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Von Chaim Noll*
Anetta Kahane hat einen Grad negativer Popularität erreicht, dass man sie nicht mehr vorstellen muss. Vielen gilt sie als Symbol einer Kontinuität im Kampf verschiedener deutscher Staatsmächte gegen Meinungsfreiheit und humane Grundrechte: Wie sie in ihrer Jugend ihre Mitbürger im Auftrag der DDR-Staatssicherheit bespitzelte und denunzierte, tut sie es heute als Vorsitzende einer Stiftung zur Beobachtung unliebsamer Haltungen in einer angeblich demokratischen Bundesrepublik, finanziert von einer inkompetenten, unbeliebten, um ihre Macht bangenden Regierung.
Ich bin, was Anetta betrifft, nicht unvoreingenommen. Ich kenne sie seit 1976, als wir beide Anfang Zwanzig waren. Die Bekanntschaft blieb oberflächlich, im Wortsinn flüchtig, denn ich bin Anetta stets aus dem Weg gegangen. Was nicht immer leicht war, da wir gemeinsame Familie haben. Aber eine Ahnung gab mir schon damals ein, dass sie in ihren Spitzelberichten vor der eigenen Familie nicht Halt machen würde. Man ist nicht immer froh, wenn sich solche Ahnungen bewahrheiten. Seit Veröffentlichung ihrer Stasi-Akte (durch Dirk Maxeiner auf der Achse des Guten) wissen wir, dass sie 1981 zur Hochzeit ihrer Cousine nach West-Berlin reiste, mehrere Tage deren Gastfreundschaft genoss und anschließend ihrem Stasi-Führungsoffizier schriftlich darüber Bericht erstattete, es handle sich bei ihrem Onkel, ihrer Tante, ihrer Cousine und deren Bräutigam um „reaktionäre und spießige, in politischer Hinsicht ordinäre und aggressive Personen“. Ich kenne die in Anettas Bericht Erwähnten persönlich und weiß, wie gehässig und unwahr ihre Beurteilungen sind. Die Spitzelberichte der Stasi enthüllen – unfreiwillig – den Charakter der Denunzianten. Für die West-Berliner Verwandten, eine dort bekannte jüdische Familie, blieb die Nachrede glücklicherweise folgenlos. Hätte sie mir gegolten oder einem anderen damaligen DDR-Bürger, wäre sie möglicherweise katastrophal gewesen.
Durch die Akten belegt ist Anettas Spitzelbericht über die Brüder Klaus und Thomas Brasch, in Ost-Berlin lebende jüdische Intellektuelle, Kinder einer Remigranten-Familie wie Anetta selbst. Klaus war Schauspieler an der Volksbühne, Thomas später im Westen ein bekannter Schriftsteller. Anetta, auf den Ost-Berliner Partys unterwegs, hörte gut zu und traf in ihren Berichten klare, vernichtende Aussagen. In diesem Fall: „Zu den Feinden der DDR gehören in erster Linie Klaus Brasch und Thomas Brasch.“ Dieser 1976 verfasste Bericht hatte fraglos Auswirkungen auf die Karriere von Klaus Brasch als Theaterschauspieler. Akten-Kenner Hubertus Knabe, früherer Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, sieht zwar keinen Beleg dafür, dass der Selbstmord von Klaus Brasch im Jahre 1980 „wegen ihrer (Anettas) Denunziation“ erfolgte, doch die Einstufung als „Feind der DDR“ hat Brasch seine letzten Tage in der DDR – und in seinem jungen Leben – auf jeden Fall verdüstert.
Bewährte Spezialistin für Überwachung und Anzeige
Wozu diese unerfreulichen Erinnerungen? Weil man von offizieller Seite versucht, uns Anetta passabel, sogar respektabel zu machen. Als bewährte Spezialistin für Überwachung und Anzeige soll sie weiterhin Verwendung finden, dazu wird sie zur Dissidentin und Verfolgten stilisiert. Etwa in der Veranstaltung am 14.10. in Berlin, ausgerichtet von der staatlich kontrollierten Deutsch-Israelischen Gesellschaft, auf der Stephan Kramer, Chef des Verfassungsschutzes in Thüringen, die frühere Stasi-Mitarbeiterin, seine „Freundin Anetta“, in einer Grußrede würdigte.
Ein symbolischer Auftritt für die Kontinuität deutscher Überwachungsdienste. Das breit und bürgernah angelegte Spitzel- und Denunziantenwesen der angeblich überwundenen totalitären Systeme erlebt seine Wiederauferstehung. Und Anetta ist wieder dabei. Offen wird die Bevölkerung zur Mitarbeit aufgerufen, wie die Berliner Tageszeitung taz am 17.10. in zustimmendem Ton verhieß:
„Um einer weiteren Radikalisierung von Extremisten frühzeitig entgegenzutreten, brauchen wir die Zivilgesellschaft an unserer Seite“, erläuterte den Appell gestern Dierk Schittkowski, der Chef des Bremer Verfassungsschutzes. BürgerInnen sollen auffällige Signale, Äußerungen oder Verhaltensweisen telefonisch oder per Mail bei der Behörde melden.“
Anetta, Symbol dieser Wiederbelebung, wurde kürzlich in einem ausführlichen Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vorgestellt. Ihre Kontinuität als Denunziantin abweichender Meinungen findet auch international Beachtung. Es ist hoffnungslos, sie als Repräsentantin der deutschen Juden auftreten zu lassen, denn sie hat mehrmals, wie belegt, andere deutsche Juden denunziert. Die Juden in Deutschland, erneut bedroht, können gerade jetzt keine Spitzel in den eigenen Reihen brauchen.
Es wäre Zeit, Anetta, dass Du Dich zurückziehst. Wenn Du der Amadeu Antonio Stiftung noch eine Zukunft gönnst, übergib ihre Leitung an jüngere, unbelastete Mitarbeiter. Wir sind gleichaltrig, haben das Rentenalter erreicht. Es ist Zeit zur Umkehr und Einkehr, zur tshuvah, wie wir das hebräisch nennen, zur Gewissenserforschung und Regelung Deiner jüdischen Angelegenheiten. Um die es nicht zum Besten steht. In Deinem Leben gälte es manches zu revidieren und zu reparieren. Die Rabbiner gehen davon aus, dass es dazu nie zu spät ist.
* Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Sein Vater war der Schriftsteller Dieter Noll. Er studierte Kunst und Kunstgeschichte in Ostberlin, bevor er Anfang der 1980er Jahre den Wehrdienst in der DDR verweigerte und 1983 nach Westberlin ausreiste, wo er vor allem als Journalist arbeitete. 1991 verließ er mit seiner Familie Deutschland und lebte in Rom. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. 1998 erhielt er die israelische Staatsbürgerschaft. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland.
Der vorstehende Beitrag wurde zuerst im Blog „Achgut“ veröffentlicht: https://www.achgut.com/artikel/anetta_es_ist_zeit_in_rente_zu_gehen
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Berlin, 23.06.2019/cw – Nach dem Skandal um die Abberufung des langjährigen Direktors der Gedenkstätte. Hubertus Knabe, startet die Gedenkstätte offensichtlich wieder durch. Am 17. Juni war die Berufung des Abteilungsleiters in der BStU, Helge Heidemeyer (56), als Knabe-Nachfolger bekannt geworden. Er soll sein neues Amt im Herbst 2019 antreten.
Am Sonntag, 7. Juli, gibt der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann im Rahmen eines TAGES DER OFFENEN TÜR (10:00 – 17:00 Uhr) live ein Open-Air-Konzert (14:00 -15:00 Uhr), anschließend spricht er mit Marianne Birthler, der ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, über seine Erfahrungen in der DDR. Birthler hatte an der Abberufung von Hubertus Knabe mitgewirkt und kurzfristig die Führung der Gedenkstätte übernommen.
Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (Genslerstr. 66) wurde 1994 begründet und befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR im Berliner Bezirk Lichtenberg. Das ursprünglich sowjetische Gefängnis wurde 1951 an die Geheimpolizei der DDR übergeben.
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Hamburg/Berlin, 29.03.2019/cw – Horst Schüler, Ehrenvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), ehemaliger Workuta-Gefangener und engagierter Journalist, ist am 27.03.2019 in seiner Wahlheimat Hamburg im Alter von 94 Jahren verstorben.
In einer erste Stellungnahme der Vereinigung 17. Juni 1953 in Berlin erklärte der Vorstand, dieser Tod „löse Bestürzung und tiefe Trauer aus. Horst Schüler war ein mutiger Kämpfer für die Rechte der Verfolgten der zweiten Diktatur in Deutschland. Freunde und Gegner wußten seine Seriosität zu achten und zu schätzen, der sich nie im Ton vergriff und trotzdem beharrlich, ungebrochen und nachdrücklich in der Sache die Interessen der Opfer vertrat. Wir verlieren eine aufrechten Freund und Mitstreiter,“ erklärte der Vorstand. „Wir teilen die Trauer mit seiner Frau und seinen Kindern.“
Anna Kaminsky, die Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung, würdigte in einem Nachruf die Verdienste Schülers. Dieser habe sich nach seiner Rückkehr aus Workuta „ganz den Opfern politischer Verfolgung und der Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen als Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag-Sowjetunion und als Vorsitzender der UOKG gewidmet. Wer ihn kannte,“ so Kaminsky, „wird sich immer an seine kluge, umsichtige und warme Persönlichkeit erinnern. Bei allem Schlimmen, das ihm in seinem Leben widerfahren ist, wurde er doch wie viele andere Leidensgenossen seiner Generation niemals bitter. Horst Schülers Lebenswerk mahnt uns, die Erinnerung an die kommunistischen Verbrechen wachzuhalten. Er wird fehlen.“
Vom NKWD verhaftet
Horst Schüler wurde am 16.Augsut 1924 in Babelsberg geboren. Der spätere Journalist war 1951 in Potsdam wegen Verbreitung von kritischen Texten zu Fehlern des kommunistischen Systems in der DDR durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet und zunächst im Potsdamer Gefängnis inhaftiert worden. 1952 wurde der 27jährige von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Haft verurteilt. Grund: Er war als Redakteur der gesellschaftskritischen Kolumne „Kiekeohr“ in der Märkische Volksstimme für Meinungsfreiheit eingetreten; einer Anwerbung als Spitzel des KGB hatte er sich verweigert. Schüler saß – bittere Ironie der Geschichte – im gleichen Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße, in dem einst sein Vater, ein Sozialdemokrat, von den Nationalsozialisten inhaftiert worden war und den er dort besucht hatte. Der Vater wurde im Jahr 1942 im KZ Sachsenhausen ermordet.
Vater in Sachsenhausen von Nazis ermordet
Horst Schüler meinte deshalb, ihm könne in Ostdeutschland, der späteren DDR, nichts passieren. Diesen Irrtum mußte er mit vier Jahren der Gefangenschaft als Zwangsarbeiter in den Arbeitslagern RetschLag (Flusslager) bezahlen. 1948 bis 1954 gehörte das Sonderlager des sowjetische MWD Nr. 6 zum Lager-Komplex von Workuta. Schüler nahm dort am Häftlingsaufstand teil, der am 1. August 1953 mit Maschinengewehren niedergeschlagen wurde. Allein unter den Streikenden seines 29. Schachtes gab es 64 Tote und 123 Verwundete. Insgesamt wurden 481 Häftlinge getötet.
Nach seiner Heimkehr 1955, er täuschte einen anderen Wohnort vor und wurde so in die Bundesrepublik entlassen, arbeitete er als Journalist zunächst in Kassel; später war er von 1964 bis 1989 Redakteur beim Hamburger Abendblatt. Für „hervorragende journalistische Leistungen“ wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Von 2001 bis 2007 war der Verstorbene überaus engagiert Vorsitzender der UOKG, bis zu seinem Tod deren Ehrenvorsitzender. Seinem Rücktritt 2007 ging eine schlimme Intrige interner Gegner voraus, an die sich Teilnehmer „mit Entsetzen“ erinnern.
Als erster Journalist in Workuta
Schüler war 1992 der erste deutsche Journalist, der die damals noch geschlossene Stadt und Region Workuta besuchen durfte. Anschließend erschien sein Buch „Workuta – Erinnerung ohne Angst“ (ISBN 3776618213, Herbig/München, 1993,248 S., 39,80 €, gebraucht: 18,00 €). Er organisierte die Ausstellung „Workuta – vergessene Opfer“ und war seit 1995 Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta/GULag-Sowjetunion. Auch die Bundesrepublik Deutschland würdigte die Verdienste: 1997 wurde er von Bundespräsident Roman Herzog mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt, 2003 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Öffentlicher Protest gegen Zustimmung zu Knabes Entlassung
Bis ins hohe Alter scheute sich Schüler nicht, die Anliegen der Opfer aktiv zu unterstützen. So nahm er noch im letzten Jahr an dem Empfang des Brandenburgischen Ministerpräsidenten für die Opfer und Verfolgten der DDR-Diktatur in Potsdam teil. Hier hatte der Verfasser Gelegenheit, ein letztes Mal mit dem verehrten Mitstreiter und Freund zu sprechen. Ein letzter aktiver Akt war im Dezember vergangenen Jahres der öffentliche Protest gegen die medial verbreitete Meinung seines Nach-Nachfolgers in der UOKG, Dieter Dombrowski, eine „künftige Zusammenarbeit“ mit der SED-Partei LINKE seitens der CDU „nicht auszuschließen.“ Auch die Umstände, unter denen der auch von Schüler geachtete Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, mit aktiver Unterstützung durch Dombrowski entlassen wurde, konnte Schüler nicht nachvollziehen. Siehe auch: https://17juni1953.wordpress.com/2018/12/09/hubertus-knabe-offener-brief-von-horst-schueler-an-uokg-chef/ .
Der Beisetzungstermin war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Er wird an dieser Stelle nachgetragen.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607953 (1.393).
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