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Adenauer: Freiheitswillen des Deutschen Volkes
Von Eberhart Diepgen*
Berlin, 17. Juni – Die westlichen Besatzungsmächte und die Bonner Parteien waren darauf bedacht, jede Verschärfung der Lage zu vermeiden. So wurde Ost-Berliner Bauarbeitern die Erlaubnis verweigert, über den Rundfunk aus den Westsektoren Berlins zu ihren Landsleuten zu sprechen. Französische Militärpolizei versuchte, die Hennigsdorfer Stahlarbeiter am Marsch durch den französischen Sektor zu hindern und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, wurde eine Militärmaschine verweigert, mit der er aus Wien rechtzeitig nach Berlin zurückkehren wollte. Eine Aufforderung Reuters an sowjetische Soldaten, nicht auf deutsche Arbeiter zu schießen, wurde damit nicht ausgestrahlt.
Folgt man den Geschichtsbüchern, so gab es in der allgemeinen westlichen Zurückhaltung nur eine Ausnahme. Ernst Scharnowski, West-Berliner Gewerkschaftsführer, riet der Bevölkerung der damaligen SBZ „überall Strausberger Plätze – das war ein Ausgangspunkt des Protestes an der Stalinallee – aufzusuchen“. Das stieß bei Regierung und Opposition in Bonn auf heftige Missbilligung. Gleichzeitig stellte Konrad Adenauer aber auch fest, die Demonstrationen seien „zu einer großen Bekundung des Freiheitswillens des DEUTSCHEN VOLKES geworden; eine tiefgreifende Veränderung der Lebensverhältnisse könne „nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit“ erreicht werden.
Die Männer und Frauen des 17. Juni hatten bei dieser politischen Konstellation nie eine richtige Chance. Die Sowjets nahmen die Zügel in die Hand, erklärten den Ausnahmezustand und unterdrückten jeden Widerstand. Es ist sicher müßig, über die genauen Zahlen der Todesopfer zu streiten. Es waren mehrere hundert,. Wichtig für das deutsch-russische Verhältnis ist dabei die viel zu wenig beachtete Tatsache, dass sowjetische Soldaten sich weigerten, auf deutsche Arbeiter, ihre Genossen, zu schießen. Auch sie wurden hingerichtet, auch nach Stalins Tod kannte das sowjetische System kein Pardon.
Aber war deswegen alles umsonst, der 17. Juni ein Tag der Niederlage und deswegen ein so schwerer Feiertag? – Nein, die Tage im Juni 1953 hatten tiefgreifende und langfristige Folgen.
Der Volksaufstand wurde zum Trauma des Systems. Es reagierte mit einem harten und unmenschlichen Strafgericht. Die Verhaftungswellen rollten. Aber gleichzeitig gab es ökonomische Zugeständnisse. Der 17. Juni saß allen im Nacken. Nicht selten kann man die These lesen, das Prinzip der Ära Honecker, über die eigene Verhältnisse zu leben, habe in den Erfahrungen dieser Wochen seine Wurzeln. In ihren Büchern über die „Wende“ 1989 zitieren SED-Größen Erich Mielke mit der bezeichnenden Frage: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“
Die gesellschaftliche Entwicklung der DDR wurde durch den 17. Juni entscheidend mitbestimmt. Paradoxerweise allerdings wesentlich durch die Enttäuschung über das Verhalten des Westens. Das Ausbleiben entschiedener Reaktionen führte zur Resignation, eine Entwicklung, die nach den Aufständen in Ungarn und Polen und nach dem Bau der Mauer noch weiter verstärkt wurde. Was blieb den „Untertanen“ nach der bitteren Lektion, dass hinter der SED die sowjetische Militärmaschinerie steht? Viele suchten sich nun anzupassen, angemessen zu überleben, Nischen zu finden oder zunächst blieb ja auch noch die Flucht. Tatsächlich ist es ja dann bis zur sogenannten Wende nicht mehr zu Demonstrationen, Streiks, Unruhen größeren Ausmaßes gekommen. Erst Gorbatschow hat wieder Mut und Hoffnung gebracht.
Den 17. Juni als Feiertag abzuschaffen, hielt ich zunächst für einen Fehler. War das nicht geschichtslos? Warum einen neuen Tag der deutschen Einheit? Inzwischen bin ich unsicher geworden. Mit der deutschen Nation haben wir Deutschen immer noch unsere Probleme. Die einen verstecken sich hinter der Globalisierung und der Idee e i n e s europäischen Staates, die anderen sind im Regionalismus der deutschen Geschichte verfangen und können sich durchaus viele deutsche Teilstaaten vorstellen, bei wieder anderen müsste sich das schlechte Gewissen bemerkbar machen, wollten sie doch auf die eine deutsche Staatsbürgerschaft verzichten oder gar die DDR noch einmal für einen „richtigen“ Sozialismus nutzen. Hatte der 17. Juni durch zuviel schlechtes Gewissen zu wenig Lobby ? In der Politik wegen der „Dulles-Doktrin“ der Abgrenzung der Ost-West-Einflussspären, bei den Intellektuellen, weil sie die Arbeiterschaft am 17. Juni allein gelassen haben.
Zu viel Fragen für eine „Tag der deutschen Einheit“, an dem die Deutschen doch einen Glücksfall der Geschichte feiern sollten – so wie andere Völker ihre nationalen Feiertage. Es war schon verständlich, mit dem 3. Oktober einen neuen Versuch zu unternehmen, hoffentlich bald ohne den Wanderzirkus der offiziellen Veranstaltungen von Bundesland zu Bundesland.
Aber damit darf der 17. Juni nicht aus der deutsche Geschichte gedrängt werden. An diesem Tag gab es für die ganze deutsche Nation ein Signal für die Freiheit. Fast 20 Jahre nach dem Attentatsversuch gegen Hitler meldete sich ein Deutschland, das an demokratische Entwicklungen anknüpfen und jedem totalitärem System eine Absage erteilen wollte. Und es war der erste Aufstand gegen das aus Moskau gesteuerte kommunistisch-totalitäre System im Nachkriegseuropa. Es gibt nicht nur das historische Bindeglied zum 20. Juli in der deutschen Geschichte. In der europäischen Freiheitsbewegung nach 1945 folgten die Ereignisse in Ungarn und Polen 1956 und 1958, es folgte 1968 der Prager Frühling und die brutale Niederschlagung durch Truppen des Warschauer Paktes, der Kampf der Solidarnosc bis zum Fall der Mauer im November 1989. Das alles ist ein Teil der europäischen Geschichte in der zweiten Hälfte des gerade abgeschlossenen Jahrhunderts und wichtig bei der Definition der gemeinsamen Ideen und Geschichte des zusammenwachsenden Europas. Das Bewusstsein eines gemeinsamen Kampfes um Freiheit über die Demarkationslinien des Kalten Krieges hinweg kann für Europa mehr bewirken als der Streit um ökonomische Grunddaten. Vielleicht wird es doch noch – Anlass der besondere Jahrestag des ersten Volksaufstandes gegen kommunistische Verblendungen in der Mitte Europas – eine zusammenfassende Ausstellung aller europäische Freiheitsbewegungen dieser Zeit geben. Die Geschichte eines Volkes ist durch Höhen und Tiefen gekennzeichnet. Die Männer und Frauen des 17. Juni haben mit ihrem Einsatz ein Beispiel dafür gegeben, das auch Deutsche erhobenen Hauptes mit dieser Erkenntnis leben können.
* Der Autor war Regierender Bürgermeister von Berlin und ist 2017 in den Beirat der Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V. berufen worden. Vorstehenden Beitrag schrieb Diepgen für die Schrift „Spurensuche – Helden der Menschlichkeit“ (Carl-Wolfgang Holzapfel, Amper-Verlag), die die Vereinigung zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes 2003 editierte. Teil I wurde am Vortag veröffentlicht.
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Berlin, 23.09.2015/cw – Uns erreichen immer wieder Anfragen zu Geschehnissen und Hintergründen historischer Ereignisse. Wir haben uns entschlossen, diese Anfragen, soweit diese von allgemeinem Interesse sein könnten, in loser Reihenfolge im Rahmen eines „aktuellen LEXIKON“ zu beantworten.
Frage: „Den 17. Juni kenne ich vom „Hören und Sagen“, da ich 1961 geboren bin…. .
Dass dieser Tag schon vor 1990 als „Tag der Deutschen Einheit“ bezeichnet wurde war mir neu. Ich habe dazu keine klaren Informationen gefunden.“ H.B., Dornburg
ANTWORT:
Der ursprüngliche „Tag der Deutschen Einheit“ geht auf den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der einstige DDR zurück. Es handelte sich um den ersten Aufstand gegen ein kommunistisches Regime in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Folge waren Aufstände in Posen (Polen) im Sommer 1956, in Ungarn im Herbst 1956 und der Widerstand in der CSSR 1968. Auch die Bewegung der Solidarność in Polen war eine indirekte Folge.
Herbert Wehner (SPD), einst selbst Kommunist und in Moskau im Exil, beantragte 1953 zur Erinnerung an den Aufstand ein Gedenktag an den Aufstand als „Tag der Deutschen Einheit“,
der so mit großer Zustimmung durch den Deutschen Bundestag beschlossen und 1954 erstmals als gesetzlicher Feiertag begangen wurde.
Infolge der eingeleiteten Politik des „Wandels durch Annäherung“ geriet auch dieser Feiertag in die Riege der politisch ungeliebten Erinnerungen. So wurden Mitte der sechziger Jahre die alljährlichen Kundgebungen vor dem Rathaus Schöneberg in West-Berlin abgesagt (Politische Begründung: Kein Interesse in der Bevölkerung), die übrigen Gedenkfeiern verkamen zunehmend zu einem Ritual mit abnehmender innerer Beteiligung der jeweiligen Akteure.
Nach dem Mauerfall hatte unsere Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. bereits im Dezember 1989 angeregt, den 9. November zum „Nationalen Gedenktag“ zu machen, da sich in diesem Datum eine unglaubliche Kette wichtiger historischer, freudevoller wie trauriger Ereignisse wiederspiegelte:
1848 die Ermordung des Mitgliedes der Paulskirchen-Versammlung, Bodo Blum in Wien; 1918 die (gleich zweimalige) Ausrufung der Republik (Liebknecht und Scheidemann); 1923 die erfolgreiche Niederschlagung des Hitler-Putsches in München; 1938 die berüchtigte „Reichskristallnacht“ und ein Tag zuvor das missglückte Attentat auf Hitler (Bürgerbräukeller in München); 1989 schließlich der Fall der Mauer.
Wir wären bereit gewesen, zugunsten dieses einmaligen Datums auf „unseren“ 17. Juni als arbeitsfreien Gedenktag zu verzichten. Leider entschloss sich die damalige Politik, den 17. Juni durch den 3. Oktober zu ersetzen. Einzige Grundlage: Das Inkrafttreten des Vertrages über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.
Seither vertreten wir die Auffassung, das einem „Gedenktag nach Aktenlage“ die notwendige innere Beteiligung, also eine Identifikation des Volkes abgeht. Der 9. November hingegen hätte alle Kriterien, ein Gedenktag „aller Deutschen “ zu werden. Hier können sich LINKS und RECHTS (im Sinne von konservativ) und die MITTE wiederfinden, eine grundsätzliche Voraussetzung für einen Nationalen Gedenktag (siehe Frankreich „Sturm auf die Bastille“ oder auch die USA mit ihrem „4.Juli“, um die bekanntesten Beispiele anzuführen).
Natürlich bleibt für uns der 17. Juni der herausragende Gedenktag an den ersten Aufstand im Nachkriegseuropa. Das tangiert keineswegs die überragende Bedeutung des 9. November in der deutschen Geschichte. Daher setzen wir uns weiterhin für diesen Gedenktag am 9. November und die Revidierung des „Gedenktages nach Aktenlage“ am 3. Oktober ein.
Einen ersten Erfolg sehen wir in der Verwendung dieses Begriffes („…nach Aktenlage“) vor ca. drei Jahren im Deutschen Bundestag durch den GRÜNEN-Abgeordneten Schulz, der sich in seinem Beitrag ebenfalls für den 9. November als Gedenktag einsetzte. Eine gute Idee braucht Zeit, um sich durchzusetzen. Unterzeichneter hat 28 Jahre aktiv gegen die Mauer gekämpft und den 9. November 1989 erleben dürfen… (1.033)
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