Berlin, 19.02.2012/cw

Sehr geehrter Herr Gauck,

wir haben Ihnen über unsere Homepage einige Fragen vorgelegt, deren Beantwortung uns sehr am Herzen lag. Nachdem Sie nun übereinstimmend für das höchste Staatsamt nominiert worden sind, ist eine Beantwortung wohl nicht mehr notwendig. Sie sind nicht nur politisch nominiert worden, sondern auch von den Medien zum „Präsidenten der Herzen“ gekürt worden. Damit haben sich die Fragen wohl auch erledigt, leider.

Seit dem 17.Lebensjahr habe ich mich für diesen Staat aus tiefer Überzeugung engagiert. Mit der Vorlage eines Deutschland-Papieres (60 Artikel) zur angedachten  Lösung der deutschen Frage, vielmehr noch der deutschen  Teilung liegt mein Engagement sogar noch weiter zurück.

Zweierlei Maß? Monica Ferres, Joachim Gauck, Carsten Maschmeyer im Nov.2010

 Dabei haben mich die geschichtlichen Erfahrungen mit der überwundenen braunen Diktatur, die auch tiefe Spuren in  meiner Familie hinterlassen hat, geprägt. Ich konnte nie akzeptieren und habe nie akzeptiert, dass die braune Diktatur durch eine rote Diktatur abgelöst worden war. Und außerdem sah ich es als eine persönliche Pflicht an, mich als Mensch, der eher durch einen historische Zufall denn durch eigene Verdienste im  freien Teil Deutschlands leben durfte, für die 17 Millionen Menschen einzusetzen, die ebenso zufällig in  die Anschluss-Diktatur verbannt wurden.

Für diese Überzeugung bin  ich u.a. auch freiwillig in ein Zuchthaus der DDR gegangen, nachdem ich mich für die Freilassung der politischen Gefangenen in der DDR eingesetzt hatte. Auch meine berufliche Karriere habe ich immer hinter diesen  Einsatz zurückgestellt.

Nun  soll ich einen Präsidenten respektieren, der zumindest eine ungeklärte Vergangenheit gegenüber den staatlichen  DDR-Organen hatte, um mich hier bewusst zurückhaltend auszudrücken. Sie werden dafür Verständnis haben, wenn ich diesen Respekt nicht aufbringen kann. Das impliziert freilich auch nach 51 Jahren meinen  Rückzug aus dem aktiven Engagement für diese Gesellschaft, mit deren breiter Unterstützung Sie offenbar in dieses Amt gelangen werden. Jede andere Haltung wäre unglaubwürdig vor mir selbst, aber auch vor meinen  Freunden.

Daher werde ich mich künftig jeder Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen entziehen, da ich diese Teilnahme als heuchlerisch und unaufrichtig empfinden müsste. Den Opfern der beiden Diktaturen werde ich innerlich stets verbunden bleiben, diese bedürfen einer heuchlerischen Präsenz nicht. Das gilt auch für die künftige Teilnahme an Wahlen, die ich immer als eine vorrangige demokratische Verpflichtung, besonders im  Schatten der Mauer angesehen habe. Ein Staat, der die Nähe eines Kandidaten zum Staatssicherheitsdienst einer Diktatur nicht mehr als Hindernis sieht, ihn an erster Stelle zu repräsentieren, ist nicht mehr mein  Staat.

Hochachtungsvoll

Carl-Wolfgang Holzapfel *)

*) Der Autor ist bislang Vorsitzender der Vereinigung (AK) 17. Juni 1953, der er seit 1963 angehört, und Mitglied u.a. im Bautzen-Komitee (Beschwerdeausschuss), Arbeitsgem. Sachsenhausen (Beisitzer), Verein Museum Pforzheim, Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Gedenkbibliothek des Stalinismus Berlin, Heimatverein Esterau, VdK, Förderverein Begegnungs- und Gedenkstätte Hoheneck (Schatzmeister), Gegen Vergessen –  für Demokratie.
 

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Tel.:030-30207785