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Berlin, 01.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (4 – Teil 3 siehe 31.07.2019).

Von Carl-Wolfgang Holzapfel

Im Frühjahr 1962 hatte ich mich aus den insgesamt zwölf Jahre andauernden Heimaufenthalten freigeschwommen. Nach meinem durch den Mauerbau in Berlin verursachten überstürzten Aufbruch von Hamburg nach Berlin war ich „zur Strafe“ vom Jugendamt in einen „Jugendhof“ eingeliefert worden. Man könne nicht einfach aus einem vom Staat bezahlten Lehrlingsheim ausbrechen, hatte mir eine Dame im Landesjugendamt empört vermittelt. In einem vergitterten Transportauto wurde ich einem Schwerverbrecher gleich in eine Unterkunft gefahren. Dort stand am Ausgang nicht nur ein Pförtner, ich wurde auch für die nächsten Wochen in einer vergitterten Baracke untergebracht. Das bezogene spartanische Zimmer wurde sorgsam abgeschlossen. Heimknast pur.

Positiv vermerkte ich jedoch, das ich ab Ende Oktober Vormittags die heimeigene Berufsschule besuchen konnte, was mir letztlich eine Mittelschul-Abschluss ermöglichte. Am Nachmittag durfte ich nach einer Übergangszeit in der Großküche Kessel putzen. Nach einer Bewährungszeit wurde ich in eine offene Baracke verlegt. Hier waren die Zimmer und das Haus nicht abgeschlossen, und am Wochenende durfte ich ab November das Heim sogar verlassen, wenn auch nicht über Nacht. Dadurch war mir die bereits geschilderte Teilnahme an der Demonstration „Jugend demonstriert gegen die Mauer“ möglich.

Als sich im Frühjahr 1962 der Berufsschulabschluss abzeichnete stand natürlich ein möglicher Berufswunsch im Raum. Durch die 1958 geknüpften Kontakte zum Telegraf, der Herausgeber Arno Scholz hatte beabsichtigt, mein 60 Thesen umfassendes Deutschlandpapier zu veröffentlichen, bewarb ich mich dort erfolgreich als Volontär, weil ich gerne Journalist werden wollte, um auf diesem Weg den 17 Millionen Ostdeutschen eine Stimme leihen und mich den Ungerechtigkeiten auf der Welt widmen zu können.

Mit achtzehn Jahren ein freier Mensch

Meine Mutter gab mir auf einem meiner Wochenendbesuche zu bedenken, daß ich in diesem Fall noch bis zum 21. Lebensjahr, also noch drei Jahre, in dem „Jugendhof“ verbringen müsste. Die Volljährigkeit wurde damals im Westen erst mit 21 Jahren erreicht. Meine Mutter hatte in der Berliner Morgenpost eine Anzeige gefunden. Dort suchte ein Landwirt aus Wuhlsbüttel (zwischen Bremen und Bremerhafen) zwei landwirtschaftliche Lehrlinge. Und meine Mutter meinte, ich hätte doch bereits entsprechende Kenntnisse, die ich während meines Aufenthaltes in einer kirchlichen Heimeinrichtung (mit vierzehnstündiger täglicher Arbeit) erworben hätte. Der Vorteil lag klar auf der Hand: Fern von Berlin, fern von jeder amtlichen Aufsicht und Bevormundung wäre ich vorzeitig (vor dem 21. Lebensjahr) ein freier Mensch. So fand ich mich nach dem 1. April 1962 auf einem Bauernhof wieder.

T.N. Zutshi 1963. Bis heute hat die Stadt Berlin dem Inder kein Denkmal gesetzt – Foto: LyrAg

Allerdings hatte ich in einem ersten Gespräch mit dem Landwirtschaftsmeister vorgetragen, dass ich alljährlich zum 13. August in Berlin sein müsse, was er akzeptierte. So begegnete ich in der zweiten Augustwoche 1962 im Studentenhaus am Steinplatz dem Inder T.N. Zutshi. Auf einer Veranstaltung, die der Publizist und ehem. KgU-Chef Rainer Hildebrandt organisiert hatte, sprach der Ingenieur aus Indien über den Gewaltlosen Kampf nach Mahatma Gandhi und dass dieser Kampf auch ein Weg sei, um die Berliner Mauer und die Teilung Europas zu überwinden. Er wolle, um dies zu demonstrieren, am 2. Oktober, dem Geburtstag von Gandhi, die Mauer vor der Versöhnungskirche in der Bernauer Straße symbolisch mit Hammer und Meißel einreißen.

„Legt Eure Furcht ab und sprecht die Wahrheit“

Zutshi hatte bereits 1960 am Alexanderplatz mit einem Schild demonstriert: „Menschen hinter dem Eisernen Vorhang: Der erste Weg zur Freiheit – Legt Eure Furcht ab und sprecht die Wahrheit.“ Dieser Zutshi-Ausspruch wurde für mich zur Leitlinie und wurde unendliche Male durch die Realität bestätigt, letztens auch am 9. November 1989. Der „mutige Inder“, so der indische Ministerpräsident in Delhi zur Verhaftung über Zutshi, wurde zunächst von DDR-Organen festgenommen. Weil die Sowjets aber sehr darum bemüht waren, Ihre Beziehungen zu Indien auszubauen, zogen sie den Vorgang an sich und entließen den Inder bereits wenige Tage nach der Festnahme.

Prophetische Forderung:
Zutshi 1960 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin – Foto: Archiv

Natürlich mußte ich zu dem im Studentenhaus angekündigten Ereignis in Berlin sein. Um meinen neuen Chef nicht zu verärgern, brach ich den Urlaub schon einige Tage vorher ab, damit ich im Oktober wieder nach Berlin fahren konnte. Allerdings blieben mir durch diesen vorzeitigen Aufbruch die kritischen Tage nach dem Mord an Peter Fechter am 17.August 1962 nahe dem Checkpoint Charlie erspart, wenngleich mich auch dieser Mord auch aus der Ferne emotional tief berührte und aufwühlte.

Am 2. Oktober fanden sich etwa zweitausend Menschen vor der Versöhnungskirche ein, um T.N. Zutshi bei seiner angekündigte Demonstration zuzuschauen. Die Lage war angespannt. Auf dem Turm der (1985 gesprengten) Kirche hatten DDR-Posten gut sichtbar ein Maschinengewehr aufgestellt. Schließlich kam der Inder, um den anwesenden Medien und den zahlreichen Menschen mitzuteilen, dass er die angekündigte Demonstration nicht durchführen würde. Der Innensenator hätte ihm, „auf Weisung der Alliierten“ eine Durchführung untersagt, anderenfalls würde er als „unerwünschter Ausländer“ abgeschoben werden. Dies wolle er vermeiden, weil er nach wie vor die Menschen in Berlin von einem Gewaltlosen Kampf gegen die Mauer überzeugen wolle.

Die ersten Erfahrungen: Gewaltloser Widerstand

Nachdem ich die Unschlüssig- und Ratlosigkeit der Vielen bemerkte, erfasste mich ein nicht gekannter Zorn. Kam denn Niemand auf die Idee, den Gedanken des Inders aufzugreifen, von unserer (betroffenen) Seite aus ein Zeichen zu setzen?

Werbung für den Gewaltlosen Kampf – Zutshi-Schrift von 1962. Das Bild zeigt seinen Marsch an die Brücke von Andau nach dem Ungarn-Aufstand von 1956 –            Foto: Archiv

Nach kurzer Überlegung setzte ich mich spontan unter das Straßenschild „Hussitenstraße“ gegenüber der Versöhnungskirche und verkündete einen „72-stündigen Sitz- und Hungerstreik.“ Bar jeder Vorstellung und Erfahrung verließ ich mich jugendlich darauf, das nicht schlecht sein könne, was Gandhi erfolgreich angewandt hätte.

Kurz darauf ein Polizist: „Was machen Sie hier?“
„Ich führe einen dreitägigen Sitz- und Hungerstreik aus Protest gegen die Mauer durch.“
„Das dürfen Sie hier nicht. Stehe Sie auf!“
„Entschuldigung, sind wir hier schon in Ost-Berlin?“
„Natürlich nicht. Aber Sie dürfen sich hier nicht einfach hinsetzen.“

Nachdem ich mich beharrlich geweigert hatte, meinen Demonstrations-Platz zu verlassen, fuhr wenig später ein Einsatzwagen der Polizei vor: „Steigen Sie ein!“
„Sie verwechseln hier etwas. Ich will hier nicht weg. Sie wollen mich weghaben.“

Daraufhin wurde ich gepackt und in den Mannschaftswagen verbracht. Vor dem Revier angekommen, wurde ich aufgefordert, den Wagen zu verlassen.
„Sie haben mich hier hinein gesetzt, Sie müssen mich auch wieder hinaustragen.“

Erneut wurde ich ergriffen und in eine Arrestzelle getragen, wo man mich in der Mitte der Zelle absetzte. Ich blieb im Schneidersitz so sitzen, wie man mich an der Ecke Hussitenstraße aufgegriffen hatte. Zugegeben, ich war mit mir über diese ersten, immerhin völlig unerfahrenen Schritte im Gewaltlosen Kampf zufrieden.

Zirka eineinhalb oder zwei Stunden später erschien der Reviervorsteher in der Zelle:
„Was machen wir denn jetzt mit Ihnen?“
„Das weiß ich nicht. Sie haben mich ja hierher verbracht,“ erwiderte ich.

Der freundliche Beamte klärte mich nun über die tatsächlichen, realen Gegebenheiten auf. Danach hätten die Alliierten jegliche Demonstration in der Bernauer Straße untersagt. Die Polizei sei lediglich Befehlsempfänger der Alliierten und könne daher nicht selbständig Entscheidungen treffen. Schließlich fragte er mich, ob ich den Gedenkstein für den ersten erschossenen Flüchtling Günter Litfin (*19.02.1937 † 24.08.1961) kennen würde (Lehrter Bahnhof, heute: Hauptbahnhof). Nachdem ich verneint hatte, weil ich nur von dem Mord gehört, aber sonst keine örtlichen Kenntnisse hatte, empfahl er mir diesen Gedenkstein zur Fortführung meines Sitz- und Hungerstreikes.

„Dann kommen Ihre Kollegen und räumen mich weg,“ gab ich zu bedenken. Der Reviervorsteher verneinte und sagte, er würde mir garantieren, dass ich dort demonstrieren könne, weil zwischen der eigentlichen Mauer und dem Gedenkstein der breite Humboldthafen läge. Es beständen somit keine Sicherheits-Bedenken.

Die Freiheit darf hier nicht enden

1963 Wolliner Straße: C.W. Holzapfel, Rainer Hildebrandt mit Freundin, T.N. Zutshi, die ehem. Hoheneckerin Anneliese Kirks und ein Begleiter (von links nach rechts) – Foto: Lyrag

So fand ich mich am Abend gegen 22:00 Uhr an der früheren Entlastungsstraße gegenüber dem S-Bhf. Lehrter Straße ein, um meinen begonnenen Sitz- und Hungerstreik fortzusetzen. Dieser erste eigenverantwortliche Einsatz gegen die Mauer hatte für mich außer den dort gesammelten wichtigen ersten Erfahrungen über mögliche Formen des Gewaltlosen Widerstandes weitgehende Folgen. T.N. Zutshi besuchte mich mehrfach und es erwuchs bis zu seiner Abreise nach Indien 1964 eine tiefe Verständnis-Freundschaft.

Fortsetzung des Hungerstreiks vom 2.10.1962 am Mahnmal für Günter Litfin – Foto: Berliner CDU-Schrift Mai 1966 /  Archiv

Auch Rainer Hildebrandt besuchte mich und fragte gegen Ende des Hungerstreiks, ob ich Interesse an der Leitung seiner im Aufbau befindlichen Mauerausstellung in der Bernauer-/Ecke Wolliner Straße hätte? Nach Klärung der Bedingungen, er könne mich bis auf weiteres nicht bezahlen und als vorläufigen Schlafplatz könne er mir nur einen Prospektraum in der Ausstellung anbieten, sagte ich ohne lange Überlegung zu. Diese Aufgabe faszinierte mich. So fuhr ich nach Wuhlsbüttel zurück, um meinem enttäuschten Chef zu erklären, dass ich ab 1. Dezember in Berlin die Leitung einer Ausstellung übernehmen würde.

Die Ausstellung „Die Freiheit darf hier nicht enden“ war der Vorläufer des 1963 eröffneten weltbekannten und heute nicht mehr wegzudenkenden Mauer-Museums am Checkpoint Charlie.

-Wird fortgesetzt-

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.446)

Nr.067 – Einigkeit und Recht und Freiheit – 15. 07. 2017

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Kein Ehrengrab, keine Straße: Vor 55 Jahren verblutete Peter Fechter

Berlin, 15.07.2017/cw – Am 17. August 1962, vor 55 Jahren, verblutete der achtzehnjährige Peter Fechter vor den Augen der Weltöffentlichkeit an der Berliner Mauer. Unweit des Checkpoint Charlie hatte er versucht, zusammen mit seinem Freund die Mauer zu überwinden. Während seinem Freund Helmut Kulbeik die Flucht gelang, wurde Fechter unmittelbar vor der letzten Mauer von Kugeln der DDR-Grenzposten getroffen. Seine Hilfeschreie über die Mauer hinweg wurden immer leiser. Erst nach 50 Minuten schleppten herbeigeorderte Uniformierte den Sterbenden durch die Zimmerstraße über Stacheldrahtsperren hinweg in das Hinterland.

Der Abtransport von Peter Fechter am 17.08.1962 – (Plakat: Vereinigung 17. Juni anl. d. Unterschr-Sammlung für eine Peter-Fechter-Straße 2012) – Foto. LyrAg

Fechter war nicht der erste Tote, der durch Kugeln des verbrecherischen DDR-Systems an der Mauer starb. Bereits am 24. August 1961 war Günter Litfin (24) beim Durchschwimmen des Humboldt-Hafens nahe dem S-Haltepunkt Lehrter Bahnhof durch Beschuss ermordet worden. Am 9. Dezember des selben Jahres wurde der Fluchthelfer und Student Dieter Wohlfahrt (20) an der Zonengrenze in Staaken (Nördliche Bergstraße) bei einem Fluchthilfeversuch ermordet. Er war, wie man später erfuhr, in eine vorbereite Falle der Stasi gelaufen. Auch Wohlfahrt verblutete jämmerlich im Grenzstreifen, ehe sein Leichnam durch den Stacheldraht in die DDR gezogen wurde. Sebastian Haffner (+1999) schrieb aus diesem Anlass in „Christ und Welt“ die bislang erschütternste Anklage gegen den „Mord an der Mauer“.

Peter Fechters Tod wurde gleichwohl zum Synonym für die gnadenlose und blutige Jagd auf Flüchtlinge mitten in der geteilten Hauptstadt Deutschlands. Dafür verantwortlich waren nicht zuletzt die filmischen Sequenzen des Westberliner Kameramannes Herbert Ernst (*1939), der mit seiner 16-Millimeter-Arriflex-Kamera den Abtransport des sterbenden Ostberliners gefilmt hatte. Seine Bilder bewegten zusammen mit den Bildern des Fotografen Wolfgang Bera jahrzehntelang die Menschen in aller Welt.

Einzig diverse Senate in Berlin ignorierten immer wieder erhobene Forderungen, nach Peter Fechter eine Straße zu benennen. Zuletzt hatte die Vereinigung 17. Juni zum 50. Todestag am Checkpoint Charlie eine Unterschriftensammlung gestartet und als Kompromiss die Umbenennung der historischen Zimmerstraße zwischen Checkpoint und dem Springer-Verlag vorgeschlagen, auch dies vergeblich. Der seinerzeitige rot-rote Senat lehnte im Dezember 2005 und erneut 2012 selbst eine Widmung der Ruhestätte Fechters auf dem Friedhof der Auferstehungsgemeinde in Berlin-Weißensee als Ehrengrab ab.

Während Rudi Dutschke trotz bereits vorhandener Straßen-Widmung in Berlin-Dahlem ohne große Schwierigkeiten trotz an anderer Stelle immer wieder abgelehnter „Doppelbenennungen“ einen Teil der legendären Kochstraße zugedacht bekam, hat die Stadt für das traurig-prominenteste Opfer der Berliner Mauer bisher kein angemessenes Gedenken übrig.

Einzig Eberhard Diepgen (CDU), der am längsten amtierende Nachkriegs-Regierende von Berlin, erkannte wohl dieses Versäumnis, als er sich 2012 in der Berliner Morgenpost den Forderungen nach einer Straßenbenennung anschloss und eine entsprechende Namensgebung als „lebendigen Geschichtsunterricht“ bezeichnete.

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Der Hohenecker Bote verzichtet aus Anlass des bevorstehenden 55. Jahrestages des Todes von Peter Fechter in der vorliegenden Ausgabe auf weitere Beiträge, um die Erinnerung an den Fechter-Tod zu gewichten. Wir verbinden damit die Hoffnung auf ein Umdenken im aktuellen Senat in dieser für die Geschichte der Stadt bedeutsamen Angelegenheit.

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Hinweis: Die bisherigen Ausgaben des Hohenecker Boten können unter http://www.17juni1953.de abgerufen oder direkt bei der Redaktion gegen Kostenbeitrag bestellt werden (Redaktion: Siehe Impressum). Die Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. hat der Redaktion Gastrecht auf der Homepage eingeräumt, der Verein ist für die Inhalte nicht verantwortlich. Namentlich gezeichnete Artikel geben die Meinung des/der Verfasser/Verfasserin wieder (1.263).
Impressum: Der „Hohenecker Bote“ ist einzig der demokratischen Auseinandersetzung und den Anliegen der Verfolgten beider Diktaturen verpflichtet, parteipolitisch und vereinsrechtlich unabhängig und erscheint in der Mitte eines jeden Monats. Beiträge dürfen b.a.W. kostenlos unter Zurverfügungstellung von Nachweisen (Belegen) insbesondere von gemeinnützigen Vereinen der Verfolgten- und Opferszene beider Diktaturen in Deutschland genutzt oder weiterverbreitet werden. Fotos dürfen grundsätzlich nur unter ausdrücklicher Zustimmung bzw. zu den Bedingungen der Redaktion verwandt werden. Redaktion: Carl-Wolfgang Holzapfel (cw) – verantwortlich; redaktion.hoheneck@gmail.com; Kaiserdamm 9, D-14057 Berlin, Tel.: 030-30207778 oder 0176-48061953; Fax: 030-30207786 (derzeit außer Betrieb). Anzeigen auf Anfrage.

Danke den Menschen und Helden vom 17. Juni 1953, die mit ihrem Mut zum ersten Aufstand gegen eine Diktatur nach dem 2. Weltkrieg den Weg eingeleitet haben, der über Ungarn, die CSSR und Polen zum 9. November 1989 geführt hat.

Danke den 3,5 Millionen Flüchtlingen, die unter Verweigerung freier Wahlen dieses Recht  mit ihren Füßen wahrgenommen haben.

Danke den über 200.000 politischen Gefangenen zwischen 1949 und 1989, die mit ihrem Mut und ihrer unbeugsamen Überzeugung NEIN zur zweiten deutschen Diktatur gesagt haben.

Danke den Toten an der Berliner Mauer, den Grenzen des Ostblocks, die ihr Leben für die Freiheit gaben und mit ihrem Tod ein nie vergessenes Signal gesetzt haben für eine bessere, Mauer-freie Welt. Wir erinnern stellvertretend an Günter Litfin, Dieter Wohlfahrt, Peter Fechter, Paul Schulz und Chris Gueffroy.

Danke den ungezählten mutigen und selbstlosen Fluchthelfern, die über 28 Jahre geholfen haben, mit ihrer oft gefährlichen Hilfestellung der Fluchthilfe die punktuelle Wiederherstellung des Rechts verwirklicht haben.

Danke dem kleinen und mutigen Inder T.N. Zutshi, der nach dem Umgarnaufstand nach Europa kam, um uns den Weg aus der Unfreiheit mit den Methoden Mahatma Gandhis zu vermitteln. Unvergessen und 1989 umgesetzt seine Demonstration 1960 am Alexanderplatz in Ost-Berlin: „Menschen hinter dem Eisernen Vorhang, der erste Schritt zur Freiheit: Legt Eure Furcht ab und sprecht die Wahrheit.“

Danke allen Menschen in Ost und West, die den Glauben an Einigkeit und Recht und Freiheit für das Deutsche Vaterland niemals aufgegeben haben.

Danke den ebenso mutigen Menschen in Ungarn, in der CSSR und Polen, ohne deren Mut und Begleitung der Weg in die Freiheit auch für uns noch länger und dorniger gewesen wäre.

Danke nach Moskau an Michail Gorbatschow, der mit seiner neuen und mutigen Politik der Perestroika und Glasnost den Weg in eine neue und gemeinsame Zukunft geebnet hat.

Danke an Helmut Kohl, der in einer verwirrenden, vor Glück trunkenen Phase mutig und durchdacht den Zipfel der Weltgeschichte ergriffen und mit seinem 10-Punkte-Plan den Weg zur Einheit unter Einbeziehung der ehemaligen Gegner unbeirrt gegangen ist und vollendet hat.

Danke an Helmut Kohl für die Umsetzung der versprochenen „Blühenden Landschaften“, die trotz Ungeduld heute, 25 Jahre nach dem Mauerfall, überall in den mit uns vereinigten Bundes-Ländern der einstigen DDR zu sehen sind.

Euch Allen Danke! (890)

Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., ehem. „Komitee 17. Juni“, Berlin, 0176-48061953

von Klaus Hoffmann*

Berlin, 13.08.2014 – Am 13. August wurde nicht nur die Mauer gebaut. Am 13. August 1966 gelang mir, Klaus Hoffmann, über den Übergang Checkpoint Charly die Flucht in die Freiheit. Grund genug, jedes Jahr an diesem Tag zu feiern und sich mit besonderen Menschen zu treffen. Diesmal, im Jahr 25 nach dem Mauerfall, traf ich mich mit Carl-Wolfgang Holzapfel im Herzen von Charlottenburg. Hier wuchs er auf, hier lebt er wieder, seit er 2008 nach 38 Jahren in Bayern zurückkehrte.

Der erste Hungerstreik 1962 am Mahnmal für Günter Litfin - Archiv Holzapfel

Der erste Hungerstreik 1962 am Mahnmal für Günter Litfin – Archiv Holzapfel

Man sieht dem rüstigen Rentner auf einer Bank im schönen Park am Lietzensee seine durchaus bemerkenswerte Vergangenheit nicht an. Von 1961 bis 1989 demonstrierte der gerade 70 Jahre alt gewordene Mann beharrlich gegen die Berliner Mauer. „Keiner hat so ausdauernd und permanent gegen die Mauer demonstriert, wie er,“ sagte 1990 der verstorbene Museumsgründer vom Checkpoint Charlie, Rainer Hildebrandt, über seinen Freund anlässlich der Verleihung der Sacharow-Medaille.

Warum hat er sich das angetan? Hätte er nicht wie viele Millionen sein Leben egoistischer genießen können?

Holzapfel, 1944 im schlesischen Bad Landeck geboren, denkt nach, wiegt mit dem Kopf. Eigentlich würde ein solches Leben in die Wiege gelegt. Durch die Scheidung der Eltern mussten er und seine zwei Geschwister viele Jahre in Heimen zubringen: „Wenn du mit vier Jahren eine ganze Nacht im Heizungskeller zubringen mußt, nur weil du mit deinem Bruder abends im Bett noch geschwatzt hast oder mit 15 Jahren in einer kirchlichen Einrichtung bis zu vierzehn Stunden am Tag in der Landwirtschaft malochen mußt, dann denkst Du sensibler über Recht und Unrecht nach,“ sagt er.

Von der Ausstellung in der Bernauer Straße blickte Holzapfel direkt auf das gegenüberliegende zugemauerte Haus - Archiv Holzapfel

Von der Ausstellung in der Bernauer Straße blickte Holzapfel direkt auf das gegenüberliegende zugemauerte Haus – Archiv Holzapfel

Aber was hat das mit seinem ausgeprägten politischen Engagement zu tun, frage ich den heutigen Vorsitzenden der Vereinigung 17. Juni 1953. Er gehört diesem Verein immerhin seit 1963 an.

In seiner Familie habe sich deutsche Geschichte wiedergespiegelt. Seine Großeltern väterlicherseits waren engagierte Nationalsozialisten, sein Großvater brachte es bis zum Reichsamtsleiter für Musik, er wurde 1945 von den Russen unter einem Vorwand abgeholt und gilt seither als verschollen. Seinem Vater hingegen wurde das Studium (Germanistik und Zeitungswissenschaften) aus politischen Gründen verboten, dessen Schwester, der verwitweten Frau des 1936 bei Jena aus dem Leben geschiedenen berühmten Expressionisten Reinhard Goering („Seeschlacht“, „Scapa Flow“, „Die Südpolexpedition des Kapitän Scott“ u.a.) wurde der  Lebensgefährte vor der beabsichtigten  Hochzeit (das Paar hatte bereits zwei Töchter) von der GESTAPO „auf der Flucht erschossen,“ sie selbst in zwölfmonatige GESTAPO-Haft genommen.

2013 zum ersten Mal in seinem Geburtsort Bad Landeck im heutigen  Polen - Foto: LyrAg

2013 zum ersten Mal in seinem Geburtsort Bad Landeck im heutigen Polen – Foto:
LyrAg

Der Großvater mütterlicherseits, ein Polizeioffizier in Berlin-Moabit, kam auf ungeklärte Weise ums Leben; ihm wurden Verbindungen zum Widerstand nachgesagt. Die Großmutter, dessen Frau hingegen war glühende Hitler-Verehrerin und vermittelte ihren Enkeln noch nach dem Krieg, Hitler habe die Juden umgebracht, weil diese „die Mörder unseres Herrn Jesu waren.“

Schließlich habe er, Holzapfel, schon früh darüber nachgedacht, daß „17 Millionen Deutsche quasi durch einen Willkürakt der Sieger zu den alleinigen Büßern der Geschichte bestimmt worden waren.“ Daraus entstand aus seiner Sicht die Verpflichtung, für diese 17 Millionen Landsleute zumindest solange einzutreten, wie diese daran gehindert waren, die eigene Stimme zu erheben.

Hatten die Bewohner der SbZ, der später anerkannten DDR, nicht am 17. Juni 1953 ihre Stimme erhoben?

Schrift zum 50. jahrestag des Volksaufstandes - Foto: LyrAg

Schrift zum 50. jahrestag des Volksaufstandes –
Foto: LyrAg

Das war ja unüberhörbar,“ meint Holzapfel, „aber unüberhörbar waren auch die Ketten  der sowjetischen Panzer, die diesen Aufschrei gegen die neuerliche Diktatur niedergewalzt haben.“ Er hatte an den 17.Juni zunächst nur die Warnung der Großmutter in Erinnerung: „Bleibt zuhause, Kinder, die Russenpanzer kommen.“ Seine Wahrnehmung begann erst drei Jahre später, als die Revolution in Ungarn tobte. „Wir haben das Geschehen vom ersten bis zum letzten Tag verfolgt, auf dem Schulhof debattiert, die Zeitungen verschlungen, am Radio geklebt.“ Der damals Zwölfjährige versuchte, das empfundene Trauma ein Jahr später durch ein Theaterstück („Diese Vorstellung hat nie stattgefunden“) zu verarbeiten. Mit 14 Jahren schrieb Holzapfel einen „Deutschlandplan“, der 60 Artikel umfasste und eine Lösung der „offenen deutschen Frage, mithin die Überwindung der Teilung unter internationaler Beteiligung“ zum Inhalt hatte. Eine bereits abgesprochene Veröffentlichung im sozialdemokratischen Telegraf in Berlin scheiterte an einer erneuten Heimunterbringung, diesmal in Niedersachsen.

Am 13. August 1961 wurde die Mauer in Berlin gebaut.

Bei -15 Grad Hungerstreik am Peter-Fechter-Mahnmal 1963 - Foto: LyrAg

Bei -15 Grad Hungerstreik am Peter-Fechter-Mahnmal 1963
– Foto: LyrAg

Holzapfel stellt richtig: „Am 13. August wurden erste Zäune gezogen, Sperranlagen errichtet, Straßen aufgerissen. Der Mauerbau begann erst drei Tage später.“  Nach seiner Ansicht Zeit genug für die West-Alliierten, auf die Absperrung zu reagieren. Dazu sei aber einzig General de Gaulle bereit gewesen. Gleichwohl sei er von den halbstündlichen Nachrichten am damaligen Sonntag, die er in einem Lehrlingsheim in Hamburg verfolgte, erschüttert worden. Ende des Monats habe er es nicht mehr ausgehalten, seinen Ausbildungssold für eine Fahrkarte nach Berlin benutzt. Am Bahnhof Zoo angekommen, habe er sich in ein Taxi gesetzt und nur „Bernauer Straße“ als Ziel angegeben. Diese war in den wenigen Tagen nach dem Mauerbau zur „Straße der Tränen“ mutiert, weil hier die ersten Toten zu beklagen waren.
Dann stand der 17jährige vor der zugemauerten Versöhnungskirche und weinte. Er kämpft noch heute mit den Tränen, wenn er von diesem emotionalen Moment berichtet. Holzapfel wollte nicht verstehen, dass nach der NS-Vergangenheit vor der Weltöffentlichkeit neues Unrecht praktiziert, Menschen erneut eingemauert wurden, ohne dass sich dagegen bemerkenswerter Widerstand erhob. Er wird feierlich: „Ich schwor vor dieser zugemauerten Kirche, von deren Turm ein überdimensional wirkender Christus seine segnenden Hände über den Todesstreifen ausbreitete, nicht eher zu ruhen, bis diese Mauer fallen oder ich das Zeitliche segnen würde.“

Freiheit für Harry Seidel und 14.000 politische Gefangene - 14.11.1964 - Archiv Holzapfel

Freiheit für Harry Seidel und 14.000 politische Gefangene – 14.11.1964
– Archiv Holzapfel

An diesem Schwur habe er sein Leben orientiert, habe zumindest versucht, sich daran zu halten. „Das war nicht einfach,“ sagt er rückblickend, denn auch sein familiäres Leben habe letztendlich unter dieser „Treue zum Eid“ gelitten. Zunächst aber habe er in endlosen Diskussionen seinen Weg zum Widerstand finden müssen. Konnte nicht nur Gewalt ein deutliches und unübersehbares Zeichen gegen Gewalt setzen? Belegten das nicht zuletzt die Ereignisse in Algerien, wo sich die Freiheitskämpfer mit Sprengstoff gegen die Franzosen durchzusetzen versuchten?

Im Sommer 1962 begegnete der 18jährige dem indischen Ingenieur T.N. Zutshi und war fasziniert. Zutshi war nach dem Ungarn-Aufstand nach Europa gekommen, um hier für den gewaltlosen Kampf nach den Methoden Mahatma Gandhis zu werben. 1960 hatte er auf dem Alexanderplatz im Osten Berlins mit einem Schild demonstriert: „Menschen hinter dem Eisernen Vorhang – der erste Weg zur Freiheit: Legt Eure Furcht ab und sprecht die Wahrheit.“ Holzapfel ist noch heute begeistert: „Das, was der mutige Inder dort aussprach, wurde 1989 tatsächlich umgesetzt. Er war ein Rufer in der Wüste der Nichtgläubigen und wurde im nachhinein zum Propheten.“

Für eine mögliche Flucht wurde nachts der Stacheldraht beseitigt - Foto: LyrAg

Für eine mögliche Flucht wurde nachts der Stacheldraht beseitigt – Foto: LyrAg

Der junge Mann entschied sich für den gewaltlosen Kampf gegen die Mauer. Als Zutshi im Oktober 1962 auf Anweisung der Alliierten eine gewaltlose Demonstration vor der Versöhnungskirche von Innensenator Heinrich Albertz verboten wurde, setzte sich Holzapfel spontan unter das gegenüberlegende Straßenschild „Hussitenstraße“ und verkündete einen 72stündigen Sitz- und Hungerstreik aus Protest gegen die Mauer. Da ihm das alsbald ebenfalls untersagt wurde, setzte er diesen Streik noch am selben Abend am Mahnmal für den ersten erschossenen Mauer-Toten Günter Litfin am Humboldthafen (heute Hauptbahnhof) fort.

Rainer Hildebrandt warb den zu diesem Zeitpunkt bei Bremen arbeitenden Holzapfel für die gerade in Vorbereitung befindliche Mauerausstellung „Es geschah an der Mauer“ in der Bernauer- Ecke Wolliner Straße an. Ab Dezember 1962 übernahm er die Leitung „für eine Mark pro Tag, für die ich mir alten Kuchen in der Bäckerei um die Ecke besorgte.“ Ab und an „kochten mir Nachbarn einen  warmen Eintopf,“ erinnert er sich. Hildebrandt erhielt erst ab März 1963 Zuwendungen von der Klassenlotterie, aus denen er dann auch Holzapfel ein kleines Salär zahlen konnte.

Prophetische Forderung: Zutshi 1960 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin - Foto: Archiv

Prophetische Forderung:
Zutshi 1960 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin – Foto: Archiv

Im Sommer des Jahres beteiligte sich Holzapfel an einem Tunnelbau vom Güterbahnhof an der Bernauer Straße aus. Sechs Meter tief und 60 Meter lang sei der Tunnel gewesen. Kurz vor Erreichen des Kellers im Zielhaus wurde das Unternehmen verraten, 21 Menschen wurden verhaftet und verurteilt, eine Frau starb in der Haft.

Der Mauerdemonstrant entwickelte immer neue Formen des Widerstandes. Meterhoch wurde auch die Mauer in der Bernauer Straße von ihm mit Texten versehen: „Trotz Mauer ein Volk – KZ“ und „Diese Schande muss weg – KZ“, Flugblätter wurden über die Mauer geworfen, Stacheldraht bei Nacht von der Mauerkrone entfernt, „damit dahinter patrouillierende Soldaten die Flucht ergreifen konnten.“ Nach der einvernehmlichen Einstellung des Lautsprecherkrieges zwischen Ost und West stellte Holzapfel eigene Sendungen zusammen, die er mit einem Megafon und einem transportablen Tonbandgerät an der Grenze abspielte: „Hier spricht Studio Freies Deutschland – Sender am Stacheldraht“ tönte es zu den Klängen aus AIDA in der Bernauer Straße oder von einem Balkon der Reichstags-Ruine, in die sich Holzapfel nachts geschlichen hatte. Nachrichten aus Ost-Europa und der Zone wurden ebenso ausgestrahlt wie der Appell, nicht auf Deutsche zu schießen.

Das Angebot von Heinrich Albertz, die Sendungen vor Ausstrahlung im Schöneberger Rathaus dem Pressesprecher Peter Hertz vorzulegen, lehnte Holzapfel allerdings „als Zensur“ ab. „Ein Fehler,“ wie er heute freimütig zugibt, „da hätte sich was Konstruktives entwickeln können.“

1963: Direkt vor der Mauer begann der Tunnel - Foto: LyrAg

1963: Direkt vor der Mauer begann der Tunnel – Foto: LyrAg

Man könnte sich ewig mit diesem Mann unterhalten, so vielfältig und interessant sind seine Geschichten um die Berliner Mauer. Nach weiteren Hungerstreiks, der letzte am von ihm errichteten Kreuz für Paul Schultz, einem Weihnachten 1963 an der Thomaskirche in Kreuzberg erschossenen 18jährigen Flüchtling, dauerte zehn Tage und brachte ihn für sechs Wochen in ein Krankenhaus, entwickelte Holzapfel auf Anraten der behandelnden Ärzte neue Formen der Demonstration. Am 14. November 1964, dem zweiten Jahrestag der Verhaftung von Harry Seidel, der als Fluchthelfer zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt worden war, ging Holzapfel erstmals über den weißen Strich, der die Grenze zwischen Ost und West markierte und demonstrierte am Übergang „Heinrich-Heine Straße“ (Moritzplatz) mit einem Schild: „Freiheit für Harry Seidel und 14.000 politische Gefangene in der SbZ“.
Holzapfel: „Gandhi hatte gesagt, er habe kein Vertrauen in Appelle, wenn nicht hinter ihnen die Kraft der Bereitschaft steht, etwas für die Sache zu tun oder persönlich zu opfern.“ Es wäre also eine Sache der Glaubwürdigkeit gegenüber den Machthabern in Ost-Berlin gewesen, sich selbst einzubringen und damit die Ernsthaftigkeit des Anliegens zu unterstreichen.

Am 18. Oktober 1965, nach einer dritten derartigen Demonstration, wurde Holzapfel schließlich am Checkpoint Charlie verhaftet und am 7. April 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach neun Monaten Einzelhaft in Hohenschönhausen, drei Monaten in Bautzen und drei Wochen in der Stasi-Zentrale in der Magdalenenstraße wurde Holzapfel freigekauft. Zuvor hatte auch   Bundeskanzler Erhard am 1. Mai die Forderung auf Freilassung unterschrieben.

18.10.1965: Verhaftung am Checkpoint Charlie - Foto: Archiv

18.10.1965: Verhaftung am Checkpoint Charlie –
Foto: Archiv

Doch der Mauerdemonstrant gab nicht auf, hatte sich durch die Haft nicht einschüchtern lassen. Neben weiteren Aktionen und Demonstrationen gegen die Mauer sind folgende besonders hervorzuheben:

Am 13. August 1989, dem 28. Jahrestag des Mauerbaus, legte sich der mittlerweile 45jährige diagonal über den weißen Strich am Checkpoint Charlie (Kopf und Herz im Osten, die Füße im Westen) und demonstrierte so über drei Stunden gegen die Mauer und für die Freizügigkeit seiner Landsleute. Eine weiße Binde in Höhe des Bauches ließ den weißen Strich optisch über seinen Körper laufen. „Man kann überall Linien ziehen und eine Teilung behaupten. Aber so wie ich für alle sichtbar ein Ganzes bin, so ist Berlin, so ist Deutschland ein Ganzes,“ erläuterte er seine Aktion. Und den aufmarschierten jungen DDR-Grenzern rief er zu: „Was strengt ihr euch so an, den 30.Jahrestag (des Mauerbaus) erlebt ihr doch sowieso nicht mehr.“ Nach über drei Stunden hatten sich Sowjets und US-Amerikaner über die Zuständigkeiten geeinigt. Der Demonstrant wurde von vier Westberliner Polizisten aufgehoben und in einem Polizeiauto abtransportiert. Nicht nur Klaus Kleber (ZDF) nannte ihn den „Mann vom Checkpoint Charlie„.

Lebendige Brücke am 13.08.1989: Den 30.Jahrestag erlebt ihr nicht mehr. - Foto: Burmeister

Lebendige Brücke am 13.08.1989: Den 30.Jahrestag erlebt ihr nicht mehr.
– Foto: Burmeister

Ab 8.November gegen Abend wurde in Fürstenfeldbruck das örtliche Wochenblatt Brucker Echo verkauft. Auf der ersten Seite stand die Meldung: „Holzapfel an Krenz: Reißen Sie die Mauer ein!“ Der Brucker Bankkaufmann hatte Ende Oktober in einem offenen Brief  den Nachfolger Honeckers  aufgefordert, die Mauer zu öffnen und angekündigt, ansonsten „im Dezember nach Berlin zu kommen, um diese symbolisch zum Einsturz zu bringen.“ Die Kollegen hielten ihn wieder einmal für verrückt. Am Abend des 9. November wurde die Mauer geöffnet, am 10. November stand eine Rose auf seinem Schreibtisch und eine Karte: „DANKE!“

Im August 1990, das Ende der DDR per 2. Oktober, 24:00 Uhr, war bereits beschlossene Sache, begann Holzapfel einen unbefristeten Hungerstreik vor dem Justiz-Ministerium in Ost-Berlin: „Terror-Minister Wünsche, treten sie zurück!“. Der von seiner Bank nach Eisenach zur Währungsunion entsandte Bankkaufmann hatte zuvor in der WELTamSONNTAG gelesen, dass der Justizminister der ersten frei gewählten DDR-Regierung dieses Amt bereits unter Ulbricht und Honecker ausgeübt hatte. Das konnte und wollte der einstige DDR-Gefangene nicht akzeptieren. „Dreimal ließ mich Kurt Wünsche in sein Ministerbüro bitten, um seine Unschuld zu beteuern. Beim dritten Mal – nach sechs Tagen Hungerstreik vor seiner ministerialen Haustür – gab er mir dann seinen Rücktritt bekannt. Er hatte sich gegen den Willen seines Ministerpräsidenten dem Rücktritt von drei weiteren Minister angeschlossen,“ erzählt der Rentner heute zufrieden und mit einem leichten Lächeln.

Nach sechs Tagen Hungerstreik trat Kurt Wünsche zurück - Foto: LyrAg

1990: Nach sechs Tagen Hungerstreik trat Kurt Wünsche zurück – Foto: LyrAg

Bereut er heute etwas?

Auch diese Antwort kommt nicht wie aus der Pistole geschossen. Holzapfel überlegt lange, dann: „Vielleicht hätte ich nach der Maueröffnung das Kapitel abschließen, mich den schönen Seite des Lebens widmen sollen. Aber,“ so fragt er und wirkt dabei nicht mehr nachdenklich, „hätte es dann einen vorzeitigen Rücktritt des Justizministers gegeben? Hätten wir heute, nach langem Kampf und neuntägigen Hungerstreik in 2005 vor dem heutigen Finanzministerium einen überfälligen „Platz des Volksaufstandes von 1953“ vor eben diesem Ministerium? Vor den Erfolg setzen die Götter den Schweiß des unbedinten Engagements. Das wusste ich und das weiß ich.“

Aber sein Familienleben, sein persönliches Glück?

Das wäre eine Sache der Gewichtung, räumt der nunmehrige Rentner ein. „Diese Frage stellt sich Jedem, der – aus welchen Gründen auch immer – keine Alternative zum Widerstand sieht.“ Und er nennt Namen seiner Vorbilder: Stauffenberg, die Geschwister Scholl, Bonhoeffer. Holzapfel sieht in dieser Infragestellung aber auch etwas Unanständiges:

2005: Neun Tage hungerte Holzapfel für einen Platz des 17. Juni - Foto: LyrAg

2005: Neun Tage hungerte Holzapfel für einen Platz des 17. Juni –
Foto: LyrAg

Der zeitweilige Verzicht auf Liebe, geboren aus höherer Not, weil aus Verantwortung gegenüber der Geschichte und der Pflicht, gegen Unrecht und Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer diese auftreten mögen, sei ein Wert an sich. Er lässt sich nicht gegen die Familie oder die Menschen ausspielen, denen selbstverständlich auch die Liebe gehört. Schließlich schöpft ein Widerständler gerade daraus die notwendige Kraft und innere Stabilität, ohne die jedweder Einsatz an der eigenen Unzulänglichkeit scheitern muss.

Nach zwei Stunden verabschieden wir uns. Mir scheint, dass der in die Jahre gekommene einstige Demonstrant nach dem Aufrühren seiner Erinnerungen bewegt ist. Auch ich spüre: Für mich wird der diesjährige 13. August ein ganz besonderer Tag.(838)

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* Der Autor (*1943) scheiterte zunächst mit einem Fluchtversuch und saß 1965/66 nach der Verhaftung in Untersuchungshaft, zunächst in České Budějovice (CSSR) dann in der zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Hohenschönhausen. Am 13. August 1966 gelang einem Freund und ihm die Flucht über den Checkpoint Charlie nach West-Berlin. Einer seiner Fluchthelfer war der erste deutsche, 1995 verstorbene Astronaut Reinhard Furrer. Hoffmann selbst beteiligte sich in den folgenden Jahren als Fluchthelfer an zahlreichen Fluchtunternehmen; er studierte zu dieser Zeit an der FU. Die eigenen Erlebnisse veranlassten ihn, zum bevorstehenden Jahrestag der Mauererrichtung und seiner Freiheit den Mauerdemonstranten und persönlichen Freund um ein Gespräch über die damalige Zeit zu bitten.

 Klaus Hoffmann, Berlin, V.i.S.d.P., ist unter 030-24722844 erreichbar. © 2014

Berlin, 24.08.1961-2011/cw – Heute vor fünfzig Jahren wurde nahe dem alten Lehrter Bahnhof, im Becken des Humboldthafens, der 24jährige Günter Litfin bei dem Versuch, in die Freiheit zu schwimmen, brutal von Grenzposten der DDR abgeknallt, ermordet.

Mit seinem Tod wurden letzte Zweifel am Willen Ulbrichts und Honeckers beseitigt, die Wirksamkeit der Abschottung vom 13. August 1961 mit allen Mitteln, auch denen des kaltblütigen Mordes, durchzusetzen.

Über 136 Menschen  wurden allein in Berlin litfint

Allein an der Berliner Mauer wurden in den 28 Jahren ihres traurigen Bestehens über 136 Menschen litfint, ein  Begriff, der zum Synonym für den Mord an der Mauer, an der Todesgrenze zwischen  dem beiden Teilen Deutschlands wurde.

Die Berliner CDU, deren Mitglied Litfin war, berichtete über den Hungerstreik von 1962 am Gedenkstein für Günter Litfin

Gegen 16:00 Uhr des 24. August 1961 stieg der junge Schneider, der bis zum 13. August bereits im Westteil der Stadt gearbeitet hatte, in das kalte Wasser des Hafenbeckens, um in den Westen  zu schwimmen. Wir dürfen davon ausgehen, dass auch er nicht damit rechnen konnte,  im  Feuerstoß tötungsbereiter DDR-Grenzer zu sterben. Elf Tage nach der nächtlichen  Abriegelung von Ost-Berlin waren die Chancen für eine erfolgreiche Flucht zwar minimiert worden, aber allenfalls riskierte man eine Festnahme. Kein Mensch wagte zu dieser Zeit daran zu denken, dass es zum Äußersten kommen könnte, kommen würde: dem Mord an einem wehrlosen Menschen.

Litfin hatte noch am 12. August seinen Umzug nach West-Berlin vorbereitet, bereits eine Wohnung in  Berlin-Charlottenburg gefunden. Ab den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 war ihm wie tausenden Gleichgesinnten dieser Weg versperrt. Sein Versuch, seine Zukunft gegen den Willen der roten Machthaber selbst in die Hand zu nehmen, endete tödlich. Günter Litfin starb als erster Mensch gewaltsam an der entstehenden Berliner Mauer. Der Mörtel war vielfach noch nicht trocken. Zwischen  ihm und der ersehnten Freiheit war „nur“ Wasser. Litfin wäre am 19. Januar 2011 74 Jahre alt geworden, hätte wohlmöglich nach einem arbeitsreichen Leben seine Enkelkinder verwöhnen können. Der erste Arbeiter- und Bauernstaat löschte nicht nur sein Leben aus, er litfinte sein Schicksal, gab dem Mord unauslöschlich seinen Namen.

Siehe auch:

http://berliner-mauer.de/Zeitzeugen-Beitrage/mauerdemonstrant-carl-wolfgang-holzapfel-spricht-ueber-seinen-ersten-hungerstreick.html

 

Zum 50. Todestag erinnerte Carl-Wolfgang Holzapfel an den 3tägigen Hungerstreik vor 49 Jahren; für 3 Stunden setzte er sich wieder an den Gedenkstein für Günter Litfin - Foto: Ralf Gründer

Sein Bruder Jürgen erwarb nach dem Fall der Mauer einen Wachturm der DDR-Grenzer und baute diesen zu einer vielbeachteten Gedenkstätte an seinen Bruder, an den ersten gewaltsam ums Leben gebrachten  Menschen der Mauer, um. Die Gedenkstätte befindet sich am Spandauer Schifffahrtskanal an der Kieler Straße.

Heute besteht die Möglichkeit, des Todes von Günter Litfin am (versetzten) Gedenkstein in  der Invalidenstraße, nahe des ehemaligen Grenzüberganges, zu gedenken. Die Vereinigung 17. Juni bietet ab dem Nachmittag die Möglichkeit, am Gedenkstein eine Rose niederzulegen. Der Vorsitzende Carl-Wolfgang Holzapfel hatte am Gedenkstein vor 49 Jahren seinen  ersten von mehreren Hungerstreiks gegen die Berliner Mauer durchgeführt.

Zum Thema Gewaltloser Widerstand und T.N.Zutshi:

http://berliner-mauer.de/Zeitzeugen-Beitrage/mauerdemonstrant-carl-wolfgang-holzapfel-liest-tn-zutshi.html

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Tel.: 030-30207785 oder 0176-48061953

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