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Titel HB 2014Nr.046Einigkeit und Recht und Freiheit15. 10. 2015

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UOKG:                                                                                            Verfolgte, schart Euch zusammen, ehe Ihr einzeln zerbrecht

Berlin, 15.10.2015/cw – 25 Jahre nach der Wiedervereinigung und 26 Jahre nach dem Fall der Mauer steht der Dachverband der Verfolgten- und Opferverbände UOKG vor einer Zäsur. Am 17. und 18. Oktober wählt er im einstigen Zentrum des DDR-Unterdrückungsapparates vorzeitig einen neuen Vorstand. Bisher ist als einziger Kandidat für den Vorsitz der Brandenburger CDU-Politiker Dieter Dombrowski bekannt. Über weitere Vorstands-Kandidaten sind selbst die Verbandsmitglieder bislang nicht informiert. Der seit 2007 amtierende Vorsitzende Rainer Wagner hatte im April seinen Rücktritt erklärt und damit die Wahlen notwendig gemacht.

Wer aber glaubt, der Dachverband sei erst durch den Rücktritt des umstrittenen evangelikalen Predigers in die Krise gestürzt, verkürzt die seit Jahren angestauten Probleme in unzulässiger Weise. Wagner war es gelungen, den Kreis der Mitgliederverbände im Dachverband stetig zu erhöhen. Kritiker warfen der UOKG allerdings vor, die Erhöhung numerischer Masse „ohne Inhalt“ der qualitativen Gewinnung arbeitsfähiger Vereine vorzuziehen. So bestehen viele der aktuell ausgewiesenen über 30 Mitgliedsverbände häufig nur aus wenigen Mitgliedern, die teilweise noch nicht einmal die Möglichkeit hätten, sich als rechtsfähiger Verein eintragen zu lassen (Minimum sieben Mitglieder). Mit der einer Monstranz ähnlich vor sich her getragenen Mitgliedschaft des Bundes der Vertriebenen wies der Wagner-Vorstand zwar darauf hin, daß die Mitglieder der UOKG immerhin über 2 Millionen Menschen umfassen. Der BdV ließ dagegen schon vor längerer Zeit eine Nachfrage nach seiner Mitgliedschaft in der UOKG unbeantwortet. Nachweislich gehört der Frauenbund im BdV als Verein dem Dachverband an, dessen Vereinsmitglieder aber überschaubar sein sollen.

Kostspielige Diffamierung: Sogen. Abschlußerklärung der UOKG vom 24.08.2015

Kostspielige Diffamierung: Abschlußerklärung der UOKG vom 24.09.2015

Im Jahr 2007 und 2008 hingegen hatte die UOKG wichtige Verbände durch Austritt verloren, unter diesen die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), das Bautzen-Komitee und die Vereinigung 17. Juni 1953. Im Zuge der parallelen Wahl von Wagner zum Auch-Vorsitzenden der VOS war zwar der älteste Verband aus Opfern des Kommunismus wieder der UOKG beigetreten, allerdings in einer Zeit und einem Zustand, der nur ein bedauernswertes Spiegelbild einstiger Effizienz abgibt und damit eher eine Belastung als eine echte Bereicherung für die nach wie vor notwendige Arbeit eines Dachverbandes ist.

Die Geburtswehen dieses Dachverbandes im Jahre 1992 waren ohnehin schmerzhaft. Das ursprüngliche Ziel der seinerzeitigen Bundesregierung, über das Innenministerium die Gründung eines Dachverbandes der DDR-Verfolgten und Opfer anzustreben, um statt einer unübersichtlichen Zahl von Vereinen einen kompetenten Gesprächspartner zu haben, scheiterte  an der Vielfältigkeit der angesprochenen Vereine und Organisationen. Im Gefolge gründete sich ein Gegenverband, der Zentralrat von Opfern Kommunistischer Gewaltherrschaft. Erst 2004 gelang es unter gemeinsamen Anstrengungen und damals auf beiden Seiten vorhandener Kompromissbereitschaft, den Zentralrat mit seinen Mitgliedsverbänden in die UOKG einzubinden. Unter der Führung des heute 90 jährigen ehemaligen Workutaners und eloquenten Journalisten Horst Schüler gelang der UOKG eine überzeugende und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Allerdings zeigte sich schnell, dass mit dem erfolgreichen Zusammenschluss auch die Konflikte in den Verband getragen worden waren. Weggefährten aus dieser Zeit erinnern sich an die verstörenden und zerstörenden, vor allem aber zeitraubenden Debatten, die durch zersetzende Vorwürfe gegen Personen und Mitgliedsverbände eine nach vorn orientierte Arbeit nahezu unmöglich machten. Diese Auseinandersetzungen gipfelten in dem mehr oder weniger erzwungenen Rücktritt Schülers 2006 in Salzgitter, der viele Anwesende eher an den Ablauf eines Putsches als an eine geordnete Stabübergabe an den Nachfolger erinnerte.

Vor der Entlastung unangenehme Fragen an den alten Vorstand vom VOK-Deutschland e.V.

Vor der Entlastung unangenehme Fragen an den alten Vorstand vom VOK-Deutschland e.V. (Ausschnitt).

Dass infolge dieser Auseinandersetzungen die bereits erwähnten Traditionsvereine die UOKG verließen, war nicht Rainer Wagner anzulasten, der sich bis zuletzt redlich mühte, diese Zäsur zu verhindern. Danach allerdings begann ein den grundsätzlichen Zusammenhalt gefährdender Schlingerkurs des deklarierten Christen. Wagner, unter dessen Ägide eine beachtliche Organisationsstruktur mit zeitweilig 25 Mitarbeitern aufgebaut wurde, verlief sich offensichtlich in politisch wohl gewohnte, für den Verband nicht gerade förderliche Taktiererei: Er umwarb einerseits die ausgetretenen Verbände in vielen persönlichen Gesprächen und stellte diverse Zusagen in den Raum. Lesenswert die Protokolle aus dieser Zeit, in denen Wagner über die „andauernde Zusendung der Protokolle an die ausgetretenen Mitglieder“, deren „weitere Antrags- und Teilnahmeberechtigung zu und an den Verbändetreffen“ referierte. Andererseits beauftragte der selbe Wagner Funktionäre der UOKG, Verbindungen zu Kritikern dieser Verbände aufzunehmen, um den einen oder anderen unliebsamen Vorstand ablösen zu können.

Dieses für einen im Hauptberuf tätigen Prediger ungewöhnliche Doppelspiel, das letztlich in einer jüngst gerichtlich untersagten Diffamierung ehemaliger politischer Häftlinge durch einen vom Vorstand zur Abstimmung gestellten „Beschluss“ kulminierte, mußte schlussendlich scheitern. Neben den nun aufzubringenden vermeidbaren Gerichts- und Anwaltskosten aus diesem Verfahren – der Vorstand hat inzwischen eine Abschlusserklärung abgegeben, in der er das ergangene Urteil anerkannte – muß der neue, in wenigen Tagen zu wählende Vorstand die UOKG neu aufstellen, mit den Mitgliedsverbänden neue Arbeits- und Umgangsformen für den internen wie den öffentlichen Auftrag erarbeiten. Muss sich die UOKG gar neu erfinden?

Bundesbeauftragter für die Diktatur-Opfer

Die Vereinigung 17.Juni in Berlin, einer der ausgetretenen Vereine, verneint das: „Die UOKG braucht sich nicht neu erfinden, aber sie sollte sich neu definieren nach dem Motto: Verfolgte, schart Euch zusammen, ehe ihr einzeln zerbrecht. Nach Meinung des zweitältesten Verbandes in der Szene (1953) sollte der Dachverband die „Querelen der letzten Jahrzehnte“ hinter sich lassen und sich den nach wie vor offenen Aufgaben widmen: Um die nicht zufriedenstellende Rehabilitierung von Verfolgten und Opfern der zweiten Diktatur, den Skandal der DDR-Renten-Umwandlung zu Lasten einstiger DDR-Bürger, die Schaffung eines Bundesbeauftragten zur Betreuung und Rechtsvertretung von Diktatur-Opfern, die Beweislastumkehr bei Geltendmachung gesundheitlicher Schäden, um nur die wichtigsten Vorhaben zu erwähnen. Der Vorstandssprecher: „Wir brauchen nicht den 28. Jahrestag der UOKG-Gründung abzuwarten, wie weiland den Fall der Mauer.“ Jedes weitere Jahr des Zuwartens wäre sträflich verschenkt, würde immer mehr Menschen ohne Anerkennung ihrer Leiden sterben lassen und spätestens dann die UOKG überflüssig machen.

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Einstige DDR-Grenzer üben sich ungehindert in der Traditionspflege

Berlin, 15.10.2015/cw – Während regelmäßig an die Morde an der Berliner Mauer und der Teilungsgrenze in Deutschland und Europa erinnert wird (siehe zuletzt DIE WELT, 8.10.2015: http://www.welt.de/geschichte/article147382401/Guenter-Litfin-das-erste-Opfer-des-Schiessbefehls.html) , üben sich die Täter von einst nach wie vor und augenscheinlich vom Gesetzgeber unbehelligt in Traditionspflege.

So ruft die Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e.V. (GRH) zum Jubiläumstreffen der „Grenztruppen der DDR“ auf. Am 24.Oktober wollen  die einstigen Mauerschützen zu ihrem „ 30. Grenzertreffen“ in der „Landkostarena“ Goethestraße, 15741 Bestensee, zusammenkommen. Das Treffen wird organisiert von der Arbeitsgruppe Grenze, Franz-Mehring-Platz 1 in 10243 Berlin in der vorgen. Gesellschaft. Deren Leiter, Günter L., war in einem Mauermord-Prozess 1998 wegen „Totschlags in zwei Fällen“ verurteilt worden. Der Prozess erregte damals aber auch Aufsehen, weil Günter Bazyli, seinerzeit Oberst der Grenztruppen, schonungslos seine Mitschuld an den Mauermorden eingeräumt hatte. Bazyli war dafür von Mitangeklagten und früheren Untergebenen als „Verräter“ gebrandmarkt worden. „Er hat seine Ehre verkauft, weil er nicht den Mut hatte zu sagen: Mein Kommandeur ist kein Mörder“, hieß es verächtlich nach der Urteilsverkündung über Bazyli. Der aber hielt die offenen Anfeindungen durch. Einem früheren Offizierskollegen, der Bazyli wegen seiner Haltung beschimpfte, hielt er entgegen: „Auch du wirst dort ankommen, wo ich jetzt bin.“

Von der Öffentlichkeit übersehen, von Zeitzeugen am 50.Todestag geehrt: Maueropfer Paul Schultz - unvergessen. Foto: Lyrag

Von Zeitzeugen am 50.Todestag geehrt: Maueropfer Paul Schultz – unvergessen. – Foto: Lyrag

Das war wohl zu optimistisch, denn die Mehrzahl der einstigen „Kameraden“ organisiert sich nach wie vor in Traditionsvereinen, hält unerschütterlich an der Richtigkeit der einstigen Mord-Befehle ihrer obersten Führung fest. So schreibt denn auch Günter L., seinerzeit Stabschef und Oberst im Grenzkommando (1989) in seiner Einladung: „Wir freuen uns auf Deine Teilnahme, weitere Freunde und Interessenten sind herzlich willkommen.“ Und: „Wir schlagen einen Blick ins INTERNET unter http://www.ddr-grenztruppen.de vor. Mit kameradschaftlichen Grüßen, gez. Günter L.“

Schmerzliche Retraumatisierung ehemaliger Verfolgter

Zum 25 Jahrstag der Wiedervereinigung stand allerdings der Jubel im Vordergrund. Mit den kalten Realitäten, wie der ungehinderten Traditionspflege ehemaliger DDR-Kader und der damit einhergehenden schmerzlichen Retraumatisierung ehemaliger Verfolgter oder Angehörigen von Mordopfern an der Mauer ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der zweiten Diktatur mochte sich offensichtlich kein Politiker auseinandersetzen.

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ARD-Hauptstadtstudio:
Hohenecker Frauen waren auch Lastenträger der Einheit

Berlin, 13.10.2015/cw – Im Foyer des ARD-Hauptstadtstudios fanden sich am vergangenen Dienstag erfreulich viele Gäste zur Eröffnung der Ausstellung „Das Frauengefängnis Hoheneck: 25 Portraits ehemaliger politischer Häftlinge“ ein. Die von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin geförderte Ausstellung mit hervorragenden Portrait-Fotos des Fotografen Dirk von Nayhauß ist seit 2012 im gesamten Bundesgebiet unterwegs und wird jetzt aus Anlass des 25. Jahrestages der Wiedervereinigung in Berlin an diesem prominenten Ort unweit des Reichstages gezeigt. Tatjana Sterneberg, ehemalige Hoheneckerin, hat die sehenswerte Dokumentation (Texte von Maggie Riepl) an das ARD-Hauptstadtstudio  vermittelt. Die Ausstellung basiert auf dem Buch DER DUNKLE ORT (bebra-Verlag Berlin, 19,90 Euro).

Plakat ARD-Hauptstadtstudio_2Auch zahlreiche portraitierte Frauen waren neben anderen ehemaligen Hoheneckerinnen der Einladung gefolgt, um den Gästen für Anfragen und Gespräche zur Verfügung zu stehen. Wolfgang Holzapfel, Redaktion Hohenecker Bote, hielt die Einführung, nachdem Eva Marock von der ARD-Abteilung Kommunikation die Gäste herzlich begrüßt hatte. Detlef Jablonski, selbst ehemaliger politischer Gefangener und heutiger Barde, sang zu Beginn zu seiner Gitarre das Lied von „Anna und Giovanni„, einer dem Schiksal Sternebergs nachempfunden Liebesgeschichte zu Zeiten der Mauer.

Er wolle bewußt die Besucher nicht mit Ausführungen zur Historie dieser furchtbaren DDR-Einrichtung im Erzgebirge malträtieren, führte der freie Journalist zu Beginn aus. Sicherlich ließen sich mit derlei Historien auch gut vorgegebene Zeiten überbrücken, allerdings kämen dann die betroffenen Personen, Sinn dieser Ausstellung, zu kurz. Die Hohenecker Frauen seien mit den weiteren über 200.000 politischen Gefangenen der zweiten Diktatur die eigentlichen Lastenträger der deutschen Einheit gewesen. Ihnen solle dieser Abend gewidmet sein.

Auf 25 Tafeln eindrucksvolle Biografien ehem. Hoheneckerinnen - Foto: LyrAg

Auf 25 Tafeln eindrucksvolle Biografien ehem. Hoheneckerinnen –
Foto: LyrAg

Der Referent erinnerte dann seine erste Begegnung mit dem Thema Hoheneck, das ihm bereits 1962 im Alter von 18 Jahren von der ehemaligen Hoheneckerin Anneliese K. nahegebracht worden sei. Anneliese, damals 30 Jahre alt, hatte bereits 10 Jahre ihres Lebens in der Hölle von Hoheneck verbracht. Dieses Schicksal habe ihn schließlich veranlasst, sich für die Freilassung der politischen Gefangenen in der damals sowjetisch besetzten Zone einzusetzen.

Viele Hoheneckerinnen hätten sich ihre Leidenszeit aber auch in Büchern buchstäblich von der Seele geschrieben. Es existierten mittlerweile viele bewegende Zeugnisse der Frauen von Hoheneck, die geeignet wären, den verantwortlichen Politikern reale Hintergründe zu vermitteln, um sachgerechte Entscheidungen zu treffen oder verabschieden zu können. So habe Ellen Thiemann, einst von ihrem eigenen Mann an die Stasi verraten, in ihrem letzten Buch „Wo sind die Toten von Hoheneck?“ bisher ungeklärte Hindergründe um diese Haftanstalt aufklärt. Nach der Wende hatte man zahlreiche Urnen von verstorbenen Gefangenen auf dem Dachboden der Haftanstalt aufgefunden. Die Aschen dieser toten Frauen sind heute in einem Ehrengrab der Stadt Chemnitz beigesetzt.

Eine Rose un d Trauerflor für die 2013 verstorbene Petra Koch - Foto: LyrAg

Eine Rose und  Trauerflor für die 2013 verstorbene Petra Koch – Foto: LyrAg

Auch die Hoheneckerin Erika Riemann habe mit ihrem Buch „Die Schleife an Stalins Bart“ die Geschichte einer gestohlenen Jugend reflektierte. Sie war 1945 im Alter von 14 Jahren von den Sowjets verhaftet und verurteilt worden und über das reaktivierte NS-KZ Sachsenhausen und Bautzen nach Hoheneck gekommen. Sie hatte dem Diktator Stalin auf einem Plakat im jugendlichen Überschwang eine Schleife an den Bart gemalt. Acht Jahre Haft mußte Riemann dafür verbüßen.

Eva-Maria Neumann beschrieb in ihrem Buch „Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit“ ihre gescheiterte, weil verratene Flucht. Diese brachte die beiden Eheleute Neumann ins Zuchthaus, trennte sie von der dreijährigen Tochter. „Diese schlimme, diese dunkle Zeit dürfe niemals vergessen werden,“ appellierte der Referent unter Beifall.

Holzapfel ging auch auf die aktuellen Konflikte im Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen ein, dessen Vereinsauflösung gegen den Willen vieler betroffener Frauen gegenwärtig vom jetzigen Vereinsvorstand betrieben werde und erinnerte daran, daß das bislang alljährliche Treffen zum letzten Mal 2013 stattgefunden habe: „Das sollte wieder aufleben, das sollte fortgesetzt werden.“ Wer anders, als die Frauen von Hoheneck seien prädestiniert, in einer und für eine Gedenkstätte ihr ganzes Wissen und ihre Erfahrungen einzubringen, an Besucher und Schulen weiterzugeben, solange sie als Zeitzeuginnen zur Verfügung stehen können?

>Gemeinsam mit Kinsmörderinnen in einer Zelle: Mutter und Tochter im Zeitzeugengespräch - Foto: LyrAg

Gemeinsam mit Kindsmörderinnen in einer Zelle: Mutter und Tochter im Zeitzeugengespräch
– Foto: LyrAg

Detlef Jablonski verwies im Anschluß mit seinem  Lied „Wenn ich ein Stasi-Spitzel wär´“ satirisch auf die unterschiedlichen Berufswege einstiger Täter und ihrer einstigen Opfer.

Abschließend moderierte Holzapfel ein kurzes Gespräch mit den Zeitzeuginnen Hannelore Höfelmayr und Ina Jaekel, die gemeinsam als Mutter und Tochter in den achtziger Jahren wegen Republikflucht mit Kindsmörderinnen in einer Zelle in Hoheneck inhaftiert waren. Während Höfelmayr bis heute nicht wieder in Hoheneck gewesen sei, weil sie diese Zeit „hinter sich lassen“ wolle, hatte ihre Tochter Ina zusammen mit ihrem Freund diesen „Weg der bitteren Erinnerung“ versucht, war aber an dem Tag vor „verschlossen Toren“ gestanden. Rückblickend sei sie darüber froh, denn die Erinnerung „unmittelbar vor diesem Ort“ hatte sie unerwartet heftig aufgewühlt.

Nach dem bewegenden Gespräch wurde bis in den späten Abend zwischen Gästen und Zeitzeuginnen diskutiert und die eindrucksvollen Biografien der 25 Frauen mit großem Interesse studiert.

Die Ausstellung im ARD-Hauptstadtstudio (Wilhelmstr.67 a, 10117 Berlin) ist tagsüber noch bis zum 1. November zugänglich.

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ARD-Doku: Ausgebeutet für den Klassenfeind – War da noch was?

Ein Einwurf von Tatjana Sterneberg*

Berlin, 15.10.2015/tst – Die ARD zeigte zu später Stunde – wieder einmal – eine Dokumentation, der man eine breite Zuschauerschicht gewünscht hätte: Die Haftzwangsarbeit von politischen Häftlingen in der ehemaligen DDR – ein seit Jahren brisantes Thema (ARD, “Geschichte im Ersten” 12.10., 23.30 Uhr). Lobenswert also, aber warum zu dieser nächtlichen Sendezeit? Das Thema zu unangenehm? Oder gar zu Lasten der Quote ?

Gut, dass einstige politische Häftlinge hier erneut zur Haftzwangsarbeit sprechen konnten. Die Recherchen von Achim Reinhardt und Claudia Butter belegten einmal mehr das bis dahin nicht bekannte Ausmaß dieser Ausbeutung im Wortsinn. Im Ruhestand konnten nun auch einstige Konzernvertreter Wahrheiten ventilieren. Großartig, 25 Jahre nach dem Fall von Mauer und Grenze in Deutschland.

Dass die Täter von einst heute weder Verantwortung noch Reue zeigen, war zu erwarten, mit einschränkender Ausnahme der Sprecher von KAUFHOF, der immerhin Recherchen ankündigte. Ein Schlag ins Gesicht der Opfer war dagegen das Statement der Ost-Beauftragten Iris Gleicke, SPD. Aufarbeitung von Unrecht – Studie um Studie, ja. Entschädigung für die Opfer? Da will man keine falschen Hoffnungen wecken (Gleicke).
Welchen Stellenwert haben eigentlich die Lastenträger der Deutschen Einheit heute wirklich? Offensichtlich, wie ich meine, keinen nennenswerten.

Nein, hier geht es darum, mit einer konkreten Durchsetzung von Entschädigungsleistungen nicht anzuecken, erreichte Politiker- und Behördenpositionen zu behalten, der Sicht der führenden Politik-Elite zu entsprechen. Eine Entschädigung mit tatsächlichen Koordinaten? Nein, das geht nicht. Weil dazu nach unseren rechtstaatlichen Maßstäben auch alle Kriminellen zählen würden, die in den Strafvollzügen der DDR ebenfalls zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden? Unausgesprochene Gleichsetzung von Kriminellen mit unschuldig Verurteilten auf leisen Sohlen?

Jedenfalls gab der Beitrag unverhohlen Auskunft über die Nutznießer der Haftzwangsarbeit, dem „Who ist Who“ der (damals) westdeutschen Wirtschaft. Aber war da nicht noch was?
Ach ja: Die Lobbyisten – auch dieser Firmen – waren (und sind zumeist noch) im Bundestag „akkreditiert“. So manche Spende erreicht(e) die Parteien der Bundesrepublik. Beispielsweise über Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, die nach wie vor in dezidierter Benennung das Licht der Öffentlichkeit scheuen und einer denkwürdigen Amnesie unterliegen. Über „Zuwendungen“ an die Opfer dieser modernen Ausbeutung – früher treffender als Sklavenarbeit bezeichnet – ist hingegen nichts bekannt.

Warum auch? Schon Brecht wusste: „Doch die im Dunklen, die sieht man nicht.“ (1.042)

*  https://de.wikipedia.org/wiki/Tatjana_Sterneberg

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Hinweis: Die bisherigen Ausgaben des Hohenecker Boten können unter http://www.17juni1953.de abgerufen oder direkt bei der Redaktion gegen Kostenbeitrag bestellt werden (Redaktion: Siehe Impressum). Die Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. hat der Redaktion Gastrecht auf der Homepage eingeräumt, der Verein ist für die Inhalte nicht verantwortlich. Namentlich gezeichnete Artikel geben die Meinung des/der Verfasser/Verfasserin wieder.
Impressum: Der „Hohenecker Bote“ ist einzig der demokratischen Auseinandersetzung und den Anliegen der Verfolgten beider Diktaturen verpflichtet, parteipolitisch und vereinsrechtlich unabhängig und erscheint in der Mitte eines jeden Monats. Beiträge dürfen b.a.W. kostenlos unter Zurverfügungstellung von Nachweisen (Belegen) insbesondere von gemeinnützigen Vereinen der Verfolgten- und Opferszene beider Diktaturen in Deutschland genutzt oder weiterverbreitet werden. Fotos dürfen grundsätzlich nur unter ausdrücklicher Zustimmung bzw. zu den Bedingungen der Redaktion genutzt werden. Redaktion: Carl-Wolfgang Holzapfel (cw) – verantwortlich; redaktion.hoheneck@gmail.com ; Kaiserdamm 9, D-14057 Berlin, Tel.: 030-30207785 oder 0176-48061953; Fax: 030-30207786 (derzeit außer Betrieb). Anzeigen auf Anfrage.

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Erinnerung bewahren – Ideen umsetzen – Aktiv mitgestalten
Dann sind Sie hier richtig:

VEREINIGUNG (AK)17.JUNI 1953 e.V. Berlin
(Ehem. „Komitee 17.Juni“ von 1953)

Mitglied werden – Aufnahmeantrag anfordern:

Vereinigung.17.juni.1953@gmail.com
Kaiserdamm 9, 14057 Berlin

Berlin, 10.10.2015/cw – „Räumliche Nähe und kritische Distanz zur Bundespolitik“ – so überschreibt das ARD-Hauptstadtstudio seinen Internet-Auftritt. Auf der Seite werden vielseitige Angebote unterbreitet, die man nicht unbedingt von einer Rundfunk- und Fernsehanstalt als „Nebenprodukt“ öffentlich-rechtlicher Medienarbeit erwartet. Das macht gelegentliche oder sogar regelmäßige Besuche im Foyer des ARD-Hauptstadtstudios durchaus faszinierend, weil die Bandbreite der Angebote überzeugt.

Ein Mittelpunkt kultureller und politischer Meinungsvielfalt

Dabei geht es nicht etwa um „vorgefertigte“ Rahmen, in denen bestimmte Kunstrichtungen präsentiert oder „vorgefasste“ Meinungen (Vorwurf: „Staatsfernsehen“) multipliziert werden. Einige Beispiele:

Am 29. August diesen Jahres wurde ein „Tag der Offenen Tür“ veranstaltet. Besucher konnten (wieder) einmal selbst vor und hinter Mikrofonen oder Kameras stehen, Studioluft schnuppern und in die vielfältigen Probleme einer Produktion Einblick gewinnen. Auch die sonst allenfalls auf der Funkausstellung möglichen Kontakte zur Medien-Prominenz wie der neuen Studio-Leiterin Tina Hassel (nach dem Abschied von Ulrich Deppendorf) haben für den einzelnen Besucher, hier direkt vor Ort, eine unbezweifelte Anziehungskraft.
2011 wurde vor der Austrahlung im Ersten am 9.November um 20:15 Uhr im zugänglichen Studio der Spielfilm „Es ist nicht vorbei“ mit Anja Kling, Tobias Oertel und Ulrich Nöthen über Hoheneck uraufgeführt; am 2. Dezember vorigen Jahres fand die Feature-Premiere und Podiumsdiskussion: „Machtkampf am Runden Tisch – Letzte Lügen und der Untergang der Stasi“ statt. Dieser kleine Themenausschnitt zeigt, dass diese ARD-Einrichtung zu einem beachtenswerten Mittelpunkt kultureller und politischer Meinungsvielfalt geworden ist.

ARD-Hauptstadtstudio: 25 Schicksale aus Hoheneck - Foto: LyrAg

ARD-Hauptstadtstudio:                         25 Schicksale aus Hoheneck –        Foto: LyrAg

Einblicke in eine finstere Zeit

Am kommenden Dienstag, 13.Oktober, lädt das ARD-Hauptstadtstudio in das Foyer zur Vernissage der Wanderausstellung „Das Frauengefängnis Hoheneck: 25 Portraits ehemaliger politischer Häftlinge“ (Wilhelmstraße 67a, 10117 Berlin – Nähe Reichstag) ein. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat nach dem Buch „DER DUNKLE ORT“ von Dirk von Nayhauß (Fotos) und Maggie Riepl (Texte / bebra-Verlag) die Ausstellung über das Schicksal von 25 Frauen konzipiert, die aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt und im Frauenzuchthaus Hoheneck zwischen 1950 und 1989 eingesperrt waren. Die ehemalige Hoheneckerin Tatjana Sterneberg hat die Ausstellung nach langen Mühen an das Hauptstadtstudio vermittelt. Die Veranstaltung (19:00 Uhr) beginnt mit einer kurzen Einführung in das Thema und einem Gespräch mit zwei Hoheneckerinnen, die als Mutter und Tochter gleichzeitig in dem dunklen Ort im Erzgebirge inhaftiert waren. Danach haben die Besucher die seltene Möglichkeit, mit weiteren anwesenden Zeitzeuginnen zu sprechen und Einblicke in diese finstere Zeit zu nehmen, die – Dank der LastenträgerInnen der Deutschen Einheit – seit 1989 der Geschichte zuzuordnen ist. Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung von dem ehemaligen politischen Häftling Detlef Jablonski, der sich mit seiner Gitarre von seinem einstigen Trauma (fast) freigespielt hat. Eine Anmeldung zur Vernissage unter Email: kontakt@ard-infocenter.de oder Fax: 030 2288-1109 ist unbedingt erforderlich.

Die Ausstellung aus Anlass des 25. Jahrestages der Deutschen Wiedervereinigung ist vom 14. Oktober bis zum 1. November tagsüber im Foyer des ARD-Hauptstadtstudios zugänglich. (1.040)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

Im Vorfeld Eklat um Ausgrenzung der Protagonistinnen

Lübeck, 7.08.2015/cw – Die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin fungierte als Finanzier: Vor einigen Jahren initiierte sie die eindrucksvolle Ausstellung DER DUNKLE ORT nach dem gleichnamigen Buch von Dirk von Nayhauß (Fotos) und Maggie Riepl (Text) – bebra-Verlag, Berlin. Die Schau zeigt das Schicksal von 25 ehemaligen Insassinnen des berüchtigten DDR-Frauenzuchthauses in Hoheneck. Am 8. August wird die Ausstellung um 17:00 Uhr in der Grenzdokumentations-Stätte Lübeck-Schlutup eröffnet (Bus-Linie 11 ab Lübeck, ZOB-Hbf., Richtung „Zarnewenzweg“ bis Haltestelle „Schlutup-Markt“, von dort 500 m Fußweg. Bus fährt alle 30 Minuten).

Die Ausstellung ist bis zum 30.August Di., Do. Fr. und Sa. von 14:00 – 17:00, So. von 11:00 – 17:00 Uhr geöffnet; Eintritt Erwachsene 3,00 €, Kinder/Jugendliche 2,00 €.

Im Vorfeld der bereits in diversen Orten Deutschlands gezeigten informativen Dokumentation kam es zu einem Eklat. Die Aussteller hatten keine einzige der 25 Protagonistinnen von der Ausstellung informiert geschweige denn als Zeitzeuginnen eingeladen. Zwar war schon vor zwei Jahren Petra Koch unerwartet verstorben. Und von den 24 verbliebenen Frauen stehen nicht alle naturgemäß als Zeitzeuginnen zu jedem Termin zur Verfügung. Dennoch sind immer wieder einige der Protagonistinnen bereit, um den oft bewegten Besuchern die vielfältigen Schicksale zu erläutern.

Das Buch zur Ausstellung. Von links: T.Sterneberg, R.Labahn, U.Bonstedt, E.Thiemann, C.Mäge

Das Buch zur Ausstellung. Von links: T.Sterneberg, R.Labahn, U.Bonstedt, E.Thiemann, C.Mäge

Eine ehemalige Hoheneckerin hat sich nun in einem Protestschreiben an die Verantwortlichen gewandt: „Auf Ihre Veranstaltung wurde ich nicht durch Sie, sondern durch Dritte aufmerksam gemacht“, schreibt Tatjana Sterneberg. Nicht nur sie fände es allerdings „irritierend, dass von den 25 portraitierten Frauen nicht eine zur Ausstellung und/oder zum Zeitzeugengespräch eingeladen wurden.“ Die gezeigten Zeitzeuginnen „haben an der Vorlage zur Ausstellung – dem Buch „DER DUNKLE ORT“ – persönlich mitgewirkt, Texte verfasst und ihre historischen Materialien wie Dokumente und Fotos zur Verfügung gestellt.“ Kritisch merkt Sterneberg an, daß das Verhalten der Aussteller so einzuordnen wäre, „als würde ein Buch vorgestellt werden – nur der Autor ( oder die Autoren) selbst würde /-n weder eingeladen, noch zu Wort kommen dürfen“ Dies sei „heute, besonders im Jahr 25 der Deutschen Einheit“ nach der umfänglichen Zuarbeit und dem Engagement gegen das Vergessen, dass alle diese Zeitzeuginnen seit Jahren einbrächten, besonders „schmerzlich.“ Hier werde der „sensible Umgang und eine angezeigte Rücksprache / Koordination vermisst.“ Es hätte lediglich eines Telefonates mit dem Ausleiher der Ausstellung, der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, gebraucht, um „eine solche von den Betroffenen als Ausgrenzung empfundene Situation zu verhindern,“ vermerkt Sterneberg abschließend. Gerne hätte sie wie auch weitere der portraitierten Frauen den Weg nach Lübeck gefunden, wenn man sie zumindest rechtzeitig über den Termin informiert hätte.

Die tatsächliche Einladung von zwei Hoheneckerinnen als Zeitzeuginnen, die nicht Bestandteil der Ausstellung sind und der angesetzte Vortrag von Mechthild Günter könnten nicht über dieses offensichtliche Versäumnis hinwegtäuschen, zumal sich besonders die benannte Referentin für eine Auflösung des historischen Erinnerungsvereins „Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen“ engagiert  und sich damit maßgeblich an den gegenwärtige Unruhen in „unserem Verein“ beteiligt hätte, resümierte Sterneberg auf Anfrage gegenüber unserer Redaktion. (1.021)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

Hoheneck/Berlin, 19.05.2014/cw – Der erst 2008 gegründete „Vergangenheitsverlag“ in Berlin versteht sich als „Publikumsverlag für historische Sachliteratur,“ so der Verlag in seiner Selbstvorstellung. „Wir verstehen Geschichte als wichtigen Identitätsfaktor, Reflexionsebene und aufklärerischen Impuls. Die Geschichte, die wir präsentieren wollen, soll dabei eine Relevanz für jeden Menschen haben, sie soll auch unseren Alltag und uns selbst zum Thema machen.“ Und: „Das Ziel ist die Pflege einer aufgeklärten, demokratischen und offenen Geschichtskultur.“

Dies sei vorausgeschickt, um sich dem neuesten Produkt des kleinen, aber anspruchsvollen Verlages zu nähern. Am morgigen Dienstag, 20.Mai, gelangt der Bildband „Hoheneck – Das DDR-Frauenzuchthaus“ in den Buchhandel. Die bekannte Berliner Fotografin Rengha Rodewill stellt in über 200 schwarz-weiß-Fotos die Burg in Stollberg vor, von dem es in der Einführung heißt, daß es Orte gibt, „die zum Begriff geworden sind, die für Schrecken, Grauen und unbeschreibliches menschliches Leid stehen.“

Bedrückender Blick in eine der fürchterlichsten Haftanstalten

Rodewill lässt den Betrachter behutsam von Außen in die Innenwelt eines der fürchterlichsten Haftanstalten der zweiten Diktatur eintauchen. Von dem dominant und historisch wirkenden Gesamtblick führt sie in die immer düsterer wirkenden Innereien der Anstalt. Allein die vielfachen Sichten auf Details des Eingangsbereichs komponieren ohne Worte die Barrikaden, die ein Entrinnen, falls es jemals in die Vorstellungskraft gelangte, als unmöglich erscheinen lassen. Die sachlich abgebildeten Propagandalügen und Kappen der Macht (Mützen der Wärter) mit dem hinter einer uniformierten Puppe hervorgrinsenden verantwortlichen „Ersten Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik“, wie das langatmig und ermüdend jeder Nachricht von und über Erich Honecker vorausgestellt wurde, lassen den einstigen Spuk so erscheinen, wie es Verena Ersfeld ihrer Hohenecker Kurzbiografie vorausstellt: „Tolle DDR-Tugenden? Was ist das für ein Mist?“ (Seite 26).

Eindrucksvoll: Fotoband über Hoheneck, ab 20.05.2014 im  Handel

Eindrucksvoll: Fotoband über Hoheneck, ab 20.05.2014 im Handel

Anita Goßler 2011 mit Christian Wulff vor der Wasserzelle in Hoheneck:  Nicht in der Wasserzelle gewesen  - Foto LyrAg

Anita Goßler (re.) 2011 mit Christian Wulff vor der Wasserzelle in Hoheneck: Nicht in dieser Wasserzelle gewesen – Foto LyrAg

Überhaupt ist die wohlüberlegte Einstreuung von Berichten ehemaliger Frauen von Hoheneck in die zahlreichen, oft überwältigenden Fotos eine begrüßenswerte Variante, die nicht zuletzt dadurch „den Alltag (und die Frauen von Hoheneck) selbst zum Thema machen.“ Neben Ersfeld kommen Konstanze Helber: „Unglauben im Westen“ (S.68), Julia Klötzner: „Wir wurden wie Abschaum behandelt“ (S.98), Heidrun Breuer: „Ich hatte vor Ekel eine Gänsehaut von oben bis unten“ (S.156), Petra Schulz: „Ich war trotzig, man konnte mich nicht brechen“ (S.186), Anita Goßler: „Der Körper funktioniert einfach weiter“ (S.208), Sylvia Öhlenschläger: “Man musste jede Scham ablegen“ (S.234) und Elke Scheffer: „Frauen sind untereinander grausamer“ (S.280) zu Wort. Dass die zitierten Frauen nur im Wort „sichtbar“ werden, mag der bildlichen Konzentration auf die düstere Einrichtung über der Großen Kreisstadt Stollberg geschuldet sein

Bedauerlich: Aufgewärmte und längst widerlegte Lügen

Womit ich bei aller Hochachtung und Akzeptanz ein Ärgernis ansprechen muss, das geeignet ist, das ganze und lobenswerte Vorhaben in einen ärgerlichen Misskredit zu bringen. Der bebra-Verlag, ebenfalls Berlin, hatte bereits bei der 2012 erfolgten Vorlage des ebenso beachtlichen Bandes „Der Dunkle Ort“, der die Portraits ehemaliger Hohenecker Frauen in den Mittelpunkt stellte, auch Anita Goßler vorgestellt bzw. portraitiert. Zu dieser Zeit konnte der Verlag (und die Frauen von Hoheneck) nicht wissen, welche Lügen die kurzfristige Vorsitzende des Frauenkreises in die Welt setzte. Diese Lügen wurden ausgebaut und ergänzt durch ein Buch der einstigen Gauck-Freundin, Autorin und Redenschreiberin in Bellevue, Helga Hirsch („Endlich wieder leben“, Siedler 2012), in dem Goßler berichtete, der Vater ihres im Haftkrankenhaus Meusdorf geborenen Kindes sei in Bautzen gestorben und die Urne an der Ostsee beigesetzt worden.

Diese schreckliche Nachricht sei ihr in Hoheneck von einer von Bautzen nach Hoheneck verlegten Insassin übermittelt worden. Recherchen in den Archiven ergaben nachweisbar eine andere Realität. So verzehrt der zusammen mit Goßler verurteilte und angeblich in Bautzen verstorbene Kindsvater in Nordrhein-Westfalen seine Rente (2013). Auch die Mär von der Stasi-Haft konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden. Goßler war nach Aktenlage im Polizeigewahrsam in Delitzsch und verschiedenen Haftkrankenhäusern, hingegen auschließlich zur Gerichtsverhandlung im Mai 1953 in Leipzig. Ebenso wenig stimmt die Story von den Wasserzellen-Aufenthalten in Leipzig und Hoheneck. Während Goßler noch 2011 dem Bundespräsidenten Christian Wulff gegenüber in Hoheneck bekundete, sie sei zwar „in Leipzig, aber nicht in Hoheneck“ in der Wasserzelle gewesen, wärmt sie diese Lüge in dem vorgelegten Fotoband wieder auf: „Sie berichtet, dass sie in die sogenannte Wasserzelle kam, dass der Vernehmer ihr durch Schläge das Knie brach (neu!) und das ein Bewacher ihr eine (neu!) lebensgefährliche Kopfverletzung beibrachte,“ schreibt die Interviewerin Rita von Wangenheim.

Neben der bis heute nicht nachgewiesenen Wasserzelle in Leipzig will Goßler nun wieder auch in Hoheneck „als Strafe … in die Wasserzelle gesperrt“ worden sein.
Diese und andere Lügen sind auch deshalb ärgerlich, weil von Wangenheim diese Interviews laut Klappentext bereits 2012 geführt haben will und somit der Verlag bis zur Drucklegung genügend Zeit gehabt hätte, den öffentlichen Aufruhr um Anita Goßler und ihre falschen Legenden gerade unter den Hohenecker Frauen zu bemerken und zumindest zu hinterfragen. Diese vermeidbare Oberflächlichkeit trübt das Gesamtwerk nicht unerheblich, auch wenn der Verlag darauf hoffen darf, das die meisten seiner Leser den Hintergrund in Sachen „Märchen“ mangels Kenntnis nicht als solche bemerken. Für einen ausgewiesenen „Publikumsverlag für historische Sachliteratur“ sicherlich ein vermeidbar gewesenes, weil im Kontrast zum Auftrag stehendes Ärgernis.

Waren kriminelle Gefangene „schlechtere“ Gefangene?

Fraglich auch, aber eine Sache der Betrachtungsweise, einige Formulierungen von Katrin Göring-Eckardt, der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, die das im Übrigen sensible Vorwort geschrieben hat: „Wenn man eines an diesem beeindruckenden Buch vermisst, dann sind es O-Töne der „normalen“ Kriminellen, die mit im Frauenzuchthaus Hoheneck einsaßen. Nachträglich wird durch ihr Fehlen der Eindruck erweckt, sie seien die „schlechteren“ Gefangenen gewesen.“ Hier stand wohl mehr die Kirchenfrau im Vordergrund, als politischer Sachverstand. Denn beim Thema Hoheneck geht es primär um die Frauen, die aus rein politischen, also rechtsstaatlich nicht zu vertretenden Gründen, von der zweiten Diktatur verfolgt und inhaftiert wurden. Kriminelle gab und gibt es zu allen Zeiten und sie werden auch im Rechtsstaat rechtmäßig abgeurteilt. Die seelsorgerische Zuwendung auch für diese Frauen durch die Kirche ist davon unbenommen, hat aber ansonsten in diesem Zusammenhang wenig Substanz.

Auch die Feststellung von Göring-Eckardt, „Die Gefangenen von Hoheneck, über die wir in diesem Buch eindringliche Portraits lesen können, wollten nichts anderes als frei sein. Allein der Plan, die DDR zu verlassen, reichte aus, um inhaftiert zu werden,“ hätte ein Lektor bei allem Respekt vor der engagierten Politikerin so nicht durchgehen lassen sollen. Zum Beispiel saß Anita Goßler nicht ein, weil sie frei sein wollte. Sie war im Gegenteil bereits zuvor ein Jahr im Westen gewesen und freiwillig in die DDR zurückgekehrt. Der Pflege einer Geschichtskultur entsprechen derart leichtfertige Äußerungen, pauschal auf alle politisch Verfolgten von Hoheneck ausgedehnt, nicht.

Trotz dieser Einschränkungen: In dieser Konzentration einmalig intensives Bildmaterial über Hoheneck im Erzgebirge, zumindest insoweit sehr empfehlenswert.

Carl-Wolfgang Holzapfel

Ab 20.05.2014 im Buchhandel, 22,90 Euro, Format: 21 x 24,5 cm, Hardcover, 295 Seiten (davon Text: ca.33 Seiten) – ISBN: 978-3-86408-162-0

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

Berlin, 3.03.2014/cw –  In der wichtigen und überaus erfolgreich gestarteten Ausstellung „DER DUNKLE ORT“ über die Schicksale der Frauen von Hoheneck, gefördert durch die Heinrich-Böll-Stiftung und die Bundesstiftung Aufarbeitung wurden nach dem Buch von Dirk von Nayhauß und Maggie Riepl (bebra-verlag, Berlin, 2012) diverse Schicksale der Frauen von Hoheneck vorgestellt. Eine beeindruckende Sammlung ausgewählter Daten und Fakten über das einstige Frauenzuchthaus der DDR. Wenige Wochen später wurden erste Informationen über offenbare Unrichtigkeiten in dem veröffentlichten Buch und damit der Ausstellung bekannt. Eine der Frauen hatte wohl zu tief in die Kiste erfundener Geschichten gegriffen und dabei als aktive Funktionärin diverser Organisationen den Überblick verloren. So stand in einem Buch der Bundespräsidenten-Beraterin Helga Hirsch („Endlich wieder Leben“, Siedler, München, 2012) etwas anderes, als im DUNKLEN ORT. Und dem Bundespräsidenten Christian Wulff erzählte die einstige Hoheneckerin wieder andere Versionen bei seinem Besuch in Hoheneck.

Irritationen: "Dafür kam ich in die Wasserzelle... (S.40), die kannte ich schon aus der U-Haft." Wasserzelle im  Krankenhaus? Folter für "gute Führung" und angepasstes Verhalten?

Irritationen: „Dafür kam ich in die Wasserzelle… (S.40), die kannte ich schon aus der U-Haft.“
Wasserzelle im Krankenhaus? Folter für „gute Führung“ und angepasstes Verhalten?

Mal war die ein  Jahr in  Hoheneck einsitzende Anita G. in Wasserzellen in Leipzig und in Hoheneck, dann nur in Leipzig (Nicht in Hoheneck, Herr Präsident!), mal will sie von einer Waffe ihres Verlobten gewusst haben, dann  wieder nicht. Mal grämte sie sich um ihren Verlobten, der in Bautzen verstorben und seine Urne an der Ostsee begraben worden war, mal will sie sich nach dem Prozess von ihm getrennt haben und wollte nichts mehr von dem Vater dreier Kinder wissen. Mal wurde sie im Haftkrankenhaus Meusdorf bei und nach der Geburt ihres Kindes geschunden, dann wieder war in  Meusdorf eine beispielhafte Versorgung der Kinder gewährleistet. Die meisten der in  dem Buch und der Ausstellung portraitierten Frauen distanzierten sich von  ihrer einstigen Haftkameradin und forderten den Verlag zu Korrekturen auf, weil sie durch die Verbreitung von Lügen Schaden für ihr Image befürchteten. Bisher trotz mehrfacher Interventionen vergeblich.

Mauern, Gitter, Stacheldraht

Nun stellt auch der Dachverband der Opferverbände (UOKG) zum 25. Jahrestag des Mauerfalls eine Wanderausstellung vor. Unter dem Namen „Mauern, Gitter, Stacheldraht“ werden  13 Schicksale aus den Haftanstalten der DDR vorgestellt. Auch die IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) wird als gehasstes Zielobjekt des MfS aufgeführt. Die Stiftung Aufarbeitung finanziert das Projekt. So weit, so gut. Oder nicht?

Die Ausstellungsmacher bilden ausgerechnet als Vertreterin der Frauen von Hoheneck jene Anita G. und deren Schicksal ab, gegen deren Unwahrheiten zahlreiche Frauen von Hoheneck vehement protestiert hatten. Anita G. war im  Gefolge dieser Kritik sogar 2013 vom Vorsitz des Vereins „Frauenkreis der ehem. Hohndeckerinnen“ zurückgetreten. Ihre Funktion im Vorstand der UOKG behielt sie allerdings bis heute. Vielleicht war das auch ein Grund für ihre Berücksichtigung?

Umstrittene Präsentation von Hoheneck: Anita G. - Ausstellungs-Tafel:   © UOKG

Umstrittene Präsentation
von Hoheneck: Anita G. –
Ausstellungs-Tafel: © UOKG

Die gen. Frauen von Hoheneck empört vor allem, dass sich nun auch die UOKG neben der Stiftung Aufarbeitung über die berechtigte Kritik hinwegsetzt und Anita G. als Vertreterin der Frauen  von  Hoheneck trotz der auch der UOKG bekannten Kritik in einer neuerlichen Ausstellung präsentiert. Damit werde die Aufarbeitung über die zweite deutsche Diktatur nachhaltig diskreditiert und in ihrer Glaubwürdigkeit schwer geschädigt. Der Vorwurf: Zumindest hätte man erwarten können, dass die UOKG angesichts der Vorwürfe die Darstellungen in den Texten der Ausstellung einer besonders sorgfältigen Prüfung unterzogen hätte, erklärten betroffene Frauen in Telefonaten mit der Redaktion.

Start mit einer vermeidbaren  Hypothek

In der UOKG-Ausstellung wird u.a. erneut verbreitet, Anita G. hätte in Leipzig in einer Wasserzelle gesessen, obwohl   a)  es bisher keinen Nachweis für die Existenz einer solchen Zelle in Leipzig gibt und b) Anita G. laut Archiv-Unterlagen in Delitzsch durch die Kripo vernommen und inhaftiert worden war. Durch die Verbringung in Haftkrankenhäuser nach Abschluss der Ermittlungen im März 1953 war sie nach den vorliegenden Unterlagen nur zur Durchführung des Prozesses in Leipzig.

Auch die weiteren Angaben zum angeblich verhinderten  Abitur (nach ausgewiesenen acht Jahren Schulbesuch) und verweigertem Studium stimmen mit den Archiv-Erkenntnissen, die der Redaktion vorliegen, nicht überein. Die Darstellung, sie habe sich „nicht am sozialistischen System“ beteiligen  wollen, lassen sich ebenfalls nicht mit den Archiv-Dokumenten belegen, nach denen Anita G. bei der Reichsbahn  sogar „Betriebs-Gewerkschaftsleitungs (BGL)- Vorsitzende“  war und in  diesem Zusammenhang auch eine entsprechende Schulung erfahren habe. So schrecklich die Erfahrungen in der DDR-Haft und hier besonders in Hoheneck waren: Aus den Berichten der Anstaltsleitung geht eine angepasste, um die Wiedergutmachung bemühte Strafgefangene hervor, die sich dem Aufbau des sozialistischen Staates widmen wolle und regelmäßig das NEUE DEUTSCHLAND und die JUNGE WELT lese. Sperrte man derartig positiv bewertete Gefangene in den Arrest oder gar in die (in Hoheneck tatsächlich vorhandene) Wasserzelle („Der Dunkle Ort“)?

"Verbreitung tendenziöser Gerüchte?" - Erklärungsbedürftiger Fund in den Gerichtsakten von 1953 - Archiv Leipzig

„Verbreitung tendenziöser Gerüchte?“ – Erklärungsbedürftiger Fund in den Gerichtsakten von 1953 – Archiv Leipzig

Auch die vierseitige  Werbung über die Verwendung des  Hakenkreuzes auf Fähnchen, Bannern und Girlanden in den Prozessunterlagen wäre ebenso hinterfragungsbedürftig gewesen, wie die verbreitete Mär über den Tod ihres Verlobten in einem Zuchthaus, in dem der nie einsaß. Die „Odyssee durch mehrere Haftorte“ (UOKG-Ausstellung) fand nicht nach Hoheneck sondern, immerhin erstmals eingeräumt, vor der Verbringung nach Hoheneck statt (Altenburg und Görlitz).

Angesichts dieser Präsentation eines Vorstandsmitgliedes, dass es nachweislich und nach wie vor mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, startet die UOKG-Ausstellung mit einer vermeidbaren Hypothek. Schade um  einen sicherlich gut gemeinten Beitrag zum Jubiläumsjahr des Mauerfalls.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin,  Tel.: 030-30207785

 

 

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