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von Dr. Christian Stücken
München/Berlin, 06.11.2019 – Checkpoint Charlie ’89: Ein Mann legt sich auf die Grenze und erregt weltweit Aufsehen. Als lebendes Mahnmal gegen die Trennung Deutschlands. 30 Jahre später liegt er wieder dort, um gegen die Mauer in den Köpfen zu protestieren!

„WIR statt IHR“ – Am 30. Jahrestag seiner Aktion vom 13.08.1989 demonstrierte Holzapfel erneut am Checkpoint Charlie. – Foto: LyrAg
Es ist der vielleicht berühmteste Grenzübergang zwischen Ost und West: der Checkpoint Charlie in Berlin. Hier standen sich Russen und Amerikaner direkt gegenüber. Jahrzehntelang verlief eine weiße Linie am Boden, markierte die Grenze zwischen Ost und West. Und genau diesen Ort hat sich Carl-Wolfgang Holzapfel 1989 für seine spektakuläre Protestaktion gegen die Mauer ausgesucht:
„Ich habe natürlich gedacht, wenn ich mich dahin lege, dann dauert das nur wenige Minuten, dann werde ich abtransportiert. Daraus sind dann über drei Stunden geworden. Ich habe hinterher erfahren, dass es daran lag, dass Amerikaner und Russen verhandeln mussten, denn solche Demos hatte es noch nicht gegeben.„
Friedliche Protestaktion am Checkpoint Charlie
Es ist der 13. August 1989, Gedenktag in West-Berlin, 28. Jahrestag des Mauerbaus. In West-Berlin gibt es an diesem Tag viele Aktionen gegen die Mauer. Doch keine erregt so großes Aufsehen wie die am Checkpoint Charlie. Um 11 Uhr begibt sich Holzapfel an jenem Tag an den Grenzübergang und legt sich genau auf die Demarkationslinie, mit der einen Hälfte seines Körpers im amerikanischen, mit der anderen im russischen Sektor. Er trägt eine Deutschlandfahne. Darauf gemalt eine weiße Linie, sie teilt seinen Oberkörper von seinem Unterkörper. In einem Originalvideo von damals ist Holzapfel zu sehen, als er sagt:
„Und damit wird die ganze Widersinnigkeit deutlich, dass ein Körper und auch eine solche Stadt nicht teilbar ist.“ Carl-Wolfgang Holzapfel 1989
Dann liegt er einfach da. Unter den Augen der Weltpresse und der Stasi, die alles filmt. Angst hatte er keine, sagt er.

„Lebendige Brücke“ am 13.08.1989: „Was strengt Ihr Euch so an? Den 30. Jahrestag (des Mauerbaus) erlebt Ihr doch sowieso nicht mehr!“ rief Holzapfel damals den DDR-Grenzern zu. – Foto:LyrAg
„Ich war mir ziemlich sicher, dass da nichts passieren würde. Je länger das dauerte, umso überzeugter war ich, denn früher haben die sofort zugegriffen, da gab’s überhaupt kein Zögern.„
Protest gegen die Berliner Mauer von Beginn an
Es ist nicht seine erste Protestaktion gegen die deutsche Teilung. Als 1961 der Bau der Mauer begonnen wird, geht Carl-Wolfgang Holzapfel nach Berlin. Von Beginn an leistet er gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Er nimmt an Demonstrationen teil, an Protestaktionen, Hungerstreiks.
„Ich habe dann einfach vor mir selber den Schwur abgelegt: Du wirst so lange gegen die Mauer kämpfen, bis diese Mauer nicht mehr da ist oder du nicht mehr existierst. So hat dann hier mein Kampf gegen die Mauer begonnen.„
Gefangenschaft in Bautzen und Hohenschönhausen
1965 erwischt es aber auch ihn. Als er die Grenze am Checkpoint Charlie überschreitet und die Freilassung von politischen Gefangenen fordert, wird er verhaftet. Er wird zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, sitzt in Bautzen und in Hohenschönhausen. Nach einem Jahr wird er von der Bundesregierung freigekauft. Es folgen weitere Protestaktionen. Aber die von 1989 ist seine spektakulärste. Lange ist an diesem Tag nicht klar, was mit ihm passiert. Nach etwa einer Stunde rücken Volkspolizisten aus der DDR auf ihn zu.
„Man hat mich gepackt, dann riefen alle sofort, lasst den Mann los und zogen an meinen Füßen, und die zogen an meinen Armen. Dann haben sie mich wieder hingelegt.„
Drei Stunden lang stehen sich west- und ostdeutsche Polizisten gegenüber. Im Hintergrund verhandeln Russen und Amerikaner, was mit ihm geschehen soll.
„Bis 14.05 Uhr haben die mich liegen lassen. Dann hat mich die Polizei auf Anweisung der Amerikaner weggeräumt. Allerdings hat die Untersuchungsrichterin, zu der sie mich hingefahren haben, abgelehnt, gegen mich einen Haftbefehl auszustellen, weil sie gesagt hat, das ist eine ganz normale Geschichte.„
Nicht einmal drei Monate danach, am 9. November ’89, fällt die Mauer, gegen die er fast 30 Jahre lang gekämpft hat.
„Ich bin am 10. November nach Berlin gefahren und habe mich natürlich dann auch daran beteiligt, die Mauer mit Hammer und Meißel symbolisch anzuklopfen. Ich war rundum in diesem Moment einfach der glücklichste Mensch der Welt.„
Deutsche Teilung existiert noch in zu vielen Köpfen
30 Jahre ist das her, doch für Holzapfel ist Deutschland noch immer weit davon entfernt, vereint zu sein. Und so will er sich 30 Jahre nach seiner Aktion von 1989 noch einmal an den Checkpoint Charlie legen.
„Sowohl die Menschen in Osten wie die Menschen im Westen waren sich über alle Unterschiedlichkeiten hinweg darüber klar: Wir gehören zusammen, wir gestalten unsere Zukunft, wir leben in einem Land.“ Carl-Wolfgang Holzapfel
Dann legt sich Holzapfel auf den Boden, genau auf die Stelle, an der er vor 30 Jahren gelegen hat. Er will noch einmal Brücke sein zwischen Ost und West. Denn diese Brücken, so Holzapfel, braucht es auch drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer immer noch.
Sendung: Kontrovers vom 06.11.2019 – 21:00 Uhr / Text: Bayerischer Rundfunk (BR) / Fotos: LyrAg
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Berlin, 11.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (14 -Teil 13 siehe 10.08.2019).
Über den „Wanderer zwischen den Welten“, den Ostberliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel (* 30.10.1925; † 21.08.2008) ist Vieles geschrieben worden. Die Einen haben ihn als „geldgierigen Diabolus“ oder als „verkappten Stasi-Mitarbeiter“ von Honeckers Gnaden bezeichnet, die Anderen sahen in ihm einen „stillen Helden“, der im Dunkel des Unrechtsstaates ein „Licht der Hoffnung“ darstellte. Tatsache ist, dass Wolfgang Vogel den stets ungeliebten Part des Parlamentärs zwischen den Fronten des Kalten Krieges spielte. Dazu gehörte nun einmal die Notwendigkeit, Vertrauen auf beiden Seiten der Verhandlungspartner zu finden.
Vogel: Meine Arbeit beginnt erst nach dem Urteil
Wolfgang Vogel habe ich persönlich in guter Erinnerung. Das lag nicht nur an den metaphysischen Bindungen, von denen ich erst später erfuhr. Er war im selben Landkreis in Niederschlesien wie ich geboren worden, sein Todesdatum fiel in das Jahr des Todes meines Vaters und dazu noch in dessen Geburtsmonat. Und Vogel starb am bayerischen Schliersee, an dem ich während meiner Zeit in Bayern (1979-2008) auch wegen der Betreuung einer alten befreundeten Dame viel Zeit verbracht habe. Die gute Erinnerung allerdings bezog sich auf sein ehrliches und offenes Verhalten vor und während des Prozesses vor dem Stadtgericht in Ost-Berlin (05. – 07.04.1966).
Meinen Anwalt würde ich erst sprechen können, wenn die Vernehmungen abgeschlossen sein würden und die Entscheidung über eine Anklage gefallen wäre, hatte mir einer meiner zwei Stasi-Vernehmer auf die Frage nach einem Rechtsbeistand geantwortet. Tatsächlich sah ich Vogel das erste Mal unmittelbar vor dem Beginn der ersten Verhandlung.
Offen erklärte mir Vogel, dass er mir ja nichts zu erklären brauche, da ich ja über das Prozedere gut informiert sei. Seine Arbeit würde erst mit der Rechtskraft des Urteils beginnen. Während der Verhandlung könne er keinen wirklichen Part spielen, was ich ja wohl wüsste. Für diese Ehrlichkeit war ich Vogel sehr dankbar. Er hätte mir ja auch eine Rolle vorspiegeln können, von der ich wußte, dass diese eher einer Farce entspräche.
Gedankliche Brücke zwischen KZ und Mauer nachvollziehbar
So verlief denn auch die Verhandlung. Allerdings war ich über durchaus bemerkenswerte Nuancen erstaunt. So wurde ein psychologisches Gutachten verlesen, in dem der Gutachter attestierte, meine gedankliche Brücke zwischen den KZ´s im Dritten Reich und der Mauer in Berlin sei aus seiner Sicht „durchaus nachvollziehbar und entbehre nicht logischer Schlussfolgerungen“, auch wenn dies „natürlich falsch“ sei.
Am Ende der Verhandlung stand das Urteil. Vier Einzelstrafen über zehn Jahre wurden zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren zusammengezogen. Aufgrund der Empfehlung von Wolfgang Vogel verzichtete ich auf „Rechtsmittel“, die ohnehin „bedeutungslos sind“ (Vogel), um diesem den Eintritt in die obligatorischen Freikauf-Verhandlungen mit der (alten) Bundesrepublik zu ermöglichen. Wesentlich später erfuhr ich, dass die Verhandlungen um meine Freilassung bereits unmittelbar nach meiner Festnahme eingeleitet worden waren. Ausnahmslos alle Parteien (CDU, SPD und FDP) beteiligten sich über ihre Kanäle daran, ein unerwartetes Engagement, für das ich noch heute dankbar bin.
Danach hätte ich eigentlich gar nicht mehr in den Strafvollzug kommen sollen. Weil aber irgendwelche Zusagen gegenüber der DDR nicht eingehalten worden waren, wollte der SED-Staat ein Exempel statuieren und transportierte mich etwa drei Monate nach dem Urteil nach Bautzen in den Strafvollzug.
Anspruch auf rechtstaatlichen Vollzug
Von diesen Hintergründen wußte ich natürlich nichts. Nur konnte ich, in Bautzen angekommen, aufgrund meiner Kenntnisse leicht ausmachen, dass ich mich offensichtlich in der berüchtigten Haftanstalt Bautzen I befand. Die zugewiesene Einzel-Zelle war dunkel, total verschmutzt, auch mit Fäkalien an den Wänden und auf der Liege. Ein Waschbecken? Ein Klosett? Fehlanzeige. Ein ebenso schmutziger und stinkender Kübel stand für meine Notdurft bereit.
Es war diese Zumutung, der dadurch wieder geweckte Wille, meinen Gewaltlosen Widerstand zu beleben, der mich nach kurzer Wahrnehmung heftig gegen die Zellentür trommeln ließ. Bald darauf erschien ein Wärter:
„Ich bin in einem von Ihnen behaupteten Rechtsstaat verurteilt worden und habe Anspruch auf einen rechtsstaatliche Vollzug,“ sagte ich diesem. „Die mir zugewiesene Unterbringung widerspricht in vollem Umfang diesen Prinzipien. Bitte richten Sie Ihren Vorgesetzten aus, dass ich eine sofortige Verlegung in einen menschwürdigen Strafvollzug verlange. Ansonsten werde ich ab sofort in einen unbefristeten Trink- und Hungerstreik eintreten. Sie können mich dann in drei Tagen tot aus dieser Zelle tragen.“
Der Wärter nahm diese Erklärung ohne erkennbare Regung auf und verschloss die Zellentür wieder. Etwa zwei als quälend empfundene Stunden später wurde ich aus der Zelle geholt und abtransportiert. Im anderen Domizil angekommen war ich mir sicher, nach Bautzen II verlegt worden zu sein. Das Treppenhaus musste kurze Zeit vorher frisch gestrichen worden sein. Auch die zugewiesene Zelle machte einen renovierten Eindruck. Das dortige Bett war mit Bettwäsche bezogen, in der Zelle befand sich ein Waschbecken und ein WC.
Arbeit mit einem Fluchthelfer und einem „Kriegsverbrecher“
Während in Bautzen I überwiegend wegen krimineller Delikte Verurteilte einsaßen, war Bautzen II vorwiegend für politische Gefangene, Geheimnisträger des SED-Staates, wie der seinerzeitige Außenminister der DDR, Georg Dertinger (*25.12.1902 ; †21. 01.1968), der 1953 verhaftet und zu 15 jahren Zuchthaus verurteilt worden war, sowie Personen vorgesehen, an denen aus unterschiedlichen Gründen ein besonderes Interesse der (alten) Bundesrepublik oder auch anderer Staaten bestand.
Über die Erlebnisse mit und bewegenden Kontakte zu strafgefangenen Kameraden ist sicherlich an anderer Stelle zu berichten. Hier will ich hier nur erwähnen, dass ich mit zwei Kameraden tagsüber in einer Arbeitszelle Kondensatoren zusammenschrauben mußte: Fritz Belger aus Winsen/Luhe war als LkW-Fahrer wegen Fluchthilfe verurteilt worden, auch sein Sohn saß deswegen hier in Bautzen ein. Der Andere, Willi Wehren, saß bereits seit zehn Jahren in Haft, was mit tief unter die Haut ging. Er war zunächst zum Tode verurteilt worden, weil er angeblich an der Erschießung von KZ-Insassen beteiligt gewesen war. Die Sowjets hatten aber Einspruch erhoben, weil ein Abkommen zwischen den Alliierten ein Bestrafungsverbot vorsah, wenn der Betroffene bereits vor einem anderen alliierten Gericht in gleicher Sache angeklagt worden war.
Willi Wehren war nach Kriegsende von einem französischen Militärgericht angeklagt und freigesprochen worden. Ehemalige KZ-Insassen hatten für ihn ausgesagt und bestätigt, dass Wehren unter Androhung der Erschießung gezwungen worden war, an einer Hinrichtung teilzunehmen. Dieser Freispruch hatte ihn dazu verleitet, in den fünfziger Jahren zu Besuchen in die Sowjetisch besetzte Zone zu fahren, mit fatalen Folgen. Nach Aussetzung der von einem DDR-Gericht verhängten Todesstrafe war das Urteil auf Weisung der Sowjets auf lebenslänglich abgeändert worden. Kurz vor unserer gemeinsamen Haft war diese Strafe erneut reduziert worden: Auf 15 Jahre.
Überraschende Rückkehr nach Berlin
Anfang Oktober 1966 wurde ich am Tage aus der Arbeitszelle geholt und aufgefordert, „meine Sachen zu packen“. Ohne jede Erklärung wurde ich in einen Gefangenentransport-LkW verladen und kam Stunden später auf dem Gelände des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin an. Erwartete mich ein neuer Prozess? War ich als Zeuge vorgesehen? Oder sollte ich gar entlassen werden?
Die mir bereits bekannte Prozedur von Bautzen I wiederholte sich. Ich wurde in eine noch engere Zelle als dort eingesperrt. In der Zelle befand sich kein Fenster und die Bewegungsmöglichkeit war wegen der dort vorhandene Pritsche auf ca. drei Quadratmeter beschränkt. Eine Fäkalientonne ergänzte das menschenfeindliche Interieur.
Erst als gegen Abend durch die Luke in der Zellentür ein Napf in die Zelle gereicht wurde, in dem nach meiner Erinnerung neben Brot Äpfel und Birnen lagen, kam erstmals die Vermutung auf, dass es um meine vorzeitige Entlassung gehen könnte. Es war nämlich üblich, dass die zur Entlassung oder zum Freikauf vorgesehenen Gefangenen eine besondere, von der Einheitsversorgung deutlich abweichende Kost erhielten. Es ging im Sprachjargon um das „Aufpäppeln“ der einstigen Delinquenten.
Ungenutzt ließ ich den Blechnapf wieder abholen. Nachdem ich ein zweites und drittes Mal die zugereichte Speisung ungenutzt wieder aus der Zelle gereicht hatte, fragte mich ein tatsächlich im Kampfanzug uniformierter Wächter, warum ich denn die Nahrung verweigere? Ich erklärte ihm, dass ich gesetzesmäßig verurteilt worden sei und einen Anspruch darauf hätte, zu erfahren, warum ich aus dem geregelten Strafvollzug hierher verlegt worden sei. Der Uniformierte blickte rasch den gang vor der Zelle hinunter und wandte sich dann mir zu: „Mensch, sei doch nicht blöd. Du sollst entlassen werden. Wenn Du nichts isst, verlängert sich doch nur Dein Aufenthalt!“ Mir blieb nur – fast sprachlos ob dieser direkten Auskunft – ein „Danke, Kamerad!“ übrig, um danach den Inhalt des Blechnapfes geradezu genussvoll zu leeren.
Mit Wolfgang Vogel in die Freiheit
Am nächsten Tag verlangte ich, mit „meinem Anwalt oder der Leitung dieser Einrichtung“ zu sprechen. Noch am selben Tag erschien ein Gesprächspartner in zivil, um sich meine Forderung anzuhören: Ich verlangte die umgehende Verlegung in eine menschenwürdige Zelle und eine erschöpfende Begründung für meine Verlegung nach Berlin. Noch am selben Tag wurde ich in eine Zweimannzelle mit WC und Waschbecken verlegt.
Drei Wochen später, am 29. Oktober 1966, wurde ich von Wolfgang Vogel in seinem bekannten goldfarbenen Mercedes über die Grenzübergangsstelle Invalidenstraße in die Freiheit gefahren.
-Schluss am 12.08.2019-
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.458)
Ein Nachruf von Elke Schlegel*
7. August 2019/es – Am 25. Juli 2019 erlag Rosel Werl einer unbesiegbaren Krankheit. Gekämpft hat sie bis zum bitteren Ende. Das Leben ist vergänglich, doch die Liebe, Achtung und Erinnerung bleiben für immer.
Am 31. März 1951 wird sie in Thüringen in Altersbach geboren. Sie wächst bei Pflegeeltern auf. Erlernt den Beruf einer staatlich geprüften Sekretärin. Im Urlaub in Ungarn 78 lernt sie ihre große Liebe kennen. Er jedoch kommt aus Baden-Württemberg in der damaligen Bundesrepublik, ist also ein Staatsfeind der DDR. Nach dem Tod der Pflegemutter stellt sie ab 1981 Ausreiseanträge.
Heimliche Treffen mit ihrem Freund werden von der Stasi abgehört und bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung wird ihr Tagebuch gefunden. Die intimen Notizen reichen aus um Rosel Werl 1982 zu 2 Jahren und 3 Monaten wegen landesverräterischer Nachrichten-übermittlung nach § 99 des StGB zu verurteilen. Im August 83 wird sie freigekauft und kommt über das Lager Giessen nach Weil, in die Stadt in der ihr Freund lebt. Die Beiden heiraten 1984 und 1985 wird ihr Sohn geboren.
Seit 1987 war sie Mitglied der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) und 1990 tritt sie in den Frauenkreis ehemaliger Hoheneckerinnen ein. Ab 2004 ist sie Mitglied im DDR- Museum Pforzheim, einem Lernort für Demokratie.
In dem Buch „Der dunkle Ort“ wurde sie als eine der 25 Frauenschicksale aus dem DDR-Frauenzuchthaus von Dirk von Nayhaus und Maggie Riepl porträtiert. Es war ein dunkler Ort, das Frauenzuchthaus Hoheneck und in dem Buch werden 25 Biografien gegen das Vergessen eines dunklen Kapitels deutscher Geschichte erzählt.
Seit 2004 arbeitete sie außerdem im Stiftungsbeirat der Stiftung sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft mit, damit Hoheneck eine würdevolle Gedenkstätte wird. Hoheneck wurde für sie zu einer Lebensaufgabe. Gemeinsam mit Vereinsmitgliedern der VOS, Benno Prieß und Heinz Lorenz als ehemalige Häftlinge von Sachsenhausen, Bautzen und Waldheim, mit Maria Stein und Margot Jann, ehemalige Hoheneckerinnen, suchte Rosel nach den Namen der Toten von 1950 bis 1954.
In den Unterlagen des Krematoriums wurden Listen und auf dem Dachboden von Hoheneck Urnen gefunden. 136 unschuldig zu Tode gekommene Männer, Frauen und Kinder, die anonym 1957 verscharrt worden waren, bekamen am 28. Februar 2019 am Ehrengrab im Urnenhain 18 eine Namenstafel.
Rosel in ihrer Rede am Grabstein: „Mir geht es darum, dass die hier bestatteten Toten unvergessen bleiben, uns nachfolgenden Generationen Mahnung sind, dass sich solches Unrecht niemals wiederholt. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, der Jugend an diesen Schicksalen den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie vor Augen zu halten.“
Mit dem Tod von Rosel Werl verlieren wir eine aufrechte Kameradin, die seit ihrer Übersiedlung in den Westen bis fast zuletzt als kompetente Zeitzeugin, die den Unrechtsstaat DDR leibhaftig erlebte, an zahlreichen Schuleinrichtungen unterwegs war.
Um das Vermächtnis von Rosel und den vielen schon von uns gegangenen Frauen zu erfüllen, liegt es nun in unserer Hand, auf dem Gelände des ehemaligen Zuchthauses einen Ort des würdigen Gedenkens und erinnernder Wegweisung für zukünftige Generationen zu errichten. Ehemalige Hoheneckerinnen haben gemeinsam schon ein verbindliches Logo entworfen. Für dieses Logo war es für Rosel noch nicht zu spät, aber zur Eröffnung der Gedenkstätte Frauenzuchthaus Hoheneck wird sie nun nicht dabei sein.
Eine Stimme, die vertraut war, schweigt. Ein Mensch, der immer da war, ist nicht mehr. Was bleibt, sind dankbare Erinnerungen, die niemand nehmen kann. Du fehlst.
* Die Autorin (*1958) war von 1983-1984 selbst Insassin im Frauenzuchthaus Hoheneck
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.454).
Bautzen, 24.04.2015/cw – Hans-Joachim Hentschel (57), einst Offizier der DDR-Staatssicherheit und neuerdings Kandidat für die bevorstehende OB-Wahl in der historischen Sorben-Stadt Bautzen hat jetzt auf die heftige Kritik an seiner Kandidatur reagiert. Er „akzeptiere die öffentliche Meinung,“ erklärte der Unternehmensberater jetzt und zog seine parteiunabhängige Kandidatur zurück. Angeblich habe er das Beamtengesetz nicht gekannt, nachdem ein gewählter Oberbürgermeister in ein Beamtenverhältnis auf Zeit übernommen wird. Daher werde eine Kandidatur auf eine Tätigkeit als ehemaliger Stasi-Kader geprüft, die im Falle einer Bestätigung eine Übernahme ausschließe. Er „handele mit dem Rückzug im Interesse der Bürger“, erklärte Hentschel jetzt gegenüber der Sächsischen Zeitung, die seine Stasi-vergangenheit Anfang April publik gemacht hatte.
Besonders bei Verfolgten– und Opfer-Verbänden der zweiten Diktatur hatte die Kandidatur für Empörung gesorgt. Bautzen war zu Zeiten der DDR für seine Haftanstalten berüchtigt. In Bautzen I und Bautzen II wurden missliebige Bürger zu Tausenden aus politischen Gründen für häufig viele Jahre eingesperrt. Sie waren dort besonders in den fünfziger bis in die achtziger Jahre hinein unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert und mussten auch Zwangsarbeit verrichten. Für die Zuführung in die DDR-Haftanstalten aus politischen Gründen war die Staatssicherheit hauptsächlich verantwortlich.
Überprüfungen in Thüringen angelaufen
Unterdessen hat der Landtag in Thüringen mit den Überprüfungen der Abgeordneten in der neuen Legislaturperiode auf eine ehemalige Stasi-Tätigkeit begonnen. Der Landtag war 2014 gewählt worden. Nach der Wahl war erstmals nach dem Fall der Mauer mit Bodo Ramelow ein Mitglied der SED-Nachfolgepartei zum Ministerpräsidenten gewählt worden.
Im Thüringer Abgeordneten-Überprüfungsgesetz ist diese Überprüfung vorgeschrieben. Danach können Stasi-belastete Abgeordnete vom Landtag als „parlamentsunwürdig“ eingestuft werden. Allerdings hat diese Einstufung keine rechtlichen Konsequenzen mehr, da das Verfassungsgericht einen Ausschluss der PDS-Abgeordneten Almuth Beck aus dem Landtag in den neunziger Jahren später für unzulässig erklärt hatte. Seither wollen die Fraktionen der SPD, LINKE und GRÜNE, die seit 2014 in einer Koalition verbündet sind, diesen Begriff aus dem Gesetz streichen. Die CDU-Opposition plädiert für eine Beibehaltung und möchte die Bestimmung bis in die nächste Legislaturperiode verlängern. (976)
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785
Von Carl-Wolfgang Holzapfel
Bautzen, 18.04.2015/cw – Vielfach werden sie mitleidig belächelt und oft hört man die Aufmunterung: „Hört doch endlich auf mit Eurer Meckerei, die Zeit ist weiter gegangen.“ Ziel dieser eher gedankenlosen und „freundschaftlich“ gemeinten Zuwendung sind Frauen und Männer, die oft Jahre von einer allmächtigen Staatssicherheit im Auftrag der SED beschattet, verfolgt und häufig zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Tausende von ihnen saßen auch im „Gelben Elend“, als Strafvollzugsanstalt Bautzen I bekannt oder in Bautzen II. Anfang der fünfziger Jahre waren sogar Gefangene der Sowjetischen Militäradministration aus dem zeitweilig fortgeführten Nazi-KZ Sachsenhausen nach Bautzen und in den Verantwortungsbereich der zuvor gegründeten DDR verlegt worden.
Nun soll am 7. Juni, zehn Tage vor dem 57. Jahrestag des Volksaufstandes gegen das SED-Regime, ein neuer Oberbürgermeister gewählt werden. Der seit 25 Jahren amtierende Christian Schramm geht in den Ruhestand. Alles demokratietauglich, also normal?
Eigentlich. Träte da nicht ein Kandidat an, der einst bis 1989 Offizier jenes Organs war, das als Schild und Schwert der (SED-)Partei in Gestalt des allmächtige Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hauptsächlich damit beschäftigt war, die eigene Bevölkerung zu kujonieren und unbotmäßige Bürger hinter Schloß und Riegel zu bringen.
Im Februar erklärte Hentschel seine Kandidatur als unabhängiger Kandidat. Was zu diesem Zeitpunkt keiner wusste, deckte jüngst die Sächsische Zeitung auf: „OB-Kandidat war Stasi-Offizier“, 11.04.2015). Nach der dadurch ausgelösten „Empörung über Stasi-Enthüllung“, SZ 14.04.) räumte Hentschel seine Tätigkeit ein, erklärte allerdings, er habe Niemandem Schaden zugefügt und sei nur ein kleines Licht gewesen. Im Übrigen hänge seine Verpflichtung mit einem bedauerlichen Unfall zusammen, ihm sei beruflich keine andere Möglichkeit geblieben, als die Verpflichtung für das MfS.
Hans-Joachim Hentschel (57), heute Unternehmensberater, war zunächst 1976 als Inoffizieller Mitarbeiter (IM, Deckname „Hans Mozart“) angeworben worden. Nach dem SZ-Bericht folgte „von 1977 bis März 1980 ein dreijähriger Wehrdienst beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“, wo Hentschel in der Berliner Stasizentrale Wache schob.“ Danach wurde Hentschel Hauptamtlicher Inoffizieller Mitarbeiter, wie er selbst der SZ bestätigte. Nachdem er 1982 der SED beigetreten war, erhielt Hentschel 1983 seine Festanstellung im MfS. Neben seinem Job als Beobachtungskraftfahrer absolvierte er – laut Kaderakte „mit sehr guten Ergebnissen“ – ein zweijähriges Fernstudium an der Stasischule Gransee in Potsdam-Golm. Die Beförderung blieb nicht aus: 1985 Unterleutnant, 1987 Leutnant und 1989 Oberleutnant.
LINKE: Hentschel hat das Recht, anzutreten
Heute will der OB-Kandidat seine Tätigkeit als „Ausnahmefall“ sehen. Er reiht sich damit in die breite Phalanx der einst Verantwortlichen ein, die ihre verbrecherischen Tätigkeiten gegen die eigene Bevölkerung verharmlosen. Die Empörung hält sich erstaunlicherweise in überschaubaren Grenzen. So formuliert SPD-Fraktionschef im Bautzener Stadtrat, Roland Fleischer zwar „Die Bewerbung ist inakzeptabel“ und fordert: „Am besten ist, wenn er gar nicht erst antritt“, ein Bezug zur dunklen Vergangenheit seiner Sorben-Stadt mit ihrem weltbekannten Zuchthäusern vermeidet aber auch er tunlich. Und Linkenfraktionschefin Angela Palm erklärte zunächst: „Fraglich ist, ob er sich damit einen Gefallen tut. Ich würde an seiner Stelle nicht antreten“, mahnt allerdings an, genau zu unterscheiden, ob jemand strafrechtlich in Erscheinung getreten sei oder nicht. Damit befindet sich die LINKE-Politikerin brav auf Parteikurs und schlussfolgert denn auch, dass Hentschel „das Recht habe anzutreten“.
Der gemeinsame Kandidat von BBBz, SPD und Linken für das OB-Amt, Alexander Ahrens, vertraut dagegen auf das Votum des Bürgers, das deutlich ausfallen werde. Die Unmöglichkeit einer Kandidatur durch einen einstigen Stasi-Offizier in einer geschichtlich belasteten Stadt wie Bautzen sieht aber auch Ahrens nicht.
CDU: Nur Bauchschmerzen?
Und die CDU? Mathias Knaak, Chef der CDU-Fraktion im Stadtrat und deren OB-Kandidat, windet sich: Er kann die „Bauchschmerzen verstehen, die mancher Bautzener dabei hat“, wolle den Fall aber nicht weiter kommentieren“. Der CDU-Politiker verweist auf die entsprechende Gesetzeslage.
Bislang einzig klar äußert sich GRÜNEN-Stadtrat Claus Gruhl: „Das ist an Instinktlosigkeit nicht zu überbieten, wenn ein ehemaliger hauptamtlicher Stasimitarbeiter ausgerechnet in der Stadt OB werden will, die durch ihr Stasigefängnis in der DDR einen zweifelhaften Ruf hatte“, wird er in der SZ zitiert.
Bislang ist kein bundesweiter medialer Aufschrei zu vernehmen. Die Einbindung einstiger Stasi-Mitarbeiter in bundesdeutsche Strukturen scheint zum Alltag geworden zu sein, eine Müdigkeit, dieses Thema zu verfolgen, ist unverkennbar. Nicht vorstellbar allerdings der Aufschrei in diesem Land, wenn in Oranienburg (KZ Sachsenhausen) oder Weimar (KZ Buchenwald) ein einstiger Träger der NS-Herrschaft ein derartiges Amt anstreben würde. Aus Altersgründen wäre dies ohnehin nur eine theoretische Größe, kann also darum ohne Ansehensverlust vernachlässigt werden.
Die einst von der SED-Stasi-Diktatur Betroffenen allerdings sind landauf, landab empört. Ob deren Funktionäre in den nächsten Tagen und Wochen Wege finden werden, dieser Empörung wirksamen Ausdruck zu verleihen und die Politik wachzurütteln, darf angesichts angehäufter Probleme in den einschlägigen Verbänden bezweifelt werden. Resignation wäre aber der schlechteste Ratgeber. Sie ist oft der Einstieg in den Ausstieg aus demokratischer Beteiligung an der Gestaltung unseres Staates. Das kann gefährlich sein. Die Geschichte sollte Warnung genug sein. (973)
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785 oder 0176-48051953 (Autor)
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