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Berlin, 24.11.2021/cw – Der in Köln lebende Publizist und Verfasser div. Standard- werke über den Widerstand in der einstigen DDR, Karl Wilhelm Fricke (92), hat jetzt der Berufung in den Beirat der nach dem Volksaufstand begründeten Vereinigung 17. Juni 1953 zugestimmt. Zuvor war Fricke die bereits zu seinem 90. Geburtstag verliehene Goldene Ehrennadel übersandt worden, da die Corona-Pandemie die vorgesehene Übergabe an seinem Wohnort verhindert hatte. Das teilte der in Berlin ansässige Verein heute mit.

Neben Fricke gehören dem Beirat der historischen Vereinigung aktuell bereits der ehem. Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, der Historiker Prof. Helmut Müller-Enbergs und der ehem. Bundesbankdirektor Prof. Horst Rudolf Übelacker an. Die Beirats-Mitglieder Heinrich Lummer, u.a. ehem. Bürgermeister von Berlin, Prof. Dr. Berthold Rubin, ehem. Ordinarius für Byzantinistik und Osteuropakunde Uni Köln, Prof. Emil Schlee, ehem. Flüchtlingsbeauftragter der Regierung von Schleswig-Holstein, Rainer Hildebrandt, Publizist und Begründer des Mauermuseums am Checkpoint Charlie und Dr. Wolfgang Ullmann, ehem. Bürgerrechtler und MdEP, sind bereits verstorben.
Im Fokus: Widerstand und politische Verfolgung
Fricke war nach seiner Entlassung aus politischer DDR-Haft bis zu seinem Ruhestand Mitarbeiter des Deutschlandfunks. Zuvor war er nach einer Denunziation 1949 aus der DDR geflüchtet und hatte in Wilhelmshaven, ab 1952 in Berlin Jura und Volkswirtschaft studiert. Neben seinem Studium arbeitete er bereits freiberuflich als Journalist. Der Schwerpunkt dieser Arbeit lag schon früh auf DDR-Themen und der Problematik politischer Verfolgung Andersdenkender. Der erste Artikel des engagierten Journalisten befasste sich mit den Waldheimer Prozessen. Für diese Arbeit suchte er schon früh Kontakte zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU/Rainer Hildebrandt), dem Berliner Büro des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen und zum Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen.
Schon früh war die DDR-Staatsicherheit auf diese Arbeit aufmerksam geworden. Schließlich wurde der „Staatsfeind“ in einer konspirativen Wohnung im April 1955 bewusstlos gemacht und im Kofferraum eines Pkw von West- nach Ost-Berlin verschleppt. 467 Tage wurde Fricke im Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert, ehe er am 11. Juni 1956 vom 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR in Ost-Berlin »wegen Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung der DDR« und »Kriegs- und Boykotthetze« zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Zunächst mußte die verhängte Strafe in Brandenburg-Görden absitzen, ehe er im August des Jahres nach Bautzen II verlegt wurde.
Nach strenger, von der Stasi angeordneter Isolation wurde Fricke Ende März 1959 nach West-Berlin entlassen. Seither arbeitete er wieder als Journalist und publizierte zahlreiche Bücher zur politischen Justiz und Staatssicherheit der DDR. Wie kaum ein anderer Journalist berichtete Fricke jahrzehntelang über Opposition und Widerstand in der DDR, von 1970 bis 1994 als leitender Redakteur der Ost-West-Redaktion beim Deutschlandfunk. So war es nicht verwunderlich, das die Staatssicherheit Fricke bis zum Fall der Mauer beobachtete.
Gespendeter Preis nach Fricke benannt
1991 rehabilitierte das Landgericht Berlin den einst Verurteilten. Seit der Widervereinigung engagierte sich Fricke überdies in zahleichen Gremien, u.a. als sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages zur Geschichte und den Folgen der SED-Diktatur. Schließlich wurde der engagierte Publizist 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
2016 stiftete der ehemalige Fluchthelfer Dr. Burkhart Veigel einen mit 20.000 € dotierten Preis, der seither von der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur für „herausragendes Engagement für Freiheit, Demokratie und Zivilcourage“ verliehen wird. Die erste Verleihung erfolgte 2017 an Karl Wilhelm Fricke, nach dem der jährlich verliehene Preis benannt wurde.
V.i.S.d.P.: Vorstand Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.682).
Von Christian Booß
Berlin, 7.01.2020/chBo – Das Ende der Staatssicherheit, die Ereignisse Anfang Dezember 1989 und die am 15. Januar 1990 sind vielen bekannt: Sie sind vielfach beschrieben und gehören inzwischen zum historischen Alltagsbewusstsein. Diese scheinbare Gewissheit lässt selten die Frage aufkommen, ob das was wir meinen zu wissen, sich auch wirklich so zugetragen hat. Oder ob es andere Sichtweisen und Fakten gibt, die manches in neuem Licht erscheinen lassen.
So ist der oft gehörte Satz „Anfang Dezember wurden die Bezirksverwaltungen des MfS/AfNS besetzt“ ungenau bis falsch. Gerade die Berliner Bezirksverwaltung wurde nie „besetzt“, schon gar nicht Anfang Dezember ’89. Und ob manche der Bürgerbegehungen von Kreis- und Bezirksverwaltungen wirklich treffend mit dem Wort Besetzung beschrieben ist, ist ebenso fraglich. Für die komplexen Geschehnisse, die am 15. Januar zum Ende der MfS-Zentrale führten, gibt es bis heute keine schlüssige Bezeichnung. „Erstürmung“,“ Sturm“, etc. greifen deutlich zu kurz.
Manche Ereignisse werden oft als revolutionäre Tat vor Ort beschrieben, das Handeln der Staatsseite als die der Bremser und Verhinderer. Aber wie die Motivation und Weisungslage auf Staatsseite wirklich war, ist bis heute nicht untersucht. Die Behauptung des ehemaligen Dresdener Oberbürgermeisters, Wolfgang Berghofer, wonach Ministerpräsident Hans Modrow die Stasi opferte, um sich, die SED und die DDR möglichst zu retten, sorgte für Aufregung. Schrillte Thesen von der Manipulation der Bürgerkomitee führten sogar zu einem Prozess, aber nicht zu einer wirklichen Klärung.
Der 30. Jahrestag der sogenannten „Erstürmung“ der MfS-Zentrale ist ein guter Anlass, auf die Ereignisse zurückzuschauen, kontroverse Sichtweisen zu benennen und offene Fragen zu formulieren.
Mit dem Internetauftritt www.Stasibesetzung.de haben mehrere Aufarbeitungsinstitutionen und Einzelpersonen erstmals begonnen, den Wissensstand überregional für ganz Ostdeutschland zusammenzutragen. Die Website wird mit Inhalten zum 15. Januar aktualisiert, die im Rahmen der Veranstaltung vorgestellt werden.
Der Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15.Januar e.V.“ lädt aus diesem Anlass am Sonntag, 12. Januar 2020 um 11:00 Uhr in das Haus 1, Raum 614 auf dem ehemalige Stasigelände in der Ruschestr. 103, 10365 Berlin (U-Bhf. Magdalenenstraße) zu einer Matinee (Vortrag mit Diskussion) ein. Als weitere Gäste sind ehemalige Beteiligte an den „Besetzungen“ in Berlin und anderswo anwesend.
Kritik an Roland Jahn: Intelligentes Handeln – nicht Sprücheklopfen ist gefragt
Im Vorfeld der Veranstaltung hat sich der Vorstand des Vereins in einer Presseerklärung vom 5. Januar kritisch zu jüngsten Äußerungen von Roland Jahn in einem dpa-Interview geäußert. Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlage (BStU) hatte sich zur Rekonstruktion der Stasi-Akten geäußert und eine Verantwortung seiner Behörde von sich gewiesen.
„Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen (BStU) bemäntelt das eigene Scheitern bei der Restaurierung zerrissener Stasi-Akten,“ formuliert der Vorstand. „Bislang wurden kaum Opferakten rekonstruiert.“ Der Aufarbeitungsverein fordert den Bundestag auf, sich in einer Anhörung dieses Themas anzunehmen.
„Das Projekt, die Akten elektronisch zusammenzusetzen, ist faktisch seit Jahren beendet. Denn seit mehr als vier Jahren wird keine einzige Akte mehr mit dem vor Jahren neuentwickelten Softwaresystem zusammengesetzt. Die Behörde schiebt die Verantwortung einseitig auf die IT-Technologie (virtuelle Rekonstruktion), um von den eigenen Fehlern abzulenken.
Demgegenüber werden Computersoftware und Scanner seit Jahren erfolgreich für internationale Institutionen zur Wiederherstellung von zerstörten Dokumenten eingesetzt. Die Stasi-Unterlagenbehörde stellte teilweise absurde technische Anforderungen an das Softwaresystem, die gegenwärtig faktisch nicht erfüllbar sind und das Projekt ineffektiv werden ließen,“ kritisiert der Vorstand.
Die Stasi-Unterlagenbehörde blockiere „seit mehreren Jahren die Finanzen, die der Bundestag für den Fortgang der Entwicklung des Projektes bereit gestellt hat.“ Auch die bisherige Vorgehensweise der BStU wird ins Visier genommen:
Die Auswahl der Akten, die zusammengesetzt wurden, sei problematisch. Es wären primär Akten von Verwaltungseinheiten (HA XX und XV) bearbeitet worden. „Anders als der BStU behauptet, wurden bisher nicht schwerpunktmäßig Akten von Personen, die die Stasi ausgespäht hat, rekonstruiert, obwohl manche seit Jahrzehnten auf ihre Akte warten.“ Bis heute gebe es keine qualifizierte Bewertung der archivarischen Ergebnisse der Aktenrekonstruktion.
Praxis der BStU die ineffektivste und teuerste Methode
Die vom BStU propagierte angeblich erfolgreiche Rekonstruktion per Hand (manuelle Rekonstruktion) sei die ineffektivste und teuerste Methode, stellt der Verein i seiner harschen Philippika fest! Diese sei nur bei besonders historisch wichtigen Akten oder für Modellvorhaben zu rechtfertigen. Die manuelle Arbeit als Ersatz für die elektronische Methode zu propagieren, sei unverantwortlich.
Schließlich appelliert der Vorstand an die Verantwortliche im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages. Dieser sollte den 30. Jahrestag der Besetzungen der Staatssicherheit in der Friedlichen Revolution zum Anlass nehmen, sich auf breiterer Basis als bisher in einer Anhörung mit den Missständen des Projektes zu beschäftigen und Lösungsstrategien suchen.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 0176-48061953 (1.502).
Berlin, 16.08.2019/ts – Nach Medienberichten von heute beabsichtigt das Bundesinnenministerium, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, nachdem es Mitarbeitern des Verfassungsschutzes künftig erlaubt sein soll, heimlich Privatwohnungen zu betreten. Die Süddeutsche Zeitung überschreibt ihre Meldung auf der Seite 1 mit der treffenden Schlagzeile: „Agenten mit Lizenz zum Einberechen“.
Einstige Verfolgte der DDR-Staatsicherheit sind bestürzt über diese Gesetzesinitiative und stimmen vorbehaltlos dem Verwaltungsrechtler Fredrik Roggan (Polizeihochschule Brandenburg) zu, der das geplante Gesetz als „Verstoß gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Art.13. GG) heftig kritisiert.
Der Bürgerrechtler und als Mauerdemonstrant bekannt gewordene Carl-Wolfgang Holzapfel (75) in Berlin hat heute eine Unterschriftenaktion gegen den Gesetzentwurf gestartet und wird dabei von der Vereinigung 17. Juni 1953, dem der Initiator seit 1963 angehört, unterstützt. Der Aufruf, der sich „an alle von der Demokratie und ihren Grundsätzen überzeugten BundesbürgerInnen richtet, hat folgenden Wortlaut:
„An alle Abgeordneten des Deutsche Bundestages
Das Bundesinnenministerium will dem Verfassungsschutz per Gesetz erlauben, heimlich Privatwohnungen auch ohne den bisher vorgesehenen richterlichen Beschluss zu betreten. In dem Entwurf zur „Harmonisierung des Verfassungsschutzrechtes“ sollen die Agenten die legale Möglichkeit erhalten, „in Wohnungen einbrechen zu dürfen“ (SZ, 16.08.2019, S.6). Die Gesetzesvorlage liest sich wie eine aus einer Geheimakte des DDR-Staatssicherheitsdienstes zur Bekämpfung subversiver und staatsfeindlicher Elemente entnommenen Durchführungsverordnung für deren Mitarbeiter.
Dieses Gesetz darf niemals in Kraft treten und muß vom Bundestag „einhellig und fraktionsübergreifend“ abgelehnt werden. Es widerspricht in Duktus und Absicht den unveräußerlichen demokratischen Grundsätzen der Bundesrepublik Deutschland. Es widerspricht überdies dem auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR latent wiederholten Willen der Politik, nie wieder Möglichkeiten zu eröffnen, einer neugeschaffenen Staatssicherheit, gleich unter welchem Namen, Grundlagen für eine Betätigung gegen Bürger des Staates zu bieten.
Die Unterzeichner dieser dem Bundestag zuzuleitenden Petition fordern die in freien und geheimen Wahlen gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, bereits einer Befassung mit derartigen Gesetzentwürfen aus ethischen Gründen zu widersprechen und unter Verweis auf die im Grundgesetz festgelegten und unveräußerlichen Rechte der Bürger abzulehnen.
Berlin, im Jahre 30 der Maueröffnung 2019
Carl-Wolfgang Holzapfel, Initiator“
Listen bis 11.09.2019 einreichen
Die Unterschriften soll(t)en möglichst in Listenform unter Voranstellung des vorgen. Textes der Petition bis zum 11. September 2019 an folgende Adresse gesandt werden:
VEREINIGUNG (AK) 17.JUNI 1953 E.V., Vorstand z.Hd. H. Eichenmüller, Wühlischstr.25, 10245 Berlin.
Der jeweiligen Unterschrift sollte die jeweilige Anschrift (Straße, Haus-Nr, Postleitzahl und Ort) vorangestellt werden, damit die Gültigkeit der eingereichten Unterschriften vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, an den die Petition weitergeleitet werden soll, überprüft werden können.
Rehabilitierung von Stasi-Unrecht in Gefahr?
Initiator Holzapfel sieht durch eine derartige geplante Gesetzgebung auch anstehende Anträge auf Rehabilitierung durch Menschen gefährdet, die von bisher als Unrecht eingestuften Verfolgungsmaßnahmen der Stasi betroffen waren. „Treten derartige Gesetze in Kraft, könnten sich Gerichte bei einer Ablehnung darauf berufen, dass es sich um >natürliche sprich übliche Sicherheitsmaßnahmen eines Staates< handele, die daher auch nicht rehabilitierungsfähig sind,“ so Holzapfel.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.463).
VEREINIGUNG (AK) 17.JUNI 1953 e.V.
PRESSEMITTEILUNG
Berlin, 10. August 2019
Am Montag, 12.August 2019, ab 11:00 Uhr wird sich der einstige Mauerdemonstrant und Bürgerrechtler Carl-Wolfgang Holzapfel am einstigen Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße für eine Stunde über einen eigens zu diesem Zweck gezogenen „weißen Strich“ legen, der seinerzeit dort die Grenze zwischen dem Amerikanischen und Sowjetischen Sektor, zwischen Ost- und West-Berlin markierte. Die Demo ist angemeldet.
Holzapfel will damit an den 30. Jahrestag seiner am 13.August 1989 dort durchgeführten „Lebendigen Brücke“ erinnern. Er hatte sich dort auf die Grenze gelegt, wobei der „weiße Strich“ über seinen Körper lief. „So, wie mein Körper trotz dieser Markierung ein Ganzes ist, so ist Berlin, so ist Deutschland ein Ganzes,“ hatte Holzapfel seinerzeit erklärt. Er rief den aufmarschierten DDR-Grenzern am 28. Jahrestag des Mauerbaus zu: „Was strengt ihr euch so an? Den 30. Jahrestag erlebt ihr sowieso nicht mehr!“ Die über dreistündige Demonstration wurde komplett von der Stasi gefilmt (siehe Youtube: Der Mann vom Checkpoint Charlie“).
Holzapfel demonstriert mit seiner Erinnerung an die „Lebendige Brücke“ für ein „WIR statt IHR“. Er ist besorgt, dass das einstige WIR, das uns bis zur Einheit bewegt hat, in gegenseitigen Vorhaltungen des „IHR“ verloren zu gehen droht.
Die Vereinigung 17. Juni 1953 und der Verein Berliner Unterwelten e.V. unterstützen diese bemerkenswerte Aktion vor Ort.
Heike Eichenmüller, Vorsitzende
VEREINIGUNG (AK) 17.JUNI 1953 e.V., Wühlischstr. 25, 10245 Berlin
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953
Berlin, 10.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (13 -Teil 12 siehe 09.08.2019).
Es wäre unehrlich, eine wie immer geartete Haft als „gut verkraftbar“ hinzustellen. Schließlich brauchte man sich nicht für zu Unrecht eingesperrte Menschen einzusetzen, wenn eine Haft letztlich durch einige Kniffs und Tricks erträglich(er) gestaltet werden könnte. Auch an mir ist diese Zeit keineswegs spurlos vorübergegangen, trotz aller mentalen Vorbereitungen. So haben die neun Monate Einzelhaft im Untersuchungsgefängnis der Stasi in Hohenschönhausen als Beispiel zweifellos bewirkt, dass ich nach dem 1966 erfolgten Freikauf erstmals wieder 2019 in eine Wohnung einzog, die ein „Gegenüber“ hatte. Ich hatte also unbewusst 52 Jahre lang Wohngelegenheiten genutzt, die kein unmittelbares Gegenüber, also keine Einsichtmöglichkeiten in meinen privaten Bereich boten.
Traumatische Erfahrungen in der Kindheit hilfreich
Auf der anderen Seite waren meine, wenn auch an sich traumatischen Erfahrungen aus meiner Kindheit hilfreich beim Überstehen dieser Zeit. So war ich im Alter von vier Jahren in einem dem Evangelischen Johannesstift in Berlin zugeordneten Heim zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Bruder untergebracht. Zu Nikolaus 1948 geriet ich mit meinem Bruder in eine kindliche Auseinandersetzung, nachdem wir im Schlafsaal gemahnt worden waren, im Flüsterton geführte Unterhaltungen einzustellen. Kurze Zeit darauf erschien eine Erzieherin, packte mich, nachdem sie meinen Mund mit einer Binde verschlossen hatte und trug mich aus dem Saal hinunter in den Keller. Dort öffnete sie eine sogen. Luftschutztür, hinter der ein Heizkessel sichtbar wurde. Sie setzte mich auf einem dort stehenden Stuhl ab und schärfte mir ein, mich still zu verhalten. Den auf der anderen Seite des Kessels säße der Nikolaus. Der würde mich, wenn ich mich nicht still verhielte, mitnehmen. Ich käme dann niemals mehr zurück. Dann knallte die Tür zu. Erst am Morgen wurde ich aus dem Verlies befreit. War es da ein Wunder, daß ich noch im Alter von 18 Jahren Herzklopfen hatte, wenn ich durch eine Keller gehen mußte?
Daß ich in einigen der Kinder- und Jugendheime – meine Eltern waren geschieden – eine sogen. Einheits- oder Anstaltskleidung tragen mußte half mir, mit der Gefängniskluft in Hohenschönhausen und später in Bautzen zurecht zu kommen.
„Eure Leiden – unser Auftrag.“ Heute wird in Hohenschönhausen der Opfer des SED-Staates gedacht. – Foto: LyrAg
Die Vernehmungen liefen im erwarteten Rhythmus und Muster ab. Auch hier halfen meine vorbereitenden Kenntnisse. So hatte man mir geraten, mich nicht einer Aussage zu verweigern. Ich solle stattdessen „so ausführlich wie irgend möglich“ Begebenheiten berichten, von denen ich wußte, daß diese bereits öffentlich waren. Damit würde ich keine „feindliche Haltung“ einnehmen, sondern kooperativ wirken. Allerdings sollte ich mir auch stets die Aussagen einprägen, denn die Stasi würde oft noch nach Wochen oder Monaten die gleichen Fragen stellen, um die Antworten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Daher dürfte aber nicht alles wortgleich wiederholt werden, weil dies auf eingeübte Textversionen schließen lassen würde.
Auch das ließ sich relativ gut einarbeiten. Als es z.B. um Treffs mit Mauer-Gegnern in der Bernauer Straße ging, gab ich bei einer solchen Wiederholungsfrage an, nicht mehr ganz sicher zu sein, ob diese Treffs an dieser oder jener Ecke stattgefunden hätten. Dadurch erhielten die Aussagen gesamt eine gewisse Glaubwürdigkeit.
Durch Vernehmungen wurde ein IM entlarvt
Schließlich gelang es mir durch diese vorbereiteten Kenntnisse sogar, einen wahrscheinlichen IM (Informellen Mitarbeiter) der Stasi in West-Berlin zu entlarven. Durch Vernehmungen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass ein mir bekannter Presse-Fotograf, der auch Demonstrationen von mir fotografiert hatte, mögliche Informationen weitergegeben haben könnte. Meine daraufhin detaillierter werdenden Aussagen über Begegnungen mit dieser Person wurden nachdenkenswerter Weise nie hinterfragt. Einzelheiten zu dieser Person interessierten offenbar die über alles neugierige Stasi nicht. Schnell gewann ich den Eindruck, das hier jemand geschützt werden sollte.
Nach meiner Freilassung suchte ich den damalige Geschäftsführer der CDU Berlin. Joachim Kalisch, auf und übermittelte ihm meine Vermutungen über diesen der CDU nahestehenden Fotografen. Kalisch wurde echt blass und sagte mir, dass dieser Mensch vor wenigen Monaten eben unter diesem Verdacht festgenommen worden wäre.
Natürlich blieben auch die Fragen nicht aus, was ich denn für ein Urteil erwarten würde. Allerdings blieb ich eisern, gab die Todesstrafe oder „Lebenslänglich“ an, keinesfalls aber meine erlangten Kenntnisse über mögliche acht Jahre Zuchthaus. Mit Sicherheit hätte die Stasi schon aus optischen Gründen dafür gesorgt, dass ein solches Urteil nicht gefällt werden würde. Schließlich wollte man mich ja von „falschen Vorstellungen“ überzeugen, die durch zuviel Konsumierung von US-Krimis entstanden wären.
Acht Jahre Zuchthaus wurden als Bestätigung empfunden
Als dann am 7. April 1966 nach drei Verhandlungstagen das Urteil anstand, war ich gespannt, ob die Lesart des Kuratoriums Unteilbares Deutschland richtig gewesen war. Der vorsitzende Richter Genrich verlas die Einzelstrafen: Insgesamt zehn Jahre. Dann aber: „Die Einzelstrafen werden zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren zusammengefasst.“ Also doch wieder eine Bestätigung, das dieser Unrechtsstaat über Schubladenurteile verfügte. Manch einer wäre angesichts des Strafmaßes zusammengebrochen. Ich fühlte mich bestätigt. Diese psychologischen Krücken waren ungemein hilfreich, um mit der aktuellen Situation umgehen zu können.
Auch andere Vorkommnisse verhalfen mir dazu, die doch belastende Einzelhaft zu verkraften.
So hatte ich bei einem der eher seltenen Ausgänge im Freikäfig eine Idee. Die Freikäfige waren so groß wie eine Zelle, hatten aber kein Dach. An den Rändern waren Gänge montiert, auf denen das Wachpersonal – erstaunlicherweise bewaffnet – patrouillierte. Im Rundgang war zwar der Schnee geräumt, aber in den Ecken, so zur Zellentür, lagen noch Schneereste. In einem unbeobachteten Moment bückte ich mich und schrieb in den Winkel links von der Tür „Freiheit“.
Kurze Zeit nach meinem Einschluss öffnet sich die Zellentür und ein nicht sehr großer Unteroffizier betrat die Zelle. Aufmerksam registrierte ich, wie der Unteroffizier die Zellentür hinter sich heranzog und verhinderte, das ein Wachtposten, der im Übrigen durch Schikanen aufgefallen war, ebenfalls die Zelle betrat. Es entspann sich folgender Dialog:
„Haben Sie das da draußen geschrieben?“ „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ „Na da draußen, im Freigang.“ „Was soll ich da geschrieben haben?“ „Na, das Wort. In der Ecke, neben der Tür.“ „Was für ein Wort?“
Freiheit: Jeder darf darüber denken, was er will
Ich wollte unbedingt diesen Begriff „Freiheit“ aus seinem Mund hören.
Nach mehreren Versuchen, dem zu entgehen, räumte er schließlich ein: „Na,“ er rollte mit den Augen, „Freiheit.“ „Ach so,“ erwiderte ich, „Freiheit. Das meinen Sie. Ja, das habe ich geschrieben,“ gab ich zu.
Dann die interessante Belehrung: „Jeder kann über diesen Begriff denken, was er will. Aber bitte lassen Sie in Zukunft solche Schreibereien. Das könnte großen Ärger verursachen. Sie dürfen da draußen keine Beschriftungen, welche auch immer, hinterlassen.“ Dann verließ der kleinwüchsige, aber aus dem gewohnten Rahmen fallende Uniformierte die Zelle.
Wenige Wochen später sah ich ihn noch einmal. Ich hatte in einer Nacht zum Sonntag echte gesundheitliche Probleme bekommen, konnte nicht mehr flach auf dem Bett liegen, ohne dass ich heftige Dreh- und Schwindelanfälle bekam. Ich klopfte an die Tür, und schließlich wurden zwei Sanitäter in die Zelle beordert. Diese gaben mir einige Tabletten zur „kurzfristigen regelmäßigen Einnahme nach Bedarf.“
In der Folge setzte bereits in der Nacht heftiger Stuhldrang ein. Nach wenigen Stunden ließ ich aus dem Darm nur noch Wasser ab. Das alles erschöpfte mich derart, daß ich mich am folgenden Sonntag auf das Bett setzte und mit den Armen auf den aufgestapelten Matratzen abstützte, was verboten war. Man durfte tagsüber nur auf dem Schemel am Tisch sitzen. An diesem Sonntag hatte ein Soldat Dienst, der darüber offenbar sehr frustriert war. Jedenfalls hämmerte er mehrfach bei seinen Rundgängen auch an meine Zellentür und forderte mich lautstark auf, mich „anständig“ hinzusetzen. Schließlich riss er sogar die Essenklappe auf und herrschte mich an. Aber auch darauf reagierte ich mit dem Hinweis, das es mir nicht gut ginge und in der Nacht auch schon Sanitäter bei mir waren.
Längere Zeit war nichts zu hören, da die in den Gängen ausgelegten Teppiche jeden Tritt verschluckten. Schließlich rasselten die bekannten Zellen-Schlüssel in einer Durchgangstüre am Ende des Zellenganges. Meine Erwartung, dass dies mich betreffen würde, traf zu. Die Zellentür wurde aufgeschlossen und herein kam der mir bereits bekannte Unteroffizier. Wieder zog er die Zellentür hinter sich zu, sodaß der Frustrierte vor der Tür bleiben mußte.
„Was ist hier los? Warum setzen Sie sich nicht ordentlich hin?“
Ich klärte den Uffz über die vergangene Nacht auf und beschrieb meine Schwierigkeiten, mit dem offenbaren Missmut eines Soldaten über dessen Sonntagsdienst umzugehen. „Schließlich können wir Gefangenen nichts dafür, das Ihr Kollege hier Wache schieben muß.“ Außerdem würde ich nicht begreifen, was daran unanständig sein soll, wenn ich auf dem Bett säße, und meine Arme aufstützen würde.
„Sie wissen aber, dass dies verboten ist?“ „Unanständiges Sitzen könne ja verboten sein. Aber was ist an meinem Sitzen, Sie können mich ja genau betrachten, unanständig?“
„Geben Sie sich einfach Mühe, den Anordnungen zu folgen,“ sagte der Uffz schließlich nach längerer Debatte über die gegenseitigen Argumente und verließ ruhigen Schrittes die Zelle. Den frustrierten Wachtposten hatte ich seither nicht mehr gesehen, den Unteroffizier allerdings auch nicht mehr.
Im Ergebnis aber begriff ich wieder einmal etwas mehr, warum es in den schlimmsten Diktaturen immer wieder Ereignisse gab, die den Gefangenen Mut machten. Dass es Menschen gab, die in den Diensten dieser Diktaturen standen und trotzdem bemüht waren, so weit als möglich, oft sogar unter Lebensgefahr, menschlich zu bleiben. Meine Hoffnung nach dem Mauerfall, mich eines Tages bei diesem Unteroffizier stellvertretend bedanken zu können, hatte leider keinen Erfolg; ein seinerzeitiger Aufruf über eine Pressekonferenz von 1992 der Organisation HELP, deren Präsident ich bis 1993 war, blieb ergebnislos.
-Wird fortgesetzt-
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.456)
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