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Berlin, 24.09.2019/cw – Am kommenden Donnerstag, 26.09., soll der Bundestag beschließen, die Stasi-Unterlagen-Behörde im nächsten Jahr aufzulösen. Damit können die alten DDR-Seilschaften und Gegner dieser Behörde aufatmen: Knappe 30 Jahre nach der legendären Öffnung der Mauer soll das Kapitel der Aufklärung über die Zweite Deutsche Diktatur wenn noch nicht beendet, so doch wenigstens ihrer wichtigsten Institution beraubt werden.

Hubertus Knabe – Foto: LyrAg-RH

Wie durch schleichende, weil kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommene Maßnahmen üblich geworden, wird auch die faktische Auflösung der BStU verbrämt: Die Akten sollen keineswegs abgeschafft, sondern in das Bundesarchiv überführt werden. Hubertus Knabe, als einstiger Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen als fundierter Kenner der Aufarbeitungsszenerie ausgewiesen, äußert denn auch in einem Beitrag für die im Springer-Verlag erscheinende WELT (23.09.2019) harsche Kritik: „Fast drei Jahrzehnte nach der Gründung ist die Stasi-Unterlagen-Behörde zu einem professionell arbeitenden Archiv herangewachsen. Eine externe Organisationsuntersuchung ergab 2018, dass in keinem Bereich grundlegende Defizite bei der Aufgabenerledigung bestehen.“ Die größte Institution zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit werde ab 2021 nicht mehr existieren. „Kein Bundesbeauftragter wird dann mehr den gesetzlichen Auftrag haben, die Öffentlichkeit über das Wirken der Stasi zu informieren. Die Zahl der Außenstellen in den ostdeutschen Ländern wird mehr als halbiert werden, was erhebliche Folgen für die dortigen Bildungsprogramme haben dürfte. Die geplante Verschmelzung wird beide Archive zudem über Jahre hinweg mit sich selbst beschäftigen – und entsprechend lähmen.“ Denn: „Schon jetzt hat das Bundesarchiv damit zu kämpfen, dass es zu Jahresbeginn ein anderes Archiv mit rund 250 Mitarbeitern integrieren musste – die Wehrmachtsauskunftsstelle. Auf deren Website kann man nachlesen, dass sich als Folge „gerade in der Übergangszeit längere Wartezeiten leider nicht vermeiden lassen“. Die Stasi-Unterlagen-Behörde hat aber über 1300 Mitarbeiter und ist damit deutlich größer als das Bundesarchiv selbst.“ So der aus bisher noch immer nicht aufgeklärten Umständen entlassene Gedenkstätten-Direktor. Seine Kritik ist ebenfalls auf dem „Hubertus-Knabe-Blog“ nachzulesen ( https://hubertus-knabe.de/rettet-die-gauck-behoerde/ ).

Möchte der jetzige Leiter seine künftige Beschäftigung sichern?

BStU-Chef Roland Jahn, hier „unter uns“ als „einer von Euch“ als aufmerksamer Zuhörer
Foto. LyrAg

Nicht nur Hubertus Knabe stellt kritisch die Vermutung in den Raum, daß es möglicherweise vor allem der Wunsch des Behördenchefs selbst war, der auf die Regierungsfraktionen eingewirkt oder diese dazu veranlasst hat, sein Amt in großer Eile abzuwickeln. Die zweite Amtszeit des derzeitigen Bundesbeauftragten läuft nämlich im Januar 2021 ab, eine Wiederwahl ist qua Gesetz ausgeschlossen. Wenn also der Bundestag dem Jahn-Vorschlag folgt, als Ersatz für die Behörde einen „Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur“ zu benennen, kann der 66-jährige Jahn seine vermutlich lieb gewordenen Annehmlichkeiten, wie ein eigenes Sekretariat und einen trotz Klima-Debatte vermutlich gerne gefahrenen Dienstwagen weiter nutzen.

Aber auch die UOKG, der sogenannte Dachverband der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, gerät in dem Zusammenhang in die Kritik. Zielpunkt ist deren Vorsitzender, der jüngst bei den Wahlen in Brandenburg gescheiterte Abgeordnete und bisherige Vizepräsident des Landtages, Dieter Dombrowski (CDU).

Schwerer Vorwurf: UOKG dealte in den Hinterzimmern der Politik

Christian Booß, engagierter Vorsitzender des Vereins „Bürgerkomitee 15. Januar“ und als ehemaliger Pressesprecher der BStU (2001–2006) mit dem Thema vertraut, wirft Dieter Dombrowski vor, mit Roland Jahn einen Deal gemacht zu haben: Ja zur Abwicklung, wenn es einen Opferbeauftragten und dieses und jenes Zugeständnis bei den Rehafragen gibt. Und Booß fragt: „Warum weiss kaum einer, dass die Zustimmung der Opferverbände, faktisch der UOKG, die Bedingung für die Koalition war, diese Abwicklungsvorlage in den Bundestag einzubringen?“ Warum habe die Koalition im Kulturausschuss gewartet, bis Dieter Dombrowski Anfang Juni in einer Art Anhörung sein „Ja“-Wort gegeben hat? Die momentane Verwirrung habe sehr viel damit zu tun, dass die UOKG im Hinterzimmer einen Deal mit Roland Jahn gemacht hat. Er, Booß, könne sich nicht daran erinnern, dass die UOKG vorher auf die Opferverbände zugekommen sei, „um mit uns und anderen die Frage der Zukunft des BStU zu besprechen.“ Die UOKG in Gestalt von Dieter Dombrowski und Christian Sachse habe versucht, „alle zu übertölpeln“ und komme jetzt, „wo alles zementiert ist“, mit Dialogangeboten und Diskreditierungen.

Der in der UOKG verantwortlich tätige Christian Sachse hatte Booß zuvor vorgeworfen, eine Veranstaltung am 12. 9. in der Bartholomäuskirche zum Thema sei „vorhersehbar gescheitert“. Statt die „Zukunft der BStU selbstkritisch zu reflektieren“, seien die Initiatoren lediglich „faul und mediengeil“.

UOKG-Chef Dieter Dombrowski (CDU) – Foto: LyrAg

„Dombrowski missbraucht sein Amt“

Auch die einstige Bürgerrechtlerin und ehemalige Volkskammer- und Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe, die selbst jahrelang aktiv in der UOKG mitwirkte, trägt heftige Kritik vor: „Dombrowski missbraucht sein Amt, um zu teilen (die Bürgerrechtler und die Opferverbände) und zu herrschen (mit Lederer und Grütters). Die gesamte UOKG-Leitung hat uns Naivlinge hinters Licht geführt.“ Sie werde daher einer Einladung ins Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages folgen, wo am 25.9.2019 um 17:00 Uhr eine Öffentliche Diskussion stattfinde. Darin solle es um den Bestand der BSTU gehen. Die Diskussion werde von der Bundestagsfraktion der AFD organisiert. Barbe: „Wenn die anderen Parteien die Abwicklung der BSTU vorhaben (wie das Thierse offensiv seit 15 Jahren betreibt), dann kann ich wenigstens dort meinen Protest öffentlich machen. Es ist doch langsam pervers, dass uns nur noch die AFD zur Seite steht, während die „Bürgerrechtler“ (von Arnold Vaatz auch als „Revolutionsadel“ tituliert), aus Angst vor dem Tode lieber schweigen, als das Unterstützungsangebot anzunehmen.“

Den Vorwurf gegen Thierse, daß dieser seit 15 Jahren die Auflösung der BStU betreibe, untermauert Barbe damit, daß Thierse sie „daran hindern wollte, als einziges SPD-Mitglied und zudem Volkskammerabgeordnete am Hungerstreik zur Sicherung der Akten teilzunehmen und damit Bärbel Bohley zu unterstützen.“ Sie habe sich nicht von Thierse einschüchtern lassen. „Damals haben wir mühsam, sogar noch mit einem Zusatzprotokoll zum Einigungsvertrag, errungen, was heute ins Vergessen des Bundesarchivs abgeschoben werden soll.“ Sie, Barbe, werde jetzt nicht schweigend zulassen, „dass Dombrowski im Gefolge von Grütters (CDU) und gemeinsam mit SED, FDP und Grünen die Stasiakten-Behörde abwickelt.“ Angelika Barbe bezeichnet es als „Ironie der Geschichte“, wenn der Bundestag vergesse, die Friedliche Revolution gebührend zu feiern und daher nachträglich und sehr kurzfristig im April 2019 Gelder als „überplanmäßige Ausgabe“ dafür in den Haushalt einstellen mußte. Nun werde „im Schatten des Getöses hohler Worte das Vermächtnis der Bürgerrechtsbewegung“ – die Offenlegung Stasiakten mithilfe der Institution BSTU – „zerschreddert.“ Die angesetzte Entscheidung im Bundestag am 26.9. sei „ein Affront gegen alle Opfer der SED-Diktatur. Sie dient einzig dem Täterschutz.“ Wo keine Täter mehr existieren, gäbe es auch keine Opfer mehr, so der geharnischte Kommentar Barbes.

Auch der Schriftsteller Siegmar Faust, einer der bekanntesten Opfer der DDR-Diktatur, hat seine Teilnahme zur Veranstaltung im Paul-Löbe-Haus zugesagt. Er hoffe darauf, dass „diese Oppositionspartei noch Einfluss nehmen“ könne, um die schlimmsten Auswirkungen der Gesetzesvorlage zu verhindern.

Kommentar

Verabschiedung des „BStU-Tötungs-Gesetzes“ wäre fatales Signal

Die im Bundestag vertretenen „Alt-Parteien“ (CDU/CSU, SPD; FDP, GRÜNE und LINKE) täten gut daran, nicht dem üblichen Reflex zu erliegen und die von der AfD-Fraktion initiierte Diskussions-Veranstaltung zur geplanten Abschaffung der BStU als „rechtes Geschrei“ oder gar „neo-nazistisches Getöse“ abzutun. Dazu ist das Thema und das Anliegen der Diktatur-Opfer zu ernst. Wenn diese jetzt einer Einladung der größten und frei gewählten Oppositionspartei folgen, liegt das nicht zuletzt an der ausbleibenden und überfälligen Einbeziehung der Opfer in den notwendigen Diskurs um deren Anliegen durch die übrigen im Bundestag vertretenen Parteien. Die wenigen und begrüßenswerten Ansätze von LINKE und GRÜNE, als sich diese sogar öffentlich gegen den Rentenbetrug an einstigen Flüchtlingen und Aussiedlern äußerten, scheinen bereits Geschichte zu sein. Hier besteht aktuell, gerade im 30. Jahr der Maueröffnung, Nachholbedarf.

Eine Verabschiedung des „BStU-Tötungs-Gesetzes“ am kommenden Donnerstag gar aus Gründen „notwendiger AfD-Abschottung“ wäre ein fatales Signal. Nur die Einbeziehung der Diktatur-Opfer in den notwendigen Dialog kann einer weiteren und nicht ungefährlichen Frustration dieser Lastenträger der deutschen Teilung, die immer mehr auch zu Lastenträgern der deutschen Wiedervereinigung werden, verhindern. (cw)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.476).

 

 

 

 

 

 

Berlin, 11.11.2018/cw – „Wie schon im Fall Hubertus Knabe agiert die aktuelle Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) auch bei der Kritik an der Grenztoten-Studie vorschnell und zumindest unglücklich. Die Kritik an der Arbeit des Forschungsverbundes ist wenig überzeugend und getrieben von der Konkurrenz um Forschungsmittel. Um die Sache geht es offensichtlich weniger.“ So der leitende Redakteur Geschichte, Sven Felix Kellerhoff, in DIE WELT (7.11.2018) in seiner Kritik an den jüngsten Auseinandersetzungen um die reale Anzahl der Mauertoten. Der Forschungsverbund SED-Staat hatte 2017 eine Studie vorgelegt, in der 327 Tote an der innerdeutschen Grenze dokumentiert worden waren.

Nach einem Bericht des Senders RBB waren 50 der 327 Toten zum großen Teil Täter, also keine Grenzopfer. Die Staatsministerin hat nach der jüngsten Kritik den Bericht von der Internetseite nehmen lassen, um eine nochmalig Prüfung vornehmen zu lassen. 2017 hatte die Stellungnahme von Monika Grütters zu der jetzt kritisierten Studie noch anders geklungen: „Die Erinnerung an die Schrecken des Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufrechtzuerhalten ist ein zentrales Anliegen bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur.“ (DIE WELT, 07.06.2017).

Scharfe Kritik von der UOKG

Zu den schärfsten Kritikern der Studie gehört mittlerweile der Historiker Christian Sachse vom Dachverband der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), der in den vergangenen Jahren durch eigene Studien, zum Beispiel zur Zwangsarbeit von politischen Häftlingen für den schwedischen Möbelkonzern IKEA und für die Reichsbahn bekannt wurde. Sachse war allerdings um 2006 im Unfrieden aus dem Forschungsverbund ausgeschieden.

So erhob Sachse seitens der UOKG in der rbb-Sendung sogar Manipulationsvorwürfe gegen den Forschungsverbund: „Wenn Täter zu Opfern gemacht werden, dann ist das eine Verhöhnung der Opfer.“ Der Verbands-Historiker bezog sich in seiner Kritik auf den in Moskau hingerichteten ehemaligen DDR-Polizisten Walter Monien, der 1951 die Flucht in den Westen plante und von einem MfS-Informanten verraten wurde: „Den Fall des SS-Mannes Monien kann ich nur als gewollte Manipulation verstehen,“ so Sachse.

Dagegen stellt der Forschungsverbund in einer Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen, die von Prof. Dr. Klaus Schroeder und Dr. Jochen Staadt unterzeichnet ist, fest, dass der rbb-Bericht „gezielte Auslassungen wichtiger Zusammenhänge und Falschbehauptungen“ enthalte.

So habe die Moderatorin Gabi Probst wichtige Tatsachen zu Walter Monien verschwiegen, obwohl ihr diese bekannt gewesen seien. Der Forschungsverbund hatte sich  bei der Einbeziehung Moniens als „Teilungsopfer“ auf den  biografischen Eintrag und die seinerzeitige Urteilsbegründung in der Dokumentation „Erschossen in Moskau – Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953“ (3. Auflage 2008) bezogen. Dieser Dokumentation ist zu entnehmen, dass Walter Monien von der Russischen Militärstaatsanwaltschaft am 15. Februar 1999 rehabilitiert wurde. Der Forschungsverbund: „Die russischen Militärstaatsanwälte gingen 1999 mit den von stalinistischen Geheimpolizisten erzwungenen Aussagen Moniens wesentlich quellenkritischer um als der rbb in seinem Bericht. Völlig unkritisch verbreitet die öffentlich-rechtliche Anstalt die nach stalinistischen Verhörmethoden zustande gekommenen Aussagen Moniens eins zu eins in ihrer Sendung.“

Das Totenbuch wurde von Memorial Moskau, dem Forschungsinstitut Facts&Files und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben.

Forschungsverbund: Seitens der UOKG gab es 2012 keine Kritik

Schröder und Staadt weisen in ihrer Stellungnahme auch darauf hin, dass Staadt auf dem Verbändetreffen der UOKG vom 17. November 2012 das Forschungsprojekt zu den Todesopfern des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze vorgestellt habe. Dabei war „insbesondere die sensible Fallgruppe der „Suizide im Grenzdienst““ ausführlich erläutert worden. Der auf der Veranstaltung anwesende und nun als Kritiker im rbb präsentierte Dr. Christian Sachse „meldete sich in der Diskussion über die Todesfallgruppe nicht zu Wort und erhob auch im Nachgang des Verbändetreffens ebenso wie andere Mitglieder der UOKG dagegen keine Einwände.“

Nach Felix Kellerhoff dürfte der Hintergrund des jetzigen Streites und der Kritik der UOKG eher sein, „dass vor wenigen Monaten der Forschungsverbund SED-Staat vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Geld für eine Anschlussstudie zu den deutschen Opfern der Grenze zur Ostsee hin und der nichtdeutschen Außengrenzen des Warschauer Paktes bekommen hat“.

Nach Meinung von Insidern spricht einiges für diese Wertung des angesehenen WELT-Journalisten. In der UOKG werde mit „viel Aufwand um weitere Finanzierungsmittel“ gerungen. Dabei komme es wohl „nicht immer auf die gebotene Sorgfalt und Seriosität“ an. So habe der Vorsitzende im letzten Jahr eine Stiftung „Haftzwangsarbeit“ ins Leben gerufen, deren Eintragung beinahe an der notwendigen aber zunächst ausgebliebenen Startfinanzierung gescheitert wäre. Zwar sei im Frühjahr die Eintragung nach einem Geldmitteleingang (dem Registergericht war eine Zahlung von IKEA über 50.000 Euro avisiert worden) erfolgt, die Stiftung komme allerdings nicht in Schwung, weil „angestrebte Finanzierungen durch die öffentliche Hand“ ausgeblieben seien. Zu den Gründungsmitgliedern gehören neben dem Vorsitzenden Dieter Dombrowski (CDU) Hildigund Neubert (CDU) und Dr. Christian Sachse.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.354).

Als Dichter war er unterschätzt. Am Ende applaudierte ihm die AfD. Jetzt ist Ulrich Schacht mit 67 Jahren in Schweden gestorben.

von Gregor Dotzauer

Das Schicksal meinte es von Anfang an nicht gut mit ihm. Schon seine Geburt im erzgebirgischen Frauengefängnis Hoheneck am 9. März 1952, wo seine Mutter als Antikommunistin einsaß, machte ihn zum Außenseiter. 21 Jahre später kam Ulrich Schacht wegen „staatsfeindlicher Hetze“ selbst in Haft. Von seinen sieben Jahren Gefängnis verbüßte er indes nur einen Teil: Im Herbst 1976 kaufte ihn die Bundesrepublik frei. Doch er blieb traumatisiert. Erzählerisch wusste er seine Geschichte wie in seinem letzten, autobiografisch geprägten Roman „Notre Dame“ (Aufbau) kühl zu halten, und dem naturlyrischen Feinsinn des Dichters waren die Verletzungen nicht anzumerken. Den Staatsbürger prägten sie umso mehr: Sein Hass auf alles Linke trug selbst ideologische Züge. Er wurde einer von denen, die der DDR-Sozialismus in der Bundesrepublik in die rechte Ecke trieb.

Er fand Aufnahme bei der „Welt“ in Hamburg

Im Osten hatte der gläubige Christ zuletzt evangelische Theologie studiert. Im Westen stürzte er sich auf Philosophie und Politikwissenschaft und fand als Kulturjournalist Aufnahme bei der „Welt“ in Hamburg, die schon rechtskonservativen DDR-Philosophen wie Günter Zehm Obdach gewährt hatte. Dietrich Bonhoeffers „Ethik“ wurde für ihn so wichtig wie Albert Camus’ „Mensch in der Revolte“.

Zu den Umwegen seines langen Wegs nach rechts gehören 16 Jahre SPD-Mitgliedschaft. Die Abkehr war nicht zu übersehen. 1994 gab er zusammen mit Heimo Schwilk „Die selbstbewusste Nation“ heraus, eine Gründungsschrift der Neuen Rechten. 1998 floh er das wiedervereinigte Land und sein politisches Klima. In Skåne län, Schwedens südlichster Provinz, fand er eine neue Heimat, die ihn zu zahlreichen Versen inspirierte. In seinem Haus in Förslöv ist er nach einem Herzinfarkt nun mit 67 Jahren gestorben. Erzrechte wie Götz Kubitschek und Michael Klonovsky, Alexander Gaulands persönlicher Referent, haben ihm schon nachgerufen. Es steht zu befürchten, dass dieser hochgebildete, als Schriftsteller unterschätzte Mann, der sich politisch in fragwürdigen Kreisen aufgehoben fühlte, davon geehrt gewesen wäre.

Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/zum-tod-von-ulrich-schacht-der-lange-weg-nach-rechts/23087514.html

* Gregor Dotzauer (* 13. Mai 1962 in Bayreuth) ist ein deutscher Literaturkritiker, Essayist und Kulturredakteur. Als Essayist und Literaturwissenschaftler hat Dotzauer für text + kritik, Kursbuch, Sinn und Form sowie für den Hörfunk geschrieben, wie zum Beispiel für den Deutschlandfunk Köln oder das Deutschlandradio Kultur. Daneben moderierte er Podiumsdiskussionen und Autorengespräche. Seit 1999 ist Dotzauer Literaturredakteur des Berliner Tagesspiegels (wikipedia).

Weitere Nachrufe:

https://www.boersenblatt.net/artikel-der_aufbau_verlag_trauert.1519075.html

http://www.ostsee-zeitung.de/Mecklenburg/Wismar/Autor-Ulrich-Schacht-ist-gestorben

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ehemaliger-dresdner-stadtschreiber-ulrich-schacht-ist-verstorben-15793397.html

https://m.sz-online.de/nachrichten/ehemaliger-stadtscheiber-verstorben-4015790.html

https://www.mz-web.de/kultur/freigekauft-und-freigedacht-zum-tod-des-autors-ulrich-schacht-31323588

 

Von Michael Klonovsky*

Berlin, 18.09.2018/mk – Am 17.September erreichte mich die Nachricht, dass Ulrich Schacht gestorben ist. Das ist keiner der Tode, mit denen zu rechnen war. Der Schriftsteller zählte 67 Jahre und befand sich, als ich ihn das letzte Mal sah, bei bester Laune und gesegnetem Appetit. Er war ein großer, kräftiger, wenn man so will lutherischer Kerl, von einer gewissen Gemütsverschattung und zugleich derbem Humor, der gern lachte und seine Melancholie mit Heiterkeit und Gottvertrauen umgab.

Im Interview in der aktuellen Ausgabe der Sezession sagt Jean Raspail: “Ich will mit aufrechten Menschen Umgang pflegen.” Das ist eine gute Maxime. Schacht war ein Aufrechter. Kein Taktierer, kein Heuchler, kein Verräter. Einer der meinte, was er sagte. Ein Protestant alten Schlags.

Geburtsort Frauenzuchthaus Hoheneck

Schacht kam am 9. März 1951 in Stollberg zur Welt. Sein Geburtsort legt den Gedanken nahe, er sei, wie u.a. ich, ein Erzgebirgler gewesen – aber das stimmt nicht. Er wurde im Frauengefängnis Hoheneck geboren, wo die SED-Genossen seine Mutter eingesperrt hatten. Tatsächlich war er ein Nordlicht. Er ist in Wismar aufgewachsen. Von 1970 bis 1973 studierte Schacht Evangelische Theologie in Rostock und Erfurt. 1973 wurde er wegen “staatsfeindlicher Hetze” zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt. 1976 kaufte ihn die BRD frei (würde sie heute wahrscheinlich nicht mehr tun). Als Sohn einer Antikommunistin im Gefängnis geboren und 22 Jahre später aus demselben Grund wie seine Mutter eingesperrt zu werden – das ist ein meines Wissens singulärer Fall. Fortan war Schacht ein Gezeichneter. Er besaß eine sehr dezidierte Meinung über linke Gesellschaftsexperimente. Dementsprechend entsetzt war er darüber, wie beharrlich westdeutsche Linke an deren Wiederholung arbeiteten (wenn dieser Begriff gestattet ist).

Nach seinem Freikauf ging Schacht nach Hamburg, studierte Politikwissenschaften und Philosophie und verdingte sich als Feuilleton-Redakteur bei der Welt und der Welt am Sonntag. Sofort nach seinem deutsch-deutschen Seitenwechsel trat er in die SPD ein, von der er damals noch glaubte, es sei die Partei Bebels, Eberts und Kurt Schumachers. Die Illusion hielt, formell, bis 1992. Dann kehrte Schacht, der glühende Herbeisehner der deutschen Einheit in Freiheit, jener Partei den Rücken, die sich längst für ihre patriotische Vergangenheit schämte und mit Freiheit ohnehin nie besonders viel anfangen konnte.

Als BRD-Dissident nach Schweden

Ich lernte Schacht 1993 kennen, als er gemeinsam mit seinem Freund und mehrfachen Co-Autor Heimo Schwilk den Sammelband “Die selbstbewusste Nation” publizierte, der im Post-68er Biedermeier viel Jaulen und Zähnefletschen auslöste. Er vertraute mir mehrfach an, wie sehr die linken Wortführer der West-Republik ihn ernüchtert hatten, wie er in diesem Milieu von Anfang an wegen seiner antisozialistischen Haltung auf Misstrauen und Ablehnung gestoßen war. Der DDR-Dissident wurde schließlich noch schneller zum BRD-Dissidenten als der Kommunist Trittin Minister. 1998 zog er die Konsequenzen und siedelte nach Schweden um. Ohnehin übte der Norden eine magische Anziehung auf ihn aus, immer wieder reiste er in die Polargegend, um “Gottes Schöpfung am zweiten Tag zu betrachten”, wie er schwärmte. Viele seiner Gedichte fassen diese eisige Welt in lakonisch-poetische Worte, und noch in seiner letzten Mail an mich erinnerte er sich begeistert an seine erste Fahrt ins Franz-Joseph-Land anno 1991, eine “Wahnsinnsreise, wie zum Mond”, der 1992, 1993 und 1995 drei weitere folgten. Im Eis war dieser Gebrannte offenbar glücklich.

Die letzte Reise mit dem Blick aufs Meer

Schachts Flucht aus und vor allem vor Deutschland ins Multikulti-Schweden – “alter Schwede” nannte ich ihn seither – mag in einem gewissen Sinn ein grotesker Wechsel “vom Regen in die Jauche” (Wolf Biermann) gewesen sein, doch er war durchaus optimistisch, dass die Schwedendemokraten das Land wieder auf einen christlich-freiheitlichen Weg führen könnten. “Hier tut sich was, keine Sorge”, schrieb er mir, “das Ende der ideologischen Fahnenstange ist auch in Schweden erreicht, die Wahl steht drohend bevor, die Prozente für die SD steigen und steigen, das Lager der etablierten Wirklichkeitsverdränger und ideologischen Nutten bricht gerade auseinander!”

Ulrich Schacht, der Vater, Ehemann, Poet, Essayist, Romancier, Publizist und Großkomtur des St. Georgs-Ordens, ist nicht mehr unter uns. Er starb, offenbar an den Nachfolgen eines Herzinfarkts, am Sonntag in seinem Haus oberhalb von Förslöv, im Lesesessel sitzend, mit dem Blick aufs Meer. Fahr wohl, alter Schwede, und sei frei!

Vorstehender Beitrag im Original unter:

https://www.michael-klonovsky.de/acta-diurna und

https://vera-lengsfeld.de/2018/09/18/nachruf-auf-ulrich-schacht/

* Michael Klonovsky ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Von Juni 2016 bis Anfang 2017 war er parteiloser Berater von Frauke Petry, als sie Bundessprecherin der Alternative für Deutschland war. Seit Februar 2018 ist er persönlicher Referent des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Alexander Gauland.

Zwischenüberschriften eingefügt von Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785

Berlin, 03.01.2018/cw – Im Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland heißt es unmissverständlich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Mit dem noch vom alten Bundestag am 1.09.2017 verabschiedeten und am 1.10.2017 in Kraft getretenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG – https://www.gesetze-im-internet.de/netzdg/BJNR335210017.html) wird der Artikel 5 GG einfach ignoriert. Durch das NetzDG wird die Meinungsfreiheit in einem bisher in der Geschichte der Bundesrepublik (West) nicht gekanntem Ausmaß eingeschränkt und in realitas eine (noch eingeschränkte) Zensur eingeführt. Unter Hinweis auf eine tatsächliche oder vermeintliche sogenannte Haßsprache sollen künftig unliebsame Beiträge in sozialen Medien unterdrückt bzw. gelöscht werden. Ab 1. Januar 2018 endet die festgelegte Übergangsphase. Danach drohen Internetunternehmen drastische Geldstrafen, wenn sie nunmehr offensichtlich strafbare Beiträge nach dem NetzDG nicht innerhalb von 24 Stunden löschen.

Die sozialen Medien werden unter Ausschaltung der Judikative verpflichtet, entsprechende Beiträge ohne Anhörung der Betroffenen schnellstmöglich (innerhalb von 24 Stunden) zu löschen. Das durch den amtierenden Justizminister Heiko Maas (SPD) erarbeitete bzw. verantwortete Gesetz bestimmt in der Praxis, dass schon ein falsches oder nicht beleidigendes Wort ausreicht, um einen ganzen Beitrag zu löschen. Damit bestimmt erstmals wieder eine deutsche Regierung nach dem Ende der SED-Diktatur und nicht einmal dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer die Grenzen der Meinungsfreiheit. Zu den umstrittenen Folgen dieses Gesetzes gehören in jüngster Zeit bereits die entsprechende Unterdrückung von Nachrichten und Diskussionen um die Folgen terroristischer Anschläge, die offiziell nicht mehr als „islamistisch“ bezeichnet werden (dürfen), um eine kontroverse Flüchtlingspolitik nicht in Frage zu stellen.

Merkel-Kritikerin ausgeladen

Freilich hat eine Zensur viele Facetten und kann nicht in jedem Fall auf das NetzDG zurückgeführt werden. So reichte in der Vergangenheit bereits ein entsprechender Druck durch die Bundesregierung auf die Medien aus oder begründeten die Vermutung auf eine „freiwillige“ Selbstbeschränkung aufgrund der jeweiligen politischen Einstellung von Journalisten. Die rechtskonservative Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT dokumentierte zum Jahreswechsel einige Beispiele aus dem abgelaufenen Jahr.

So lud das ZDF eine für die ZDF-Wahlarena „Klartext, Frau Merkel“ vorgesehene Fragestellerin kurz vor Sendebeginn aus, weil diese die Kanzlerin nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Flüchtlingspolitik und der Einreise des Berlin-Attentäters vom 19. Dezember 2016 befragen wollte.

Selbst „anerkannte“ honorige Journalisten, wie der allseits bekannte und oft satirische Kritiker Henrik M. Broder, u.a. Kolumnist der Springer-Zeitung DIE WELT und dessen Kollege und Islam-Experte Hamed Abdel-Samad traf bereits im vorauseilenden Gehorsam die Zensur. Beide hatten für das Internet-Portal „Achse des Guten“ Seyran Ates, die in Berlin eine Reformmoschee führt und wegen permanenter Morddrohungen unter ständigem Polizeischutz steht, interviewt. Broder hatte u.a. nach der Solidarität „angeblich friedlicher Muslime“ gefragt und Ates hatte geantwortet: Vielleicht seien diese doch nicht so friedlich. Youtube löschte das entsprechende Video. Die Plattform will allein 10.000 neue Mitarbeiter für die Kontrolle und das Löschen von „extremistischen“ Inhalten einstellen. Wer wollte gegen diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Bundesregierung Einwände haben?

Karikatur zensiert

Nachdem der Unternehmer Kolja B. über Twitter fragte, ob der Justizminister Heiko Maas noch zu seiner Aussage stehe, nach der es keine nachweisbare Verbindung zwischen Terroristen und Flüchtlingen gebe und ein weiterer kritischer Tweet gegen den Minister folgte, sperrte Twitter den Account vorübergehend. Nachdem B. es danach ironisch als „total gemein“ bezeichnete, dass Heiko Maas´ Buch gegen Rechts nicht positiv rezensiert worden sei, folgte prompt die dauerhafte Sperre durch Twitter.

Selbst Satire darf nicht mehr unzensiert verbreitet werden. So sperrte Facebook den Chefredakteur der JF wegen der geposteten Karikatur „Ehe für alle“ für drei Tage und drohte eine dauerhafte Sperrung an, falls Dieter Stein die Zeichnung noch einmal verbreiten würde.

Die Autoren eines akribisch recherchierten Beitrages zur Kriminalität von Flüchtlingen, David Berger, Ines Laufer und Karoline Seibt wurden für 30 Tage von Facebook für die Verbreitung ihrer Recherchen gesperrt. Der beanstandete Text beinhaltete Grafiken und beruhte auf offiziellen Kriminalitätsstatistiken. „Bestrafe einen, erziehe viele“, kommentierte Publizist David Berger diese Sperre.

Nicht tolerierbare Rückentwicklung demokratischer Standards

Aufgrund der jüngsten und „äußerst bedenklichen Entwicklung gegen die unverzichtbare Meinungsfreiheit“ warnte der einstige Aktivist gegen die Berliner Mauer und Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni 1953 in Berlin, Carl-Wolfgang Holzapfel, in einer Erklärung des Vorstandes vor einer „nicht tolerierbaren Rückentwicklung demokratischer Standards, die uns einst im Kampf gegen die Verletzung demokratischer Grundrechte geprägt haben.“ Holzapfel erinnerte an die „demokratische Kampfbereitschaft einer einstigen Außerparlamentarischen Opposition gegen seinerzeitige Versuche, demokratische Rechte einzuschränken.“ Es sei „verwunderlich und höchst gefährlich für unseren Staat, dass das Bewusstsein für die Verteidigung unverzichtbarer Grundsätze der Verfassung“ offenbar auf eine breite Gleichgültigkeit in der Bürgerschaft stoße. Diese Gleichgültigkeit begünstige „auf fatale Weise die immer offenbarer werdende Absicht von Politikern, den Weg der Einschränkung von Grundrechten ungehindert fortzusetzen. Wenn wir so weitermachen,“ so Holzapfel, „brauchen wir 2019 erst gar nicht in den Jubel zum 30jährigen Fall der Mauer in Berlin auszubrechen, da dies dann lediglich zu einem Akt der Heuchelei werde.“ Freiheit bedürfe des „täglichen Kampfes“ um ihren Bestand. Holzapfel war 1966 wegen seines permanenten Einsatzes für Menschenrechte in Ostberlin zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Lesen Sie auch: http://www.zeit.de/2017/53/soziale-netzwerke-facebook-macht-niall-ferguson-historiker

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