Berlin, 11.11.2018/cw – „Wie schon im Fall Hubertus Knabe agiert die aktuelle Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) auch bei der Kritik an der Grenztoten-Studie vorschnell und zumindest unglücklich. Die Kritik an der Arbeit des Forschungsverbundes ist wenig überzeugend und getrieben von der Konkurrenz um Forschungsmittel. Um die Sache geht es offensichtlich weniger.“ So der leitende Redakteur Geschichte, Sven Felix Kellerhoff, in DIE WELT (7.11.2018) in seiner Kritik an den jüngsten Auseinandersetzungen um die reale Anzahl der Mauertoten. Der Forschungsverbund SED-Staat hatte 2017 eine Studie vorgelegt, in der 327 Tote an der innerdeutschen Grenze dokumentiert worden waren.

Nach einem Bericht des Senders RBB waren 50 der 327 Toten zum großen Teil Täter, also keine Grenzopfer. Die Staatsministerin hat nach der jüngsten Kritik den Bericht von der Internetseite nehmen lassen, um eine nochmalig Prüfung vornehmen zu lassen. 2017 hatte die Stellungnahme von Monika Grütters zu der jetzt kritisierten Studie noch anders geklungen: „Die Erinnerung an die Schrecken des Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufrechtzuerhalten ist ein zentrales Anliegen bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur.“ (DIE WELT, 07.06.2017).

Scharfe Kritik von der UOKG

Zu den schärfsten Kritikern der Studie gehört mittlerweile der Historiker Christian Sachse vom Dachverband der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), der in den vergangenen Jahren durch eigene Studien, zum Beispiel zur Zwangsarbeit von politischen Häftlingen für den schwedischen Möbelkonzern IKEA und für die Reichsbahn bekannt wurde. Sachse war allerdings um 2006 im Unfrieden aus dem Forschungsverbund ausgeschieden.

So erhob Sachse seitens der UOKG in der rbb-Sendung sogar Manipulationsvorwürfe gegen den Forschungsverbund: „Wenn Täter zu Opfern gemacht werden, dann ist das eine Verhöhnung der Opfer.“ Der Verbands-Historiker bezog sich in seiner Kritik auf den in Moskau hingerichteten ehemaligen DDR-Polizisten Walter Monien, der 1951 die Flucht in den Westen plante und von einem MfS-Informanten verraten wurde: „Den Fall des SS-Mannes Monien kann ich nur als gewollte Manipulation verstehen,“ so Sachse.

Dagegen stellt der Forschungsverbund in einer Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen, die von Prof. Dr. Klaus Schroeder und Dr. Jochen Staadt unterzeichnet ist, fest, dass der rbb-Bericht „gezielte Auslassungen wichtiger Zusammenhänge und Falschbehauptungen“ enthalte.

So habe die Moderatorin Gabi Probst wichtige Tatsachen zu Walter Monien verschwiegen, obwohl ihr diese bekannt gewesen seien. Der Forschungsverbund hatte sich  bei der Einbeziehung Moniens als „Teilungsopfer“ auf den  biografischen Eintrag und die seinerzeitige Urteilsbegründung in der Dokumentation „Erschossen in Moskau – Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953“ (3. Auflage 2008) bezogen. Dieser Dokumentation ist zu entnehmen, dass Walter Monien von der Russischen Militärstaatsanwaltschaft am 15. Februar 1999 rehabilitiert wurde. Der Forschungsverbund: „Die russischen Militärstaatsanwälte gingen 1999 mit den von stalinistischen Geheimpolizisten erzwungenen Aussagen Moniens wesentlich quellenkritischer um als der rbb in seinem Bericht. Völlig unkritisch verbreitet die öffentlich-rechtliche Anstalt die nach stalinistischen Verhörmethoden zustande gekommenen Aussagen Moniens eins zu eins in ihrer Sendung.“

Das Totenbuch wurde von Memorial Moskau, dem Forschungsinstitut Facts&Files und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben.

Forschungsverbund: Seitens der UOKG gab es 2012 keine Kritik

Schröder und Staadt weisen in ihrer Stellungnahme auch darauf hin, dass Staadt auf dem Verbändetreffen der UOKG vom 17. November 2012 das Forschungsprojekt zu den Todesopfern des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze vorgestellt habe. Dabei war „insbesondere die sensible Fallgruppe der „Suizide im Grenzdienst““ ausführlich erläutert worden. Der auf der Veranstaltung anwesende und nun als Kritiker im rbb präsentierte Dr. Christian Sachse „meldete sich in der Diskussion über die Todesfallgruppe nicht zu Wort und erhob auch im Nachgang des Verbändetreffens ebenso wie andere Mitglieder der UOKG dagegen keine Einwände.“

Nach Felix Kellerhoff dürfte der Hintergrund des jetzigen Streites und der Kritik der UOKG eher sein, „dass vor wenigen Monaten der Forschungsverbund SED-Staat vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Geld für eine Anschlussstudie zu den deutschen Opfern der Grenze zur Ostsee hin und der nichtdeutschen Außengrenzen des Warschauer Paktes bekommen hat“.

Nach Meinung von Insidern spricht einiges für diese Wertung des angesehenen WELT-Journalisten. In der UOKG werde mit „viel Aufwand um weitere Finanzierungsmittel“ gerungen. Dabei komme es wohl „nicht immer auf die gebotene Sorgfalt und Seriosität“ an. So habe der Vorsitzende im letzten Jahr eine Stiftung „Haftzwangsarbeit“ ins Leben gerufen, deren Eintragung beinahe an der notwendigen aber zunächst ausgebliebenen Startfinanzierung gescheitert wäre. Zwar sei im Frühjahr die Eintragung nach einem Geldmitteleingang (dem Registergericht war eine Zahlung von IKEA über 50.000 Euro avisiert worden) erfolgt, die Stiftung komme allerdings nicht in Schwung, weil „angestrebte Finanzierungen durch die öffentliche Hand“ ausgeblieben seien. Zu den Gründungsmitgliedern gehören neben dem Vorsitzenden Dieter Dombrowski (CDU) Hildigund Neubert (CDU) und Dr. Christian Sachse.

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