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Berlin, 16.Juni 2018/cw – Berlins Kultursenator Klaus Lederer (LINKE) hat auf der Gedenkveranstaltung der Vereinigung 17. Juni am „Holzkreuz“ in Zehlendorf in einem Grußwort betont, dass es für seine Partei unerlässlich bleibe, sich „angesichts des Stalinismus als planmäßiges System der Vernichtung, Terrorisierung, der Freiheitsberaubung und Ausgrenzung, der Sicherung der Herrschaft einer Bürokratenkaste“ mit „dem langen Schatten des Stalinismus“ auseinanderzusetzen.

Lederer, der zu seinem Bedauern durch terminliche Zwänge verhindert war, persönlich an dem Gedenken teilzunehmen, wurde von der stv. Landesvorsitzenden Franziska Brychcy, MdA, vertreten, die das Grußwort verlas und im Auftrag der Parteiführung am Holzkreuz am Vorabend des 65. Jahrestages ein Blumengebinde für die „Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953“ niederlegte.

Der Senator erklärte u.a., dass „die Tage um den 17. Juni 1953 eine einschneidende Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte markieren. Von Rostock bis Plauen erschütterten Streiks und Demonstrationen die DDR.“ Es seien vor allem Arbeiter gewesen, „die ihren angestauten Unmut spontan zum Ausdruck brachten. Alle Versuche der SED, Normenerhöhungen und Maßregelungen noch zurückzunehmen, scheiterten und konnten das Misstrauen nicht mehr ausräumen.“

Die sowjetische Besatzungsmacht präsentierte „ihre militärischen Instrumente. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen,“ stellte Lederer fest. „Wenn DIE LINKE in Deutschland und in Berlin heute mit Ihnen, mit den Opfern des Stalinismus, hier an der ersten in Westberlin in direkter Konfrontation mit einem sowjetischen Panzer errichteten Gedenkstätte für die getöteten, verhafteten, aus dem Land getriebenen Menschen gedenkt, ist das zuerst ein Zeichen der Bitte um Vergebung dafür, dass dieser Tag und die Niederschlagung von Arbeiterprotesten im Namen eines vermeintlichen Sozialismus geschehen konnten.“

1989 notwendiger Untergang des Systems

Das politische System der Diktatur, das Fehlen grundlegender demokratischer Rechte und Freiheiten, die Unfähigkeit, gesellschaftliche Konflikte zu bewältigen, führte letztlich in den notwendigen Untergang des Systems von 1989/1990,“ so der stv. Bürgermeister.

Abschließend ließ Klaus Lederer den Anwesenden, unter ihnen ehemalige Teilnehmer am Volksaufstand, herzliche Grüße und den Dank für „Ihr immerwährendes Engagement für die Erinnerung an den 17. Juni 1953 und vor allem an die Opfer von Stalinismus, Willkür und Unrecht in der DDR aufrechtzuerhalten“ übermitteln und versicherte den Anwesenden seine Unterstützung.

Höhepunkt der diesjährigen Gedenkfeier in Zehlendorf war die Einweihung der erneuerten Gedenktafel am Holzkreuz, die der Verein aus eigenen Mitteln bewerkstelligt hatte. Man hoffe nun „auf die zügige Erneuerung des Gedenkkreuzes durch die zuständige Bezirksverwaltung, nachdem wir in Vorleistung getreten sind,“ erklärte der Vorsitzende vor Ort.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.399).

VEREINIGUNG (AK) 17.JUNI 1953 e.V.

(Ehem. „Komitee 17.Juni“ von 1953)

Berlin, 16.Juni2018/cw – Am einzigen originären Denkmal des 17. Juni 1953 in Deutschland, am sogen. „Holzkreuz“ in Berlin-Zehlendorf (Höhe Kleeblatt) in der Potsdamer Chaussee (Mittelstreifen) enthüllt heute die Vereinigung 17. Juni um 18:00 Uhr anlässlich der seit Jahrzehnten vor Ort durchgeführten Gedenkfeier eine neue Gedenktafel, die an die Opfer des Volksaufstandes von 1953 und an die beiden ersten Vorsitzenden des Vereins erinnert.

Die Erneuerung war nach Jahrzehnten notwendig geworden. „Da sich die zuständige Bezirksverwaltung trotz entsprechende Beschlüsse der BVV aus dem Jahr 2015 nach wie vor damit schwer tut, die Gedenkstätte zu erneuern, wollten wir nicht jahrelang auf Entscheidungen warten,“ erklärte Vorstandssprecher Holzapfel. „Mit der Erneuerung der Gedenktafel haben wir auf eigene Kosten unseren Beitrag geleistet und hoffen nunmehr auf eine Bewegung der Verwaltung.“

Mit den beiden ersten Vorsitzenden der Vereinigung ehrt der Verein Friedrich Schorn, Streikführer der Leunawerke „Walter Ulbricht“ in Merseburg und Manfred Plöckinger, Bauarbeiter an der Stalinallee, der den Streik der Bauarbeiter, der in den Aufstand mündete, mitorganisierte. Plöckinger wurde zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, Schorn gelang die Flucht nach West-Berlin.

Der Verein wurde unter seinem jetzigen Namen am 3. Oktober (!)1957 als Nachfolger des nach dem Aufstand gegründeten „Komitee 17.Juni“ in das Vereinsregister eingetragen.

An der heutigen Gedenkstätte stand bis 1955 ein sowjetischer sogen. „Stalin-Panzer“. Gegenüber der Panzerkanone errichteten Aufstandsteilnehmer und Jugendliche aus West-Berlin am 25.Juni 1953 das Holzkreuz, das zuvor durch die West-Berliner Bezirke getragen worden war.

Im Juni 1954 wurde vor Ort der sogen. „Russenstein“ in Anwesenheit des eigens aus New York angereisten letzten demokratischen Ministerpräsidenten Russlands, Alexander Fjodorowitsch Kerenski, eingeweiht. Er erinnert an die Soldaten und Offiziere der Roten Armee, die sich weigerten, 1953 auf deutsche Arbeiter zu schießen und – nach bisher nicht bestätigten Berichten – deswegen standrechtlich erschossen wurden. Bemühungen der Vereinigung, diesen Teil der Aufstandsgeschichte aufzuklären, scheiterten bisher am Desinteresse der Russischen Behörden und deutscher Institutionen, wie der Stiftung Aufarbeitung.

Der Vorstand

VEREINIGUNG (AK) 17.JUNI 1953 e.V.

Carl-Wolfgang Holzapfel

Vorsitzender

 

 

 

Berlin, 14.06.2018/cw – Am 15./16. und 17. Juni finden diverse Veranstaltungen in Berlin zum Gedenken an den Volksaufstand von 1953 statt. Der Vorstand der Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V. übermittelt folgende Termine:

14. Juni, 11:00 Uhr: Anbringung von Rosen an den Gedenkkreuzen in der Ebertstraße (nahe Reichstag), Vereinigung 17. Juni.

15.Juni, am Nachmittag: Gedenken an den Mauerkreuzen in der Ebertstraße (nahe Reichstag / Kranzniederlegung) und VA auf dem „Platz des Volksaufstandes von 1953“ vor dem BMF, jeweils durch Museum „Haus am Checkpoint Charlie“ und CDU Berlin

16. Juni, 16:00 Uhr: Steinplatz, Niederlegung Blumengebinde am  a) Denkstein für die „Opfer des Stalinismus“;  b) Denkstein für die „Opfer des Nationalsozialismus“; Vereinigung 17. Juni.

18:00 Uhr: Gedenkfeier am                                                                                                               a) „Holzkreuz“ in Berlin-Zehlendorf (Kleeblatt), Kranzniederlegung Kranzniederlegung    b) „Russenstein“, ggüb. dem Holzkreuz, Blumengebinde; Vereinigung 17. Juni.

19:00 Uhr: Mitgliederversammlung

17. Juni,   09:30 Uhr: Steinplatz, Kranzniederlegung am Denkstein für die „Opfer des Stalinismus“ – Gedenkveranstaltung der VOS und des BezA Charlottenburg-Wilmersdorf.

10:00 Uhr: Kranzniederlegung durch Regierenden Bürgermeister von Berlin auf „Platz des Volksaufstandes von 1953“ vor dem BMF

11:00 Uhr: Staatsakt Friedhof Seestraße unter Beteiligung Vereinigung 17. Juni.

11:30 Uhr: Ehrung der seit dem Volksaufstand verstorbenen Teilnehmer am 17.06.1953 durch Vereinigung 17.Juni.

12:30 Uhr: Gedenkfeier „17. Juni 1953“ in Reinickendorf (Erinnerung an den Marsch der Arbeiter von Henningsdorf) ggüb. dem Rathaus.

Zusammenstellung der Termine in Berlin, an denen die Vereinigung direkt oder indirekt beteiligt ist oder die dieser übermittelt (bekannt) wurden. Es finden weitere Veranstaltungen zum Gedenken (u.a. ein 7-km-Gedenkmarsch in Halle) und in weiteren Orten Deutschlands statt.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.396).

 

 

Adenauer: Freiheitswillen des Deutschen Volkes

Von Eberhart Diepgen*

Berlin, 17. Juni – Die westlichen Besatzungsmächte und die Bonner Parteien waren darauf bedacht, jede Verschärfung der Lage zu vermeiden. So wurde Ost-Berliner Bauarbeitern die Erlaubnis verweigert, über den Rundfunk aus den Westsektoren Berlins zu ihren Landsleuten zu sprechen. Französische Militärpolizei versuchte, die Hennigsdorfer Stahlarbeiter am Marsch durch den französischen Sektor zu hindern und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, wurde eine Militärmaschine verweigert, mit der er aus Wien rechtzeitig nach Berlin zurückkehren wollte. Eine Aufforderung Reuters an sowjetische Soldaten, nicht auf deutsche Arbeiter zu schießen, wurde damit nicht ausgestrahlt.

Folgt man den Geschichtsbüchern, so gab es in der allgemeinen westlichen Zurückhaltung nur eine Ausnahme. Ernst Scharnowski, West-Berliner Gewerkschaftsführer, riet der Bevölkerung der damaligen SBZ „überall Strausberger Plätze – das war ein Ausgangspunkt des Protestes an der Stalinallee – aufzusuchen“. Das stieß bei Regierung und Opposition in Bonn auf heftige Missbilligung. Gleichzeitig stellte Konrad Adenauer aber auch fest, die Demonstrationen seien „zu einer großen Bekundung des Freiheitswillens des DEUTSCHEN VOLKES geworden; eine tiefgreifende Veränderung der Lebensverhältnisse könne „nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit“ erreicht werden.

Die Männer und Frauen des 17. Juni hatten bei dieser politischen Konstellation nie eine richtige Chance. Die Sowjets nahmen die Zügel in die Hand, erklärten den Ausnahmezustand und unterdrückten jeden Widerstand. Es ist sicher müßig, über die genauen Zahlen der Todesopfer zu streiten. Es waren mehrere hundert,. Wichtig für das deutsch-russische Verhältnis ist dabei die viel zu wenig beachtete Tatsache, dass sowjetische Soldaten sich weigerten, auf deutsche Arbeiter, ihre Genossen, zu schießen. Auch sie wurden hingerichtet, auch nach Stalins Tod kannte das sowjetische System kein Pardon.

Aber war deswegen alles umsonst, der 17. Juni ein Tag der Niederlage und deswegen ein so schwerer Feiertag? – Nein, die Tage im Juni 1953 hatten tiefgreifende und langfristige Folgen.

Der Volksaufstand wurde zum Trauma des Systems. Es reagierte mit einem harten und unmenschlichen Strafgericht. Die Verhaftungswellen rollten. Aber gleichzeitig gab es ökonomische Zugeständnisse. Der 17. Juni saß allen im Nacken. Nicht selten kann man die These lesen, das Prinzip der Ära Honecker, über die eigene Verhältnisse zu leben, habe in den Erfahrungen dieser Wochen seine Wurzeln. In ihren Büchern über die „Wende“ 1989 zitieren SED-Größen Erich Mielke mit der bezeichnenden Frage: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“

Die gesellschaftliche Entwicklung der DDR wurde durch den 17. Juni entscheidend mitbestimmt. Paradoxerweise allerdings wesentlich durch die Enttäuschung über das Verhalten des Westens. Das Ausbleiben entschiedener Reaktionen führte zur Resignation, eine Entwicklung, die nach den Aufständen in Ungarn und Polen und nach dem Bau der Mauer noch weiter verstärkt wurde. Was blieb den „Untertanen“ nach der bitteren Lektion, dass hinter der SED die sowjetische Militärmaschinerie steht? Viele suchten sich nun anzupassen, angemessen zu überleben, Nischen zu finden oder zunächst blieb ja auch noch die Flucht. Tatsächlich ist es ja dann bis zur sogenannten Wende nicht mehr zu Demonstrationen, Streiks, Unruhen größeren Ausmaßes gekommen. Erst Gorbatschow hat wieder Mut und Hoffnung gebracht.

Den 17. Juni als Feiertag abzuschaffen, hielt ich zunächst für einen Fehler. War das nicht geschichtslos? Warum einen neuen Tag der deutschen Einheit? Inzwischen bin ich unsicher geworden. Mit der deutschen Nation haben wir Deutschen immer noch unsere Probleme. Die einen verstecken sich hinter der Globalisierung und der Idee   e i n e s   europäischen Staates, die anderen sind im Regionalismus der deutschen Geschichte verfangen und können sich durchaus viele deutsche Teilstaaten vorstellen, bei wieder anderen müsste sich das schlechte Gewissen bemerkbar machen, wollten sie doch auf die eine deutsche Staatsbürgerschaft verzichten oder gar die DDR noch einmal für einen „richtigen“ Sozialismus nutzen. Hatte der 17. Juni durch zuviel schlechtes Gewissen zu wenig Lobby ? In der Politik wegen der „Dulles-Doktrin“ der Abgrenzung der Ost-West-Einflussspären, bei den Intellektuellen, weil sie die Arbeiterschaft am 17. Juni allein gelassen haben.

Zu viel Fragen für eine „Tag der deutschen Einheit“, an dem die Deutschen doch einen Glücksfall der Geschichte feiern sollten – so wie andere Völker ihre nationalen Feiertage. Es war schon verständlich, mit dem 3. Oktober einen neuen Versuch zu unternehmen, hoffentlich bald ohne den Wanderzirkus der offiziellen Veranstaltungen von Bundesland zu Bundesland.

Aber damit darf der 17. Juni nicht aus der deutsche Geschichte gedrängt werden. An diesem Tag gab es für die ganze deutsche Nation ein Signal für die Freiheit. Fast 20 Jahre nach dem Attentatsversuch gegen Hitler meldete sich ein Deutschland, das an demokratische Entwicklungen anknüpfen und jedem totalitärem System eine Absage erteilen wollte. Und es war der erste Aufstand gegen das aus Moskau gesteuerte kommunistisch-totalitäre System im Nachkriegseuropa. Es gibt nicht nur das historische Bindeglied zum 20. Juli in der deutschen Geschichte. In der europäischen Freiheitsbewegung nach 1945 folgten die Ereignisse in Ungarn und Polen 1956 und 1958, es folgte 1968 der Prager Frühling und die brutale Niederschlagung durch Truppen des Warschauer Paktes, der Kampf der Solidarnosc bis zum Fall der Mauer im November 1989. Das alles ist ein Teil der europäischen Geschichte in der zweiten Hälfte des gerade abgeschlossenen Jahrhunderts und wichtig bei der Definition der gemeinsamen Ideen und Geschichte des zusammenwachsenden Europas. Das Bewusstsein eines gemeinsamen Kampfes um Freiheit über die Demarkationslinien des Kalten Krieges hinweg kann für Europa mehr bewirken als der Streit um ökonomische Grunddaten. Vielleicht wird es doch noch – Anlass der besondere Jahrestag des ersten Volksaufstandes gegen kommunistische Verblendungen in der Mitte Europas – eine zusammenfassende Ausstellung aller europäische Freiheitsbewegungen dieser Zeit geben. Die Geschichte eines Volkes ist durch Höhen und Tiefen gekennzeichnet. Die Männer und Frauen des 17. Juni haben mit ihrem Einsatz ein Beispiel dafür gegeben, das auch Deutsche erhobenen Hauptes mit dieser Erkenntnis leben können.

* Der Autor war Regierender Bürgermeister von Berlin und ist 2017 in den Beirat der Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V. berufen worden. Vorstehenden Beitrag schrieb Diepgen für die Schrift „Spurensuche – Helden der Menschlichkeit“ (Carl-Wolfgang Holzapfel, Amper-Verlag), die die Vereinigung zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes 2003 editierte. Teil I wurde am Vortag veröffentlicht.

V.i.S.d.P. / © 2018: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.395)

 

 

 

 

Es ging um freie Wahlen und die Wiedervereinigung

Von Eberhard Diepgen*

Berlin, 17. Juni – In Taschenkalendern und Chefplanern habe ich nachgesehen. Es gab nur noch sehr vereinzelte Hinweise auf den ersten Volksaufstand gegen den Kommunismus nach dem zweiten Weltkrieg. Bei den offiziellen Veranstaltungen des Bundesinnenministeriums an den Gräbern von Opfern der Intervention in der Berliner Seestraße schmolz der Kreis der Teilnehmer von Jahr zu Jahr. Eigentlich wollte man das alles ohnehin schon auf eine „stille“ Kranzniederlegung reduzieren.

Reden nur noch an besonderen Jahrestagen? Diese Frage erreichte jedenfalls den Senat von Berlin, als die Verantwortung für die Veranstaltung auf die Bundesregierung überging.

Was ist heute () der angemessene Einstieg in Überlegungen zu einem vom nationalen Feiertag zum – vielleicht noch – Gedenktag degradierten Tag der deutschen Geschichte.

Bei dieser Überlegung kam mir ein Teilnehmer an einer Diskussion zur Eröffnung einer Tagung zu deutsch-russischen Städtepartnerschaften zu Hilfe. Der teilnehmende Gorbatschow hatte den Moderator zu der Frage inspiriert, ob man sich denn vor 15 Jahren eine Diskussion zu diesem Thema unter dem Brandenburger Tor hätte vorstellen können. Die ehrliche Antwort war bezogen auf den Zeitpunkt natürlich ein klares Nein. Spannender für unser Thema aber war für mich der Hinweis eines Diskussionsteilnehmers (Jahrgang 56), beim ersten Besuch in Berlin habe er sich als Abiturient an der Mauer durchaus eine weitere Teilung Deutschlands vorstellen können, sein Blick und der Blick seiner Klassenkameraden sei mehr nach Frankreich und Paris gerichtet gewesen. Und: Nach dem Fall der Mauer habe sie die große Sorge umgetrieben, jetzt könnten sich das Interesse mehr auf den „Osten“ und auf Partnerschaften der Städte mit Russland orientieren als in gewohnter Weise nach Westen.

Die Aussage sind sicher keine überraschende Neuigkeit. Der Hinweis auf Erwartungen, Sorgen und Ängste eines Vertreters der Nachkriegsgeneration umschreiben aber deutlich das Dilemma des 17. Juni als „Tag der Deutschen Einheit.“ Und sie sind auch kennzeichnend für viele Problem der deutschen Politik fast 14 Jahre nach dem Fall der Mauer.

Wie tief war der Wunsch nach der deutschen Vereinigung in der Bundesrepublik jenseits der Wiedervereinigungsrethorik wirklich? Wie stark ist das Bekenntnis zu einer deutschen Nation? Gab es im geteilten Deutschland nicht die Formel von der Bundesrepublik als der postnationalen Demokratie unter Nationalstaaten? Intensiv wurde über den Zweistaatlichkeitsnationalismus diskutiert. Der Historiker Mommsen behauptete Ende der 70er Jahre, in der Bundesrepublik habe sich ein nationales Identitätsbewusstsein entwickelt, in der DDR sei ein gesamtnationales Gefühl dagegen stärker erhalten geblieben. Aber auch für die Entwicklung in der DDR gilt es jenseits der offiziellen Parteilinie festzuhalten, dass viele insbesondere evangelisch geprägte Bürgerrechtler die deutsche Teilung als Sühne für die Verbrechen des Faschismus ansahen.

Auch 1990 gab es ernüchternde Erkenntnisse. Für mich war der Streit um die Rolle Berlins als deutsche Hauptstadt, die grundsätzliche Diskussion um „Wiedersehen“ oder „Wiedervereinigung“ unmittelbar nach dem Fall der Mauer und auch das deutsche Lieblingsthema Föderalismus als Instrument für regionale Egoismen mit vielen Enttäuschungen verbunden. Sie verdrängen nicht Stolz und Glück, dass es trotz der schwierigen deutschen Nationalgeschichte doch zur Wiedervereinigung gekommen ist. Aber es gilt, einen aufgeklärten Patriotismus und ein Bekenntnis zur deutschen Nation einzufordern. Sonst werden wir das Europa der Zukunft nicht mitgestalten können. Deutschland als postnationale Demokratie? Das wäre ein neuer deutscher Sonderweg im Europa der Nationen.

Der 17. Juni 1953 war ein wichtiger Tag für Deutschland, das demokratische Selbstverständnis der Deutschen und die nachfolgende europäische Entwicklung. Es war ein Arbeiteraufstand. Noch heute wird gelegentlich versucht, Motive und Zielsetzung auf einen Protest gegen Normerhöhungen zu reduzieren.

Natürlich standen ökonomische Interessen am Anfang. Die Bauarbeiter an der Großbaustelle Stalinallee protestierten gegen die Härten des Kurses, die die SED seit dem Sommer 1952 eingeschlagen hatte. Hastig korrigierte die aufgeschreckte Parteiführung, aber zu spät. Das Aufbegehren wurde gleichsam durch sich selbst vorwärtsgetrieben. Den ökonomische Forderungen folgten politische. Es ging um freie Wahlen und die Wiedervereinigung Deutschlands.

Der Aufstand traf das Regime als solches. Er verwarf dessen Anspruch auf Legitimität. Die Massen standen auf. Aber, es fehlte eine Führung, die Koordination der auf viele Städte ausgedehnten Protestbewegung. Das war ein entscheidender Unterschied zu dem verzweifelten Widerstand, den eine Führung ohne – jedenfalls sichtbare – Massenbasis etwa 20 Jahre zuvor gegen Hitler geleistet hatte. 1944, eine Führungsgruppe ohne Kontakt zu den Massen. 1953, ein Massenaufstand ohne strategische Führung.

Die offizielle Geschichtsschreibung der DDR sah in dem Aufstand einen von außen gesteuerten Vorgang. Sicher hatte die Berichterstattung über den RIAS die Dynamik der Aufstandsbewegung und ihre Verbreitung gefördert. Im Kern waren die Interessenlage und Handlungsweise im „Westen“ aber genau entgegengesetzt. Als Zwölfjähriger wartete ich damals nach den dramatische Rundfunkberichten auf konkrete Hilfe für die von sowjetischen Soldaten bedrängten Arbeiter. Die einfache Logik der westlichen Abgrenzungspolitik, die wenige Jahre später auch für Polen und Ungarn galt, war mir noch nicht bewusst.

Den Westen trafen die Vorgänge unvorbereitet – auch in späteren Jahren war er auf politische Eruptionen im Ostblock nie vorbereitet – aber es galt schon 1953 die Hauptspielregel des Ost-West-Konfliktes: Die Bewahrung des Friedens hat Vorrang; Interventionen jenseits der Systemgrenze verbieten sich insbesondere an der europäische Demarkationslinie.

* Der Autor war Regierender Bürgermeister von Berlin und ist 2017 in den Beirat der Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V. berufen worden. Vorstehenden Beitrag schrieb Diepgen für die Schrift „Spurensuche – Helden der Menschlichkeit“ (Carl-Wolfgang Holzapfel, Amper-Verlag), die die Vereinigung zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes 2003 editierte. Teil II „Adenauer: Freiheitswillen des Deutschen Volkes“ wird am 14. Juni auf dieser Seite veröffentlicht.

V.i.S.d.P. / © 2018: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.394)

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