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von Carl-Wolfgang Holzapfel

Berlin, 18.08.2018/cw – Was da am 24. Juni 1948 in und um Berlin begann hatte alle Attribute historischer Relevanz: Die von Stalin eingeleitete Blockade Berlins, die eigentlich nur den Westteil der einstigen Reichshauptstadt betraf. Insofern ist der Sammelbegriff „Berlin-Blockade“ sachlich nicht ganz richtig, historisch allemal aber festgeschrieben. Jetzt hat der Staatsanwalt im Ruhestand und jetzige Kommunalpolitiker aus Berlin-Reinickendorf, Dr. jur. Matthias Bath, rechtzeitig zum 70. Jahrestag ein Sachbuch vorgelegt: „Die Berlin-Blockade 1948/49“ Neuhaus Verlag, ISBN 978-3-937294-11-7, Paperback, Großformat 20,5  x 23,5 cm, 132 Seiten, Kunstdruckpapier, 86 Fotoabbildungen, 24,90 EUR (D).

Für nachgewachsene Generationen ein wichtiger Fakten-Sammelband über Vor- und Hauptgeschichte eines weltbewegenden und in seiner Abwicklung beispiellosen Ereignisses. Niemals gab es in der Geschichte eine vergleichbare Versorgung einer Millionenstadt ausschließlich aus der Luft (was natürlich auch mit der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal 70 Jahre alten Geschichte der modernen Luftfahrt zusammenhängt). An Berlin zerbrach nicht zuletzt die Allianz der den Zweiten Weltkrieg entscheidenden Alliierten.

Cover: NEUHAUS VERLAG
Foto: LyrAg

Grundlage für die ungewöhnliche Situation in der nunmehr viergeteilten Hauptstadt war der Rückzug der Westalliierten aus den bereits besetzten Gebieten in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Ohne diese Gebiete wäre eine später geschaffene DDR wohl nicht lebensfähig gewesen, und wer weiß, wie sich die Geschichte Deutschlands und Europas dann entwickelt hätte. Aber Spekulationen über eine so möglich gewesene Zugehörigkeit Ostpreußens und Schlesiens zu Deutschland, um der geplanten Diktatur namens DDR einen halbwegs staatlichen Lebensraum zu geben, verbieten sich ebenso, wie spekulative Gedanken über die spätere Stalinnote, die 1952 eine Wiedervereinigung des inzwischen sanktioniert gespaltenen Landes unter neutralen Vorzeichen eröffnet hätte oder eröffnen sollte. Die Geschichte verlief anders und nur diese Geschichte kann bewertet werden.

Diesen Aspekt vorausgeschickt, enthält sich der Autor des vorgelegten Sachbuches, Matthias Bath, dankenswert jeglicher Spekulation und beschränkt sich akribisch auf das tatsächliche Geschehen vor, um die und während der Blockade.

Ursachen und Wirkung durch historische Notizen beschrieben

Das in sechs Kapiteln vorgelegte Sachbuch (I. Einleitung (S.9); II. Berlin unter Viermächteverwaltung (S.13); III. Die Währungsfrage als Sollbruchstelle (S.35); IV. Die Spaltung von Polizei und Stadtverordnetenversammlung (S.49); V. Stadtsowjet gegen Freie Wahlen (S.85); VI. Die geteilte Stadt und die Aufhebung der Blockade (S.109) beginnt mit der Schilderung der historischen Fakten: „Bereits im Februar 1945 hatte man in Moskau aus kommunistischen Emigranten drei >Initiativgruppen des ZK der KPD> gebildet“. Diese sollten die sowjetische Militärverwaltung beim Aufbau in deren Besatzungsgebiet unterstützen. Natürlich gehört zu dieser historischen Reflektion die Arbeit der „Gruppe Ulbricht“, die die ersten Grundlagen für die später folgende tatsächliche Spaltung Restdeutschlands in zwei Teile (Mittel- und Westdeutschland) legte. Die Retrospektive der Vor-Blockade-Zeit ist deshalb so wichtig, weil sie Ursachen und Wirkung eindrucksvoll durch die Aneinanderfügung „historischer Notizen“ beschreibt, ohne einer vielfach üblichen „persönlichen Sicht“ auf die Geschehnisse zu erliegen.

Die Wiedergabe der historischen Fakten einer auseinanderdriftenden, zunächst einheitlichen Viermächteverwaltung verdichtet den dramatischen Ablauf der Geschehnisse, die letztlich in die von Stalin inszenierte Blockade von Westberlin mündete. Die anfänglichen Rangeleien der einst gegen Hitler Verbündeten endeten in knallharten Auseinandersetzungen um machtpolitische Positionen. Immerhin wurde noch bei der Konstituierung der einheitlichen Stadtkommandantur am 11. Juli 1945 beschlossen, alle bereits von der sowjetischen Besatzungsmacht bislang erlassenen Anordnungen in Kraft zu lassen.

Wohl in diesem Geist gelang auch noch die konstituierende Sitzung der ersten Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg am 26. November 1946, nachdem sich bereits bei den vorausgegangenen (letzten freien) Wahlen ein Desaster für die Kommunisten abgezeichnet hatte. Der weitere Ablauf ist bekannt. Die schleichende Trennung der Stadt-Verwaltung, durch die die zunehmende politische Spaltung befördert wurde, wird von Bath in rückblickend faszinierender Weise korrekt dokumentiert.

Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) widersetzte sich, der beabsichtigten Sowjetisierung ihrer Machtsphäre folgend, der am 18. Juni 1948 bekannt gegebenen Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen und erklärte deren Ungültigkeit für die eigene Zone und Groß-Berlin: „Zugleich wurde zum >Schutz der Wirtschaft der sowjetischen Zone< der gesamte Kraftfahrzeugverkehr zwischen den Westzonen und Berlin unterbunden“.

Zustimmung zu einer künftigen  Ostwährung

Weniger bekannt in diesem Zusammenhang waren die fast schon verzweifelt wirkenden Versuche der westlichen Vertreter in der Alliierten Kommandantur, durch ihre Zustimmung zu einer künftigen Ostwährung auch in Groß-Berlin, also auch den Westsektoren, die gemeinsame Handlungsfähigkeit zu bewahren. Die Dramatik dieses Kampfes um die Oberhoheit belegt Bath eindrucksvoll u.a. mit der Darstellung nachmitternächtlichen Übermittlungen von Befehlen an den Oberbürgermeister Ferdinand Friedensburg durch den sowjetische Verbindungsoffizier, Major Otschkin.

Im Gefolge dieser sich nahezu täglich verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen den einst Verbündeten verschärften die Sowjets ihre Abschnürmaßnahmen und verkündeten am 24. Juni die Einstellung der Stromlieferungen in die Berliner Westsektoren. Auch der Betrieb der Eisenbahn-Strecke Berlin-Helmstedt wurde eingestellt. Obwohl die Wasserwege noch einige Tage offen blieben, hatte die Blockade faktisch begonnen.

Die von dem legendären US-General Lucius D. Clay inszenierte Versorgung der Westsektoren durch die Luft wurde zum Ausgangspunkt einer so kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kaum erwarteten impulsiven tiefen Freundschaft zwischen der besiegten deutschen Bevölkerung und den West-Alliierten, vornehmlich den US-Amerikanern. Die folgende Nachkriegsgeschichte ist ohne die „Berlin-Blockade 1948/49“ nicht denkbar. Auch die zweite Blockade durch den Mauerbau am 13. August 1961 endete, wenn auch erst nach 28 (zu langen) Jahren, im Zusammenbruch machtpolitischer Ansprüche Stalinscher Großmannssucht. Dass die Berliner diese zweite Blockade überlebten, war letztlich auch eine Folge der Berlin-Blockade nach dem Krieg. Die Zugangswege zu Lande, Wasser und in der Luft blieben, anders als 1948/49, infolge der negativen Erfahrungen der Sowjets unangetastet, womit eine laufende Versorgung und damit das Überleben der einstigen und jetzt-wieder Hauptstadt Deutschlands gesichert war.

Buch-Tipp: Relativ kurzer, trotzdem umfassender Einblick in die geschichtlichen Abläufe des wohl wichtigsten Nachkriegskapitels unseres Landes. Kein vergeudetes Invest. Lesens- und ansichtswert (u.a. bisher unbekannte historische Fotos).

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.421).

Berlin, 22.04.2018/cw – Dem aktuellen Regierenden Bürgermeister kann man ja einiges vorwerfen, einen Mangel an Ideenreichtum wohl nicht. Michael Müller machte unlängst Furore mit seinem Vorschlag zur Grundsicherung. Jetzt ging der Auch-Bundesratspräsident mit der Idee an seine Berliner Öffentlichkeit, sich zwischen drei Feiertagsvorschlägen zu entscheiden: Dem 8. Mai (1945, „Tag der Kapitulation“ oder „Tag der Befreiung“, je nach Gusto), dem 17. Juni (1953, Volksaufstand in der DDR, bis 1990 gesetzlicher und arbeitsfreier Feiertag in der alten Bundesrepublik) oder dem 27. Januar (1945, dem Befreiungstag des Vernichtungslagers Auschwitz, bereits als nicht-arbeitsfreier Holocaust-Gedenktag etabliert).

Meisterhafte Verdrängung oder meisterhafter Polit-Circus?

Interessanterweise taucht bei Michael Müller der 9. November nicht auf (1918 Ausrufung der Republik; 1923 Niederschlagung des Hitler-Putsches in München; 1938, als „Reichskristallnacht“ bekannter Auftakt zur aktiven Juden-Verfolgung durch die Brandschatzung diverser Synagogen und jüdischer Geschäfte, 1989 Fall der Berliner Mauer). Für einen Berliner und dazu noch Regierenden Bürgermeister etwas seltsam. Meisterhafte Verdrängung oder meisterhafter Polit-Circus?

Der 9. November ist in der Geschichte der Deutschen und dadurch – zwangsläufig – in der Geschichte Europas in seiner Anhäufung historisch bedeutsamer Momente ein einmaliges Datum. Er vereint (hier nicht erwähnt die Ermordung des Mitgliedes der demokratischen Paulskirchen-Versammlung, Bodo Blum, 1848 in Wien) Höhepunkte der deutschen Geschichte mit der Erinnerung an deren absoluten Tiefpunkt, dem 9. November 1938. Das war auch der Grund, warum die Vereinigung 17. Juni in Berlin bereits am Jahresende 1989 den Vorschlag unterbreitete, den (bisherigen freien Arbeits-Feiertag) „17. Juni“ gegen den „Nationalfeiertag 9. November“ auszutauschen. Der damalige Parlamentspräsident Jürgen Wohlrabe (CDU) begrüßte diesen Vorschlag vorbehaltlos, der Bündnis90/GRÜNE-Abgeordnete Werner Schulz griff im Deutschen Bundestag vor einigen Jahren diesen Vorschlag auf, bisher vergeblich.

17.Juni dient offenbar nur als Alibi

Dem Verein, der sich nach dem Volksaufstand als KOMITEE 17.JUNI zur Erinnerung an die Erhebung gegründet und am 3. Oktober(!) 1957 unter seinem jetzigen Namen in das Vereinsregister eingetragen worden war, war die Entscheidung pro 9. November seinerzeit nicht leicht gefallen. Der einstige Mauerdemonstrant und damals stv. Vorsitzende Carl-Wolfgang Holzapfel, seit 1963 Mitglied, konnte sich aber schließlich mit seiner Argumentation durchsetzen: Mit dem 9. November 1989 seien die Ziele der Aufständischen von 1953 wesentlich umgesetzt worden, das würde den Verzicht auf den bisherigen Feiertag auch unter dem Aspekt der anderen historischen Ereignisse an diesem November-Tag rechtfertigen.

Das der „geschichtslose, lediglich nach Aktenlage“ entschiedene 3. Oktober den 17. Juni als arbeitsfreien Tag ablösen würde, davon hatten die 17er bei ihrem Vorschlag zum damaligen Zeitpunkt keine Ahnung. Wenn jetzt Michael Müller diesen 17. Juni neben zwei anderen Vorschlägen ins Gespräch bringt, könne das nur als „Polit-Klamauk“ verstanden werden, so der Vorstand der Vereinigung in einer Stellungnahme. Müller umgehe „aus unbegreiflichen Gründen eine notwendige Diskussion um den 9. November“ oder verdränge dieses Datum absichtlich, um „mittels Nebelkerzen namens 8. Mai oder 27. Januar unerwünschtes Nachdenken“ auszuklammern. Dabei spiele der 17. Juni offenbar nur die Rolle eines Alibis, um dem Vorwurf möglicher Einseitigkeit zu entgehen: „Dies hat dieser bemerkenswerte Tag in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands nicht verdient,“ so der historische Verein. Müller solle auch wegen seiner Glaubwürdigkeit diesen Polit-Circus „schnellstens beenden“ und einen ernstgemeinten Vorschlag in die Debatte einbringen, deren Notwendigkeit überfällig ist, erklärte der Vorstand heute in Berlin: „Es ist nicht hinnehmbar, wenn die Geschichte durch derlei Vorschläge zum Spielball der Politik gemacht wird.“

V.i.S.d.P. / © 2018: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.376).

 

Berlin, 24.01.2018/cw – Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Topographie des Terrors widmet sich dem Personenkult im Dritten Reich. Eine Statue des Diktators ist eigens aus der Versenkung geholt worden.

Carl-Wolfgang Holzapfel

Es ist kurz vor Mittag, als Adolf Hitler an Kranseilen in den Hof der Ausstellung in der Niederkirchnerstraße 8 schwebt. Die 4,80 Meter große Statue, eine Leihgabe aus francophilen Kreisen in Spanien (der spanische Diktator Francisco Franco, 1892 – 1975, war ein Verbündeter des „Führers“), hat schon eine kleine Tour durch die Stadt hinter sich: Morgens um neun hat man sie für eine halbe Stunde auf dem ehemaligen Adolf-Hitler-Platz, dem heutigen Theodor-Heuss-Platz) in Charlottenburg aufgestellt. Ein Fotograf, der den Augenblick festhielt, erzählt, die kurze Wiederkehr auf dem ehemaligen Adolf-Hitler-Platz habe keinen Passanten groß interessiert. Zu kalt? „Auch. Aber eher zu früh.“

Nach der Kapitulation hatte man den Berliner Adolf-Hitler-Platz einfach kommentarlos wieder in Reichskanzlerplatz umbenannt, Hitlers Namen getilgt – eine Praxis, die seiner würdig war. So wie Hitler unliebsam gewordene Parteigenossen, wie den SA-Führer Ernst Röhm (1887 – 1934), immer wieder verschwinden und aus historischen Bildern herausretuschieren ließ, als habe es sie nie gegeben: So erging es auch den Zeugnissen des Personenkultes, der lange Jahre um den nationalsozialistischen Diktator betrieben wurde, nach dem Sieg über die NS-Diktatur im Mai 1945. Die Straßenschilder wurden entsprechend ausgetauscht, im zertrümmerten Deutschland alle Reste der NS-Kultur zerstört. „Alle Hinterlassenschaften der Führer-Verehrung sind bis zur Unkenntlichkeit zu zerkleinern“, lautete die Anweisung aus den Kommandozentralen der Alliierten: „Die Mitnahme von Bruchstücken ist verboten. Über die Angelegenheit wird nicht geredet.“

Hitler liegt wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken

Der identische Abguss aus Spanien, von Historikern dort auf dem Hof eines Franco-Verehrers entdeckt, ist das effektvollste Exponat der Ausstellung, die von Freitag an in der Topographie des Terrors gegenüber dem Abgeordnetenhaus von Berlin gezeigt wird. An diesem Ort befanden sich während des „Dritten Reichs” die Zentralen der Geheimen Staatspolizei, der SS und des Reichssicherheitshauptamts. Deren Direktor Prof. Dr. Andreas Nachama hat sich dazu entschieden, die Hitler-Statue nicht in der Tradition nationalsozialistischer Monumental­ästhetik aufzustellen, sondern sie wie einen hilflosen Käfer auf dem Rücken liegen zu lassen. Und so finden sich nun mehrere Tonnen Hitler für einige Wochen vor dem Eingang zum wiederhergestellten Altbau, bevor die Leihgabe nach Spanien zurückkehren wird.

Unter der Überschrift „Der Braune Gott“ kann man hier die Auswüchse des Personenkultes studieren, der um den Österreicher und Massenmörder betrieben wurde und mit dem die Bewohner des Deutschen Reiches auf die Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSdAP) eingeschworen werden sollten. Der erste Teil der Ausstellung ist dabei bis hin zur Beleuchtung in einem in den Augen beißenden Braun (Sch…..) gehalten, das die brutale Seite des Hitlerismus zwar atmosphärisch untermauert, aber auch die Lesbarkeit der Schrifttafeln erschwert. Hier wird der Aufstieg des am 20. April 1889 in der oberösterreichischen Stadt Braunau am Inn geborenen Adolf Hitler beleuchtet, der, kaum im Hof der Macht angelangt, seine Biografie schon mit Halbwahrheiten und Legenden zu überzuckern pflegte. Wer sich in seinem Schatten geborgen wähnte, dem drohte häufig ein böses Erwachen, wie die Ausstellung gleich an mehreren Beispielen deutlich macht: Unter Hitler, darin lag das offene Betriebsgeheimnis seines Regimes, konnte sich niemand zu irgendeinem Zeitpunkt sicher fühlen.

Die Propaganda in seinem Namen trug quasireligiöse Züge, die kultische Verehrung des „Führers“ hielt trotz seiner beispiellosen Verbrechen weitgehend bis zu seinem Selbstmord am 30. April 1945 an. Seine Person war in Schrift und Bild allgegenwärtig. Wer sich öffentlich dagegenstellte – also sein Porträt etwa zutreffenderweise mit „Mörder“ beschriftete – musste mit Verhaftung und Verhören und mit Schlimmerem rechnen. Begleitet wurde die Kombination von Verherrlichung und Repression von hochfliegenden Plänen für die Neugestaltung der Mitte Berlins, die aufgrund der Folgen des Krieges freilich nicht realisiert werden konnten: Sie sahen etwa die Errichtung einer überdimensionierten Großen Halle („Ruhmeshalle“/“Halle des Volkes“) in der künftigen Welthauptstadt Germania durch Albert Speer (1905 – 1981), Hitlers Baumeister, vor.

Und nicht nur das Wesen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft arbeitet diese sehenswerte und klug kuratierte Ausstellung heraus, sondern auch den traurigen Opportunismus bekannter deutscher Persönlichkeiten, die dem Hitlerkult ebenso bereitwillig die größten Bühnen öffneten, wie sie dessen Entsorgung nach der Kapitulation betrieben.

Der Braune Gott – Hitler und die Deutschen. Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 25. Januar bis 30. Juni, tgl. 9–18 Uhr. Eintritt frei.

Anmerkung: Die Redaktion bezweifelt, dass eine derartige Repräsentation einer Hitler-Statue in der heutigen Zeit möglich wäre, schon gar nicht in der Topographie des Terrors. Die Topographie des Terrors ist ein seit 1987 bestehendes Projekt in Berlin zur Dokumentation und Aufarbeitung des Terrors in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland insbesondere während der Herrschaftszeit von 1933 bis 1945.
Die Statue würde, falls Prof. Dr. Nachama so eine „Ausstellung des Führers“ überhaupt zugelassen hätte, wohl nach wenigen Tagen aufgrund der massenhaften Proteste aus dem In-und Ausland wieder in der Versenkung verschwinden. Warum der Mord-Zwilling Hitlers, also Josef Stalin, auf diese Weise offensichtlich ohne den kleinsten Versuch des Widerstandes (ausgenommen dieser Beitrag) öffentlich präsentiert werden kann, entzieht sich unserem Verständnis. Der originale Bericht über die tatsächliche Stalin-Präsentation in der Stasi-Gedenkstätte HSH kann hier nachgelesen werden: https://www.morgenpost.de/berlin/article213206773/Stalin-ist-zurueck.html – Er diente als Vorlage für vorstehende Satire.

© 2018 Autor und Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.347).

 

 

 

 

 

 

Anmerkung der Redaktion: Wir haben zunächst gezögert, die streckenweise erbärmlich wirkenden Erklärungscascaden eines „Mitwirkenden“ am Unrechtssystem der Ersten Deutschen Diktatur zu veröffentlichen. Erst die aktuellen Parallelen und die Debatten um die Mitwirkungen in einer Diktatur haben uns nachdenklich gemacht und uns veranlasst, das Gespräch mit Alexander Jenner* zu veröffentlichen.

München, 30.Januar 2017/hs – Alexander Jenner war Staatssekretär im zweiten Kabinett der Bundesrepublik. Weil er mit 21 Jahren zur Geheimen Staatspolizei (GESTAPO) im Dritten Reich ging, hielten manche seinerzeit den Staatssekretär in der Bundesregierung für untragbar. Ein Gespräch über die Vergangenheit und Moral**

Hohenecker Bote (HB): Herr Jenner, in Ihren Erinnerungen* haben Sie geschrieben: „Ich konnte damals meine Biografie nicht nachträglich verändern, nur daraus lernen und einen offenen Umgang damit anbieten.“ Was hatten Sie denn gelernt?

Alexander Jenner: Ich habe gelernt, dass ein Land, das sehr autoritär und nur mit Druck und Hierarchien funktioniert, die schlechteste Lösung ist, Gesellschaft zu organisieren. Die Lehre aus meinen Jugendjahren im Dritten Reich ist: Ich will nicht in einem autoritären, repressiven System leben.

HB: In den einschlägigen Unterlagen lobt die GESTAPO den gefestigten Klassenstandpunkt: „Als Parteigenosse genoss er Achtung und Anerkennung.“ Wie waren Sie damals drauf?

Jenner: Die Formulierungen sind teilweise meinem Schulzeugnis entnommen. Ich war aufgewachsen in einem NS-Haushalt: Vater bei der Reichswehr, später bei der GESTAPO, Mutter in der Partei. Mein Opa hat schwerkriegsverletzt die Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg überlebt. Für mich war der Nationalsozialismus keine hohle Phrase, sondern Familienrealität – in diesem Sinne war ich überzeugter Nationalsozialist.

HB: Und Ihre Eltern waren hundertfünfzigprozentige NS-Kader?

Jenner: Meine Eltern wollten Deutschland verbessern. Die haben immer auf den nächsten Event, würde man heute sagen, gehofft, freuten sich über Hitlers „Mein Kampf“, waren total schockiert, als 1939 der Krieg begann. Das Dritte Reich schien mir nicht ein Ort zu sein, in dem man nicht für Veränderungen eintreten kann. Denken Sie an Hitlers Kampf gegen die unseligen Verträge von Versailles.

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Alexander Jenner

* Name geändert, wurde am 30. Januar 1917 in München geboren, war Sozialwissenschaftler und Politiker. In der Bundesregierung wurde er 1953 Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Seine Nominierung war umstritten, da er als 21-Jähriger 1938 in den Dienst der GESTAPO eintrat. Vor seiner politischen Laufbahn machte er sich als Stadtsoziologe und Gleichschaltungskritiker einen Namen. Bevor er zum Staatssekretär berufen wurde, arbeitete er ab 1949 am Lehrstuhl für Stadt- und Regionalsoziologie der Freien Universität zu Berlin.

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HB: Und dann verpflichteten Sie sich ausgerechnet bei der GESTAPO, deren Aufgabe es war, Kritiker mundtot zu machen und wegzusperren?

Ausbildung bei GESTAPO wegen Familie „vorgezeichnet“

Jenner: In meinem Umfeld gehörten Überwachung und Diskussionen um sogen. Widerständler nicht zum Alltag. Ich war ein ganz normaler Mensch in einem Neubaugebiet, der Fußball gespielt hat. Ich bin auch zu Jazz-(Swing-)Konzerten gegangen – aber nicht mit der Idee, dass das etwas Oppositionelles wäre, sondern weil es mir gefallen hat. Für mich war eigentlich relativ viel möglich. Man konnte andere Musik hören, zu Hause wurde BBC gehört …

HB: Bei Ihren systemtreuen Eltern lief das BBC-Programm?

Jenner: Klar. Ich erinnere mich an die Sudetenkrise – zuerst haben meine Eltern den Reichsrundfunk gehört, und danach BBC, um zu erfahren, was passiert ist. Das Dritte Reich, das ich kennengelernt habe, war nicht so geschlossen, wie das in der historischen Betrachtung beschrieben wird.

HB: In Ihrem Alltag kam Überwachung und Repression nicht vor, obwohl Ihr Vater bei der GESTAPO war?

Jenner: Mein Vater hat mir Thomas Mann und Reinhard Goering zum Lesen gegeben und hat mir Theaterstücke empfohlen: „Geh da rein, lies das, das ist gute Kunst!“ Er hat mir erklärt, dass der Amerikanische Imperialismus eine schlimme Sache sei. Das war mein Link zur GESTAPO. Es mag naiv und weltfremd sein, dass ich als junger Mensch noch nicht erkannt hatte, was für ein Überwachungs- und Repressionsapparat die GESTAPO war – aber ich war auch damals noch nicht besonders politisch.

HB: Ihr Vater hat Ihnen die kritischen Autoren und Theater empfohlen?

Jenner: Schlimmer noch, er hat ja die Bücher gehabt, weil er in der Abteilung arbeitete, die in Berlin die Schriftsteller überwachte und die Theaterleute. Das habe ich erst nach der Wende 1945 herausbekommen – und das hat auch zu Spannungen zwischen uns geführt.

HB: Weil Ihr Vater ein rosiges Bild von dem Dritten Reich und der GESTAPO vermittelt hat?

Jenner: Er hat mir vor allem vermittelt, dass man auch im Dritten Reich kritisch über Dinge sprechen durfte. Die Erfahrung eines autoritären Systems hat bei mir so nicht stattgefunden.

HB: Was war das Mutigste, was Sie als junger Mensch im Dritten Reich angestellt haben?

Jenner: Von Mut würde ich nicht sprechen. Ich erinnere mich, dass wir uns aufgeregt haben, als Bücher verboten und verbrannt wurden, im Mai 1933 war das. Wir haben uns die verbotenen Ausgaben irgendwie besorgt und waren völlig enttäuscht, dass das eigentlich nur Werbeprosa für das spießige Leben in den USA war. Wir haben dann als Band versucht, diese belanglosen Texte zu vertonen, in irgendeiner Gartenlaube. Das war aber nicht mutig, das war einfach eine Gaudi, die man macht. 1944/45 war ja schon ein gewisser Autoritätsverlust zu spüren. Wenn es nicht explizit politisch wurde, konnte man ziemlich viel Unsinn machen, ohne dass das geahndet worden wäre.

HB: Sie haben mit 16 Jahren schon eine Bereitschaftserklärung bei der GESTAPO für eine Überwachungs-Ausbildung unterschrieben …

Jenner: Das war ja der normale Zeitpunkt, an dem bei den jungen Leuten die Werbung losging: Möchtest du Deutsch-Lehrer, Parteikämpfer, z.B. bei der SA oder Berufsoffizier werden? Mein Weg war vorgezeichnet, deshalb habe ich auch nicht ständig darüber nachgedacht, was nach der Schule passiert.

HB: Wie kam es denn zu dieser Unterschrift mit 16 Jahren?

Jenner: In meiner Erinnerung sitzt da ein fremder Mann bei uns zu Hause, der mir als Kollege meines Vaters vorgestellt wird. Er hat das relativ geschickt eingefädelt – er hat mir geraten: „In der Schule sagst du jetzt immer, du bist Berufsoffiziersbewerber, dann fragt nämlich niemand nach.“ Das war ja interessant, plötzlich hatte ich ein Geheimnis. In der Schule hieß es: Alexander wird Berufsoffiziersbewerber. Viele haben gesagt: Du bist doch viel zu schlau, mach doch so was nicht. Ich stand innerlich darüber, denn ich wusste ja: Ich gehe gar nicht zur Offiziersschule, sondern werde Journalistik studieren.

HB: In einer handschriftlichen Bewerbung für die GESTAPO haben Sie gelobt, nicht nach Frankreich oder in andere Länder des kapitalistischen Auslands zu fahren und auch unverzüglich zu melden, wenn Familien- oder Haushaltsangehörige das machen. Ein Gelöbnis, das engste Umfeld zu überwachen und zu denunzieren – findet man das als 21-Jähriger, in dem Zweifel aufkeimen, nicht untragbar?

Jenner: Das mussten wir abschreiben – alle, die die Ausbildung bei der GESTAPO gemacht haben. Das war eben so: Wir sind als Auszubildende angekommen, wurden angeschrieen, und dann wurde gesagt, jetzt schreibt ihr das hier ab. Das war ein formaler Akt, du machst dir über den konkreten Inhalt von so einem Schwur keine Gedanken. Ich hatte mich dafür entschieden, also dachte ich: Da gehört es wohl dazu, dass man irgendwas schwören und unterschreiben muss.

HB: Wann ist Ihnen klar geworden, dass die GESTAPO Menschen schwer geschadet hat?

Jener: So richtig ernsthaft erst nach der Wende 1945. Klar war mir aber schon, dass die GESTAPO im Zweifelsfall gegen Regimefeinde eingesetzt werden würde, ich hatte Angst vor einer Kristallnacht-Lösung.

HB: Sie hatten Sorgen, während der Grundausbildung in so einen Einsatz gegen Regimefeinde zu kommen?

Jenner: Ja, im Sommer 1939 war ich mit einem Freund, der auch zur GESTAPO sollte, nach Österreich gefahren. Da haben wir darüber geredet, dass es ganz schön blöd ist, jetzt bei der GESTAPO zu sein. Was ist denn, wenn jetzt ein Befehl kommt? Darüber habe ich mir mehr Gedanken gemacht als darüber, dass dieses große Monstrum GESTAPO Menschen überwacht und zersetzt – das war mir zur Wendezeit 1944/1945 so noch nicht klar.

HB: Haben Sie Ihre Eltern nach 1945 damit konfrontiert, dass sie Sie zur GESTAPO geschickt haben?

Jenner: Meine Eltern gaben sich die Schuld für meine GESTAPO-Zeit, aber sie waren eben auch in ihren Kontexten befangen. Wirklich konfrontiert habe ich sie nicht. Ich hatte ab 1945 enge Freundschaften mit Leuten, die selbst im Widerstand waren, die auch die GESTAPO mit aufgelöst hatten. Ich habe da viel über die Systematik der GESTAPO gelernt. Das hat mir die Augen geöffnet.

HB: Haben Sie denen gestanden, dass Sie bei der GESTAPO waren?

Dienst bei der GESTAPO „uninteressant“

Jenner: Ja, habe ich. Das war eine viel höhere Hürde, als es später, 1953, öffentlich zu machen.

HB: Und wie war die Reaktion?

Jenner: Die fanden das eigentlich ziemlich uninteressant. Ich hatte ja nichts beizutragen, was sie nicht schon wussten. Viel interessanter war, dass ich von meinem Vater erzählt habe. Denn mein Vater war ja einer der GESTAPO-Verantwortlichen, der einen Verfolgten zum Informanten der Geheimpolizei erklärt hat, um ihn vor dem Zugriff anderer Geheimpolizeieinheiten zu schützen.

HB: Sie waren nach der Grundausbildung Teil einer „Auswertungs- und Kontrollgruppe“, da mussten Sie unter anderem Informationsberichte auswerten.

Jenner: Ich habe vielleicht eine Woche lang Berichte gelesen, von Versammlungen, Betriebsversammlungen oder Parteiversammlungen, auf denen die Stimmung eskaliert ist. Ich weiß nicht mehr, ob ich den Auftrag hatte, irgendetwas zu notieren. Später sollte ich BBC hören und die dort angekündigten Ereignisse notieren. Und weil BBC der Sender war, den ich auch zu Hause präferiert habe, war das für mich eine angenehme Aufgabe. Ich habe eigentlich vor allem die Auflösung dieser großen Institution erlebt. Wenn meine Erinnerungen 1953 und auch heute merkwürdig vage klingen, wenn es um die konkreten Aufgaben geht, dann, weil es für mich keinen regulären Arbeitseinsatz gab. Ich musste Radio hören und bei Bereitschaftsdienst in irgendwelchen Räumen sitzen und bekam um 23 Uhr so etwas gesagt wie: „Der Einsatz XY ist jetzt zu Ende, ihr könnt nach Hause gehen.“

„Formalien nicht besonders gründlich ausgefüllt“

HB: Sie haben erklärt, es sei Ihre „tiefste Überzeugung“ gewesen, bei der GESTAPO nur eine Ausbildung gemacht zu haben – deshalb hätten Sie bei der Freien Universität 1949 angegeben, nicht hauptamtlich bei der GESTAPO beschäftigt gewesen zu sein. De facto waren Sie Geheimpolizeischüler und haben anfänglich 320 Reichsmark Dienstbezüge bekommen, was ja eine Menge Geld gewesen ist für einen 21-Jährigen.

Jenner: Ich war mir über meinen Status selbst nicht im Klaren. Dass ich ein höheres Gehalt hatte als viele andere, das wusste ich – ich wusste ja auch, dass ich keine normale, sondern eine längerfristige Ausbildung machen sollte. Die Frage nach meinem formalen Status bei der Geheimen Staatspolizei hat für mich eigentlich keine Rolle gespielt. Und dieser Fragebogen kam 1949 in einer Situation, in der ich für etwa ein Jahr von einer Professorin eine Stelle angeboten bekommen habe – ich sollte mal schnell zur Personalabteilung rüber und die nötigen Formulare ausfüllen, damit wir schnell anfangen können. Das ging zack, zack. Was ich mir heute vorwerfen kann, ist mit Sicherheit, dass ich diese ganzen Formalien nicht besonders gründlich ausgefüllt habe.

HB: Unter dem Interview mit der FAZ von 1953 steht bei Ihnen: „Hauptamtlicher Mitarbeiter der GESTAPO“. Jetzt sagen Sie, es sei Ihnen erst später klar geworden, dass Sie hauptamtlicher Mitarbeiter waren …

Klassifizierung meiner Tätigkeit bei der GESTAPO nebensächlich

Jenner: Ehrlich gesagt, ich habe nicht geprüft, wie ich da beschrieben wurde. Die Art und Weise, wie das, was ich im Dritten Reich gemacht habe, klassifiziert wurde, war für mich relativ nebensächlich. Wenn ich jetzt meine GESTAPO-Akte anschaue, dann entspricht das genau dem, was ich meinen Freunden nach 1945 erzählt habe und was 1953 im Interview stand.

HB: Haben Sie die Bedeutung Ihrer GESTAPO-Mitarbeit unterschätzt?

Jenner: Wenn ich das erwartet hätte, was 1953 über mich und mittelbar über meine Familie eingebrochen ist, dann hätte ich es mir überlegt, den Job zu machen.

HB: War Ihre GESTAPO-Vergangenheit Thema, als die Partei Sie gefragt hat, ob Sie Staatssekretär werden wollen?

Jenner: Ja, ich habe das gleich als Erstes gesagt. Und ich glaube, dass die auch relativ sorgfältig damit umgegangen sind. Sie haben sich auch außerhalb der Partei erkundigt, wie dieser Fall eingeschätzt werden kann. Die Rückmeldung nach einer Woche war: „Wir können das machen.“

HB: Warum sind Sie damals nicht selbst auf die Idee gekommen, mal zu schauen, was in Ihrer GESTAPO-Akte steht, anstatt das anderen zu überlassen?

Jenner: Ich wusste ja über meine eigene Geschichte relativ gut Bescheid – dass ich weder jemanden bespitzelt habe und wohl auch keine operative Akte habe, weil ich überwacht wurde.

HB: Eine Interviewpartnerin im damaligen FAZ-Gespräch sagte, die GESTAPO sei eine kriminelle Vereinigung gewesen. Würden Sie das unterschreiben?

Zu kurz dabei, um jemandem richtig zu schaden

Jenner: Ja, sie war Teil eines Unrechtssystems und ein zentrales Instrument, um Leid über viele Leute zu bringen. Unabhängig davon, dass ich selbst zu kurz dabei war, um jemandem richtig zu schaden, ist das eine Verantwortung, die ich auch spüre. Ich wäre, wenn das Dritte Reich nicht zusammengebrochen wäre, mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit in die Situation gekommen, Teil von diesem Unterdrückungssystem zu werden. Ich verstand also, wenn gerade die, die zu NS-Zeiten verfolgt wurden, 1953 sagten: Über diese Personalie wollen wir reden. Aber ich hatte das Gefühl, dass es damals keine Diskussion war, bei der sich ausschließlich Opfer des Dritten Reiches zu Wort meldeten.

HB: Wie erklären Sie sich, dass es damals so ein großes Thema geworden ist?

Jenner: Ein Politikwechsel zieht eine Menge Gegenwind auf sich. Dass man sich da nicht nur an Sachthemen hochzieht, war und ist für mich keine Überraschung. Wir steckten nach 1945 in einer polarisierten gesellschaftlichen Auseinandersetzung, wo es natürlich auch darum ging, politische Projekte zu verhindern oder durchsetzen zu wollen. Es fühlte sich sehr ungut an, selbst zum Spielball solcher Machtspiele zu werden.

HB: In einer Solidaritätserklärung von Wissenschaftlern, hieß es: „Diese Diskreditierungsversuche gegen seine Person müssen als der Versuch verstanden werden, eine Änderung der Politik zu unterbinden.“ Musste das so verstanden werden?

Jenner: Ich will mich nicht über die Motive derer erheben, die Kritik an der Personalentscheidung hatten. Aber das, was wir uns vorgenommen hatten, war tatsächlich ein deutlicher Richtungswechsel der Politik in Bonn gewesen. Wir hatten eine ganz klare Priorisierung von sozialen Funktionen gegenüber privaten Profiten oder privaten Interessen (Soziale Marktwirtschaft).

HB: Der GESTAPO-Vorwurf wurde aus Ihrer Sicht instrumentalisiert, um einen Staatssekretär loszuwerden oder zu verhindern, der die Interessen der privaten Profite berührte?

Jenner: Das weiß ich nicht, da müsste man wissen, wer warum welche Vorwürfe erhob und welche Motive sie hatten.

HB: Sie sind 1950 für drei Wochen in Haft gekommen als angeblicher Unterstützer der rechtsradikalen „nationalen gruppe“. Der BGH hat den Haftbefehl später aufgehoben, das Verfahren wurde eingestellt. Hat das Ihr Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert?

Jenner: Man hat mich eineinhalb Jahre lang überwacht und ins Gefängnis gesteckt – das war eine sehr unangenehme Geschichte, aber am Ende haben die Gerichte festgestellt, dass ein Großteil der Maßnahmen rechtswidrig gewesen ist. Da hat sich im Unterschied zum Dritten Reich die Überlegenheit eines rechtsstaatlichen Systems gezeigt. Hier ist es sogar möglich, dass Richter ihre eigenen Fehleinschätzungen korrigieren. Ich bin nicht blauäugig und denke, es gäbe hier keine Institutionen, die auch jenseits von Rechtsprinzipien agieren, aber im Großen und Ganzen funktioniert es ziemlich gut.

HB: Das klingt nicht so, als ob Sie erwarteten, Ihren Hut nehmen zu müssen …

Jenner: Selbst, wenn ich davon ausgegangen wäre, hätte ich es vermutlich in einem Interview nicht formuliert. Ich hätte mir ja diesen ganzen Stress auch nicht angetan, wenn ich nicht der Überzeugung gewesen wäre, dass ich was erreichen konnte. Ich brauchte weder einen unbefristeten Job, noch hatte ich einen Lebensstil, der ein höheres Einkommen verlangte. Wir hatten eine Chance, das Regieren anders zu gestalten als bisher – und darauf hatte ich Lust.

HB: Ist das nicht auch der zentrale Grund gewesen, warum ein Staatssekretär Jenner verhindert werden sollte – die Wende hin zum Sozialen?

Jenner: Na ja, das war sicher ein Politikwechsel, der nicht allen gefallen hat. Wenn sich Politik tatsächlich substanziell ändert, hat es im Großen und Ganzen immer auch mit Umverteilung zu tun – und bei Umverteilung gibt es Gewinner und Verlierer. Das ist aber der Kern einer demokratischen Gesellschaft – dass man Dinge auch mal verändern kann, dass man sagen konnte und kann: Wir wollen jetzt einen Wechsel.

** Das Gespräch mit dem jetzt Hundertjährigen führte unser Redaktionsmitglied Hohnett Satira anlässlich der geplanten Vorstellung von Jenners Biografie „Machtspiele – NS-Täter als Spielball“ am 30.Januar in München (Mein-Kampf-Verlag, 2017, 945 Seiten, 19,33 €, ISBN 1933-38-1945). Siehe aktuell auch: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-12/andrej-holm-berlin-senat-stasi-interview

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Blumen für die Gefallenen - Foto: LyrAg

Blumen für die Gefallenen – Foto: LyrAg

Berlin, 9.Mai 2015/cw – Am einstigen sowjetischen Monument im Treptower Park wurden seit seinem Bestehen vor nahezu 70 Jahren unzählige Aufmärsche zelebriert. Aber während früher, sowohl zu Zeiten des sowjetischen Satrapen DDR wie auch danach das steife Partei- und militärische Zeremoniell im Vordergrund stand, erlebten die tausenden Besucher im Treptower Park zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitlers Staatswesen ein wahres Volksfest. Russen, Ukrainer, andere Nationalitäten und – zahlenmäßig ortgemäß überlegen – Deutsche besuchten einträchtig das Memorial und legten wahre Berge von Blumen nieder.

Mitglieder der VOS, UOKG, Vereinig. 17. Juni, Haimkinder u. Gedenkst. Hohenschönhausen demonstrierten mit originellen Plakaten gegen das

Mitglieder der VOS, UOKG, Vereinig. 17. Juni, Heimkinder u. Gedenkst. Hohenschönhausen demonstrierten mit originellen Plakaten gegen das „Vergessen der Opfer nach 1945“ – Foto: LyrAg

Im Gegensatz zu früheren Events am von Stalin geprägten Gigantismus des heroischen Gedenkens an die Rote Armee und den von ihr geführten Vaterländischen Krieg konnten wohl in dieser festgestellten Offenheit erstmals an diesem Ort die unterschiedlichsten Wertungen der seinerzeitige Ereignisse und deren Bezug zu heutigen aktuellen Bezügen diskutiert werden: Ewiggestrige, Liberale, Kommunisten, Putin-Versteher und Putin-Kritiker, Christen und Atheisten, Linke und Rechte, kamen tatsächlich ins Gespräch, diskutierten leidenschaftlich, oft polemisch und schlugen sich dabei nicht gegenseitig verbal die Köpfe ein.

Erinnerung an den Widerstand:

Mahnung an einen aktuellen Widerspruch: SED-Verfolgte legten zwanzig „Weiße Rosen“ vor der Tafel nieder, auf der u.a die Befreiung der Krim von den „Hitlerfaschistischen Schurken“ manifestiert wurde: 1941 –  2014 . Aus der Geschichte nichts gelernt? – Foto: LyrAg

Selbst die vermutete Auseinandersetzung zwischen alten SED- und Stasi-Kadern und deren einstigen Opfern blieb aus. Man kam zwar eher weniger ins Gespräch, ging sich aber ohne bemerkenswerte Konflikte aus dem Weg. Selbst die sonst gewohnten verbalen Schimpfworte unterblieben weitestgehend.
Der Treptower Park im Jahr 2015 und im Jahr 70 nach dem fürchterlichsten Krieg der Menschheit: Ein Ort der Begegnung, der Gespräche, der Diskussionen und des Zuhörens. Ein einstiges sowjetisches Ehrenmal als Triumph der Demokratie. Wer hätte sich das jemals in dieser Form denken, gar erdenken können? So gesehen wären die Millionen Toten, die hier auch beweint wurden, nicht gänzlich umsonst gestorben. Ihr Tod schien hier im Jahr 2015 zumindest einen posthumen Sinn zu bekommen. (983)

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