Berlin, 19.02.2012/cw
Sehr geehrter Herr Gauck,
wir haben Ihnen über unsere Homepage einige Fragen vorgelegt, deren Beantwortung uns sehr am Herzen lag. Nachdem Sie nun übereinstimmend für das höchste Staatsamt nominiert worden sind, ist eine Beantwortung wohl nicht mehr notwendig. Sie sind nicht nur politisch nominiert worden, sondern auch von den Medien zum „Präsidenten der Herzen“ gekürt worden. Damit haben sich die Fragen wohl auch erledigt, leider.
Seit dem 17.Lebensjahr habe ich mich für diesen Staat aus tiefer Überzeugung engagiert. Mit der Vorlage eines Deutschland-Papieres (60 Artikel) zur angedachten Lösung der deutschen Frage, vielmehr noch der deutschen Teilung liegt mein Engagement sogar noch weiter zurück.
Dabei haben mich die geschichtlichen Erfahrungen mit der überwundenen braunen Diktatur, die auch tiefe Spuren in meiner Familie hinterlassen hat, geprägt. Ich konnte nie akzeptieren und habe nie akzeptiert, dass die braune Diktatur durch eine rote Diktatur abgelöst worden war. Und außerdem sah ich es als eine persönliche Pflicht an, mich als Mensch, der eher durch einen historische Zufall denn durch eigene Verdienste im freien Teil Deutschlands leben durfte, für die 17 Millionen Menschen einzusetzen, die ebenso zufällig in die Anschluss-Diktatur verbannt wurden.
Für diese Überzeugung bin ich u.a. auch freiwillig in ein Zuchthaus der DDR gegangen, nachdem ich mich für die Freilassung der politischen Gefangenen in der DDR eingesetzt hatte. Auch meine berufliche Karriere habe ich immer hinter diesen Einsatz zurückgestellt.
Nun soll ich einen Präsidenten respektieren, der zumindest eine ungeklärte Vergangenheit gegenüber den staatlichen DDR-Organen hatte, um mich hier bewusst zurückhaltend auszudrücken. Sie werden dafür Verständnis haben, wenn ich diesen Respekt nicht aufbringen kann. Das impliziert freilich auch nach 51 Jahren meinen Rückzug aus dem aktiven Engagement für diese Gesellschaft, mit deren breiter Unterstützung Sie offenbar in dieses Amt gelangen werden. Jede andere Haltung wäre unglaubwürdig vor mir selbst, aber auch vor meinen Freunden.
Daher werde ich mich künftig jeder Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen entziehen, da ich diese Teilnahme als heuchlerisch und unaufrichtig empfinden müsste. Den Opfern der beiden Diktaturen werde ich innerlich stets verbunden bleiben, diese bedürfen einer heuchlerischen Präsenz nicht. Das gilt auch für die künftige Teilnahme an Wahlen, die ich immer als eine vorrangige demokratische Verpflichtung, besonders im Schatten der Mauer angesehen habe. Ein Staat, der die Nähe eines Kandidaten zum Staatssicherheitsdienst einer Diktatur nicht mehr als Hindernis sieht, ihn an erster Stelle zu repräsentieren, ist nicht mehr mein Staat.
Hochachtungsvoll
Carl-Wolfgang Holzapfel *)
*) Der Autor ist bislang Vorsitzender der Vereinigung (AK) 17. Juni 1953, der er seit 1963 angehört, und Mitglied u.a. im Bautzen-Komitee (Beschwerdeausschuss), Arbeitsgem. Sachsenhausen (Beisitzer), Verein Museum Pforzheim, Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Gedenkbibliothek des Stalinismus Berlin, Heimatverein Esterau, VdK, Förderverein Begegnungs- und Gedenkstätte Hoheneck (Schatzmeister), Gegen Vergessen – für Demokratie.V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Tel.:030-30207785
8 Kommentare
25. Februar 2012 um 13:40
Harald Beer
Lieber Wolfgang Holzapfel,
ich habe dich und Tatjana kennen und schätzen gelernt als engagierte und aktive Streiter für das Erinnern an Unrecht in der DDR. Ich zolle euch hierfür meinen Respekt. Wenn aber du als Vorsitzender der „Vereinigung 17. Juni“ und im Namen der Vereinigung eine Anti-Gauck Kampagne durchziehst, sprichst du nicht in meinem Namen, denn
dass in den neuen Bundesländern der Mann, der die Stasiakten öffnete, bei vielen nicht beliebt ist, erscheint mir logisch;
dass ein Stasioffizier und ein Innenminister der DDR vertrauenswürdige Kronzeugen sind, stelle ich infrage;
dass Gauck eine heuchlerische Schau abzieht, glaube ich nicht, denn dann müsste man Gauck den Oskar für die beste schauspielerische Leistung auf allen Bühnen und zu allen Zeiten verleihen.
Ich hätte es geschätzt, wenn du deinen Kampf als Privatmann „Holzapfel“ führen würdest und nicht als der Vorsitzender der „Vereinigung 17. Juni“
Harald Beer, Mitglied Vereinigung 17. Juni 1953; Autor des Augenzeugenberichts
„Schreien hilft dir nicht …“; (1946 -1950 politische Haft Sachsenhausen, 1961 – 1963 politische Haft in Thüringen) Leipziger Universitätsverlag 2011.
25. Februar 2012 um 23:02
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Lieber Harald Beer,
erst einmal DANKE für die offene Kritik, denn unser Staat, die einstmals so verstandene Demokratie, lebt vom offenen Diskurs, vom fairen Streit der Meinungen.
Das scheint sich jetzt immer mehr ins Gegenteil zu verkehren. Schon längere Zeit wurde dem Volk verkauft, das Auseinandersetzungen um Themen „Streit“, „Hader“, „Zerwürfnis“, „Spaltung“ und dergleichen bedeuten. Die Diskussionskultur als hohes Gut jedweder Freiheit wurde und wird so ad absurdum geführt.
Es tut mir nicht leid, lieber Weggefährte, denn meine demokratische Sozialisation habe ich nicht in Bayern, wo ich 38 Jahre lang lebte, sondern zuvor im (auch) damals roten Berlin erfahren. Als öffentlich Bediensteter übte ich öffentlich scharfe Kritik u.a. an der politischen Demut vor der Mauer. Zum Beispiel: „Heinrich Albertz degradiert Polizisten zu Mauerwächtern“, ein zweiseitiger Artikel in einer Berliner Wochenzeitung. Niemals bin ich dafür zur Rechenschaft gezogen oder irgendwie ermahnt worden. Nach wie vor erhielt ich offizelle Einladungen zu Gesprächen ins Schöneberger Rathaus (z.B. mit Heinrich Albertz) oder zu Gedenkveranstaltungen, wie der zum 20.Juli (1944) in Plötzensee. Man akzeptierte meine kritische Haltung und meinen Einsatz gegen das Unrechtsmonstrum „Berliner Mauer“.
Im Gegensatz zu dieser prägenden demokratischen Erfahrung wurde ich 1976 in Bayern nach einer Beschwerde des damaligen Innenministers gegen einen kritischen Leserbrief aus dem Dienst der Sparkasse entfernt. Begründung: Meine Kritik sei mit den Pflichten eines öffentlich Bediensteten nicht vereinbar.
Dieses (bayerische)Verhalten ist, so scheint mir, inzwischen republikweit verinnerlicht worden. Kritik ist schädlich, schadet dem Allgemeinwesen, gehört sich nicht etc.
Fragt sich dann nur, wann sich Kritik schickt, diese angebracht erscheint oder akzeptabel ist? Nur dann, wenn sich diese Kritik gegen ein unerwünschtes Staatsoberhaupt richtet, nachdem diese Kritik durch öffentliche Kampagnen in jeder Fernsehsendung und in jedem Blatt kolportiert, also vorgekaut und damit abgesegnet wird oder wurde?
Wir haben sicherlich aus unterschiedlichen politischen Positionen heraus nach dem 9. November 1989 und besonders nach dem 3. Oktober 1990 ein neues Deutschland erhofft, erwartet oder erträumt. Aber haben wir uns damals die Wiederbelebung, (wieder)ein NEUES DEUTSCHLAND ersehnt oder gewünscht, das als Zentralorgan die Vorgaben eines Politibüros (oder von wem auch immer)transportiert? Gilt wieder „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“? Ergo, wer Kritik übt oder eine andere Meinung hat, hat unrecht?
Hoffentlich geht das nicht wieder eines Tages so weit, dass Männer im Ledermantel vor der Tür stehen. Beruflich kann man mir (zum Beispiel) ja nicht mehr schaden, aber den Rufmord hat man schon ausprobiert und vielleicht wird man eines Tages an der Rente (für Unbotmäßige) knabbern?
Passen wir auf, dass wir nicht mit unserer Kritik an der „unanständigen Kritik“ wieder den Boden bereiten… Zweimal im vorigen Jahrhundert sollte genug sein, denn eine Diktatur kommt nicht über Nacht. Auch wenn man später nach Erklärungsmustern im Sinne einer behaupteten „Machtergreifung“ suchte. Der Boden wird lange vorher bereitet. Es sei denn, überzeugte Demokraten zögern nicht, sondern widerstehen von Anfang an.
In diesem Sinn sehe ich mich durchaus in einer historischen Verantwortung als Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953, der ich nicht ohne Grund seit 1963 angehöre und deren verstorbenen Kameraden ich mich verpflichtet weiß.
20. Februar 2012 um 12:39
Paul Radicke
Sehr gute Stellungnahme, der ich mich voll anschliessen kann.
Dass ausgerechnet die FDP , inzwischen zu einer Splittergruppe
abgewirtschaftete Partei den Ausschlag für den Kandidaten Gauck
brachte ( weil sie Herrn Töpfer verhindern wollte, um schwarz-grün zu
verhindern ) ist besonders bedauerlich. Auch die SPD und Grüne hatten
nicht unbedingt auf Gauck bestanden, der sie in letzter Zeit einige Male
enttäuscht hatte mit Aussagen die nicht in ihrem Sinne waren.
Besonders verärgert bin ich über das Bekenntnis der UOKG zum Kandidaten Gauck schon vor der Entscheidung, zu einem Kandidaten,
der offen bekannte auf Befindlichkeiten der Stasi-Opfer keine Rücksicht
nehmen zu können.. Armes Deutschland!
Paul Radicke, Träger des Bundesverdienstkreuzes
20. Februar 2012 um 10:49
Nadja Zöllner
Ist das jetzt System, das alle die sich mal in DDR Zeit für andere Leute eingesetzt haben, heute mit dem Stasimakel beschmiert werden, den sie gar nicht hatten? Diese Fälle häufen sich ja täglich, und die Personen, die nachweislich das Leid der DDR aus eigenem Gefallen und Vorteil lange mitgetragen haben, werden als die HELDEN hingestellt?
Gute ehrliche Leute haben sich deshalb von der Aufarbeitung zurückgezogen, weil auch sie verleumdet wurden.
Alle die das unterstützen, sägen mächtig am Stuhl der Demokratie. Nicht das es danach wieder keiner gewusst hat!!!!
20. Februar 2012 um 10:22
Andreas Schmidt
Ihre Vita ist mir im Detail nicht bekannt, aber die in Ihrem Artikel erwähnten Auszüge nötigen mir Respekt ab und deshalb kann ich Ihre sehr kritische Sichtweise etwas besser nachvollziehen. Als Bürger des (Gott sei es gedankt!) untergegangenen DDR-Regimes weiß ich jedoch auch um die Verdienste von Menschen wie Joachim Gauck. Aus westlicher Sicht mag es so erscheinen als hätte er sich mit dem Regime arrangiert, deren Nähe ertragen, ja teilweise gesucht. Wer hier gelebt hat, weiß, dass es die einzige Möglichkeit war, Verfolgte, Eingesperrte, Kaltgestellte… Personen überhaupt zu unterstützen. dazu kamen Fürbitten- Gottesdienste gegen das Vergessen etc. Nach meiner Auffassung die einzige Möglichkeit, wenn, ja wenn (!), man sich entschieden hatte in diesem System zu verbleiben und nicht zu gehen. Sie haben sich für die Variante gehen entschieden, entscheiden müssen und dafür auch teilweise Ihre Freiheit geopfert – Respekt. Doch auch die Haltung vieler Pfarrer (und natürlich anderer „Bürgerbewegten“) sollte man den Respekt nicht verweigern. Es war keinesfalls leichter, hier zu helfen, der Opposition eine Bleibe zu geben und sich für die Bürgerrechte zu engagieren. Insofern finde ich Ihre Reaktion übertrieben und auch ein wenig anmaßend.
Die Geschichte soll entscheiden, wer für den Untergang der DDR mehr geleistet hat, Menschen mit Ihrer Vita oder andere wie Joachim Gauck.
Wenn ich da an Herrn Carstens denke, mit seiner NS- Vergangenheit, Herrn Filbinger als Ministerpräsidenten,… habe ich gehörige Bauchschmerzen denen einen geachteten Platz zwischen den Persönlichkeiten des Nachkriegs-Deutschland einzuräumen.
Seien Sie doch ein wenig nachsichtig und nicht so selbstgerecht. Ich bin davon überzeugt, dass Sie in der alten Bundesrepublik und auch im wiedervereinigten Deutschland positiv gewirkt haben. Die Ernennung von Herrn Gauck sollte keinen Anlass bieten, diese Arbeit nicht fortzusetzen. Herr Gauck verdient den Respekt und die Anerkennung für seine Lebensleistung und wird einen achtbaren Präsidenten abgeben.
20. Februar 2012 um 09:11
Stefan Köhler
Und dem kann jeder nur zustimmen, der die Folterhöllen der Stasi am eigenen Leibe erfahren und überlebt hat. Mehr dazu habe ich in einem anderen Strang dieser Seite geschrieben.
Stefan Köhler
20. Februar 2012 um 06:46
Rolf Wiese
Wunderbar wie die und was „die Freiheit für Blüten treibt“. Die Demokratie braucht genug Opposition um zu funktionieren. Die Minderheiten in der Minderheit der Bevölkerung ist das Salz in der Suppe. Rowi
20. Februar 2012 um 07:55
Angelika Kanitz
Dem ist nichts mehr hinzu zu fügen !