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Stalingrad/Berlin, 2.02.2013/cw – Nachstehende Sonette begann der Dichter Olaf Lunaris am Tage der Kapitulation der 6. Armee der Deutschen Wehrmacht in  Stalingrad zu schreiben. Er beendete diese innere Auseinandersetzung „zum Fest der Auferstehung“, Ostern 1944.

Wir erinnern an dieses Ereignis vor 70 Jahren und die Toten beider Seiten mit der Veröffentlichung dieses Zeitzeugnisses, der insgesamt 15 hadernden Sonette. Eine Woche lang wollen wir mit jeweils zwei Sonetten pro Tag an das Grauen dieses Krieges und die widerstreitenden Gefühle vieler Menschen zwischen empfundener faszienativer Verpflichtung und Gewissen erinnern. (Teil 2 – 7 – I. – XV. bis zum 9.02.2013 ).

 

I.

 

Bin  ich ein  Schwächling, nicht des Kampfes wert?

Winkt mir ein Strohtod ferne den Gefahren?

An Deinen Quell´n hab oft ich Trost erfahren,

Du, Seelenheimat, die uns spreche lehrt.

 

Du bist mir Halt und Wurzelland gewesen,

und Deiner Ströme Lauf kreist mir im Blut.

Du bist mir Grund genug. Du bist mir gut.

Dich hab ich zur Geliebten auserlesen.

 

Nun  flüsterst Du mir zu: „Wo bleibt Dein Mut?

Was schonst Du Dich und lebst noch und bist hier?

Hast Du nicht begriffen, daß es Zeit ist?“

 

O, weh! Wie fassungslos wird mir zumut!

Mein Zorn weint Tränen. Denn versagt bleibt mir,

das Land zu schirmen, dem mein  Herz geweiht ist.

 

II.

 

Das Land zu schirmen, dem mein Herz geweiht ist,

die Heimat, der das Kinderherz einst schlug,

den festen  Boden in  der Welt voll Trug,

den Hof des Friedens, der für mich bereit ist …

 

das Land, das gegen heidnisch wilde Horden

Europens Schild war, stark und mannigfach,

des Seele zu Johann Sebastian Bach,

zu Friedericus und zu „Faust“ geworden …

 

dies Land zu schirmen, schließt sich eine Kette

von  Mannen fest um seine heilige Glut,

von Waffen hitzig, wie sonst kein  Geschmeid ist.

 

Und ich? – Träum ich noch hier im weiche Bette

Und habe keine Anteil an dem Blut?

Hab ich kein Herz, das wider Furcht gefeit ist?

 

(2.), 3.02.2013

 

III.

 

Hab ich kein Herz, das wider Furcht gefeit ist,

wenn „Brünnhild“, die den Memmen sich verschließt,

zu ewiger Empfängnis den erkiest,

der knochenmutig nackt mit ihr zu zweit ist?

 

Hab ich kein  Schwert, wie sich´s  zu schwingen lohnt,

wenn heilige Empörung in uns siedet

und Streich auf Streich ein Kameradstum schmiedet,

das zu erleben jedes Opfer lohnt? –

 

Dem Strudel fern, der mit der großen Scheiße

da draußen Blumen düngt, wie nie sonst blühn,

schütt ich hier Laub auf, wo ein Mistbeet gärt.

 

Zum Teufel mit der Sorgfalt und dem Fleiße

jetzt, wo die Blicke rings vom Schicksal glühn,

wo Mannesmut ins Fegefeuer fährt.

 

IV.

 

 

Wo Mannesmut ins Fegefeuer fährt,

den eigenen Erbärmling anzupacken …

wo man den düstren Fürchtemich vom Nacken

abschleudert, von Begeisterung verklärt …

 

Wo Leben ungebeugt bleibt von Vergängnis,

weil nur noch Mut nach Wirklichkeit verlangt …

wo man, wie auch der Leib erbebt und bangt,

bekenntnistreu bleibt bis zur Todempfängnis …

 

da spürt der Mann den Geier „Ewigkeit“

in seinen protheisch trotzigen  Leib

einpranken seines Sieges blutige Schramme.

 

Nimm, mich und schleudre mich in Deinen Streit,

stoß mich hinaus, daß ich nicht unreif bleib,

oh, Schicksal, Mutterleib, dem ich entstamme!

 

(3.), 4.02.2013

 

V.

 

Oh, Schicksal, Mutterleib, dem ich entstamme!

Oh, Nacht, die Sternengnade mir verleih!

Gib acht, daß meine neue Melodie

Den trügerischen Frieden nicht verdamme!

 

Was gabst Du meine Muskeln nicht die Kraft,

den Brüdern beizustehn mit meinem Blute?

Warum hast meinem innerlichen  Mute

Du der Bewährung Wonne nicht verschafft?

 

Ich hätt gut Singen, wird man von mir sagen,

ich hätt mit meinem sauberen Gesicht

ja keine Ahnung, was die andern quält.

 

Verhöhnen wird man mich und meine Klagen.

Geh, Mutter! – Aber Du – verlaß mich nicht,

Du, Zorn des Vaters, der den Willen stählt.

 

VI.

 

Du, Zorn des Vaters, der den Willen stählt,

der meiner Kindheit Weide bis zur Reife,

damit ich nicht ins Ungestüme schweife,

mit hemmenden Geboten hat umpfählt …

 

Du, gegen meine Unlust an der Herde

Jäh in die Weiche eingeschmerzter Sporn!

Du, den ich von mir schleuderte voll Zorn,

bis ich begriff, daß ich geritten werde …

 

Streng, aber weise zwangst Du aus dem Dämmern

der Triebe mich zu höherer Ordnung Lust.

Wie kommt´s, daß man mich zu den Schwachen  zählt?

 

Wenn drauß´ der wilden Horden Hufe hämmern,

wird furchtbar meine Ohnmacht mir bewusst.

Bin ich denn Dir zum Schoßhund auserwählt?

 

(4.), 5.02.2013

VII.

 

Bin ich denn Dir zum Schoßhund auserwählt?

Was hältst Du mich im stillen Haus gefangen,

als hüte eine Mutter voller Bangen

ihr Töchterchen, daß es sich nicht vermählt.

 

Hier nimm den Firlefanz, das Reimgespinne!

Mach mich in schlichter Einheitstracht gesund!

Statt all der Barmigkeit – nur eins: GESUND!

Und müsst ich des gesunden Leibes Minne

 

bezahlen mit der fürchterlichsten Plage.

Ich bin mir klar des blutigen  Gerichts.

Daß es nicht zögre! Daß es mich verdamme!

 

Gern stürb ich für ein paar gesunde Tage.

Die kranke Schonung acht´ ich für gar nichts.

Warum verhehlst Du mir der Mannheit Flamme?

 

VIII.

 

Warum verhehlst Du mir der Mannheit Flamme

und hältst mich bei den Weibern fest – warum?

Ach, keine Antwort macht mein Klagen stumm.

Wär ich doch schon verdurstet bei der Amme!

 

Hätt´ meine Mutter doch in geiler Gier

die Frucht verworfen, die ja doch zu schwach ist,

zu schwach, der Lust zu frönen, die mir wach ist,

der Lust, mein deutsches Vaterland, an Dir.

 

Dir einzig, Vaterland, ergeb´ ich mich.

Herz meines Herzens, bade Dein Gefunkel

in meinen  Tränen! Kühle Deine Schmerzen!

 

In Deine Werdezeit verwebe mich,

wenn hell der Zukunft Lockung tönt – und dunkel

die – aus der Urzeit wie aus Glockenerzen.

 

(5.), 6.02.2013

 

IX.

 

Die aus der Urzeit, wie aus Glockenerzen

gefügte Schale, Erde, schirmt Dein Reich.

Dein Glutenmeer umspannt ein starker Deich.

Dein Leben, Erde, ist nicht auszumerzen.

 

Der Liebessinne Eden schenktest Du

unzähl´gen Ahnen vor mir und ich sprieße,

und über meiner Sinne Wellen fließe

ich hin zu Dir und wogst Du auf mich zu.

 

Wie kleinlich ist da doch das eitle Streben,

das von mir heischt, Gefahren zu mißtrauen,

der Hang zur friedlichen Bequemlichkeit!

 

Laß, Gott des Krieges, laß die Erde beben

und lehr mich, spöttisch auf mich selbst zu schauen

da, wo Dein Schrecken Mord und Feuer speit!

 

X.

 

Da, wo Dein Schrecken Mord und Feuer speit,

ist, Mond der Ernte, den gemähten Trieben

ein Bangen um den Sinn-am-Sieg geblieben,

ein Weh nach herbstlicher Besonnenheit.

 

Es schirme Ehrfurcht uns vor der Gefahr,

mit Waffen ohne Glauben uns zu rüsten.

Entgegen grenzenlosem Machtgelüsten,

Menschheitsgewissen, werde offenbar!

 

Wir rüsten noch? – wir fürchten also immer

noch Deinen Zorn? Du bleibst uns nicht geheuer,

on man Dich Schicksal, Gott, ob Menschheit nennt:

 

Schicksälige Ehrfurcht sei der Waffen Schimmer,

so „amor fati“, daß der Fronten Feuer

Gechichte läutert und die Angst verbrennt!

 

(6.), 7.02.2013

 

XI.

 

Geschichte läutert un  die Angst verbrennt

kein ander´ Feuer: Erst in Jenseitsnähe,

Feind gegen Feind, erkennt der Kämpfer jähe,

ob, was die Not befiehlt, der Leib bekennt –

 

ob er verehren kann bis zum Erlahmen

das nicht mehr auszuklügelnde Gebot,

so ganz Naturgeschöpf, daß Opfertod

nur wie ein „Hier!“ ist beim Appell der Namen.

 

Erhalte, Ares, so in meiner Brust

das Herz für Deinen heiligen Ernst mir stark!

Eerhalte mich geschmeidig Deinen Scherzen!

 

Gib selig Leiden, leidverklärte Lust

und dem Gewissen Treue bis ins Mark.

Zück Deinen Schicksalsstrahl nach meinem Herzen!

 

XII.

 

Zück Deinen Schicksalsstrahl nach meinem Herzen,

Herr! Zück den Strahl – und wenn es mich entleibt!

Ach! Der von Opfermut Verschonte bleibt

lieblos und kalt wie nie erstrahle Kerzen.

 

Erst der zutiefst lebend´ge opfert Leben

und opfernd spürt er seines Lebens Pracht.

Uns müssen, opfernd einer höh´ren Macht,

die Hände von der Opfergabe beben.

 

Wer unfrei ist, den kettet der Besitz.

Im Staatspalast der Täuschung und der Lüge

beginnt bereits der große Siegesstreit.

 

Zwiefach drum flieh zu Dir ich, Kampfesblitz.

Auch wenn mich niemand je nach Wallhall trüge:

Tu Deinen Schlag! Der Ritter sei geweiht!

 

(7.), 8.02.2013

 

XIII.

 

Tu Deinen Schlag! Der Ritter sei geweiht!

Nun hat mein Herz doch nicht umsonst geschlagen.

Welch Freiheitsjubel, welch ein Dankessagen

jedweder Stunde meiner Erdenzeit!

 

Und damit vielen diese Lust noch werde,

die alle ander´n Erdenfreuden krönt,

nimm, Welt, mich hin, mit Freund und Feind versöhnt,

in allem ganz ein Liebender der Erde.

 

So mag´s geschehen, mag dies´ Lied verklingen!

Ganz Lauschen nur dem Zirpen der Zikaden,

mein Abend, blute aus ins Firmament!

 

Laß Sterne flammen und Soldaten singen

ganz sacht: „Ich hatte einen Kameraden…“,

der sich zu seiner Heimat treu bekennt.

 

XIV.

 

Der sich zu seiner Heimat treu bekennt,

der Unbekannte hat sich mir verbündet.

Hab diese Fackel für ihn angezündet,

die in die deutsche Nacht ihr Feuer brennt.

 

Geht mancher heut, das Haupt in Nacht gehüllt,

die Fackel dient, sein  Antlitz aufzuhellen.

Er lebe fort, sich dem Gefecht zu stellen,

wo sich der Sinn der Kämpfe uns erfüllt.

 

Verschont vor allzuzeitiger Vernichtung

scheint mancher für den Geisterkrieg erkoren.

Da soll er fechten, wie´s  ihm widerfährt.

 

Nicht feindwärts, sternenwärts weist nun die Richtung.

Im Kraftgemetzel knabeneitler Toren

bin ich ein Schwächling, nicht des Kampfes wert.

 

(8. – Schluss) 9.02.2013

 

I. – XIV.

 

Bin ich ein Schwächling, nicht des Kampfes wert,

das Land zu schirmen, dem mein Herz geweiht ist?

Hab ich kein Herz, das wider Furcht gefeit ist,

wo Mannesmut ins Fegefeuer fährt?

 

O, Schicksal, Mutterleib, dem ich entstamme!

Du, Zorn des Vaters, der den Willen stählt!

Bin ich zum Schoßhund von Dir auserwählt?

Warum verhehlst Du mir der Mannheit Flamme,

 

die aus der Urzeit wie aus Glockenerzen,

da, wo Dein Schrecken Mord und Feuer speit,

Geschichte läutert und die Angst verbrennt?

 

Zück Deinen Schicksalsstrahl nach meinem Herzen!

Tu Deinen Schlag! Der Ritter sei geweiht,

der sich zu seiner Heimt treu bekennt.

 

Olaf Lunaris

© LyrAg

Olaf Lunaris (* 1915) war, wie sein  Vater, seit seiner Geburt an Myoclonie erkrankt, einer seltenen Bluterkrankung, die ein  unkontrolliertes Muskelzucken auslöst und u.a. auch den Wehrdienst verhinderte. Er starb 2008 in Berlin.

Wir beenden heute, am 9.02.2013, das hier aufgezeigte eigenwillige Gedenken an die Schlacht von Stalingrad, die Kapitulation der 6. Armee der Deutschen Wehrmacht, den Sieg des seinerzeitigen  Gegners und die Tausenden Toten dieser Schlacht wie der Millionen Toten des II. Weltkrieges.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin

 

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