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Hoheneck/Berlin, 19.05.2014/cw – Der erst 2008 gegründete „Vergangenheitsverlag“ in Berlin versteht sich als „Publikumsverlag für historische Sachliteratur,“ so der Verlag in seiner Selbstvorstellung. „Wir verstehen Geschichte als wichtigen Identitätsfaktor, Reflexionsebene und aufklärerischen Impuls. Die Geschichte, die wir präsentieren wollen, soll dabei eine Relevanz für jeden Menschen haben, sie soll auch unseren Alltag und uns selbst zum Thema machen.“ Und: „Das Ziel ist die Pflege einer aufgeklärten, demokratischen und offenen Geschichtskultur.“

Dies sei vorausgeschickt, um sich dem neuesten Produkt des kleinen, aber anspruchsvollen Verlages zu nähern. Am morgigen Dienstag, 20.Mai, gelangt der Bildband „Hoheneck – Das DDR-Frauenzuchthaus“ in den Buchhandel. Die bekannte Berliner Fotografin Rengha Rodewill stellt in über 200 schwarz-weiß-Fotos die Burg in Stollberg vor, von dem es in der Einführung heißt, daß es Orte gibt, „die zum Begriff geworden sind, die für Schrecken, Grauen und unbeschreibliches menschliches Leid stehen.“

Bedrückender Blick in eine der fürchterlichsten Haftanstalten

Rodewill lässt den Betrachter behutsam von Außen in die Innenwelt eines der fürchterlichsten Haftanstalten der zweiten Diktatur eintauchen. Von dem dominant und historisch wirkenden Gesamtblick führt sie in die immer düsterer wirkenden Innereien der Anstalt. Allein die vielfachen Sichten auf Details des Eingangsbereichs komponieren ohne Worte die Barrikaden, die ein Entrinnen, falls es jemals in die Vorstellungskraft gelangte, als unmöglich erscheinen lassen. Die sachlich abgebildeten Propagandalügen und Kappen der Macht (Mützen der Wärter) mit dem hinter einer uniformierten Puppe hervorgrinsenden verantwortlichen „Ersten Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik“, wie das langatmig und ermüdend jeder Nachricht von und über Erich Honecker vorausgestellt wurde, lassen den einstigen Spuk so erscheinen, wie es Verena Ersfeld ihrer Hohenecker Kurzbiografie vorausstellt: „Tolle DDR-Tugenden? Was ist das für ein Mist?“ (Seite 26).

Eindrucksvoll: Fotoband über Hoheneck, ab 20.05.2014 im  Handel

Eindrucksvoll: Fotoband über Hoheneck, ab 20.05.2014 im Handel

Anita Goßler 2011 mit Christian Wulff vor der Wasserzelle in Hoheneck:  Nicht in der Wasserzelle gewesen  - Foto LyrAg

Anita Goßler (re.) 2011 mit Christian Wulff vor der Wasserzelle in Hoheneck: Nicht in dieser Wasserzelle gewesen – Foto LyrAg

Überhaupt ist die wohlüberlegte Einstreuung von Berichten ehemaliger Frauen von Hoheneck in die zahlreichen, oft überwältigenden Fotos eine begrüßenswerte Variante, die nicht zuletzt dadurch „den Alltag (und die Frauen von Hoheneck) selbst zum Thema machen.“ Neben Ersfeld kommen Konstanze Helber: „Unglauben im Westen“ (S.68), Julia Klötzner: „Wir wurden wie Abschaum behandelt“ (S.98), Heidrun Breuer: „Ich hatte vor Ekel eine Gänsehaut von oben bis unten“ (S.156), Petra Schulz: „Ich war trotzig, man konnte mich nicht brechen“ (S.186), Anita Goßler: „Der Körper funktioniert einfach weiter“ (S.208), Sylvia Öhlenschläger: “Man musste jede Scham ablegen“ (S.234) und Elke Scheffer: „Frauen sind untereinander grausamer“ (S.280) zu Wort. Dass die zitierten Frauen nur im Wort „sichtbar“ werden, mag der bildlichen Konzentration auf die düstere Einrichtung über der Großen Kreisstadt Stollberg geschuldet sein

Bedauerlich: Aufgewärmte und längst widerlegte Lügen

Womit ich bei aller Hochachtung und Akzeptanz ein Ärgernis ansprechen muss, das geeignet ist, das ganze und lobenswerte Vorhaben in einen ärgerlichen Misskredit zu bringen. Der bebra-Verlag, ebenfalls Berlin, hatte bereits bei der 2012 erfolgten Vorlage des ebenso beachtlichen Bandes „Der Dunkle Ort“, der die Portraits ehemaliger Hohenecker Frauen in den Mittelpunkt stellte, auch Anita Goßler vorgestellt bzw. portraitiert. Zu dieser Zeit konnte der Verlag (und die Frauen von Hoheneck) nicht wissen, welche Lügen die kurzfristige Vorsitzende des Frauenkreises in die Welt setzte. Diese Lügen wurden ausgebaut und ergänzt durch ein Buch der einstigen Gauck-Freundin, Autorin und Redenschreiberin in Bellevue, Helga Hirsch („Endlich wieder leben“, Siedler 2012), in dem Goßler berichtete, der Vater ihres im Haftkrankenhaus Meusdorf geborenen Kindes sei in Bautzen gestorben und die Urne an der Ostsee beigesetzt worden.

Diese schreckliche Nachricht sei ihr in Hoheneck von einer von Bautzen nach Hoheneck verlegten Insassin übermittelt worden. Recherchen in den Archiven ergaben nachweisbar eine andere Realität. So verzehrt der zusammen mit Goßler verurteilte und angeblich in Bautzen verstorbene Kindsvater in Nordrhein-Westfalen seine Rente (2013). Auch die Mär von der Stasi-Haft konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden. Goßler war nach Aktenlage im Polizeigewahrsam in Delitzsch und verschiedenen Haftkrankenhäusern, hingegen auschließlich zur Gerichtsverhandlung im Mai 1953 in Leipzig. Ebenso wenig stimmt die Story von den Wasserzellen-Aufenthalten in Leipzig und Hoheneck. Während Goßler noch 2011 dem Bundespräsidenten Christian Wulff gegenüber in Hoheneck bekundete, sie sei zwar „in Leipzig, aber nicht in Hoheneck“ in der Wasserzelle gewesen, wärmt sie diese Lüge in dem vorgelegten Fotoband wieder auf: „Sie berichtet, dass sie in die sogenannte Wasserzelle kam, dass der Vernehmer ihr durch Schläge das Knie brach (neu!) und das ein Bewacher ihr eine (neu!) lebensgefährliche Kopfverletzung beibrachte,“ schreibt die Interviewerin Rita von Wangenheim.

Neben der bis heute nicht nachgewiesenen Wasserzelle in Leipzig will Goßler nun wieder auch in Hoheneck „als Strafe … in die Wasserzelle gesperrt“ worden sein.
Diese und andere Lügen sind auch deshalb ärgerlich, weil von Wangenheim diese Interviews laut Klappentext bereits 2012 geführt haben will und somit der Verlag bis zur Drucklegung genügend Zeit gehabt hätte, den öffentlichen Aufruhr um Anita Goßler und ihre falschen Legenden gerade unter den Hohenecker Frauen zu bemerken und zumindest zu hinterfragen. Diese vermeidbare Oberflächlichkeit trübt das Gesamtwerk nicht unerheblich, auch wenn der Verlag darauf hoffen darf, das die meisten seiner Leser den Hintergrund in Sachen „Märchen“ mangels Kenntnis nicht als solche bemerken. Für einen ausgewiesenen „Publikumsverlag für historische Sachliteratur“ sicherlich ein vermeidbar gewesenes, weil im Kontrast zum Auftrag stehendes Ärgernis.

Waren kriminelle Gefangene „schlechtere“ Gefangene?

Fraglich auch, aber eine Sache der Betrachtungsweise, einige Formulierungen von Katrin Göring-Eckardt, der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, die das im Übrigen sensible Vorwort geschrieben hat: „Wenn man eines an diesem beeindruckenden Buch vermisst, dann sind es O-Töne der „normalen“ Kriminellen, die mit im Frauenzuchthaus Hoheneck einsaßen. Nachträglich wird durch ihr Fehlen der Eindruck erweckt, sie seien die „schlechteren“ Gefangenen gewesen.“ Hier stand wohl mehr die Kirchenfrau im Vordergrund, als politischer Sachverstand. Denn beim Thema Hoheneck geht es primär um die Frauen, die aus rein politischen, also rechtsstaatlich nicht zu vertretenden Gründen, von der zweiten Diktatur verfolgt und inhaftiert wurden. Kriminelle gab und gibt es zu allen Zeiten und sie werden auch im Rechtsstaat rechtmäßig abgeurteilt. Die seelsorgerische Zuwendung auch für diese Frauen durch die Kirche ist davon unbenommen, hat aber ansonsten in diesem Zusammenhang wenig Substanz.

Auch die Feststellung von Göring-Eckardt, „Die Gefangenen von Hoheneck, über die wir in diesem Buch eindringliche Portraits lesen können, wollten nichts anderes als frei sein. Allein der Plan, die DDR zu verlassen, reichte aus, um inhaftiert zu werden,“ hätte ein Lektor bei allem Respekt vor der engagierten Politikerin so nicht durchgehen lassen sollen. Zum Beispiel saß Anita Goßler nicht ein, weil sie frei sein wollte. Sie war im Gegenteil bereits zuvor ein Jahr im Westen gewesen und freiwillig in die DDR zurückgekehrt. Der Pflege einer Geschichtskultur entsprechen derart leichtfertige Äußerungen, pauschal auf alle politisch Verfolgten von Hoheneck ausgedehnt, nicht.

Trotz dieser Einschränkungen: In dieser Konzentration einmalig intensives Bildmaterial über Hoheneck im Erzgebirge, zumindest insoweit sehr empfehlenswert.

Carl-Wolfgang Holzapfel

Ab 20.05.2014 im Buchhandel, 22,90 Euro, Format: 21 x 24,5 cm, Hardcover, 295 Seiten (davon Text: ca.33 Seiten) – ISBN: 978-3-86408-162-0

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

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