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Berlin, 10.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (13 -Teil 12 siehe 09.08.2019).

Es wäre unehrlich, eine wie immer geartete Haft als „gut verkraftbar“ hinzustellen. Schließlich brauchte man sich nicht für zu Unrecht eingesperrte Menschen einzusetzen, wenn eine Haft letztlich durch einige Kniffs und Tricks erträglich(er) gestaltet werden könnte. Auch an mir ist diese Zeit keineswegs spurlos vorübergegangen, trotz aller mentalen Vorbereitungen. So haben die neun Monate Einzelhaft im Untersuchungsgefängnis der Stasi in Hohenschönhausen als Beispiel zweifellos bewirkt, dass ich nach dem 1966 erfolgten Freikauf erstmals wieder 2019 in eine Wohnung einzog, die ein „Gegenüber“ hatte. Ich hatte also unbewusst 52 Jahre lang Wohngelegenheiten genutzt, die kein unmittelbares Gegenüber, also keine Einsichtmöglichkeiten in meinen privaten Bereich boten.

Traumatische Erfahrungen in der Kindheit hilfreich

Auf der anderen Seite waren meine, wenn auch an sich traumatischen Erfahrungen aus meiner Kindheit hilfreich beim Überstehen dieser Zeit. So war ich im Alter von vier Jahren in einem dem Evangelischen Johannesstift in Berlin zugeordneten Heim zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Bruder untergebracht. Zu Nikolaus 1948 geriet ich mit meinem Bruder in eine kindliche Auseinandersetzung, nachdem wir im Schlafsaal gemahnt worden waren, im Flüsterton geführte Unterhaltungen einzustellen. Kurze Zeit darauf erschien eine Erzieherin, packte mich, nachdem sie meinen Mund mit einer Binde verschlossen hatte und trug mich aus dem Saal hinunter in den Keller. Dort öffnete sie eine sogen. Luftschutztür, hinter der ein Heizkessel sichtbar wurde. Sie setzte mich auf einem dort stehenden Stuhl ab und schärfte mir ein, mich still zu verhalten. Den auf der anderen Seite des Kessels säße der Nikolaus. Der würde mich, wenn ich mich nicht still verhielte, mitnehmen. Ich käme dann niemals mehr zurück. Dann knallte die Tür zu. Erst am Morgen wurde ich aus dem Verlies befreit. War es da ein Wunder, daß ich noch im Alter von 18 Jahren Herzklopfen hatte, wenn ich durch eine Keller gehen mußte?

Daß ich in einigen der Kinder- und Jugendheime – meine Eltern waren geschieden – eine sogen. Einheits- oder Anstaltskleidung tragen mußte half mir, mit der Gefängniskluft in Hohenschönhausen und später in Bautzen zurecht zu kommen.


„Eure Leiden – unser Auftrag.“ Heute wird in Hohenschönhausen der Opfer des SED-Staates gedacht. – Foto: LyrAg

Die Vernehmungen liefen im erwarteten Rhythmus und Muster ab. Auch hier halfen meine vorbereitenden Kenntnisse. So hatte man mir geraten, mich nicht einer Aussage zu verweigern. Ich solle stattdessen „so ausführlich wie irgend möglich“ Begebenheiten berichten, von denen ich wußte, daß diese bereits öffentlich waren. Damit würde ich keine „feindliche Haltung“ einnehmen, sondern kooperativ wirken. Allerdings sollte ich mir auch stets die Aussagen einprägen, denn die Stasi würde oft noch nach Wochen oder Monaten die gleichen Fragen stellen, um die Antworten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Daher dürfte aber nicht alles wortgleich wiederholt werden, weil dies auf eingeübte Textversionen schließen lassen würde.

Auch das ließ sich relativ gut einarbeiten. Als es z.B. um Treffs mit Mauer-Gegnern in der Bernauer Straße ging, gab ich bei einer solchen Wiederholungsfrage an, nicht mehr ganz sicher zu sein, ob diese Treffs an dieser oder jener Ecke stattgefunden hätten. Dadurch erhielten die Aussagen gesamt eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Durch Vernehmungen wurde ein IM entlarvt

Schließlich gelang es mir durch diese vorbereiteten Kenntnisse sogar, einen wahrscheinlichen IM (Informellen Mitarbeiter) der Stasi in West-Berlin zu entlarven. Durch Vernehmungen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass ein mir bekannter Presse-Fotograf, der auch Demonstrationen von mir fotografiert hatte, mögliche Informationen weitergegeben haben könnte. Meine daraufhin detaillierter werdenden Aussagen über Begegnungen mit dieser Person wurden nachdenkenswerter Weise nie hinterfragt. Einzelheiten zu dieser Person interessierten offenbar die über alles neugierige Stasi nicht. Schnell gewann ich den Eindruck, das hier jemand geschützt werden sollte.

Nach meiner Freilassung suchte ich den damalige Geschäftsführer der CDU Berlin. Joachim Kalisch, auf und übermittelte ihm meine Vermutungen über diesen der CDU nahestehenden Fotografen. Kalisch wurde echt blass und sagte mir, dass dieser Mensch vor wenigen Monaten eben unter diesem Verdacht festgenommen worden wäre.

Natürlich blieben auch die Fragen nicht aus, was ich denn für ein Urteil erwarten würde. Allerdings blieb ich eisern, gab die Todesstrafe oder „Lebenslänglich“ an, keinesfalls aber meine erlangten Kenntnisse über mögliche acht Jahre Zuchthaus. Mit Sicherheit hätte die Stasi schon aus optischen Gründen dafür gesorgt, dass ein solches Urteil nicht gefällt werden würde. Schließlich wollte man mich ja von „falschen Vorstellungen“ überzeugen, die durch zuviel Konsumierung von US-Krimis entstanden wären.

Acht Jahre Zuchthaus wurden als Bestätigung empfunden

Als dann am 7. April 1966 nach drei Verhandlungstagen das Urteil anstand, war ich gespannt, ob die Lesart des Kuratoriums Unteilbares Deutschland richtig gewesen war. Der vorsitzende Richter Genrich verlas die Einzelstrafen: Insgesamt zehn Jahre. Dann aber: „Die Einzelstrafen werden zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren zusammengefasst.“ Also doch wieder eine Bestätigung, das dieser Unrechtsstaat über Schubladenurteile verfügte. Manch einer wäre angesichts des Strafmaßes zusammengebrochen. Ich fühlte mich bestätigt. Diese psychologischen Krücken waren ungemein hilfreich, um mit der aktuellen Situation umgehen zu können.

Auch andere Vorkommnisse verhalfen mir dazu, die doch belastende Einzelhaft zu verkraften.

Dieser Ausblick blieb den U-Häftlingen durch Glasbausteine in den Zellen versperrt. Foto: LyrAg/RH

So hatte ich bei einem der eher seltenen Ausgänge im Freikäfig eine Idee. Die Freikäfige waren so groß wie eine Zelle, hatten aber kein Dach. An den Rändern waren Gänge montiert, auf denen das Wachpersonal – erstaunlicherweise bewaffnet – patrouillierte. Im Rundgang war zwar der Schnee geräumt, aber in den Ecken, so zur Zellentür, lagen noch Schneereste. In einem unbeobachteten Moment bückte ich mich und schrieb in den Winkel links von der Tür „Freiheit“.

Kurze Zeit nach meinem Einschluss öffnet sich die Zellentür und ein nicht sehr großer Unteroffizier betrat die Zelle. Aufmerksam registrierte ich, wie der Unteroffizier die Zellentür hinter sich heranzog und verhinderte, das ein Wachtposten, der im Übrigen durch Schikanen aufgefallen war, ebenfalls die Zelle betrat. Es entspann sich folgender Dialog:

„Haben Sie das da draußen geschrieben?“  „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“  „Na da draußen, im Freigang.“   „Was soll ich da geschrieben haben?“  „Na, das Wort. In der Ecke, neben der Tür.“ „Was für ein Wort?“

Freiheit: Jeder darf darüber denken, was er will

Ich wollte unbedingt diesen Begriff „Freiheit“ aus seinem Mund hören.

Nach mehreren Versuchen, dem zu entgehen, räumte er schließlich ein: „Na,“ er rollte mit den Augen, „Freiheit.“  „Ach so,“ erwiderte ich, „Freiheit. Das meinen Sie. Ja, das habe ich geschrieben,“ gab ich zu.

Dann die interessante Belehrung: „Jeder kann über diesen Begriff denken, was er will. Aber bitte lassen Sie in Zukunft solche Schreibereien. Das könnte großen Ärger verursachen. Sie dürfen da draußen keine Beschriftungen, welche auch immer, hinterlassen.“ Dann verließ der kleinwüchsige, aber aus dem gewohnten Rahmen fallende Uniformierte die Zelle.

Wenige Wochen später sah ich ihn noch einmal. Ich hatte in einer Nacht zum Sonntag echte gesundheitliche Probleme bekommen, konnte nicht mehr flach auf dem Bett liegen, ohne dass ich heftige Dreh- und Schwindelanfälle bekam. Ich klopfte an die Tür, und schließlich wurden zwei Sanitäter in die Zelle beordert. Diese gaben mir einige Tabletten zur „kurzfristigen regelmäßigen Einnahme nach Bedarf.“

In der Folge setzte bereits in der Nacht heftiger Stuhldrang ein. Nach wenigen Stunden ließ ich aus dem Darm nur noch Wasser ab. Das alles erschöpfte mich derart, daß ich mich am folgenden Sonntag auf das Bett setzte und mit den Armen auf den aufgestapelten Matratzen abstützte, was verboten war. Man durfte tagsüber nur auf dem Schemel am Tisch sitzen. An diesem Sonntag hatte ein Soldat Dienst, der darüber offenbar sehr frustriert war. Jedenfalls hämmerte er mehrfach bei seinen Rundgängen auch an meine Zellentür und forderte mich lautstark auf, mich „anständig“ hinzusetzen. Schließlich riss er sogar die Essenklappe auf und herrschte mich an. Aber auch darauf reagierte ich mit dem Hinweis, das es mir nicht gut ginge und in der Nacht auch schon Sanitäter bei mir waren.

Längere Zeit war nichts zu hören, da die in den Gängen ausgelegten Teppiche jeden Tritt verschluckten. Schließlich rasselten die bekannten Zellen-Schlüssel in einer Durchgangstüre am Ende des Zellenganges. Meine Erwartung, dass dies mich betreffen würde, traf zu. Die Zellentür wurde aufgeschlossen und herein kam der mir bereits bekannte Unteroffizier. Wieder zog er die Zellentür hinter sich zu, sodaß der Frustrierte vor der Tür bleiben mußte.

„Was ist hier los? Warum setzen Sie sich nicht ordentlich hin?“

Ich klärte den Uffz über die vergangene Nacht auf und beschrieb meine Schwierigkeiten, mit dem offenbaren Missmut eines Soldaten über dessen Sonntagsdienst umzugehen. „Schließlich können wir Gefangenen nichts dafür, das Ihr Kollege hier Wache schieben muß.“ Außerdem würde ich nicht begreifen, was daran unanständig sein soll, wenn ich auf dem Bett säße, und meine Arme aufstützen würde.

„Sie wissen aber, dass dies verboten ist?“  „Unanständiges Sitzen könne ja verboten sein. Aber was ist an meinem Sitzen, Sie können mich ja genau betrachten, unanständig?“

„Geben Sie sich einfach Mühe, den Anordnungen zu folgen,“ sagte der Uffz schließlich nach längerer Debatte über die gegenseitigen Argumente und verließ ruhigen Schrittes die Zelle. Den frustrierten Wachtposten hatte ich seither nicht mehr gesehen, den Unteroffizier allerdings auch nicht mehr.

Im Ergebnis aber begriff ich wieder einmal etwas mehr, warum es in den schlimmsten Diktaturen immer wieder Ereignisse gab, die den Gefangenen Mut machten. Dass es Menschen gab, die in den Diensten dieser Diktaturen standen und trotzdem bemüht waren, so weit als möglich, oft sogar unter Lebensgefahr, menschlich zu bleiben. Meine Hoffnung nach dem Mauerfall, mich eines Tages bei diesem Unteroffizier stellvertretend bedanken zu können, hatte leider keinen Erfolg; ein seinerzeitiger Aufruf über eine Pressekonferenz von 1992 der Organisation HELP, deren Präsident ich bis 1993 war, blieb ergebnislos.

-Wird fortgesetzt-

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.456)

Mainz/Berlin, 29.11.2016/cw – Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR suchen noch heute Kinder nach ihren leiblichen Eltern oder auch die Eltern nach ihren Kindern. Die zusätzliche Krux: Leibliche Eltern haben keinerlei Rechte, Auskünfte über ihre Kinder zu erhalten, berichtet heute das ZDF-Magazin „frontal 21“ in einem neunminütigen Beitrag (29.11.2016, 21:00 Uhr) über die Zwangsadoptionen in der DDR.

Stella Könemann und Dana Sümening von Frontal 21 haben Eltern und Kinder getroffen, die auch nach 26 Jahren Wiedervereinigung nicht wissen, wer ihre leibliche Familie ist.

Bereits 1992 hatte die nach dem Mauerfall gegründete Hilfsorganisation HELP e.V. auf einer Pressekonferenz in Berlin auf dieses Drama aufmerksam gemacht. Damals wurde eine Mutter vorgestellt, die verzweifelt nach ihrem damals 17 Jahre alten Sohn suchte. Die Hilfsorganisation machte hauptsächlich die Honecker-Ehefrau und Ministerin Margot Honecker für die Kindesentziehung in Form von Zwangsadoptionen verantwortlich. Die Politik reagierte damals wie heute „schwach oder gar nicht,“ wie sich der damalige Präsident von HELP, Carl-Wolfgang Holzapfel, erinnert.

Sendung verpasst:

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/frontal-21-vom-29-november-2016-100.html

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 03030207785 (1.185)

Berlin-Hohenschönhausen, 4./7.10.2013/cw – Fast genau zum Tag der Republik (Gründungstag der DDR, 7. Oktober 1949), am 4. 10., eröffnete Hubertus Knabe in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit die neue Dauerausstellung in der mit vielen Millionen Euro renovierten Gedenkstätte Hohenschönhausen. Neben zahlreichen anderen Ehrengästen aus der Politik konnte der agile und über die Grenzen Deutschlands hinaus hoch angesehene Direktor des einstigen Stasi-Untersuchungsgefängnisses auch viele einstige politische Gefangene der DDR und ihrer Staatssicherheit („Schild und Schwert der Partei“) begrüßen: „Als freie Menschen in einem freien Land.“

Nachgezeichnetes Leiden - Foto: LyrAg

Nachgezeichnetes Leiden – Foto: LyrAg

In seiner unnachahmlichen, weil ruhigen und gerade deswegen eindringlichen Tonlage schilderte Knabe die Stationen der schwierigen Wegfindung in  das richtige Maß einer immerwährenden Ausstellung. „Eine Zelle,“ so Knabe, „in der Monitore und Tafeln hängen, ist keine Zelle mehr.“ Man habe sich daher entschieden, diese unangetastet zu lassen und notwendige Dokumentationen in die Ausstellung zu verlegen. „Die Gedenkstätte und die einstigen Häftlinge erzählen lassen.“  Man sei der Ausstellung mit einer gewissen Skepsis begegnet. Man habe mit dieser Lösung aber auch auf die Zeit „danach“ hinarbeiten wollen: „Was, wenn  diese Zeitzeugen nicht mehr sind?“

Knabe wies auch auf die Fragestellung  hin, über was denn  die Ausstellung berichten solle? Über die Ideologie? Den kommunistischen Putsch in Russland? Die Diktaturen? Die Gleichschaltung der Parteien? „Und dann die rund 40.000 Häftlinge, ihre schweren Schicksale.“ Für alle diese Themen seien nicht 700 sondern eher 7.000 Quadratmeter erforderlich. Schließlich hätten sich die Verantwortlichen  für die jetzige Lösung entschlossen: Einblicke zu geben  in die Berichte der Häftlinge, aber auch – in  einem separaten Bereich – in die Welt der Täter.

Tief beeindruckt: Klaus Wowereit - Foto: LyrAg

Tief beeindruckt: Klaus Wowereit – Foto: LyrAg

Die Anwesenden erhoben  sich, als Hubertus Knabe die Namen der verstorbenen einstigen  Häftlinge und Förderer der Gedenkstätte verlas: Hans-Joachim Wilson (2009), Sigrid Paul (2011), Gerhard „Charlie“ Rau (2012), Herbert Pfaff (2013) und – vor wenigen Wochen – der unvergessenen Hans Eberhard Zahn.

Klaus Wowereit, der wenige Tage zuvor seinen 60. Geburtstag feiern konnte, lobte die gelungene Dauerausstellung, die eine Konzeption vermittle: „Dass sich hier Menschen  zur Verfügung stellen, über diese dunkle Zeit aus ihrem Leben zu berichten, ist großartig.“ Natürlich seien  ihre Berichte subjektiv, aber: „Es sind ihre Qualen, über die sie erzählen.“ Die notwendige wissenschaftliche Bearbeitung dürfe sich nicht über die Täter hinwegsetzen, die sich „dreist und unverbesserlich“ präsentieren. Dies sei der „Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur.“ Trotzdem sei dies schwer erträglich.

Wowereit zeigte sich zuvor während des eigens organisierten  Rundgangs durch die Ausstellung sehr bewegt und erschüttert. In  seiner Rede betonte er denn auch die Bedeutung der hier durchlebten und jetzt gezeigten Geschichte, die die „ganze Republik betrifft.“

Die Häftlingskleidung als adrett wirkende Auslage löst Betroffenheit aus - Foto: LyrAg

Die Häftlingskleidung als adrett wirkende Auslage löst Betroffenheit aus – Foto: LyrAg

Für den erkrankten  Staatsministers Bernd Neumann erinnerte dessen Vertreter an das erste Konzept von Prof. Manfred Wilke aus dem Jahr 1995. Darauf sei eine Gedenkstätte entstanden, die heute mehr als 300.000 Besucher begrüßen könne, „mit steigender Tendenz.“ (Dass die Häftlingshilfe organisation HELP e.V. bereits 1992 dem Abgeordnetenhaus von Berlin ein umfangreiches Konzept für eine „Stiftung Hohenschönhausen“ vorgelegt hatte, zu einer Zeit also, als sich mehr Ratten in den verlassenen Gerümpel-Räumen aufhielten, als zukunftsorientierte Planer, ist mittlerweile in der Geschichtskonzep tion der Gedenkstätte nicht erwähnenswert.)

Zum Abschluss des Rede-Reigens sprach ein einstiger Betroffener: Horst Jänichen. Nicht ohne Humor, aber mit erkennbarem Ernst stimmte er, der als 15jähriger erstmals 1946 durch die Sowjets verhaftet und in das Lager in Hohenschönhausen verbracht worden war, die Zuhörer auf die Ausstellung ein, die nur anteilig wiedergeben könne, was die Menschen „hier erlebt haben.“  Er sei „von hier aus“ nach Sachsenhausen, in das einstige NS-KZ verbracht worden. Dort habe das große Sterben begonnen, dem „40.000 Gefangene zum  Opfer gefallen sind. Hier, in Hohenschönhausen, sind in dieser Zeit an die 900 Menschen gestorben und verscharrt worden.“ Man habe später Massengräber mit 259 Toten gefunden, derer in jedem Jahr im Oktober gedacht werde.

UOKG-Chef Rainer Wagner (Mitte) in der einstigen Hölle von  Hoheneck - Foto: LyrAg

UOKG-Chef Rainer Wagner (Mitte) in der einstigen Hölle von Hohenschönhausen – Foto: LyrAg

Im Keller hatte der sowjetische NKWD Foltereinrichtungen geschaffen, die später – nach Stalins Tod – durch den sowjetischen Geheimdienstchef und Innenminister Lawrenti Beria verboten worden waren. Nach der Übergabe an die Staatssicherheit wurde die Folter subtiler: „Ein gebrochenes Nasenbein, ein blaues Auge sieht man, gebrochene Seelen sieht man nicht.“

Nach seiner Entlassung trat Jänichen  der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU – Rainer Hildebrandt) bei und verteilte Flugblätter. 1954 wurde er erneut verhaftet („Faschistische Propaganda“) und verbrachte die folgende Haft bis 1959 im Zuchthaus Waldheim. Jänichen erinnerte unter anhaltendem Beifall an den großen Augenblick von 1989: „Als Niemand mehr daran glaubte, ist dieser Spuk am Ende gewesen.“

Im  anschließenden Rundgang durch die Ausstellung konnten sich die Teilnehmer an der Eröffnungsveranstaltung anhand archivierter Akten der Stasi, der Jacke des Häftlings Heinrich George, einer Pritsche, Häftlingskleidung, aber auch über das Refugium des einstigen Anstaltschefs Siegfried Rataizick über die einstige als Hölle empfundene Foltereinrichtung des „Ersten  Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“ informieren. Ein realistischer, tief beeindruckender Einblick zum bevorstehenden „Tag der Republik“.

V.i.S.d.P.: Vereinigung 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785

 

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