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Berlin, 2.06.2015/cw – Am vergangenen Freitag nahmen im Hospiz Havelhöhe Freunde, unter ihnen zahlreiche ehemalige Heimkinder, bewegenden Abschied von Christiane Kieburg, die am 26. Mai dort nach einem Krebsleiden verstorben war.
Christiane wurde am 15.06.1959 in Berlin geboren, kam nach der Geburt in ein Säuglingsheim und anschließend mit ihrer Schwester zunächst zu Pflegeeltern. Später mußte sie ihre Jugend in Heimen verbringen. Das muß eine verstörende und zerstörende Zeit gewesen sein. Ein Weggefährte aus dieser Zeit, der von 1967 bis 1972 mit ihr zusammen in einem Heim war und eigens aus dem Süden angereist war, um die Jugendfreundin zu verabschieden, berichtet am Rande, dass Christiane „diese Zeit bis zu Ihrem Tod nicht verarbeitet hat.“ Christiane wollte über diese Zeit nie sprechen, da sie davon überzeugt war, dass man durch staatliche Hilfe systematisch ihre Kindheit, Jugend ja sogar ihr Leben zerstört hat. „Sie hatte bis zum Tode die schlimmsten Albträume.“ Erst 2014 fand sie den Mut, eine Therapie zur Überwindung dieser Traumata zu beginnen.
Christiane wollte nie, das über Einzelheiten je gesprochen wird und bat auch ihre Freunde, dies zu respektieren. Daran wollen wir uns auch in diesem Nachruf halten.
Das Schicksal von Christiane ist sicherlich symptomatisch für unzählige Heimkinder, die heute noch unter den dadurch verursachten Verwerfungen in ihrem Leben zu leiden haben. Viele von diesen sind auch sicherlich vor dem Anflug von Hilfe, den der Runde Tisch nach Jahren des Zögerns und Verdrängens über diesen Teil der gesamtdeutschen Geschichte beschlossen hat, verstorben.
Heimkinderfonds übernimmt Bestattungskosten
Um so mehr empfinden ihre Freunde Dankbarkeit dafür, daß der Heimkinderfonds erneut die Kosten für eine würdige Beisetzung übernommen hat. Das ist keineswegs selbstverständlich, wie der tragische Fall aus Mönchengladbach aus jüngerer Zeit belegt. Hier wurde eine Übernahme der Kosten für ein verstorbenes ehemaliges Heimkind vor Ort abgelehnt.
In Erinnerung wird Christiane allen ihren Freunden als eine Frau bleiben, die sich über das eigene Leid der Linderung anderen Leids gewidmet hat. Ihre aufopferungsvolle Arbeit für Obdachlose, ihre Tröstung ehemaliger Heimkinder, die ebenfalls mit dem Schicksal haderten und ihre kontinuierliche Teilnahme an unzähligen Demonstrationen für die Rechte der Entrechteten, darunter ein an die Physis gehender 13tägiger Hungerstreik vor wenigen Jahren für die Rechte missbrauchter Kinder werden allen Menschen, die Christiane begegnen durften, in lebendiger Erinnerung bleiben. Eine Schwester, die die Verstorbene im Hospiz begleitet hat, erzählte in bewegenden Worten, wie Christiane buchstäblich bis zur letzten Lebensminute über ihr iPad Verbindung zur Außenwelt, zu ihren Freunden hielt. Diese Verbindungen waren ihr Kraftquelle, halfen ihr über die auch dunklen Zeiten eines doch kurzen und leider schmerzerfüllten Lebens hinweg. Ihrem Wunsch entsprechend wird die Asche ihrer verblichenen Körperlichkeit dem endlosen Meer übergeben.
Am kommenden Freitag, 5. Juni 2015, um 14:00 Uhr findet im Krematorium in 16761 Henningsdorf bei Berlin, Hermann-Schumann-Straße 2, die Trauerfeier für diese ungewöhnliche und unvergessene Frau statt. (996)
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin,. Tel.: 030-30207785
Halle, 28.02.2015/cw – Alexander Kobylinski, geb. 1964 in Erfurt, war von 1984 bis 1985 wegen »staatsfeindlicher Aktivitäten« in DDR-Haft. Nach seiner Freilassung studierte er in Göttingen und an der FU Berlin Germanistik, Philosophie und Soziologie. Danach war Kobylinski seit 1994 im rbb als Fernsehjournalist, ab 2004 viele Jahre als Autor beim ARD-Magazin »Kontraste« tätig.
Der seit 2012 freie Autor legt Anfang März die im Mitteldeutschen Verlag Halle verlegte Biografie über seinen ehemaligen Anwalt in der DDR und Stasi-IM Wolfgang Schnur vor: „Der verratene Verräter – Wolfgang Schnur: Bürgerrechtsanwalt und Spitzenspitzel“.
In der Verlagsmitteilung heißt es dazu: „Kaum ein Protagonist der Umbruchszeit 1989/90 polarisiert bis heute so wie Wolfgang Schnur. Als Anwalt arbeitet Schnur (geb. 1944) in der DDR als Rechtsbeistand für Bürgerrechtler und Wehrdienstverweigerer. Nicht wenige sehen den Mitbegründer und Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs als kommenden Wahlsieger bei den Volkskammerwahlen im März 1990 und damit als künftigen DDR-Ministerpräsidenten. Doch kurz vor der Wahl wird bekannt, dass Schnur seit den 1960er Jahren für die Stasi tätig war. Es beginnt ein langer Absturz mit dem Entzug der Anwaltszulassung 1993 und diversen Verurteilungen.
Alexander Kobylinski, einst selbst Mandant von Schnur, folgt dessen Lebenslauf von der Jugend im Nachkriegsdeutschland, der Ausbildung zum Rechtsanwalt, seiner Anwerbung durch das MfS und der Tätigkeit als Spitzel bis zur Enttarnung 1990. Kobylinski zeigt, wie Schnur mit viel Geduld, aber äußerst zielstrebig vom MfS aufgebaut wurde und schließlich zu einer wichtigen Person in der Bürgerbewegung wurde. Und er lässt die »Einbrüche« in Schnurs Karriere erst richtig verstehen.“
Der Autor begegnete seinem einstigen Anwalt Schnur (*8.06.1944 Stettin) Jahrzehnte nach seiner Haft zufällig in einem Zeitungsladen am Bahnhof Zoo: „Ich spüre gleich, dass auch für mich die Geschichte noch nicht vorbei ist. Denn ich will wissen, wie man leben konnte in einer Welt des Verrats von Mandanten, Freunden, Geliebten und Kircheninterna. Wo doch alle in Schnur nur den mutigen Kämpfer für die Bedrängten und den „bekennenden Christen“ sahen. Ich stelle einen Forschungsantrag beim Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen und finde mich wenig später vor einem Berg von 39 Aktenordnern wieder, dem „Lebenswerk“ des Inoffiziellen Mitarbeiters Wolfgang Schnur (zwei Ordner sind verschwunden).“
Kobylinski wühlt sich durch die Aktenberge bei der BStU, spricht mit einstigen verratenen Akteuren, u.a. mit Roland Jahn und Rainer Eppelmann. Heraus kam ein spannendes Buch mit 384 Seiten über einen Menschen, der ernsthaft glaubte, im Schatten seines jahrzehntelangen Verrates an und über ihm anvertraute Menschen nun in die erste Liga der Politik aufsteigen zu können. Tatsächlich sahen nicht Wenige ihn, den Mitbegründer und Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, als kommenden Wahlsieger bei den Volkskammerwahlen im März 1990 und damit als künftigen DDR-Ministerpräsidenten. Wenige Tage vor der ersten freien Wahl in der DDR flog Schnur als Stasi-IM auf und musste von allen seinen Ämtern zurücktreten. Damit war sein Absturz nicht erledigt. 1993 wurde ihm die Zulassung als Rechtsanwalt wegen „Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit“ entzogen; 1996 wurde der einstige Spitzenkandidat wegen Mandantenverrats zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Heute lebt Schnur von Sozialhilfe, geächtet und gemieden neben den einst Verratenen auch von Jenen, die sich einst – wenn auch nur kurz – in seinem Licht sonnten. Auch seine einstigen Auftraggeber wollten ihn nicht mehr kennen. Sie waren es vermutlich, so Kobylinski, die ihren einstigen (natürlich internen) Vorzeige-Informanten „ans Messer“ lieferten, als er nach deren Erkenntnissen zu forsch am Runden Tisch „Kontrollen“ über die Auflösungsprozesse der Stasi forderte.
Ein anderer platzierter Kandidat ging wohl geschickter vor. Mit Lothar de Maizière wurde trotz des Scheiterns der Stasi-IM Ibrahim Böhme und Wolfgang Schnur schließlich doch noch einer der ihren, nämlich IM „Czerny“, erster frei gewählter Ministerpräsident der wenig später aufgelösten DDR. (953)
Mitteldeutscher Verlag, 384 S., 19,95 €, 384 S., KlBr., 130 x 200 mm, mit s/w-Abb.
ISBN 978-3-95462-438-6 – ET: März 2015
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785
Berlin, 27.06.2012/cw – Der Humanistische Pressedienst (hpd) veröffentlichte gestern auf seiner Homepage ein Interview mit dem Rechtsanwalt Robert Nieporte, der kürzlich zwei Frauen vor dem Landgericht Köln als Klägerinnen vertrat. Das ZDF-Magazin Mona Lisa hatte Anfang Juni über die Klage gegen einen Träger wegen der erlittenen Torturen in damaligen Jugendheimen berichtet.
hpd hatte vorab die Frage aufgeworfen: Was hat die Sicherungsverwahrung für Schwerstkriminelle mit Heimkindern zu tun? Wieso ist ein juristisch schwieriger Weg relativ und könnte die Situation verändern, gar einen Präzedenzfall schaffen? Und gemeint, der Ansatz gehe nicht vom Individuum, sondern von der Verantwortung des Staates aus.
Wir veröffentlichen an dieser Stelle eine Zusammenfassung der Veröffentlichung. Wir haben bei Gelegenheit immer darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Problem der Misshandlung von Heimkindern nicht um eine ausschließliche DDR-Hinterlassenschaft handelt. Vielmehr ist dieser Komplex aus unserer Sicht eine, wenn auch traurige übernommene Gemeinsamkeit zweier ansonsten unterschiedlicher Systeme in die nachkriegsbedingte Teilung. Das gesamte Interview kann unter: http://hpd.de/node/13629 abgerufen werden.
Robert Nieporte verwies eingangs auf den entscheidenden Einfluss der ungerechtfertigten Heimunterbringung auf die Biografie der betroffenen Menschen, die nie in der Lage gewesen seien, ihre rechtlichen Interessen durchzusetzen. Deswegen könnten die Ansprüche dieser Personen auch nicht verjähren. Allerdings habe das Gericht eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt „zur Frage der Verjährung sowie zur Verantwortlichkeit der Beklagten (dem Landschaftsverband Rheinland), der als Aufsichtsbehörde tätig war und in dem Moment ein so genanntes Organisationsverschulden trägt“. Der Beklagte hatte die Einrede der Verjährung, Nieporte dagegen die Hemmung vorgetragen.
Man könne einem Menschen, „der nicht in der Lage ist, seine Rechte innerhalb dieses Zeitraums durchzusetzen, auch nicht unter dem Vorhalt des so genannten Rechtsfriedens, der hier nach dreißig Jahren eintreten soll – vorhalten, dass er seine Rechte nicht geltend gemacht hat!“ Dies wäre „auch zynisch“, so der Klägeranwalt. Der Staat könne nicht als Verursacher der Schäden, die in seinem System begründet gewesen seien, die Einrede der Verjährung vorbringen. Sicher sei diese Frage nicht einfach zu beantworten, andererseits sei der lapidare Hinweis auf die ständige Rechtsprechung nicht ausreichend. Er, Nieporte, habe noch „kein einziges Urteil höchstrichterlicher Rechtsprechung gefunden, in dem ein entsprechender Sachverhalt und damit die Frage der Verjährung geprüft wurde“.
Staatshaftungsanspruch
Die Klägerinnen fordern jeweils 54.000 Euro als Entschädigung, die sie nach dem OEG hätten fordern können. Man habe allerdings deswegen auf eine Klage nach dem OEG verzichtet, weil dann der Staat und nicht die verantwortliche Behörde zur Kasse gebeten werde. Die Klägerinnen werfen der Aufsichtsbehörde ein Versagen vor und machen ihre Forderung „im Rahmen eines so genannten Staatshaftungsanspruchs geltend“. Der Staat habe sich hier im Rahmen dieser Behörde falsch verhalten. Darin werde auch der Unterschied zu einem OEG-Antrag deutlich. Nieporte: „Die Summe, welche wir hier geltend gemacht haben, resultiert der Höhe nach aus dem OEG, das ist im Übrigen auch die Summe, die vom Verband ehemaliger Heimkinder (VeH) gefordert worden ist, als damals die Entscheidung des runden Tisches erwartet wurde. Sie setzt sich zusammen aus einer kleinen monatlichen Rente, etwa 300 € monatlich, welche für einen bestimmten Zeitraum hochgerechnet worden ist“.
Hier lägen unterschiedliche Ansätze vor. „In der hier in Rede stehenden Klage steht die pflichtverletzende Behörde im Vordergrund, und wenn es gerade um die Frage des Organisationsverschuldens geht, haben wir sicherlich mehr Möglichkeiten, den Nachweis zu führen, dass hier ein Unrecht nicht nur an einem Individuum stattgefunden hat, sondern diese Art von Heimerziehung systematisch war. Einen solchen Ansatz kriegt man in einem OEG-Verfahren nie unter“.
Der Anwalt vertritt bereits mehrere Fälle vor verschiedenen Gerichten. Sobald ein Gericht der Kläger-Argumentation folgen würde, läge ein Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen vor. Dies „wäre in bestimmten Punkten wegweisend für weitere Fälle. Und das möchte ich erreichen“, so Nieporte. Er verwies in dem Interview mit dem hpd auf einen Präzedenzfall in Österreich. In Oberösterreich habe ein Gericht die „grundsätzliche Möglichkeit der Verjährungshemmung bestätigt, indem es dem Kläger Verfahrenskostenhilfe zugebilligt“ habe. Dies könne auch ein Weg in Verfahren vor deutsche Gerichten sein, indem man darauf verweisen könne, wenn eine Person unter ähnliche Umständen „rechtswidrigerweise in einem Heim untergebracht“ wurde. Allerdings habe man in Österreich einen ganz anderen Stand „was die Presse, was die Öffentlichkeitsarbeit anbelangt“. Das Thema werde dort sehr gut aufgegriffen, um damalige Missstände aufzuarbeiten und nicht nur eine sprachliche Rehabilitation sondern eine angemessenen Entschädigung zu erreichen.
Durchhalten und den Mut nicht verlieren
Auf eine entsprechend Frage räumte der Kläger-Anwalt ein, dass er grundsätzlich jeden angetragenen Fall prüfe, aber ihm auch Kosten entständen, die angemessen ersetzt werden müssten. Er könne eine unterstellte pauschale Akteneinsichtsgebühr in Höhe von 100 Euro nicht bestätigen, müsse aber auch auf seine Arbeitsbedingungen Rücksicht nehmen. „Wenn jemand also nichts hat und in einer Angelegenheit beraten werden möchte, dann sollte die Person einen sogenannten Beratungshilfeschein beim Amtsgericht beantragen und wird ihn in den einzelnen Rechtsbereichen auch bekommen“.
Dennoch ermutigt der Anwalt für die Heimgeschädigten mögliche Antragsteller, „dass sie durchhalten und den Mut nicht verlieren“. Dies geschehe häufig, weil „viele Betroffene durch die neu eingerichteten Anlaufstellen entmutigt werden sollen“.
Nieporte kritisiert die pauschale, vom Bundestag beschlossene Entschädigungsregelung (Runder Tisch), das ein Betroffener mit einem Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz erst einmal diesen Anspruch auf Eis legen müsse, in dem er/sie vor einer Leistung eine Verzichtserklärung unterschreiben solle. Dies entspräche einer Black Box, weil Opfer nicht wüssten, was hinter den Versprechungen (vorher) stehen würde. Die Anlaufstellen würden nach seinem Eindruck „gezielt möglichst viel als zusätzliche Leistung versprechen, damit die Betroffenen von vornherein andere Ansprüche“ aufgäben. Er ermutige dennoch die Opfer, die Anlaufstellen „zunächst aufzusuchen“ aber dabei immer im Kopf zu haben, „welche weiteren Ansprüche noch geltend gemacht werden“. Wer zum Beispiel keine Ansprüche nach dem OEG (Opfer-Entschädigungs-Gesetz) geltend machen könne, weil es lediglich um die fehlende Anrechnung geleisteter Arbeit gehe, der könne dies pauschal geltend machen. In diesen Fällen seien die Anlaufstellen eine „wenn auch geringe Hilfe“.
Abschließend stellt Nieporte fest: Es sei nicht einsichtig, „dass eine Person, die grundsätzlich die Voraussetzungen für einen OEG-Anspruch erfüllt, diese Ansprüche aufgeben soll“. Nach seiner Auffassung schließe sich dies nicht aus. Man könne den Antrag nach dem OEG dahingehend konkretisieren, „dass man keine Sachleistungen möchte. Wenn auf der anderen Seite die Anlaufstellen nur Sachleistungen verteilen, gibt es keine Konkurrenzansprüche“. Beide Verfahren könnten parallel laufen. Aber man versuche systematisch, „das Thema Entschädigung von ehemaligen Heimkindern über die Anlaufstellen schnellstmöglich abschließend zu beenden. Das missfällt mir“.
Hinweise:
RA Robert Nieporte, Brotstr.1, D-54290 Trier info@Kanzlei-Nieporte.de
http://www.gewalt-im-jhh.de/hp2/Robert_Nieporte_-_Anwalt_fur_H/robert_nieporte_-_anwalt_fur_h.html
V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785
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