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Berlin, 14.07.2015/cw – Nur wenige Plätze am Rande waren noch frei. Wieder einmal hatte die Bundesstiftung Aufarbeitung das richtige Gespür gehabt und ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das offenbar auf großes Interesse stieß: Das Gesundheitswesen in der DDR.
In einem einführenden Vortrag stellte Dr. Rainer Erices vom Institut für Ethik der Medizin aus Erlangen komprimiert und gut nachvollziehbar die wunden Stellen in der „sozialistischen Medizin“ der DDR vor. Das Manko habe nicht in einer mangelnden Ausbildung oder Motivation gelegen, das Manko sei die Rückständigkeit in der technischen und pharmazeutischen Versorgung gewesen. Standards, die im Westen längst eingeführt waren, konnten so nicht in die medizinische Versorgung eingeführt werden, Patienten wurden dadurch häufig unzureichend versorgt oder erhielten nicht die Medikamente, die für eine Behandlung unablässig gewesen wären.
In der anschließenden Podiumsdiskussion kamen dann unter der Moderation der Wissenschaftsjournalistin Lilo Berg einstige DDR-Mediziner zu Wort: Dr. med. Sabine Bergmann-Pohl, Ärztin und einstige Präsidentin der Volkskammer und kurzeitiges Staatsoberhaupt der DDR nach der ersten freien Wahl, Bundesministerin a. D. und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft e. V. , die neben der Stiftung Aufarbeitung die Veranstaltung organisierte; Prof. Dr. med. Jürgen Kleditzsch, Arzt und 1990 Minister für Gesundheitswesen der DDR; Dr. med. Winrich Mothes, Arzt und u.a. Ehrenpräsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern.

Notierte im Anschluss Hintergründe zur vorgetragenen Kritik: Dr.Tomas Kittan von der B.Z. – Foto: LyrAg
Während die Diskutanten sich in der Beurteilung einig waren, daß das Gesundheitswesen der DDR „trotz einiger Mängel eigentlich beispielhaft organisiert war,“ also nur unwesentliche Unterscheidungen in der Rückschau gelten lassen wollten, kam es zu einem emotionalen Ausbruch bei einer Zuhörerin, der in der DDR während der Schwangerschaft ohne ihr Wissen das Medikament CERUTIL verabreicht worden war. Aufgrund dieser „kriminellen“ Falschbehandlung sei ihre Tochter seither zu 50 % schwerbehindert und keine Macht der Welt erkenne ihre Forderungen auf Entschädigungen an. Sie sei als Mutter und Geschädigte auf jahrelange Prozesse und ermüdende Bittstellungen in der Bürokratie angewiesen, was sie nach dieser Vergangenheit nicht leisten könne.
Frau Bergmann-Pohl zeigte sich „tief betroffen,“ verwies aber auf die „gute und ausreichende Entschädigungspraxis“ und merkte etwas hilflos wirkend an, sie sei „seit 13 Jahren aus der Politik“ und könne daher „in dieser Sache gar nicht helfen.“ Auf den Gedanken, hier selbstlos einfach ihre sicher noch bestehenden Kontakte zur Hilfestellung anzubieten, kam die ehemalige Spitzenpolitikerin (CDU) allerdings nicht.

Fachsimpeln am Rande: Ehem. OP-Schwester im Klikum Buch und nachmalige Hoheneckerin (li.) im Gespräch mit Bergmann-Pohl – Foto: LyrAg
Etwas hilflos wirkte dann auch die Hausherrin Anna Kaminsky, als sie nach mehreren emotionalen Unterbrechungen des Podiums – es meldeten sich weitere Betroffene aus der einstigen DDR – zur Ordnung rief und eine „pauschale Beschimpfung“ des Podiums seitens des Veranstalters ablehnte. So schwerwiegend die vorgetragenen Erlebnisse seien, müsste man zur Kenntnis nehmen, dass „dies nicht das Thema der Veranstaltung“ sei. Auf den Gedanken, die Kritik auf die fehlende Einbeziehung von Opfern der DDR-Medizin einzugehen, kam Kaminsky offenbar nicht, was zu weiteren Unmutsäußerungen führte. Dabei wäre das Angebot, eine weitere Veranstaltung unter Einbeziehung von Betroffenen in Aussicht zu stellen, sicherlich geeignet gewesen, die aufgewühlte Stimmung zu beruhigen. Auch hätte es dem Anspruch der Stiftung auf „Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ sicherlich nicht geschadet.
So blieb der Eindruck eines zwar informativen Abends zurück, der letztlich aber in der etwas mittlerweile langweiligen Aussage einmündete: Die DDR war nicht so schlecht, wie ihr Ruf (im Westen!) es suggeriere. Einzig die aufbrechenden und nachvollziehbaren Emotionen aus dem Publikum relativierten die verharmlosenden Aussagen zur DDR-Gesundheitspolitik und hinterließen zumindest bei kritischen Teilnehmern den Eindruck, wenigstens einen rudimentären, wenn auch nicht beabsichtigten Einblick in die zweifellos vorhandenen Schattenseiten der Gesundheitspolitik im Sozialismus erhalten zu haben. (1.012)
Siehe auch (Hinweis):
http://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/erschuetternde-frauenschicksale-durch-medikamente
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785
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