und Kathrin Albrecht-Gericke das gleiche Vertrauen wie mir in all den Jahrzehnten entgegenzubringen und diesen nach allen gegebenen Möglichkeiten zu unterstützen, in guten wie in weniger guten Tagen (was wissen wir schon, was uns noch bevorsteht?).

V.i.S.d.P.: C.-W. Holzapfel, Ehrenvorsitzender – Mobil: 0176-48061953 (1.806).

Berlin, 19.11.2023 (Volkstrauertag) – Zum 9. November hielt der neue Vorsitzende der VEREINIGUNG 17. JUNI, Mike Mutterlose, an den Mauerkreuzen in der Ebertstraße (zwischen Reichstag und Brandenburger Tor) eine Ansprache zum Gedenken an die Toten der Teilung Deutschlands. Wir veröffentlichen nachstehend den Wortlaut im Schatten des heutigen Volkstrauertages, der aus unserer Sicht auch die Opfer des Volksaufstandes vom Juni 1953, die Opfer der ersten und zweiten Diktatur, also auch die Toten der Mauer, einschließt.

„Wir stehen hier an einem Ort, der einst von der Berliner Mauer durchzogen war, einem Symbol der Trennung und Unterdrückung. Wir haben uns hier versammelt, um des 34. Jahrestages des endlichen Mauerfalls zu gedenken – ein historisches Ereignis, das die Welt veränderte und die Herzen von Millionen Menschen befreite.

Narben, die bis heute spürbar sind

Diese Mauer, die einst unsere Stadt und unser Land teilte, war nicht nur aus Beton und Stacheldraht errichtet worden. Die verantwortliche Tyrannei trennte auch damit Familien und Freunde, zerstörte Träume. An dieser Mauer endeten unschuldige Leben. Diese Mauer hinterließ Narben, die bis heute spürbar sind.

Wir erinnern uns heute daher insbesondere an die Opfer der Mauer, jene mutigen Seelen, die ihr Leben riskierten, um Freiheit und Würde zu suchen. Es waren Menschen, die an dieser kalten Betonwand starben, weil sie nach einem besseren Leben, ohne Angst, ohne Tyrannei, nach Selbstbestimmung strebten. Ihre einzelnen Namen mögen vergessen sein, aber ihre Opfer werden und dürfen niemals in Vergessenheit geraten.

Wir denken dabei nicht nur an diejenigen, die an dieser Mauer erschossen wurden oder in Grenzgewäs-sern bei dem Versuch, das rettende freiheitliche Ufer zu erreichen, ertranken. Wir schließen in dieses Gedenken bewußt auch diejenigen ein, die inhaftiert wurden, weil sie den Mut hatten, der Tyrannei zu widersprechen oder dieser zu entfliehen. Wir gedenken der Familien, deren Leben für immer durch diese unmenschliche Grenze durch nie verheilende Wunden und Narben gezeichnet wurde.

Der 9. November ist und bleibt auch ein Tag der Hoffnung

Doch der 9. November ist nicht nur ein Tag des Gedenkens an die Opfer von Tyrannei, Unterdrückung, verbrecherisches Morden von Unschuldigen. Dieser historische Novembertag ist und bleibt auch ein Tag der Hoffnung, des Aufbruchs und des Wandels. Denn am letzten der vielen und bemerkenswerten historischen Ereignisse, die diesen Tag prägten und prägen, fiel diese unsägliche Mauer. Nicht durch Waffen oder Gewalt, sondern durch den friedlich vorgetragenen unerschütterlichen Willen der Menschen gegen jegliche Diktatur, dem Willen nach Freiheit. Die friedliche Revolution von 1989 war ein Triumph des menschlichen Geistes über Unterdrückung und Angst.

Wir stehen hier als Zeugen dieser Geschichte: Wir tragen die Verantwortung dafür, weiterzugeben, was wir durch diesen weiteren 9. November gelernt haben: Dass Freiheit ein kostbares, unveräußerliches Gut ist, welches wir niemals als selbstverständlich hinnehmen dürfen, sondern stets verteidigen müssen. Nicht nur an Gedenktagen, sondern jeden Tag, jede Stunde unseres einmaligen kostbaren Lebens.

Lasst uns in diesem Sinn gemeinsam mit Mitgliedern von Fraktionen des Abgeordnetenhauses von Berlin Kränze an diesem Ort niederlegen – als Symbole der Erinnerung an die Vergangenheit und als Versprechen für eine bessere Zukunft in Freiheit und Selbstbestimmung. Möge uns diese Ehrung alle Zeit daran erinnern, dass wir nie aufhören dürfen zu kämpfen. Für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Für eine Welt ohne Tyrannei, ohne Hass, ohne Mauern.“ -mm-

V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V., Berlin – Mobil: 0176-48008406 / Redaktion: C.W.Holzapfel

Berlin/Hanau, 03.11.2023/mm – Die in Berlin ansässige VEREINIGUNG 17. JUNI 1953 e.V. wird am 9. November 2023, 13:00 Uhr, an den Mauerkreuzen in der Ebertstraße Ecke Scheidemannstraße (zwischen Brandenburger Tor und Reichstag) anlässlich des Jahrestages des Mauerfalls von 1989 der Toten der Teilung Deutschlands, hier insbesondere der Opfer an der Berliner Mauer, gedenken.

Der ehem. Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (li.) bei der Einweihung der neuen Mauerkreuze am 13. August 2021 in der Ebertstraße – Foto: LyrAg-Press/Holzapfel

In einer Erklärung des Vorstandes zum 9. November betont die 1953 nach dem Volksaufstand vom 17. Juni als „Komitee 17. Juni“ gegründete und am 3. Oktober 1957 in das Vereinsregister unter ihrem jetzigen Namen eingetragene Vereinigung, daß „wir unter Berücksichtigung der Toten durch die aktuellen Terrorakte gegen den Staat Israel gleichzeitig und insbesondere des 85. Jahrestages der sogen. „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 gedenken wollen. Wir mahnen und erinnern damit an die Ermordeten und die überlebenden Opfer des Holocaust.“D

Die voraussichtlichen Teilnehmer aus Politik und Verbänden werden, soweit diese bereits eine Teilnahme zugesagt haben, die Gelegenheit erhalten, kurze Ansprachen des Gedenkens zu halten.  Im Anschluß findet eine kurzes Gedenken (Niederlegung von Blumengebinden) an den Mahnsteinen für die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus auf dem Steinplatz in der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg statt (15:00 Uhr) statt.

Rückfragen  bitte an unsere aktuelle Geschäftsstelle.      

V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V., Berlin – Tel.: 030-85607953 (1.767).

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