Von Burkhart Veigel*
Seit einer Panorama-Sendung vom 6.11.2014 über hochgeehrte Fluchthelfer durch die Mauer in Berlin und kriminelle und kriminalisierte Schlepper und Schleuser von heute lässt mich das Thema nicht mehr los. Die Gleichsetzung unserer Fluchthilfe an der Berliner Mauer mit der Tätigkeit der heutigen Schlepper und Schleuser macht offenbar Schule. Diesem Trend möchte ich entgegenhalten:
1. Wir brachten Menschen aus einem Land, aus dem sie nicht herausdurften, in ein Land, in das sie gern hineindurften. Die Schlepper und Schleuser heute helfen Menschen bei der Flucht aus Ländern, aus denen sie gern herausdürfen, in Länder, in die sie aber nicht hineindürfen.
2. „Unsere“ Flüchtlinge waren in ihrer neuen Heimat willkommen. Die heutigen Flüchtlinge sind es oftmals nicht, werden häufig sogar als Eindringlinge angesehen.
3. Die Zahl „unserer“ Flüchtlinge war sehr viel kleiner als die der Flüchtlinge heute. Ich habe in 9 Jahren etwa 650 Menschen in Freiheit gebracht, so viele, wie allein am 18. April 2015, an einem Tag, im Mittelmeer ertranken.
4. Wir haben „unsere“ Flüchtlinge vom ersten Schritt ihrer Flucht bis zur Ankunft betreut. Die „Helfer“ heute lassen ihre Flüchtlinge in der entscheidenden Phase vielfach im Stich.
5. Wir haben mit „unseren“ Flüchtlingen vor der Flucht gesprochen über das „Warum“ und „Was kommt danach“. Allerdings waren sie nicht auf der Flucht vor Mörderbanden und aus brennenden Städten, sie hätten auch in der DDR bleiben können. Die Not der heutigen Flüchtlinge und ihre große Zahl lässt eine Überprüfung der Fluchtgründe vor ihrer Flucht nicht zu. Deshalb muss man nachträgliche Prüfungen notgedrungen akzeptieren und deshalb auch die schlimme Praxis einer eventuellen Abschiebung.
6. Die neue Heimat war für „unsere“ Flüchtlinge nicht fremd, einige von ihnen kannten sie sogar. Sie sprachen die gleiche Sprache, die Integration war für die Meisten kein Problem. Die rasche Integration der heutigen Flüchtlinge scheitert schon aus Mangel an Sprachkenntnissen und der Unwissenheit über die sie aufnehmende Kultur.
7. Damals half man Flüchtlingen nicht mit Transferleistungen; sie mussten nach ihrer Flucht sofort arbeiten (durften das allerdings auch). Zu dieser harten Schule gab es keine Alternative. Die heutigen Flüchtlinge werden zwangsweise „gefördert“, was ihre Integration behindert; sie zu „fordern“ wäre im Hinblick auf ihre Integration viel sinnvoller.
8. „Unsere“ Flüchtlinge konnten die Kosten nach ihrer Flucht bezahlen, weil wir eine persönliche Beziehung zu ihnen hatten. Lange Zeit waren Fluchthelfer Idealisten, die an der Not der Menschen nichts verdienen wollten und nichts verdient haben – im Gegensatz zu den meisten Schleppern und Schleusern heute.
9. Nach dem Bau der Mauer wurde jeder Flüchtling ohne Prüfung als „politischer Flüchtling“ anerkannt. Auch heute gäbe es weniger Probleme, wenn grundsätzlich allen Menschen Asyl gewährt würde, die aus Ländern kommen, in denen Korruption, Willkür und die Missachtung der Menschenrechte an der Tagesordnung sind oder in denen ein (Bürger-)Krieg tobt. Die Prüfung, ob ein Asylsuchender in seiner Heimat an Leib und Seele bedroht ist, könnte entfallen, allein die Herkunft aus einem „Unrechtsstaat“ muss für die Anerkennung ausreichen.
10. Anzumahnen, Flüchtlinge aufzunehmen, sind nicht nur unsere europäischen Nachbarn, sondern in erster Linie und mit Nachdruck die arabischen Ölstaaten, die zumindest für ihre Glaubensbrüder sehr viel mehr tun könnten als heute. Warum sollten Muslime in säkularisierte Länder fliehen, deren Bewohner sie als geborene Feinde sehen, wenn es eine Möglichkeit für sie gäbe, innerhalb ihrer Religionsgemeinschaft eine neue Heimat zu finden?
11. Wir müssen aber auch selbst an die Grenzen unserer Belastbarkeit gehen und Flüchtlingen aus „Unrechtsstaaten“ helfen.
12. Deshalb sind die „Schlepper und Schleuser“ nicht per se schlecht. Es kommt darauf an, wie qualifiziert sie ihre Arbeit machen: Ein erfolgreicher Schleuser darf (wie jeder Arzt und jeder Rechtsanwalt hierzulande) auch Geld für seine Hilfe nehmen – und muss dafür Anerkennung erhalten und nicht ins Gefängnis gesperrt werden. Zu verfolgen sind aber diejenigen, die ihre Schutzbefohlenen in den Tod schicken, ertrinken lassen, egal ob sie dafür Geld genommen haben oder – theoretisch – Idealisten waren. Die Motivation und Geld spielen eine Rolle, aber keine entscheidende. Fast allein wichtig ist die Professionalität dieser Fluchthelfer.
Fazit:
Eine Gleichsetzung von Fluchthelfern durch die Berliner Mauer und Schleppern und Schleusern von heute verbietet sich. Allein aus der Tatsache, dass Menschen „illegal“ über Grenzen gebracht werden, lässt sich keine Gemeinsamkeit konstruieren. Im Zentrum unserer Überlegungen und Handlungen müssen aber die Flüchtlinge stehen, denen unter allen Umständen geholfen werden muss, vor allem, wenn sie aus „Unrechtsstaaten“ kommen und auf der Flucht ihr Leben riskiert haben. Sie sind keine „Wirtschaftsflüchtlinge“, sondern Menschen in Not, die eine eigene moralische Qualität haben, die uns zwingt, ihnen zu helfen.
*Zum Autor: Dr, med. Burkhart Veigel, Jahrgang 1938, war in den 1960er-Jahren Medizinstudent und Fluchthelfer in Berlin. Er verhalf etwa 650 Menschen zur Flucht in den Westen. Veigel überstand unversehrt zwei Entführungsversuche durch die DDR-Staatssicherheit. 2012 erhielt der Arzt (Promotion 1969 in München) das Bundesverdienstkreuz. Mehr dazu in seinem Buch „Wege durch die Mauer – Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West“. 488 Seiten, Verlag: Edition Berliner Unterwelten, 3. überarbeitete und stark erweiterte Auflage (12. Juli 2011), ISBN-13: 978-3943112092 , 16,1 x 2,7 x 22,8 cm, auch als Taschenbuch (ISBN-10: 3943112098).
V.i.S.d.P.: Autor Burkhart Veigel, Redaktion Hoheneck, Tel.: 030-30207785
11 Kommentare
6. August 2015 um 18:59
Horst Übelacker
Dieser Kritik an der (idiotischen) Gleichsetzung von damaligen Fluchthelfern und heutigen Schleppern schließe ich mich an. Alle, die Derartiges (Gleichsetzendes) behaupten, leiden vermutlich unter fortgeschrittener ideologischer Verkarstung!
Univ.-Prof. Dr. Horst Rudolf Übelacker
10. August 2015 um 07:43
Edith Fiedler
Absolut richtig. Deutsch – Deutsche Fluchthilfe mit oder ohne Bezahlung war eine nationale Angelegenheit der Deutschen. Sie hat mit den heutigen Schleppern überhaupt nichts zu tun und soll nur wieder erneut die damaligen Fluchthelfer (teilweise inzwischen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet) diskreditieren. Das darf man nicht zulassen.
28. Juli 2015 um 11:29
Klaus Hoffmann
Ich war Fluchthelfer von 1967 bis zum Transitabkommen im Dezember 1971!
In der Gruppe X-10, war ich (Student) für die Logistik von 56 Fluchten zuständig. Mit den Kameraden Reinhard FURRER (späterer 1. Deutscher Astronaut) und Wolgang FUCHS wurden Menschen aus der „DDR“ rausgeholt, deren Vita, so gut es ging, zuvor abgeprüft war. Vorkasse hat es bei uns nie(!) gegeben.
Bin selber im Jahr 1966 von FURRER und FUCHS zusammen mit einem Freund und zwei weiteren Männern über den Checkpoint-Charlie in der Friedrichstraße „ausgeschleust“ worden. Das kostete damals 8.800 DM, die sich jeder verpflichtete in monatlichen Raten abzutragen.
Fluchthilfe war damals ein humanistisches Hilfe-Anliegen. Bei mir kam noch eine antikommunistische Einstellung hinzu, die mir nach meinem mißglückten Fluchtversuch in Ceske Budiovice (Budweiss) im Gefängnis eingeprügelt worden war, bevor ich an den Staatsicherheitsdienst nach Hohenschönhausen ausgeliefert wurde.
Wenn ich heute höre und lese, daß die, für die Fluchthelfer gefährliche Hilfe von Deutschen für Deutsche als Erklärung/Vergleich für den heutigen Transport von Asylsuchenden herangezogen wird, kommt in mir Wut auf.
Wut auf Schreiberlinge, selbsternannte Gutmenschen und schlimmer noch auf Politiker der dritten Reihe.
Bei allem Verständnis für das Leid von Kriegsflüchtlingen, ihr finanzierter Transport hat für seine Organisatoren nicht den Hauch humanistischer Gesinnung, sondern es ist ein aus Not und Zerstörung entwickeltes Geschäftsmodell. Gegen die Geschäftemacher und ihre logistische Basis kann man, wenn man es denn wirklich will (!), vorgehen, bevor man die hiesige Bereitschaft der Hilfe weiter strapaziert.
28. Juli 2015 um 11:25
Bernd Stichler
Es war ohne Wenn und Aber eine innerdeutsche Angelegenheit , also kein Wechsel in einen Staat anderer Nationalität !!!
Aber solch fiese Gleichstellungsversuche mit Schleusern sind nur möglich , weil auch hier die einseitige Auslegung des §130 StGB juristische Gegenmaßnahmen unmöglich macht.
27. Juli 2015 um 19:57
Johann Weber
Im Internet nachzulesen. Für Fluchthilfe mussten unsere Brüder und Schwestern oft bis zu 100.000 DM oder 400.000 DDR-Mark bezahlen.
27. Juli 2015 um 20:48
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Was noch zu beweisen wäre, oder? Die Redaktion
27. Juli 2015 um 21:42
Johann Weber
„Dieser forderte trotz des mißlungenen Versuchs, einen DDR-Bürger über die Grenze zu bringen, den vereinbarten Vorschuß in Höhe von 10.000 Mark von seinem westdeutschen Auftraggeber und war nach dessen Weigerung bis vor den BGH gezogen.“
Der BGH kam in seinem Urteil zu dem Schluß, „daß ein solcher Vertrag nicht allgemein gegen die guten Sitten verstößt“. (5)
5) Im Folgenden wird immer wieder diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 21.2.1980, NJW 1980, Heft 29, S.1574ff zitiert.
http://www.akweb.de/ak_s/ak430/05.htm
oder:
„Nach gelungener Flucht unterzeichnete der Beklagte am
19. November 1973 im Büro des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein Schriftstück, in dem er sich verpflichtete, an den Kläger 4.500 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 1. November 1973 zu zahlen, und Anwaltskosten in Höhe von 368,20 DM übernahm. Die Schuld sollte in monatlichen Raten von 200 DM, beginnend mit dem 15. Dezember 1973, getilgt werden und auf einmal fällig sein, wenn eine Rate nicht zehn Tage nach Fälligkeit entrichtet wurde.“
https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1977-09-29/III-ZR-164_75
oder:
„15.000 Mark für eine Fluchthilfeorganisation, die zurückbezahlt werden mussten
Damals lebten Sie ja schon im Westen, Sie waren nach Ihrer Zeit im Gefängnis mit Ihrem Sohn umgezogen.
Ellen Thiemann: …… Meine Tante hatte ja im Voraus an die Fluchthilfeorganisation 15.000 Mark bezahlt, die ich ihr nach meiner Übersiedlung schnellstens zurückzahlen wollte.“
http://www.heise.de/tp/artikel/38/38815/1.html
28. Juli 2015 um 07:30
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Das sind 10.000 bis maximal 15.000 DM, das war nie bestritten, kann auch ich aus eigener Kenntnis bestätigen. Aber wo sind die behaupteten 100.000 – 400.000 DDRM? Jetzt mal Butter bei die Fische… cw/Redaktion Hoheneck
18. Juli 2016 um 20:42
Weber
„Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik läßt
weiterhin politische Gefangene gegen Beträge von 30000 bis
160000 Mark pro Gefangenen in die Bundesrepublik
Deutschland ausreisen.“
Jahresbericht 1978 amnesty international
29. Juli 2015 um 08:14
Gustav Rust
Im Weltnetz schreiben allerhand Leute, die unter Langeweile leiden, viel wenn der Tag lang ist. Hier jedenfalls werden von Kameraden nicht solche astronomischen Summen genannt. Wo bleibt die Adresse, um nachsehen zu können, ob es stimmt, daß 100.000,- , ja sogar 400.000,- DM verlangt wurden? Und, wenn solcherart Vergleiche angestellt werden zwischen deutscher Fluchthilfe während der Teilung unseres Vaterlandes und internationalen, heutigen Schlepperbanden, sollte sich der Skribent in den Hinterfragungsmodus begeben! In Afrika warten schon etwa eine Million sog. „Flüchtlinge“, wie sogar das …fernsehen berichtete. Es werden vielfach Gruppen junger Männer in bestem (Arbeits-)Alter gezeigt, die darauf warten, an die europäischen Fleischtöpfe zu kommen… Schon längere Zeit finden keine Stellvertreterkriege mehr statt, und jetzt schlachten sie sich gegenseitig ab, weil sie noch immer im Stammesdenken befangen sind! Das sind dort eben KEINE (gewachsenen) NATIONEN wie hier in Europa sondern Völkerstämme, die sich gegenseitig ausrotten, wie sich in grauer Vorzeit auch die Germanen zur Freude der Römer gegenseitig in die Haare gerieten… Johann, Johann…! Schon Kanzler Schröder wollte seinerzeit Fachleute aus Indien hierher locken. Nur wenige kamen und ergriffen bald darauf die Flucht aus unserem gelobten Land, weil woanders mehr gezahlt wird. Diese Inder konnten etwas, was aber können die „Spezialisten“ aus Afrika, außer schießen? … Ich komme zum Ende, sonst kürzt Kamerad Holzapfel wieder. Du fragst, wer Schröder ist? Das ist der, welcher Putin bald nach dem Mauerfall 7,1 Milliarden harter DM Schulden erließ und dafür einige Jahre später den Posten bei der Gazprom erhielt. Mit unseren Steuern kaufte er sich wohl nach meiner Meinung bei Putin ein
… Johann, Johann, kopfschüttelnd verbleibt, Gustav Rust http://www.gustav-rust.de und http://www.gustav-rust-berlin.de
27. Juli 2015 um 17:02
Klaus Helmut Dörfert
Liebe Kameraden/Innen
Das war doch wohl eine innerdeutsche Angelegenheit, der Deutschen Brüder und Schwestern, die durch Krieg,Flucht und Vertreibung alles verloren und getrennt wurden.Ich darf das so sagen,so wie 14 Millionen meiner Deutschen Landsleute.Eines muss ich aber noch dazu erwähnen,die Menschenrechte sind für mich unantastbar. Kein Krieg und keine Religion ,wird je die Ungleichheiten in diesen Ländern beenden können.Der Schlüssel zum Frieden liegt in den Krisenländern,da alle Völker dieser Erde, ökonomischen Zwängen unterliegen. Also muss in diesen Ländern eine stabile Rechtsordnung, Bildung und Ökonomie installiert werden. Aber wenn die Politiker und die sogenannten Geistlichen, ihre Ideologien und Religionen verkünden,dann läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.