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Berlin, 02.09.2019/cw – Die in Berlin ansässige Vereinigung 17. Juni 1953 hat dem Journalisten und Schriftsteller Karl Wilhelm Fricke anlässlich seines 90. Geburtstages am 3. September die Goldene Ehrennadel des Vereins verliehen. Der nach dem Aufstand von 1953 gegründete Verein würdigt damit Frickes aktive Mitwirkung am Widerstand gegen die Zweite Deutsche Diktatur und damit seine Verdienste um die Deutsche Einheit.
Der Publizist Karl Wilhelm Fricke (*3.09.1929 Hoym) hat mehrere Standardwerke über den Widerstand und staatliche Repressionen in der DDR herausgegeben. Beim Deutschlandfunk war Fricke Redakteur für Ost-West-Angelegenheiten und prägte maßgeblich die politische Sendung „Hintergrund„.
Das Leben des hochbetagten Jubilars wurde maßgeblich durch den Umgang der Sowjetischen Besatzungsmacht mit seinem Vater Karl Oskar Fricke geprägt. Im Alter von sechzehn Jahren mußte er die Verhaftung des Vaters durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD erleben. 1950 wurde dieser im Rahmen der Waldheimer Prozesse zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, wo er 1952 im Zuchthaus Waldheim an den Folgen einer Ruhr- und Grippeepidemie verstarb.
Verweigerung der SED-Gefolgschaft
Geprägt von diesen Erfahrungen weigerte sich der Sohn, in die von der SED gesteuerte Freie Deutsche Jugend einzutreten. Nach dem Abitur hatte er durch sein Verhalten keine Chance auf ein Studium. Kurze Zeit arbeitete Karl Wilhelm Fricke an der Schule, an der schon sein Vater unterrichtet hatte, als Aushilfslehrer für Russisch. Erstmals wurde Fricke durch die Denunziation einer Kollegin am 22. Februar 1949 verhaftet. Der Vorwurf: Er habe sich SED-kritisch geäußert. Ihm gelang es jedoch, aus dem Polizeigewahrsam zu entkommen und über die innerdeutsche Grenze in den Westen zu fliehen.
Nach seiner Flucht studierte er zunächst bis 1953 in Wilhelmshaven an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft Politikwissenschaft, ehe er in West-Berlin an der Freien Universität das Studium fortsetzte und journalistisch zu arbeiten begann. Seine Beiträge für Presse und Rundfunk, in denen er unter anderem Informationen der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit und des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen verarbeitete, widmeten sich vorwiegend der Verfolgung Oppositioneller in der DDR durch deren Justizorgane.
Entführung durch das MfS
Das MfS wurde auf ihn aufmerksam und beobachtete Frickes Publikationen sehr genau. Weil die Staatssicherheit diese als hochgradig schädlich für die DDR einstufte entschied sie schließlich, Fricke in einer geheimen Operation nach Ost-Berlin zu entführen. In bekannter Perfidie setzte das MfS den vermeintlichen Journalisten „Kurt Maurer“ auf Fricke an, indem dieser geplant auf den vorgeblichen von der GESTAPO in ein KZ verbrachten ehemaligen Häftling stieß, der nach der vorbereiteten Legende nach dem Krieg vom NKWD im Speziallager Sachsenhausen inhaftiert worden war. Natürlich interessierte sich Fricke für diese komplexe Biografie und hielt deswegen lose Kontakt mit dem vermeintlichen DDR-Kenner und -Kritiker.
Am 1. April 1955 wurde Fricke von Maurer und dessen Frau in deren Wohnung im Bezirk Schöneberg gelockt. Was der interessierte Gast nicht wußte: In Wirklichkeit hatte das MfS die Wohnung angemietet. Gastfreundlich bot die Ehefrau Fricke ein Glas mit „Scharlachberg-Meisterbrand“ an, in dem sie zuvor Schlaftabletten aufgelöst hatte. Schon bald fühlte sich Fricke unwohl und wollte ein Taxi rufen, verlor aber schnell das Bewusstsein. Danach wurde Fricke nach Ost-Berlin entführt. Er gehörte damit zu mehreren hundert Personen, die das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gewaltsam in die DDR entführte.
Kurt Maurer hatte Fricke zwar nicht über seine eigene Biografie belogen, jedoch seinen Namen verändert: Er hieß in Wirklichkeit Kurt Rittwagen. Das MfS führte Rittwagen/Maurer als Mitarbeiter IM „Fritz“. Fricke selbst, damals gerade 25 Jahre alt, wurde beim MfS unter dem Code-Namen „Student“ geführt. Drei Tage vor der Entführung hatte ein „Hptm. Buchholz“ die dafür entscheidende Einschätzung in einer Aktennotiz des MfS festgehalten:
„Betr: Fricke. Die feindliche Tätigkeit von Fricke besteht darin, dass er durch Personen aus der DDR Unterlagen und Material über führende Funktionäre der Partei, Wirtschaft und Verwaltung erhält. […] Des Weiteren schreibt Fricke Artikel für die westdeutsche Presse. Durch die Festnahme Frickes soll erreicht werden, die Methoden unserer Feinde erkennen zu lernen, mit denen es ihnen teilweise gelungen ist, in den Besitz des oben geschilderten Materials zu kommen.“
Nach DDR-Haft unermüdliche Weiterarbeit an der Aufklärung
Der Entführung folgten 15 Monate lang Verhöre im zentralen Untersuchungsgefängnis des MfS in Berlin-Hohenschönhausen. Karl Wilhelm Fricke war die meiste Zeit in einer Einzelzelle des U-Boots ohne natürliches Licht im Keller des Gebäudes untergebracht. Schließlich verurteilte das Oberste Gericht der DDR Fricke in einem Geheimprozess im Juli 1956 wegen “Kriegs- und Boykotthetze“ zunächst zu 15, dann zu vier Jahren Zuchthaus. Der Entführte mußte seine Haft im Zuchthaus Brandenburg-Görden und in der Sonderhaftanstalt Bautzen II in Einzelhaft verbüßen.
1959 wurde Fricke entlassen und nahm in Hamburg seine Arbeit als freier Journalist und Publizist wieder auf. 1970 wurde er in Köln (bis 1994) leitender Redakteur beim Deutschlandfunk. Das MfS der DDR beobachtete Fricke allerdings weiterhin. So heißt es in einem internen MfS-Papier noch 1985:
Papst für Widerstand und Opposition
„Fricke fungiert beim ‚Deutschlandfunk‘ als Leiter der ‚Ost-West-Redaktion‘. In seinen Beiträgen und Kommentaren verleumdet und entstellt er die politischen Verhältnisse in der DDR (Partei- und Staatsführung, Justiz und Strafvollzug). Seine Bücher über das MfS verfolgen das Ziel, das sozialistische Sicherheitsorgan der DDR international zu diskreditieren.“
Der DDR-Forscher Johannes Kuppe, Schüler von Peter Christian Ludz und später Kollege Frickes beim Deutschlandfunk, nannte Fricke den „Papst für Widerstand und Opposition und Unterdrückung. Fricke hat das Thema Repression in der DDR tatsächlich allein abgedeckt. Was zu sagen war, hat Fricke publiziert.“ Die Bücher des Jubilars gelten heute als Standardwerke in den Bereichen Widerstand und Opposition in der DDR, Strafjustiz und Staatssicherheit.
Fricke war nach dem Ende seiner berufliche Laufbahn u.a. langjähriger Vorsitzender des Beirats der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sowie des Fachbeirates Gesellschaftliche Aufarbeitung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Als Sachverständiger wirkte Fricke in den 90er Jahren in zwei Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages, die die Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland und die Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit behandelten.
Von Burkhart Veigel gestiftet: Karl-Wilhelm-Fricke-Preis
1996 verlieh ihm die Freie Universität Berlin die Ehrendoktorwürde für seine Beiträge zur Geschichte des Widerstandes in der DDR; 2001 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Der Förderverein der Gedenkstätte Berlin‑Hohenschönhausen ehrte den rastlosen Publizisten 2010 mit dem Hohenschönhausen-Preis. Nachdem der Arzt und langjährige Fluchthelfer Burkhart Veigel einen mit 20.000 Euro dotierten Preis für Verdienste um den Widerstand gegen die DDR gestiftet hatte, wurde dieser nach Fricke benannt. Er erhielt diese hohe Auszeichnung, die alljährlich von der Bundesstiftung Aufarbeitung verliehen wird, als erster Preisträger im Juni 2017.
Von dieser Stelle gehen alle guten Wünsche für Gesundheit und Wohlergehen an den Jubilar, verbunden mit dem Dank an einen wirklich Aufrechten, der für seine Überzeugungen das Leid tausender Verfolgter teilte und beispielhaft gegen das Vergessen anschrieb.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil:0176-48061953 (1.473).
Berlin, 10.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (13 -Teil 12 siehe 09.08.2019).
Es wäre unehrlich, eine wie immer geartete Haft als „gut verkraftbar“ hinzustellen. Schließlich brauchte man sich nicht für zu Unrecht eingesperrte Menschen einzusetzen, wenn eine Haft letztlich durch einige Kniffs und Tricks erträglich(er) gestaltet werden könnte. Auch an mir ist diese Zeit keineswegs spurlos vorübergegangen, trotz aller mentalen Vorbereitungen. So haben die neun Monate Einzelhaft im Untersuchungsgefängnis der Stasi in Hohenschönhausen als Beispiel zweifellos bewirkt, dass ich nach dem 1966 erfolgten Freikauf erstmals wieder 2019 in eine Wohnung einzog, die ein „Gegenüber“ hatte. Ich hatte also unbewusst 52 Jahre lang Wohngelegenheiten genutzt, die kein unmittelbares Gegenüber, also keine Einsichtmöglichkeiten in meinen privaten Bereich boten.
Traumatische Erfahrungen in der Kindheit hilfreich
Auf der anderen Seite waren meine, wenn auch an sich traumatischen Erfahrungen aus meiner Kindheit hilfreich beim Überstehen dieser Zeit. So war ich im Alter von vier Jahren in einem dem Evangelischen Johannesstift in Berlin zugeordneten Heim zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Bruder untergebracht. Zu Nikolaus 1948 geriet ich mit meinem Bruder in eine kindliche Auseinandersetzung, nachdem wir im Schlafsaal gemahnt worden waren, im Flüsterton geführte Unterhaltungen einzustellen. Kurze Zeit darauf erschien eine Erzieherin, packte mich, nachdem sie meinen Mund mit einer Binde verschlossen hatte und trug mich aus dem Saal hinunter in den Keller. Dort öffnete sie eine sogen. Luftschutztür, hinter der ein Heizkessel sichtbar wurde. Sie setzte mich auf einem dort stehenden Stuhl ab und schärfte mir ein, mich still zu verhalten. Den auf der anderen Seite des Kessels säße der Nikolaus. Der würde mich, wenn ich mich nicht still verhielte, mitnehmen. Ich käme dann niemals mehr zurück. Dann knallte die Tür zu. Erst am Morgen wurde ich aus dem Verlies befreit. War es da ein Wunder, daß ich noch im Alter von 18 Jahren Herzklopfen hatte, wenn ich durch eine Keller gehen mußte?
Daß ich in einigen der Kinder- und Jugendheime – meine Eltern waren geschieden – eine sogen. Einheits- oder Anstaltskleidung tragen mußte half mir, mit der Gefängniskluft in Hohenschönhausen und später in Bautzen zurecht zu kommen.
„Eure Leiden – unser Auftrag.“ Heute wird in Hohenschönhausen der Opfer des SED-Staates gedacht. – Foto: LyrAg
Die Vernehmungen liefen im erwarteten Rhythmus und Muster ab. Auch hier halfen meine vorbereitenden Kenntnisse. So hatte man mir geraten, mich nicht einer Aussage zu verweigern. Ich solle stattdessen „so ausführlich wie irgend möglich“ Begebenheiten berichten, von denen ich wußte, daß diese bereits öffentlich waren. Damit würde ich keine „feindliche Haltung“ einnehmen, sondern kooperativ wirken. Allerdings sollte ich mir auch stets die Aussagen einprägen, denn die Stasi würde oft noch nach Wochen oder Monaten die gleichen Fragen stellen, um die Antworten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Daher dürfte aber nicht alles wortgleich wiederholt werden, weil dies auf eingeübte Textversionen schließen lassen würde.
Auch das ließ sich relativ gut einarbeiten. Als es z.B. um Treffs mit Mauer-Gegnern in der Bernauer Straße ging, gab ich bei einer solchen Wiederholungsfrage an, nicht mehr ganz sicher zu sein, ob diese Treffs an dieser oder jener Ecke stattgefunden hätten. Dadurch erhielten die Aussagen gesamt eine gewisse Glaubwürdigkeit.
Durch Vernehmungen wurde ein IM entlarvt
Schließlich gelang es mir durch diese vorbereiteten Kenntnisse sogar, einen wahrscheinlichen IM (Informellen Mitarbeiter) der Stasi in West-Berlin zu entlarven. Durch Vernehmungen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass ein mir bekannter Presse-Fotograf, der auch Demonstrationen von mir fotografiert hatte, mögliche Informationen weitergegeben haben könnte. Meine daraufhin detaillierter werdenden Aussagen über Begegnungen mit dieser Person wurden nachdenkenswerter Weise nie hinterfragt. Einzelheiten zu dieser Person interessierten offenbar die über alles neugierige Stasi nicht. Schnell gewann ich den Eindruck, das hier jemand geschützt werden sollte.
Nach meiner Freilassung suchte ich den damalige Geschäftsführer der CDU Berlin. Joachim Kalisch, auf und übermittelte ihm meine Vermutungen über diesen der CDU nahestehenden Fotografen. Kalisch wurde echt blass und sagte mir, dass dieser Mensch vor wenigen Monaten eben unter diesem Verdacht festgenommen worden wäre.
Natürlich blieben auch die Fragen nicht aus, was ich denn für ein Urteil erwarten würde. Allerdings blieb ich eisern, gab die Todesstrafe oder „Lebenslänglich“ an, keinesfalls aber meine erlangten Kenntnisse über mögliche acht Jahre Zuchthaus. Mit Sicherheit hätte die Stasi schon aus optischen Gründen dafür gesorgt, dass ein solches Urteil nicht gefällt werden würde. Schließlich wollte man mich ja von „falschen Vorstellungen“ überzeugen, die durch zuviel Konsumierung von US-Krimis entstanden wären.
Acht Jahre Zuchthaus wurden als Bestätigung empfunden
Als dann am 7. April 1966 nach drei Verhandlungstagen das Urteil anstand, war ich gespannt, ob die Lesart des Kuratoriums Unteilbares Deutschland richtig gewesen war. Der vorsitzende Richter Genrich verlas die Einzelstrafen: Insgesamt zehn Jahre. Dann aber: „Die Einzelstrafen werden zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren zusammengefasst.“ Also doch wieder eine Bestätigung, das dieser Unrechtsstaat über Schubladenurteile verfügte. Manch einer wäre angesichts des Strafmaßes zusammengebrochen. Ich fühlte mich bestätigt. Diese psychologischen Krücken waren ungemein hilfreich, um mit der aktuellen Situation umgehen zu können.
Auch andere Vorkommnisse verhalfen mir dazu, die doch belastende Einzelhaft zu verkraften.
So hatte ich bei einem der eher seltenen Ausgänge im Freikäfig eine Idee. Die Freikäfige waren so groß wie eine Zelle, hatten aber kein Dach. An den Rändern waren Gänge montiert, auf denen das Wachpersonal – erstaunlicherweise bewaffnet – patrouillierte. Im Rundgang war zwar der Schnee geräumt, aber in den Ecken, so zur Zellentür, lagen noch Schneereste. In einem unbeobachteten Moment bückte ich mich und schrieb in den Winkel links von der Tür „Freiheit“.
Kurze Zeit nach meinem Einschluss öffnet sich die Zellentür und ein nicht sehr großer Unteroffizier betrat die Zelle. Aufmerksam registrierte ich, wie der Unteroffizier die Zellentür hinter sich heranzog und verhinderte, das ein Wachtposten, der im Übrigen durch Schikanen aufgefallen war, ebenfalls die Zelle betrat. Es entspann sich folgender Dialog:
„Haben Sie das da draußen geschrieben?“ „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ „Na da draußen, im Freigang.“ „Was soll ich da geschrieben haben?“ „Na, das Wort. In der Ecke, neben der Tür.“ „Was für ein Wort?“
Freiheit: Jeder darf darüber denken, was er will
Ich wollte unbedingt diesen Begriff „Freiheit“ aus seinem Mund hören.
Nach mehreren Versuchen, dem zu entgehen, räumte er schließlich ein: „Na,“ er rollte mit den Augen, „Freiheit.“ „Ach so,“ erwiderte ich, „Freiheit. Das meinen Sie. Ja, das habe ich geschrieben,“ gab ich zu.
Dann die interessante Belehrung: „Jeder kann über diesen Begriff denken, was er will. Aber bitte lassen Sie in Zukunft solche Schreibereien. Das könnte großen Ärger verursachen. Sie dürfen da draußen keine Beschriftungen, welche auch immer, hinterlassen.“ Dann verließ der kleinwüchsige, aber aus dem gewohnten Rahmen fallende Uniformierte die Zelle.
Wenige Wochen später sah ich ihn noch einmal. Ich hatte in einer Nacht zum Sonntag echte gesundheitliche Probleme bekommen, konnte nicht mehr flach auf dem Bett liegen, ohne dass ich heftige Dreh- und Schwindelanfälle bekam. Ich klopfte an die Tür, und schließlich wurden zwei Sanitäter in die Zelle beordert. Diese gaben mir einige Tabletten zur „kurzfristigen regelmäßigen Einnahme nach Bedarf.“
In der Folge setzte bereits in der Nacht heftiger Stuhldrang ein. Nach wenigen Stunden ließ ich aus dem Darm nur noch Wasser ab. Das alles erschöpfte mich derart, daß ich mich am folgenden Sonntag auf das Bett setzte und mit den Armen auf den aufgestapelten Matratzen abstützte, was verboten war. Man durfte tagsüber nur auf dem Schemel am Tisch sitzen. An diesem Sonntag hatte ein Soldat Dienst, der darüber offenbar sehr frustriert war. Jedenfalls hämmerte er mehrfach bei seinen Rundgängen auch an meine Zellentür und forderte mich lautstark auf, mich „anständig“ hinzusetzen. Schließlich riss er sogar die Essenklappe auf und herrschte mich an. Aber auch darauf reagierte ich mit dem Hinweis, das es mir nicht gut ginge und in der Nacht auch schon Sanitäter bei mir waren.
Längere Zeit war nichts zu hören, da die in den Gängen ausgelegten Teppiche jeden Tritt verschluckten. Schließlich rasselten die bekannten Zellen-Schlüssel in einer Durchgangstüre am Ende des Zellenganges. Meine Erwartung, dass dies mich betreffen würde, traf zu. Die Zellentür wurde aufgeschlossen und herein kam der mir bereits bekannte Unteroffizier. Wieder zog er die Zellentür hinter sich zu, sodaß der Frustrierte vor der Tür bleiben mußte.
„Was ist hier los? Warum setzen Sie sich nicht ordentlich hin?“
Ich klärte den Uffz über die vergangene Nacht auf und beschrieb meine Schwierigkeiten, mit dem offenbaren Missmut eines Soldaten über dessen Sonntagsdienst umzugehen. „Schließlich können wir Gefangenen nichts dafür, das Ihr Kollege hier Wache schieben muß.“ Außerdem würde ich nicht begreifen, was daran unanständig sein soll, wenn ich auf dem Bett säße, und meine Arme aufstützen würde.
„Sie wissen aber, dass dies verboten ist?“ „Unanständiges Sitzen könne ja verboten sein. Aber was ist an meinem Sitzen, Sie können mich ja genau betrachten, unanständig?“
„Geben Sie sich einfach Mühe, den Anordnungen zu folgen,“ sagte der Uffz schließlich nach längerer Debatte über die gegenseitigen Argumente und verließ ruhigen Schrittes die Zelle. Den frustrierten Wachtposten hatte ich seither nicht mehr gesehen, den Unteroffizier allerdings auch nicht mehr.
Im Ergebnis aber begriff ich wieder einmal etwas mehr, warum es in den schlimmsten Diktaturen immer wieder Ereignisse gab, die den Gefangenen Mut machten. Dass es Menschen gab, die in den Diensten dieser Diktaturen standen und trotzdem bemüht waren, so weit als möglich, oft sogar unter Lebensgefahr, menschlich zu bleiben. Meine Hoffnung nach dem Mauerfall, mich eines Tages bei diesem Unteroffizier stellvertretend bedanken zu können, hatte leider keinen Erfolg; ein seinerzeitiger Aufruf über eine Pressekonferenz von 1992 der Organisation HELP, deren Präsident ich bis 1993 war, blieb ergebnislos.
-Wird fortgesetzt-
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.456)
Berlin, 23.06.2019/cw – Nach dem Skandal um die Abberufung des langjährigen Direktors der Gedenkstätte. Hubertus Knabe, startet die Gedenkstätte offensichtlich wieder durch. Am 17. Juni war die Berufung des Abteilungsleiters in der BStU, Helge Heidemeyer (56), als Knabe-Nachfolger bekannt geworden. Er soll sein neues Amt im Herbst 2019 antreten.
Am Sonntag, 7. Juli, gibt der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann im Rahmen eines TAGES DER OFFENEN TÜR (10:00 – 17:00 Uhr) live ein Open-Air-Konzert (14:00 -15:00 Uhr), anschließend spricht er mit Marianne Birthler, der ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, über seine Erfahrungen in der DDR. Birthler hatte an der Abberufung von Hubertus Knabe mitgewirkt und kurzfristig die Führung der Gedenkstätte übernommen.
Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (Genslerstr. 66) wurde 1994 begründet und befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR im Berliner Bezirk Lichtenberg. Das ursprünglich sowjetische Gefängnis wurde 1951 an die Geheimpolizei der DDR übergeben.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 0176-48061953 (1.424).
Berlin, 03.03.2019/cw – Dieter Dombrowski sei „eine Schlüsselfigur im CDU-internen Streit um Hubertus Knabe,“ schreibt Elmar Schütze am 28.Februar (22:06 Uhr) in einem Beitrag über eine CDU-Veranstaltung in Charlottenburg. Der Korrespondent gibt damit einen auch in der UOKG verbreiteten Eindruck wieder, ohne diesen näher zu begründen. Gleichwohl beschreibt dies wohl am Ehesten den Verlauf des Abends im Bürgerbüro des CDU-Abgeordneten Andreas Statzkowski, dessen Einladung immerhin 17 Interessenten, vornehmlich Mitglieder der CDU, am vergangenen Mittwoch gefolgt waren. Denn der Abend lief nicht nur am Thema „Der Umgang mit den Opferverbänden“ vorbei, auch die Antworten auf teils sehr kritische Fragen an Dombrowski blieben eher im Ungefähren und ließen Konkretes vermissen.

So lag wohl ein Beitrag ziemlich zentral, in dem Dombrowski und der CDU vorgeworfen wurde, daß nicht die kritische Würdigung der Vorgänge in Hohenschönhausen Unruhe ausgelöst hätten, sondern die offenbaren Widersprüche, die immer offener zutage getreten seien. So habe man Knabe einerseits vorgeworfen, seiner „gegebenen personellen Verantwortung nicht nachgekommen zu sein,“ um ihm andererseits vorzuwerfen, er habe seine „nicht vorhandenen personellen Kompetenzen mit der Beurlaubung und Entlassung seines Stellvertreters überschritten.“ Auch dem Vorwurf, Knabe sei trotz der Vorhaltungen gegen seinen Stellvertreter nicht aktiv geworden, stimme nicht mit Knabes Vereinbarung mit dem Personalrat überein, die künftig derlei Attacken gegen Beschäftigte ausschließen sollte.

Frauenfeind Bushido kann sich als Künstler frei äußern
Den gleichen Vorwurf erhob eine Frau, die sich als ehemalige Hoheneckerin (Frauenzuchthaus in der DDR) vorstellte. Wie vereinbare sich denn Dombrowskis geäußerter Ekel vor dem Umgang mit beschäftigten Frauen in Hohenschönhausen mit dem seinerzeitigen Auftritt des Rappers Bushido ausgerechnet im Menschenrechtszentrum Cottbus? Dombrowski habe seinerzeit dessen Auftritt verteidigt und sich sogar mit dem Rapper ablichten lassen, obwohl dieser bekannt sei für seine „ekelerregenden Auslassungen über Frauen, die man hier aus Anstand nicht einmal erwähnen könne.“ Hätte Dombrowski, so die Frage, nach seiner eigenen Beurteilung der Vorgänge in HSH „nicht schon längst auch seinen Hut nehmen müssen?“
Dieter Dombrowski blieb den Beweis seiner jahrzehntelangen Erfahrung als CDU-Politiker, derzeit Vizepräsident des Landtages von Brandenburg, im Umgang mit Kritik nicht schuldig: Die Vorwürfe prallten glatt ab. Bushido sei ein Künstler, und denen gebe man keine Verhaltensvorschriften, diese könnten sich frei äußern. Auf den nachgefragten Schulterschluss mit dem bekennenden Frauenfeind ging Dombrowski nicht ein. Die Frage nach Vorgängen im Landtag von Brandenburg um dubiose Abrechnungen im Zuständigkeitsbereich der Landtagspräsidentin und dort unterbliebene personelle Konsequenzen wurde erst gar nicht beantwortet. Dombrowski hatte mögliche strafrechtliche Ermittlungen „wegen Betruges“ durch die Zahlung einer Geldauflage verhindert.
Unterlassung angedroht: Keine Koalition, lediglich Zusammenarbeit
Etwas heftiger wurde es an dem Abend dann doch, als Dombrowski der ehemaligen Bürgerrechtlerin und CDU-Parteifreundin Angelika Barbe gar eine Unterlassung androhte. Barbe hatte zu den Widersprüchen angeführt, dass Dombrowski zu gleicher Zeit der Vorgänge in Hohenschönhausen in Interviews eine „Koalition mit der SED-LINKE“ befürwortet habe. Der CDU-Politiker widersprach dem vehement, weil er sich „lediglich für eine Zusammenarbeit“, nicht für eine Koalition ausgesprochen habe. Im Übrigen könne man Menschen, „die beim Mauerfall gerade einmal 14 Jahre alt waren, keine Mittäterschaft an den SED-Verbrechen unterstellen.“ Er, Dombrowski, spreche mit allen im Landtag vertretenen Parteien, ob dies die AfD oder die LINKE sei. Auf den nachgehenden Vorhalt, warum man dies den „jungen“ Mitgliedern der Linken attestiere, aber jüngeren Mitgliedern der AfD zum Beispiel „Neo-Nazismus“ und die Verherrlichung der Nazi-Verbrechen unterstelle, ging der eloquente CDU-Politiker nicht näher ein.
Breites Grinsen zur Patenschaft des Kommunisten Wilhelm Pieck
So passte denn auch die Anführung der einstigen Patenschaft des DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck für Dieter Dombrowski durch Andreas Statzkowski in die Widersprüchlichkeiten dieses Abends. Früher hätte sich ein ehemaliger politischer Häftling zumindest verbal davon distanziert, weil eine solche Patenschaft peinlich gewirkt hätte. Heute genügt für die Akzeptanz ein breites Grinsen und zustimmendes Kopfnicken, um die Ankunft in der Realität der Nach-DDR-Ära zu unterstreichen. Der aktuelle Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) braucht offenbar nicht mehr allzu viel Rücksichten auf die Befindlichkeiten seiner zumindest satzungsgemäßen Klientel zu nehmen. Insofern kommt diesem CDU-Politiker in seiner Partei wohl eine eingangs von Elmar Schütze beschriebene Schlüsselstellung in der Auseinandersetzung um die Aufarbeitung der Vorgänge in Hohenschönhausen durchaus zu.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607966 (1.384).
Berlin, 24.02.2019/cw – „Die Ereignisse um die Entlassung des Direktors der Stasi-Opfergedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, haben Wellen geschlagen. Aber viele Fragen bleiben offen.“ So beginnt der Einladungstext zu einer Veranstaltung der CDU-Charlottenburg am kommenden Mittwoch, 27. Februar, 19:00 Uhr im Bürgerbüro von Andreas Statzkowski, MdA, Fredericiastr. 9a in 14050 Berlin-Charlottenburg.
Zu dem Gespräch hat Statzkowski seinen Brandenburger Parteifreund Dieter Dombrowski (MdL Brandenburg) eingeladen, der als Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft (UOKG) und Mitglied im Stiftungsrat der Gedenkstätte der Entlassung von Hubertus Knabe nicht widersprochen sondern ausdrücklich zugestimmt hat. Dombrowski sah sich in der Folge heftiger Kritik auch aus den Reihen der UOKG ausgesetzt. Selbst sein Stellvertreter in der UOKG, Roland Lange, hatte ihm auf der aus diesem Grund eigens einberufenen außerordentlichen Mitgliederversammlung im vergangenen November vorgeworfen, sein Votum ohne Rücksprache mit dem Vorstand abgegeben zu haben. Lange hatte vorgetragen, daß Dombrowski „auch ein eigenes Votum“ hätte abgeben können.
Zusammenarbeit CDU/LINKE
Dombrowski, bekannt für seine kontroversen politischen Kapriolen, hatte überdies fast zeitgleich mit den Auseinandersetzungen in Hohenschönhausen in Interviews eine Zusammenarbeit der CDU mit der SED-Partei, die jetzt als DIE LINKE firmiert, nach der nächsten Wahl in Brandenburg nicht ausgeschlossen.
Auch die CDU in Berlin hat gegenwärtig heftige Probleme in Sachen Hohenschönhausen. So hatte die amtierende Landesvorsitzende und Staatsministerin im Kanzleramt, Monika Grütters, im engen Schulterschluss mit dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer (LINKE) der Entlassung des verdienten Historikers als Gedenkstättenleiter ohne Wenn und Aber zugestimmt. Diese Haltung brachte die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus jüngst in die Bredouille, weil Mitglieder der Fraktion dem FDP-Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Klärung der Vorgänge in HSH zustimmen wollten, während Fraktionschef Burkard Dregger mit Rücksicht auf die Landeschefin ein solches Votum vermeiden wollte. Dregger, Sohn des berühmten konservativen CDU-Politikers Alfred Dregger (Hessen), zögert zum Bedauern vieler Sympathisanten, seinem Vater durch das Aufzeigen „klarer Kanten“ nachzueifern und so ein eigenes unnachahmliches Profil zu entwickeln.
Die angekündigte Veranstaltung dürfte also einigen politischen Sprengstoff bergen, wenn sich vor allem Dieter Dombrowski den zu erwartenden unangenehmen Fragen stellen wird. Andreas Statzkowski hingegen verdient schon jetzt ein Lob für seine Initiative, unangenehme Themen auch in der CDU öffentlich diskutieren zu lassen.
Anmeldungen zu der Veranstaltung unter info@andreas-statzkowski.de oder unter der Rufnummer 644 407 00.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607966 (1.382).
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