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Berlin, 29.03.2012/cw – Das war bitterer Tobak, was heute im  Landgericht Berlin-Moabit geboten wurde. Die beiden wegen „gefährlicher Körperverletzung“ (Baris B.) bzw. wegen „schwerer Körperverletzung mit Todesfolge“ (Ali T.) angeklagten Migranten aus Neukölln wurden heute äußerst milde bestraft, der Hauptangeklagte folgerichtig sofort aus der U-Haft entlassen.

Unstrittig blieb der Anlass. Am 17. September vorigen Jahres hatten die beiden Angeklagten das spätere Todesopfer Giuseppe Marcone (23) und seinen Freund Raul S. auf dem U-Bhf. Kaiserdamm in den frühen  Morgenstunden provoziert. Die seinerzeit alkoholisierten Wahl-Neuköllner schlugen schließlich auf ihre Gegenüber ein, die sich nach kurzer Verständigung der eskalierenden Auseinandersetzung durch Flucht entzogen. Marcone hatte seinem Freund das Fahrrad überlassen, um  dem schmächtigeren Freund eine schnellere Flucht zu ermöglichen. Der sportliche Marcone selbst flüchtete quer über den Kaiserdamm, offensichtlich von Ali T. verfolgt und verunfallte auf dieser Flucht durch ein  stadtauswärts fahrendes Fahrzeug aus Ingolstadt tödlich.

 Der Staatsanwalt, der „deutlicher hätte agieren können“, wie der vorsitzende Richter Ralph Ehestädt in seiner Urteilsbegründung kritisch anmerkte, hatte in seinem Plädoyer die Schuld der Angeklagten als erwiesen angesehen und für den Hauptangeklagten viereinhalb Jahre Haft, für seinen Kumpanen 2 Jahre auf Bewährung gefordert.

Das Gericht war sichtlich bemüht, durch umfangreiche Zitate höchstrichterlicher Entscheidungen einer möglichen Revision vorzubeugen und das Urteil wasserdicht zu machen. Dennoch konnte es nicht verhindern, das das Urteil bei den zahlreich erschienenen Freunden und Verfahrens-Interessenten als „zu milde“ und „Einladung für Nachtäter“ beurteilt wurde, auf herbe Kritik stieß. Offensichtlich nicht ohne Grund, denn drei Freunde der Angeklagten grinsten unverhohlen bei der Bekanntgabe des Urteils und beglückwünschten sich in der Zuhörerbank ob des Erfolges.

Nicht unerwähnt an dieser Stelle soll die Reaktion  der Eltern bleiben, die mit einer bewundernswerten Gelassenheit das Urteil zur Kenntnis nahmen. Sie zeigten sich zufrieden, dass überhaupt eine Verurteilung erfolgt sei, mit der sie offenbar nicht gerechnet hatten. Vielleicht handelten sie ja mit dieser sehr liberalen Haltung auch in posthumer Solidarität mit ihrem Sohn, der eigens an Deeskalierungs-Kursen teilgenommen hatte und jedwede gewalttätige Auseinandersetzung oder gar Fremdenfeindlichkeit aus tiefer religiöser und ethischer Überzeugung ablehnte.

Giuseppe Marcone hatte in seinem jungen Leben stets Zivilcourage gezeigt, hatte sich permanent für Benachteiligte engagiert. Ein Urteil, das diese Zivilcourage total ignoriert, den Befindlichkeiten der Täter breiten und ausführlichen Raum einräumt, geradezu fleißig alle mildernden Gründe addiert, um das Urteil zu begründen und die Rolle des zu früh Gestorbenen in seinem kurzen Leben so ausblendet – die Bemerkung zu Marcone erschien in der Urteilsbegründung eher als Pflichtkür denn als strafverschärfende Einlassung – kann nicht befriedigen, wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt.

Ob die den Tod zumindest mittelbar verursachenden Angeklagten von einem derart milden Urteil beeindruckt sein  werden, wird die Zukunft erweisen. Jedenfalls war eine zitierte deutliche Ermahnung des Hauptangeklagten in einem früheren Verfahren durch die tragisch ums Leben gekommene und ob ihrer Präventiv-Urteile berühmt gewordenen Richterin Kirsten  Heisig erfolglos geblieben. Heisig hatte Zivilcourage gezeigt, Giuseppe Marcone ebenfalls, auf unterschiedlichen Ebenen. Beide sind tot.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785

Berlin/Potsdam, 28.03.2012/cw – Gleich vorweg, um Fehlinterpretationen zu begegnen: Gewalt ist kein  Mittel der Auseinandersetzung. Punkt.

Aber rund um  diesen selbstverständlichen Grundsatz einer zivilen Ordnung wissen wir um die Ausnahmen, Widersprüche und – ja, auch – politischen Legalisierungen von Gewalt. Der gleiche Staat, der seinen Bürgern das Credo von der Gewaltlosigkeit predigt, setzt oftmals seine Soldaten oder Polizisten in Marsch, um  mit Gewalt gegen Gewalt zu operieren oder eigene Ziele mit Gewalt – ohne Vorspiel der Gegenseite – durchzusetzen. Dann gibt es das Instrument der Notwehr: Wer eine Gefahr für sich oder gegen Andere nicht anders abwehren kann, ist berechtigt, zur Abwehr dieser Gefahr auch Gewaltmittel einzusetzen. Soweit die Widersprüche, soweit die Ausnahmen.

All das lässt sich auf den ersten  Blick bei dem Geschehen in Potsdam nicht einsortieren. Ein ehemaliger Workuta-Häftling wollte die umstrittene Leiterin der Gedenkstätte Leistikowstraße um die Möglichkeit eines Zeitzeugengespräches bitten. Er wies ein Schreiben der Staatskanzlei vor, das er infolge eines Gespräches mit Ministerpräsident Platzek anlässlich seines Geburtstages erhalten hatte und in dem die Leiterin der Gedenkstätte gebeten wurde, Zeitzeugen Gespräche zu ermöglichen. Diese aber wies das Ansinnen mit dem Hinweis auf laufende Bauarbeiten ab. Das führte dann im Verlauf einer sicherlich heftiger werdenden Debatte zu der in den Medien diskutierten Auseinandersetzung oder, von der Gedenkstätte behaupteten gewalttätigen Reaktion eines 83jährigen, der als Minderjähriger von der Straße weg durch die Sowjets verhaftet worden und nach Sibirien in das berüchtigte Lager Workuta verschleppt worden war. Erst nach acht Jahren war er, fast einem Wunder gleich, aus dieser sibirische Hölle zurückgekehrt.

Hat ein solches Schicksal, hat ein Mensch, der dieses durchlebt hat, nicht Verständnis verdient, wenn er permanent gegen eine Wand von Ignoranz und provozierter Missverständnisse anrennt, anrennen muß? Seit Jahren fühlen sich die Betroffenen – nicht nur in der Leistikowstraße, aber hier besonders deutlich – von der Gedenkstättenleitung absichtlich wirkend, weil von oben herab ins Abseits gestellt. Hier wurde und wird der ewig anmutende Konflikt zwischen  den Zeitzeugen, die vor Ort Bitteres durchleben und erleiden mussten und Jenen, die – etwas salopp ausgedrückt – mit dem Leid dieser Menschen  ihr Brot verdienen, deutlich. Die Leistikowstraße ist da kein Einzelfall. Die Arbeitsgemeinschaft Sachsenhausen 1945 –1950 kann ebenso davon berichten, wie andere Betroffene.

Im Jahr 2008 freundlicher Umgang: Ines Reich, Lothar Scholz, Ministerin Prof. Johanna Wanka - Foto: LyrAg

Erst jüngst wurde dieser Konflikt am Rande einer Veranstaltung in der Runden Ecke, dem Museum in Leipzig, deutlich. Eine ehemalige Hoheneckerin, die nach 30 Jahren den Mut fand, sich mit ihrer Vergangenheit im Frauenzuchthaus Hoheneck auseinanderzusetzen, hatte sich zur Buchvorstellung „Der Dunkle Ort“, in dem 25 Schicksale von nahezu 10.000 politisch Verfolgten allein in  Hoheneck geschildert werden, eingefunden. Die studierte, also gebildete Frau, sprach am Rande der Veranstaltung den Geschäftsführer der Stiftung Sächsische  Gedenkstätten an, um sich nach einer möglichen Mitwirkung im Beirat dieser Institution zu erkundigen. Sie wollte schlicht einen Ansprechpartner wissen. Von oben herab wurde die ehemalige Hoheneckerin beschieden, wenn  sie das nicht selbst wisse, könne er ihr auch nicht helfen. Und weiter: Das wäre eh nichts für sie, in dieses Gremium würden nur hochkarätige Persönlichkeiten berufen.

Im geschilderten Fall wurde die Frau nur „sehr laut“. Aber hätte man nicht zumindest das Verständnis aufbringen können oder müssen – was nichts mit Billigung zu tun hat -, wenn diese ehemals politisch Gefangene ausgerastet wäre und eine Kiesinger-Feige verteilt hätte?

Einzig um diese Frage geht es. Wer diesen Menschen das Verständnis für deren Empörung gegen die Arroganz der „Verwalter ihrer Schicksale“ verweigert, hat nichts begriffen und setzt sich ziemlich kaltschnäuzig über dramatische Schicksale und die mit diesen verbundenen Traumata hinweg. Die so Zurückgewiesenen erleben ihr Leid erneut, müssen die beleidigende Arroganz als Fortsetzung der Zersetzungsarbeit und Folter ihrer einstigen Peiniger empfinden.

Bei NS-Opfern hat man diese Zusammenhänge längst verinnerlicht, zu Recht. Weder eine Ines Reich noch ein Günter Morsch  kämen auch nur auf den Gedanken, ein  NS-Opfer mit annähender Arroganz zu behandeln oder abzufertigen. Bei den Opfern der zweiten Diktatur hat sich hingegen diese Form der Auseinandersetzung schon vielfach verselbständigt, ohne dass dies einigen Verwaltern der Leidenskultur noch auffällt. Diese Bestandsaufnahme wäre, ist ein Skandal an sich, nicht die Empörung eines 83jährigen ehemaligen sibirischen Häftlings, der in seiner Verzweiflung ob der von ihm beschriebenen „Eiseskälte“ seines weiblichen Gegenübers seine ansonsten gerühmte Verbindlichkeit außen vor ließ. Die folgende Presseerklärung der Gedenkstätte war und ist nicht geeignet, den Konflikt aufzulösen oder eine neue Sachlichkeit anzustreben. Wer in einer eskalierenden Situation die wütende Äußerung eines Betroffenen, „den ganzen  Laden anzuzünden“ zu einer „Morddrohung“ hochstilisiert, trägt nicht zur Konfliktlösung bei. Auch die zwischenzeitlich telefonisch übermittelte Forderung an den Workuta-Häftling, sich mit einem Blumenstrauß bei Ines Reich zu entschuldigen, gleicht eher einer erneut betonten Arroganz als dem Bemühen, einen „runden Tisch“ anzubieten, an dem die Beteiligten ihre Sorgen und Nöte im gegenseitigen  Umgang offen besprechen könnten.

Vielleicht wäre es ein Weg, wenn  Ines Reich die Anzeige zurückzöge und endlich ein ergebnisoffenes Gespräch mit den betroffenen einstigen Häftlingen und dem Verein anbieten würde? Die Provokation eines Gezeichneten durch martialische Presseerklärungen oder gar Gleichstellung mit Terroristen noch zu verstärken, ist garantiert der falsche Weg, den Karren verweigerter Achtung und angehäufter Missverständnisse aus dem Brandenburger Sand zu ziehen.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785 oder 0176-48061953

Gastbeitrag von Susanne Baumstark

Die Krähen in Berlin sind besonders frech. Da hacken sie doch mit ihren spitzen Schnäbeln, jedweden Respekt vermissend, in das Dach des neuen Hauptbahnhofs lauter kleine Löcher. Jetzt fallen den auf dem Bahnsteig wartenden Gästen Tropfen auf den Kopf, wenn es regnet. Aber es geht noch dreister: Unlängst präsentierte sich auf dem Bahnhofsgelände eine Krähe mit stolz geschwellter Brust, im Schnabel transportierend, wie eine Siegestrophäe: ein gemopstes, angebissenes Wurstbrot! Rückendeckung haben die Krähen von Naturschützern: Sie wollen nur rumspielen, Steinchen vom Dach schmeißen, Blumentöpfe auseinanderzupfen  und ähnliches. (1) Nun denn, solange sie ihren Artgenossen kein Auge aushacken, gehen sie durchaus konform mit der deutschen Gesellschaft. Und allemal mit dem Deutschen Presserat.

Ja, es gibt sie, diese Institution. Nur während ganz Deutschland darüber diskutierte, ob der mediale Umgang mit Christian Wulff angemessen ist, trug sie keinerlei ausführliche Einschätzung dazu bei. Er ist eben vornehm zurückhaltend, der Deutsche Presserat, die „Freiwillige Selbstkontrolle der Presse in Deutschland“ – bestehend aus Journalisten. Missstände im Pressewesen will er feststellen und auf deren Beseitigung hinwirken. Aber auch Beschwerden aus dem Volk prüfen und einem Medium eine Rüge aussprechen, wenn dieses gegen den Pressekodex verstoßen hat.

Nun dachte eine Beschwerdeführerin, ein Artikel auf Spiegel Online verstößt eindeutig gegen Ziffer 1 des Pressekodex – Wahrung der Menschenwürde. Ein Autor schrieb dort am 6. Januar über Wulff: „Seine Hülle kann noch geraume Zeit im Amt bleiben, die dignitas seiner Person ist unwiederbringlich verloren.“ (2) Der Presserat wies diese Beschwerde als unbegründet zurück. Erklärung: Der Autor wolle mit der Aussage ausschließlich verdeutlichen, dass Wulff die Würde, die für das Amt des Bundespräsidenten notwendig ist, aufgrund der Vorkommnisse nicht mehr besitzt. Seine Menschenwürde sei damit nicht in Frage gestellt. (3) Es wird wohl geheim bleiben, ob das Kriterium gesunder Menschenverstand regelmäßig keine Rolle spielt in den nicht öffentlichen Sitzungen des Beschwerdeausschusses. Festzuhalten bleibt: Ein Journalist fokussiert den Verlust der Würde ausdrücklich auf die Person Wulffs und bekommt Rückendeckung vom Presserat. Wo die Krähen aber auch überall ihre Nester haben…

Bestimmt wird es zukünftig noch heimeliger zugehen bei dem Zusammenschluss der Selbstkontrolleure. Gerade wurden zwei Mitglieder der Journalistengewerkschaft DJV in vielsagende Positionen gewählt. Einmütigkeit herrscht dann schon einmal beim Präsidenten-Bashing. Der DJV boykottierte nicht nur in beleidigter Manier den Neujahrsempfang im Schloss Bellevue, er will auch darüber bestimmen, ob sich ein Bundespräsident verletzt fühlen darf.: „Der Deutsche Journalisten-Verband hat sich gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, die Journalisten hätten den am heutigen Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff mit ihrer Berichterstattung verletzt.“ (4)

Ansonsten glänzt der DJV mit Ambivalenz, wenn er etwa den freiwilligen Verzicht der Springer-Redaktionen auf Presserabatte begrüßt (5), diese aber keinesfalls pauschal abgeschafft wissen will (6). Aber wenn es ums Futter geht, sind ja die Krähen urplötzlich gar nicht mehr so solidarisch miteinander. Da gibt es dann Verstecker, Räuber und Desinformierer, und alle denken, sie tricksen die jeweils andere Krähe aus. Die so lange gepflegte Tradition „Der größte Lump im ganzen Land, das ist der Denunziant“ gilt eben nur, wenn nicht ureigene Interessen berührt sind. So sprießen die Missstände und zwar in beiden Konstellationen: wo geschwiegen wird, wenn Klartext reden nötig wäre und wo falsch geredet wird, nur um egoistische Interessen zu wahren.

Aber wer soll sich denn nun um die Einhaltung des Pressekodex kümmern? Um eine ausgewogene Berichterstattung, die sachlich verschiedene Meinungen transportiert und Wesentliches nicht verschweigt? Um einen Journalismus, der nicht manipuliert und die Demokratie gefährdet? Vielleicht sollten wir die Absarokee – die Kinder des langschnabeligen Vogels – ins Land holen. Diese amerikanischen Krähen-Indianer sind kampferprobt und gelten ohnehin schon als Verräter, haben also nichts zu verlieren. Wenn die nicht kommen wollen, bleibt nur noch die Unterwanderung des Deutschen Presserats durch Einheimische, die sich dann konspirativ um die Einhaltung des Pressekodex kümmern. Initiativbewerbungen sollten ankommen, wenn sie an folgende Adresse gesandt werden: Verein zur Etablierung des Dilettantismus, Krähenweg im Schnabelland, E-Mail:

hauptsacheichhabeinenposten@allesandereinteressiertmichnicht.de.

© 2012 Susanne Baumstark, Redakteurin und Dipl.Soz.Päd.

Aktueller Lesetipp zu Medienmacht und Demokratie: Staatsrechtler Prof. Dr. Martin Kriele:                   „Die Macht der Medien“ unter dem Link: http://www.martinkriele.info/

Quellennachweise:

(1) http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1514410/Gefundenes-Fressen-fuer-Kraehen#/beitrag/video/1514410/Gefundenes-Fressen-fuer-Kraehen letzter Zugriff am 23.3.2012

(2) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,807506,00.html letzter Zugriff am 23.3.2012

(3) laut Brief vom Deutschen Presserat vom 21.3.2012 an die Beschwerdeführerin

(4) http://www.djv.de/SingleNews.20+M5ea62544f87.0.html letzter Zugriff am 23.3.2012

(5) http://www.ptext.de/nachrichten/djv-begruesst-freiwilligen-verzicht-presserabatte-springer-335288 letzter Zugriff am 23.3.2012

(6) http://www.focus.de/politik/schlagzeilen/nid_96512.html letzter Zugriff am 23.3.2012

 V.i.S.d.P.: Susanne Baumstark, Anfragen  über Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin

Berlin, 23.03.2012/cw – Heute hält der neue Bundespräsident nach seiner Vereidigung vor dem Bundestag und Bundesrat seine erste Ansprache, die im Vorfeld als Grundsatzrede eingeordnet wird.

Nahezu zeitgleich ist ein Buch erschienen, verfasst von  Dieter Bub, der den Bundespräsidenten in den letzten Jahren auf verschiedenen Stationen begleitet und interviewt hat. In  einem Gespräch anlässlich der Buchvorstellung mit EUROPEAN CIRCLE äußert sich der Autor u.a. (gekürzt):

….

Dieter Bub: Es gibt in seiner Autobiografie schon ein paar Grauzonen, wo ich meinte die müsste man ein bisschen aufhellen.

European Circle: Unter anderem das er Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde war. In wieweit gehen sie auf dieses Thema ein?

Dieter Bub: … Joachim Gauck ist ein spät Berufener. … er hat sich in die Öffentlichkeit gewagt als der Untergang der DDR schon ganz sicher war. Dann ist er der Chef der Stasi-Unterlagen- Behörde geworden und hat ehemalige Stasimitarbeiter in die diese Behörde geholt. Das ist noch immer ein Problem, weil sein Nach-Nachfolger jetzt versuchen muss diese Leute wieder herauszubekommen aus dem Amt, weil es sich nicht gehört. Bei diesen Recherchen bin ich auf einen Namen einer Frau aus Schwerin gestoßen, Jutta Schuster. Sie war eine FDJ-Sekretärin an der Schule, natürlich in der SED, ganz klar. Sie ist in Schwerin angetreten und wollte die Unterlagen über die formellen Mitarbeiter vernichten lassen. Und diese Jutta Schuster hat Gauck dann hier nach Berlin geholt, in die Behörde und hat ihr dann dort eine wichtige, bedeutende Aufgabe übertragen. Der sie bis zum vergangenen Jahr nachgegangen ist. Da fragt man sich warum eigentlich.

European Circle: … er legt ja doch eigentlich alle Karten auf den Tisch und sagt: ja das war so. Aber trotzdem sagen Sie, er nimmt nicht richtig Stellung.

Dieter Bub: … Zum Beispiel hat der ehemalige Schriftsteller und DDR oppositionelle Jürgen Fuchs, der ja auch unter der Staatssicherheit extrem gelitten hat, Joachim Gauck Vorschläge gemacht, dieses Amt anders, öffentlicher, intensiver zu verwalten. Das hat Gauck abgelehnt und sozusagen vom Tisch geschoben. …

European Circle: Sie haben im Vorfeld gesagt, dass zweite zentrale Thema neben der Stasi-Geschichte, sei die Frage ob Joachim Gauck ein Bürgerrechtler ist oder nicht. …

Dieter Bub: … Ich bin der Meinung, dass er sich mit diesem Titel geschmückt hat und sich damit auch hat schmücken lassen. … In der DDR gab es eine ganze Reihe von Leuten, unter anderem Rainer Eppelmann, aber auch Robert Havemann und Heiko Lietz in Rostock, die sich aus dem Fenster gelehnt haben, die in die Öffentlichkeit gegangen sind, sich aus dem Schutz der Kirche nach draußen bewegt haben und gesagt haben wir wollen diesen Staat verändern. … Dafür sind sie verfolgt worden, zum Teil ins Gefängnis gegangen, erpresst worden. … Joachim Gauck ist da erst ganz spät drauf gestoßen und ist es dann Ende 1989, kurz vor dem Fall der Mauer geworden.

Das vollständige Gespräch unter:

http://www.european-circle.de/lesen-leute/buecher/datum/2012/03/21/begegnungen-mit-joachim-gauck.html

Dieter Bub: Begegnungen mit Joachim Gauck, Der Mensch. Sein Leben. Seine Überzeugungen; Mitteldeutscher Verlag 2012; 160 Seiten; ISBN 978-3-89812-923-7; 9,95 Euro

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785 oder 0176-48061953

Gera, 22.03.2012/mk – Ich lese gerade dieses Buch von Jörg Baberowski. Baberowski erzählt. Vom Grauen. Vom Unfassbaren. Vom Unerzählbaren. Und behält gleichzeitig den sachlichen Blick des Historikers.

Längst bekannt Gemeintes erscheint im neuen Licht. Vertraut mit Stalins Verbrechen – von Naumburg aus hatten wir in den 80 ziger Jahren illegale Stalinismusseminare organisiert, 1988 den offenen Brief zur Aufarbeitung des Stalinismus in der DDR veröffentlicht – vermittelt dieses Buch erneutes Erschrecken.
Baberowski macht es den Leser/innen nicht bequem mit Erklärungen. Ideologische Muster passen nicht auf dieses konkret zeitlich und regional verortetes Geschehen. Weshalb aber, angesichts vorhandener Dokumente und bereits veröffentlichter Literatur, ein neues Buch zum Stalinismus?

Weil es in unsere heutige Zeit passt. Weil es zeigt, dass dieses Thema aktuell bleibt. Weil der Bedroh- ung der Demokratie durch unterschiedliche Fundamentalismen eine Auseinandersetzung im aktuel- lem Kontext notwendig macht. Weil immer noch – auch nach diesem Werk – reichlich Fragen offen bleiben. Weil Gewalt als Prinzip tagtägliche politische Realität darstellt.

„Verbrannte Erde – Stalins Herrschaft der Gewalt“ – C. H. Beck, München 2012, 606 Seiten, 29,95 €

Michael Kleim, Gera

Siehe auch: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1705214/

 © 2012: Michael Kleim, Stadtpfarrer in Gera – V.i.S.d.P.:  Vereinigung (AK) 17.Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785

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