Berlin, 25.07.2015/HB – Die Bundesstiftung Aufarbeitung lädt ausgerechnet zum Jahrstag des Mauerbaus den Sprecher des „Zentrum für politische Schönheit“ Philipp Ruch ein. Am 11.August, 18:00 Uhr (Kronenstraße 5) sollen ein Fluchthelfer (Ralph Kabisch), eine versuchte Republikflüchtige (Konstanze Helber), die Aufarbeitungsfunktionärin Dr. Maria Nooke (Leiterin Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde) und Uta Sternal (Leiterin Übergangswohnheim Marienfelde des IB) über das Thema Flucht und Fluchthilfe in Deutschland: Grenzen überwinden – auch in der Erinnerungskultur? diskutieren.
Die Terminplaner haben diesmal offenbar keine glückliche Hand gehabt. Mit Konstanze Helber lädt die Stiftung ausgerechnet eine Frau ein, die sich mit Verve für die Auflösung des Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen (DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck) eingesetzt hat und einsetzt (der Rechtsstreit geht ggw. in die zweite Instanz) und damit für eine Lähmung der Aufarbeitung speziell in Hoheneck (Aufbau einer Gedenkstätte) mitverantwortlich zeichnet. Mit Philipp Ruch wird neben Helber ein weiterer Provokateur eingeladen, der im letzten Jahr ein Denkmal an die Toten der Mauer schändete, um aktuell Polit-Clownerie zu veranstalten. Warum der iranische Künstler, Ahmed Barakizadeh, angefragt wurde, erschließt sich dem Außenbetrachter ebenso wenig. Mag die Einladung der Leiterin des Übergangswohnheims in Marienfelde dem Thema angemessen sein, so erscheint die Vertretung der Buchautorin Dr. Maria Nooke eher als Verbeugung vor den Usancen gegenüber der Aufarbeitungslobby bestimmt zu sein.
Im Vorfeld der Veranstaltung schlagen bereits die Emotionen hoch (was einer hohen Frequentierung durchaus dienlich sein kann). Insoweit könnte sich die Planung als gut kalkuliert herausstellen. Dennoch stellt sich die Frage nach einer zumindest von den betroffenen Diktatur-Opfern erwarteten Ethik dieser Bundesstiftung, die ja zumindest dem Namen nach der Aufarbeitung der SED-Diktatur nachgehen soll. Dazu gehört gewiss nicht das Angebot eines Podiums für Leute, die sich unter dem Deckmantel „Politischer Schönheit“ hässlichster Provokationen bedienen, um auf sich mittels der Schändung von Gedenkkreuzen aufmerksam zu machen. Es gibt Grenzen des Anstands (Martin Sachse), zumal Philipp Ruch und seinem Anhang breiter Raum in linkslastigen Institutionen und Medien eingeräumt wird. Der Anspruch auf Meinungsfreiheit und Äußerungsrecht ist also hinreichend – meist sogar überzogen – gegeben. Diesen Leuten ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerbaus in einem Aufarbeitungsforum Öffentlichkeit einzuräumen, stellt eine ärgerliche weil vermeidbare Provokation dar. Das trifft auch auf umstrittene Personen wie die ehemalige Hoheneckerin Konstanze Helber zu. Wer sich an den Auflösungen mühevoll aufgebauter und sinnvoller Strukturen einstiger politischer Verfolgter, hier der ehemaligen Frauen von Hoheneck, beteiligt, sollte dafür nicht noch durch Honorare der Aufarbeitung unterstützt werden.
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Errichtung neuer Mauern auf unserer Erde, nachdem wir vor einem Vierteljahrhundert den Einsturz einer solchen Mauer bejubelt haben, könnte hingegen ein Thema zum Jahrestag des 13. August 1961 wie des Mauerfalls am 9. November sein. Aber dann bitte mit Akteuren, die jene Mauer von 1961 bekämpft und überwunden haben und denen die Erinnerungsarbeit an diese fundamentalen historischen Ereignisse Herzensangelegenheit und nicht eine Frage nach der möglichen Zerstörung bestehender Kameradschaften oder provokanter Selbstdarstellungen auf dem Rücken von Opfern der Diktatur ist.
Martin Sachse hat die Problematik der Handlungsweisen sogen. Politischer Schönheit jüngst in einem Kommentar treffend verdeutlicht. Wir drucken diesen nachstehend mit freundlicher Genehmigung des Autors ab. (1.016)
„Politische Schönheit“ – Ein Kommentar
Von Martin Sachse
Unter dem Motto “Die Toten kommen” hat das “Zentrum für politische Schönheit“ vor dem Kanzleramt am vergangenen Wochenende in Berlin mit einer Aktion auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen wollen. In der Ankündigung des ZPS ist zu lesen: “Gemeinsam mit den Angehörigen haben wir menschenunwürdige Grabstätten geöffnet und tote Einwanderer exhumiert. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Deutschland…” (Quelle: ZPS)

25. Juli 2015: Offener Brief an Frau Dr. Anna Kaminsky (Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur)
Die Aktion wird u.a. in der Süddeutschen Zeitung kritisiert: “Was bleibt aber? Das ZPS will zum Nachdenken anregen, aufrütteln, aufwecken. Nur wen eigentlich? Die Deutschen, die täglich mit dem Schicksal der Flüchtlinge konfrontiert sind, in den Medien, aber vielmehr noch in den Städten und Dörfern, in denen immer neue Unterkünfte gebaut werden? Es entsteht schnell der Eindruck: Die Künstler unterschätzen ihr Publikum. Sie wollen einem Land mit drastischen Mitteln vor Augen führen, worüber es seit Monaten redet. Und wer diese Mittel nicht gut findet, der steht in den Augen der Künstler und ihrer Anhänger schnell als empathielos da oder hat schlicht keine Ahnung davon, was “da draußen” tatsächlich abläuft… “ (Quelle: Süddeutsche Zeitung: “Die Mittel schaden dem Zweck” / 21. Juni 2015)
Bereits eine andere Aktion des ZPS, bei der die Kreuze für das Gedenken an die Mauertoten in Berlin entfernt wurden, hatte für Unmut gesorgt. In der Mail eines politisch Verfolgten der DDR heißt es dazu: “Nicht jede Grenzüberschreitung verdient Achtung! Und nicht jede Aktion ist durch die Kunstfreiheit gedeckt. Besonders geschmacklos ist für mich als DDR-Flüchtling auch die nachfolgende Aktion: “Die Installation „Weiße Kreuze“ ergriff vor den Gedenkfeiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls kollektiv die Flucht aus dem Regierungs-viertel in Berlin. Die Mauertoten flüchteten in einem Akt der Solidarität zu ihren Brüdern und Schwestern über die Außengrenzen der Europäischen Union, genauer: zu den zukünftigen Mauertoten.” Die Mauertoten konnten nicht mehr gefragt werden. Und sie hätten sicher anders entschieden! Oder waren die politisch Verfolgten, Flüchtlinge, in Psychiatrien der DDR Ermordeten und Mauertoten ihre Freunde, die Sie verloren haben?!”, so ein Auszug aus der Mail.
Eine erbetene zeitnahe Beantwortung erfolgte nicht. Auch keine „nicht-zeitnahe“. So viel erneut zur Streitkultur.
Das sich das ZPS mit Bezug auf die “Brüder und Schwestern” dabei auf eine Formulierung aus der Zeit des Kalten Krieges und der deutschen Teilung bezieht ist abstoßend. Durch Krieg und Teilung waren deutsche Familien getrennt worden. Notwendige Solidarität (mit wirklich Verfolgten) und die Familienbande deutscher Familien zu vermengen, verbietet sich von selbst. Familie entsteht nicht durch aufoktroyieren, sondern wird über Jahrhunderte geprägt. Das betrifft die Familie im engen Sinne wie auch die Familie im Sinne eines Volkes. Derzeitige Bestrebungen, dies zunehmend in Frage zu stellen, sind Ausdruck einer Verachtung der eigenen Kultur und Werte. Trotz Trennung und unterschiedlicher politischer Systeme in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg existierte der kulturelle innere Zusammenhalt weiter. So viel zum Thema “Brüder und Schwestern”.
Das ZPS hat bei vielen Menschen Irritationen ausgelöst und die Gefühle von Verfolgten der DDR verletzt.
Ein anderer Ort mit ähnlicher Bedeutung
Am 31. Oktober 2004 wurde das neu errichtete Mahnmal am Checkpoint Charlie mit einem Teilnachbau der Berliner Mauer und Mauerkreuzen eingeweiht. Initiiert wurde es nach einer Anregung von Alexandra Hildebrandt (Museum am Checkpoint Charlie). Am 5. und 6. Juli 2005 kam es nach einem Rechtsstreit zur Räumung. Der einzige “Gewinn” dieser Räumung besteht nun darin, dass dieser Ort nicht mehr für missbräuchliche “Nutzungen” (wie die oben beschriebene) zur Verfügung steht.
Die zufällige Nachbarschaft des Plakates “Ehrlich schmeckt am längsten” hatte dem Ort ungewollt einen zusätzlichen Sinn gegeben. Auf diese Ehrlichkeit – oder auch Aufrichtigkeit sollten sich alsbald einige “Protagonisten” wieder rückbesinnen. Aufrichtigkeit hat seinerzeit politisch Verfolgte der DDR ausgezeichnet.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Autor Martin Sachse, Berlin, Tel.: 030-30207785
6 Kommentare
30. Juli 2015 um 16:32
text030
Meinen offenen Brief hat die Stiftung Aufarbeitung DDR leider nicht beantwortet. So kann ich einer ausgesprochenen Einladung aus 2 Gründen nicht folgen.
1. Dem ZPS kann kein Podium für seine Aktionen gegeben werden, wenn die Gefühle von Verfolgten der DDR verletzt wurden.
2. Die Nichtbeantwortung des Offenen Briefes sagt viel über den Aufklärungswillen der Stiftung aus.
Martin Sachse, Autors des Kommentars „Politische Schönheit“
25. Juli 2015 um 17:32
Gustav Rust
Ich habe noch zu erwähnen vergessen, daß die Stiftung unter Eppelmann der notleidenden Rosa-Luxemburg-Stiftung mit 20.000,- D-Mark unter die Arme griff! Es war vor Februar 2002…
Manche Kameraden stellen ja Anträge an diese … Stiftung wegen Druckkostenzuschüssen etc. … Ich kroch in der Zone nicht der Partei hinten rein, und hier gilt für mich dasselbe… Mögen sich andere kaufen lassen von den Bossen der Aufarbeitungsindustrie. … Die Bearbeitungszeit eines Antrages dauert etwa 2 Jahre! Was dauert denn da so lange?? Das Kaffeebrühen oder wie oder was? Innerhalb von zwei Jahren kann ja jemand lange verstorben sein!
Eine Anmerkung in anderer Sache: Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ (MAZ) brachte … einen Artikel über eine vom NKWD Verschleppte Heimatvertriebene aus der Gegend von Stolp, der Hauptstadt Hinterpommerns. … Wer ihn haben möchte, kann mich anmailen: gustav-rust@gmx.de.*
Kameradschaftliche Grüße,
Gustav Rust http://www.gustav-rust.de http://www.gustav-rust-berlin.de
* Der Beitrag wurde unwesenlich gekürzt. Die Redaktion
26. Juli 2015 um 13:52
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Hier der LINK zum von Gustav Rust angesprochenen Artikel in der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 24.07.2015:
http://www.maz-online.de/Lokales/Teltow-Flaeming/Man-haette-mehr-fragen-muessen
Außerdem:
http://www.maz-online.de/Lokales/Dahme-Spreewald/Werner-Jost-aus-Friedersdorf-war-als-16-jaehriger-Gefangener-in-russischen-Speziallagern
25. Juli 2015 um 17:16
Gustav Rust
Danke, Bernd!
Anna Kaminsky studierte an der Kaderschmiede Karl-Marx-Uni Leipzig… Die meisten dieser funktionierenden Funktionäre des VEB Aufarbeitung sind Doktoren aus der Besenkammer-Republik „DDR“. Vor die Nase bekamen sie allerdings Wessis gesetzt (siehe den unseligen Dr. Morsch in Sachsenhausen): Alt-68er bzw. deren Nachzucht. Die Frankfurter Schule läßt grüßen… Diese „DDR“-Doktoren sind artig und folgsam. Und sie haben parieren gelernt, nur, daß sie früher noch die Hacken zusammenschlugen soweit sie Uniform trugen… Als ich 2000/2001 im Bundesarchiv recherchierte, stammten (fast) alle Nummernschilder aus Potsdam, Potsdam-Mittelmark etc. …
Hier etwas von heute aus meinem Tagebuch… :
Als ich die Bücher wieder in Ordnung bringe, weil die Touristen alles durcheinanderschieben, spricht mich eine von zwei Frauen an: „Darf ich Sie etwas fragen?“ „Ja, …“? „Was war denn am 17. Juni 1953?“. Es haut mich fast um! Die schlanke, sommerlich gekleidete, etwa 38-jährige, ist so unwissend… „Wat, det weeßte nich!? Da war inne Ostzone Volksuffstand.“ …Ich denke, daß ich hier vielleicht auch noch Geschichtsunterricht geben werde für die aufgetakelten, oft eingebildeten Besser-Wessis – gratis natürlich. … Die kennen jeden Prominenten, reißen sich um Fotos von dem Stammhalter in England etc., aber von jüngster deutscher Geschichte haben sie keinen Schimmer … Bei 13 langen Jahren bis zum Abitur, brennt noch immer kaum Licht in ihren Hirnen. … *
Schönes Wochenende, und kameradschaftliche Grüße,
Gustav Rust
*Der lange Beitrag wurde etwas gekürzt. Die Redaktion
25. Juli 2015 um 14:02
Klaus Helmut Dörfert
Liebe Kameraden/Innen
Wenn ich diese Zeilen lese,komm ich immer wieder zu dem Ergebnis,es geht schon lange nicht mehr um die Opfer,sondern nur noch um die Rehabilitationsindustrie.Denn von denen, die heute richtig Kasse machen ,waren doch nun wirklich die wenigsten Opfer.Die haben wohl das Ganze gehasst,aber sich mit einem Teil der Diktatur arrangiert.Wir als Widerständler,mussten zu allererst lernen, dass Leben zu denken und nach 1989 das Denken zu leben.Wer kennt da nicht die Sätze, in den Rehabilitationsverfahren der Deutschen Gerichte :,, Das Urteil war hart,jedoch stand es nicht im Missverhältnis zum Gesetz.Auch in einem freiheitlichem demokratischen Staat unterliegt die Vorstellung über eine ,,gerechte“ Strafe der Veränderung“( Zitat Landgericht Leipzig).Dann stellt sich mir die Frage,wenn Zwangsarbeit gerecht ist,wann sind da wieder KZ erlaubt.Ich vermisse immer noch die klare Aussage der Bundesrepublik,die DDR war kein Rechtsstaat,dann würde wenigsten die Zwangsarbeit entschädigt werden müssen und das ohne Antrag.Die Anerkennungsforderungen der Opfer richten sich hier von mir, insbesondere auf den kooperativen Staat.Denn die Verbannung der Rehabilitierung und der Opfer ins Private,bedeutet doch nicht mehr , als das sich der Staat komplett aus diesem Rehabilitationsproblem heraushält.In den Geschichtsbüchern wird nun doch wohl stehen ,die Bundesrepublik Deutschland war nicht in der Lage die braunen, sowie die roten Nazis zu Verantwortung zu ziehen.Die Bundesrepublik Deutschland, hat den Widerständlern und Opfern der 1 und 2 deutschen Diktaturen den Zugang zu den Ressourcen und den gesellschaftlichem Status verwehrt. Dadurch wird der Abbau sozialer Ungleichheit und sozialer Gerechtigkeit nicht verfolgt.Dass könnte man aber durch einen gerechten Staat verhindern.
25. Juli 2015 um 11:59
Bernd Stichler
Wer heute immer noch nicht begriffen hat daß die Aufarbeitungsindustrie nicht für uns sondern gezielt gegen uns arbeitet , den kann ich leider nicht bedauern. Es werden wohl trotzdem aus unseren Kreisen Leute dort hingehen. Denen möchte ich mit auf den Weg geben :
“ Niemals sollt Ihr so tief sinken , von dem Kakao durch den man Euch zieht , auch noch zu trinken „.
Auch der Name “ Nooke “ bürgt für Qualität.