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Berlin, 19.09.2019/cw – Insgesamt dreimal wurde er aus politischen Gründen in der DDR verhaftet. Als er wegen eines Ausreiseantrages wieder von der Stasi vernommen wurde, sprang er aus dem Fenster. Er war in der Annahme, im ersten Stock des Gefängnisgebäudes zu sein, tatsächlich befand er sich in der dritten Etage. Schwer verletzt überlebte der Verzweifelte diesen Sprung, zog sich aber so schwere Verletzungen zu, dass er auf den Rollstuhl angewiesen war: Karl-Heinz Seel, geboren am 27.03.1950 in Berlin, starb am 3.August d.J. im Alter von 69 Jahren nach schwerer Krankheit in einem Krankenhaus in Berlin. Er wird am morgigen Freitag, 20.09., um 11:00 Uhr auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde, Gudrunstraße 20, beigesetzt.
Der Lebenslauf des Verstorbenen liest sich dramatisch und ist vielfach symptomatisch für unzählige politische Opfer des SED-DDR-Regimes. Seine frühe Kindheit verlief in der Obhut seiner alleinerziehenden Mutter wenig erfreulich. Misshandlungen und Vernachlässigungen durch eine offensichtlich überforderte Frau, verbunden mit häufigen Ortswechseln prägte seine Kindheit und Jugendzeit. Trotzdem schaffte es Seel, nach einem geordneten Schulabschluss eine Ausbildung als Autolackierer zu absolvieren.
Erstmals geriet Karl-Heinz Seel 1974 im Alter von gerade einmal 23 Jahren in die Fänge der Staatssicherheit und wurde am 14. März 1974, zwei Wochen vor seinem 24. Geburtstag, vom Stadtbezirksgericht Lichtenberg zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nachdem er am 15. Januar 1976 entlassen worden war, wurde er bereits am 11. August des Folgejahres erneut verhaftet und am 25. November 1977 wiederum vom Stadtgericht Lichtenberg verurteilt.
In seiner Rehabilitierung vom 2. August 2005 wurden beide Urteile und ein Beschluss vom 19. Dezember 1977, ebenfalls Stadtgericht Berlin, vom Landgericht Berlin als rechtsstaatswidrig aufgehoben.
In einem ärztlichen Gutachten vom 9.09.2004 wurde u.a. festgestellt, dass „die dreimaligen Inhaftierungen in der DDR teilweise durch Einzelhaft und andere verschärfte Bedingungen“ für seine angeschlagene Gesundheit „zusätzlich belastend“ waren. Der 1979 in die (alte) BRD übergesiedelte Seel durchlitt eine monatelange Arbeitsunfähigkeit, die mit anhaltenden depressiven Episoden einherging. Die Angstzustände verstärkten sich ab 1986. Als er schließlich nach dem Mauerfall seine Stasiakten einsehen konnte, brach der ohnehin gezeichnete Seel zusammen: Er erfuhr durch die Akteneinsicht, daß ihn die eigene Mutter und der (spätere) Stiefvater mehrfach an die Staatssicherheit verraten hatten.
Seel litt hinfort unter sich aufdrängenden Alpträumen und litt unter einem verstärkten Tremor der Hände und Arme, der sich besonders unter emotionalem Stress auswirkte. Der sich verstärkende soziale Rückzug wurde teilweise auch bewusst gewählt, da die spärlich gewordenen Kontakte zu Leidensgefährten vermehrt sogen. „flash backs“ auslösten.
Förderlich für sein Befinden waren sicherlich auch nicht die bürokratisch formulierten Bescheide auf seine zunächst zahlreichen, später eingestellten Versuche um Anerkennung seiner gesundheitlichen Schäden. So hieß es in einem Bescheid des Landesversorgungsamtes Berlin vom 17.11. 2005 lapidar und ohne jegliche Rücksicht auf die psychischen Befindlichkeiten eines ehemaligen DDR-Opfers u.a.:
„Am 11.11.2005 fragten Sie an, ob die Durchführung eines verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens im Zusammenhang mit ihrem Sprung aus dem 3. Stock während einer Vernehmung wegen des Ausreiseantrages sinnvoll wäre. Leider muss ich Ihnen mitteilen, das ein derartiges Verfahren bei diesem Sachverhalt keine Aussicht auf Erfolg hätte, da keine Maßnahme einer behördlichen Stelle zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Das Sie aufgrund der erneuten Vernehmungen in Panik geraten sind, ist zwar verständlich, der Tatbestand einem Rehabilitierungsverfahrne aber nicht zugänglich.“
Man möchte in der Stunde des Abschieds von Karl-Heinz Seel dankbar sein, daß ihm die Jubelansprachen und Jubel-Artikel zum 30.Jahrestag des Mauerfalls, wie sie am 3. Oktober und noch mehr zum 9. November zu erwarten sein werden, erspart bleiben. Noch lebende Opfer des SED-Terrors können sich der üblich gewordenen Heucheleien nicht entziehen. Sie müssen drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der zweiten deutschen Diktatur vielfach noch immer – und meist vergeblich – um ihre Rechte kämpfen.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.474).
Leipzig, 24.07.2019/cw – Gleich vielen Anderen hatten die Kläger kaum noch an Gerechtigkeit geglaubt. Hatte doch das Verwaltungsgericht Potsdam eine Klage einstiger Flüchtlinge auf Anerkennung gesundheitlicher Schäden, die sie auf die Dramatik der Flucht zurückführten, mit der Begründung abgelehnt, dass die Grenzsicherung der DDR sich nicht individuell gegen den Flüchtenden, sondern gegen die gesamte DDR-Bevölkerung gerichtet habe. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht am heutigen Mittwoch entschieden, dass die Kläger Anspruch auf Anerkennung gesundheitlicher Folgen aus ihrer Flucht in die Freiheit haben.
Der Senat stellte zudem fest, dass sich die Grenzsicherungsanlagen der DDR gegen Einzelpersonen richteten – etwa wenn Minen explodierten, sich die Flüchtenden am Stacheldraht verletzten oder von Grenzposten verfolgt wurden. Damit widersprach das Gericht dem vorhergehenden Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam, das eine Forderung nach Rehabilitierung abgelehnt hatte.
„Die Grenzsicherungsanlagen der DDR mögen zwar gegen alle gerichtet gewesen sein, aber die Anlagen waren hoheitliche Maßnahmen, die sich konkret und individuell gegen den Betroffenen, hier den Kläger, richteten„, begründete die Vorsitzende Richterin Ulla Held-Daab dagegen am Mittwoch das Urteil. „Die Gewaltanwendung gegen einen Flüchtenden ist eine sehr konkrete individuelle Maßnahme„, sagte Held-Daab während der Verhandlung.
Im Winter 1988: Stundenlang zwischen den Grenzanlagen
Geklagt hatte ein heute 56 Jahre alter Mann aus Berlin, der infolge seiner Flucht am 20. Dezember 1988 nach West-Berlin eine Traumatisierung erlitt und daher eine Entschädigung fordert. Der damals 26-Jährige war gemeinsam mit seinem Bruder in der nebligen Nacht über die Grenzanlage bei Teltow-Siegriedshorst am südwestlichen Stadtrand von Berlin geflohen. „Die Brüder haben mehrere Stunden in geduckter Haltung im Schlamm im Sperrgebiet gewartet“, beschrieb der Anwalt des Klägers.
In den frühen Morgenstunden hatten die Flüchtlinge vorhandene Metallgitterzäune mit Hilfe von Bolzenschneidern überwunden. Mit Leitern kletterten die Brüder dann über weitere Zäune. Zum Schutz vor dem Stacheldraht hatten sie sich mehrere Lagen Kleidung übergezogen. Wegen des Nebels wurden sie zunächst nicht entdeckt. Doch der damals 26-Jährige blieb mit seiner Kleidung im letzten Zaun der Grenzanlage hängen. Zwei Wachen bedrohten ihn mit Maschinengewehren, schossen aber nicht. Auch Minen seien explodiert, sagte der Verteidiger.
Die seelischen Auswirkungen forderten seinen Mandanten bis heute heraus: Er sei misstrauisch, reizbar, ihn überkämen plötzlich Wutanfälle, er habe Alpträume. Darum fordert er für den früheren Flüchtling eine Rehabilitierung auch wegen der psychischen Erkrankung.
„Der Kläger hat schlüssig dargestellt, dass die Anlagen zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung geführt haben können“, sagte Vorsitzende Richterin Held-Daab. Mit der Entscheidung des Bundesgerichts kann der Mann nun Anträge auf eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung bei Versorgungsämtern stellen, in der Folge könnten etwa Behandlungskosten übernommen werden.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.440).
Berlin, 03.04.2019/cw – Das Landgericht Berlin hat in einem Beschluss vom 13.03.2019 den Antrag einer Betroffenen auf strafrechtliche Rehabilitierung „im Hinblick auf ihren Aufenthalt in der ehemaligen DDR bis zum 9. November 1972 als unzulässig“ verworfen (551 Rh – 152 Js 229/18 Reha – 249/18).
Menschliche Tragödie ignoriert
Hinter diesem unauffällig wirkenden Juristen-Deutsch verbirgt sich in Wahrheit eine (weitere) menschliche Tragödie im einstigen DDR-Unrechtsstaat. Die Antragstellerin war zwei Monate vor dem Mauerbau am 13.08.1961 geboren worden. Ihr Vater, bereits in den Augen der DDR „republikflüchtig“, weil er diese eigenmächtig verlassen hatte und nach West-Berlin übergesiedelt war, hatte für seine junge Familie eine Wohnung in der Soldiner Straße im West-Berliner Bezirk Wedding ausfindig gemacht. Um diese bezugsfertig zu machen, übergaben die jungen Eltern ihre neugeborene Tochter am Wochenende vor dem legendären Mauerbau den Eltern der (noch) in Ost-Berlin wohnenden jungen Mutter. Am folgenden Sonntag wurde die Sektorengrenze gesperrt, der Ulbrichtsche Mauerbau begann. Fortan war den Eltern nicht nur der Zugang zu ihrem Baby versperrt, auch eine Ausreise zu den jungen Eltern wurde von den DDR-Behörden verwehrt. Durch den Verbleib der Mutter in West-Berlin wurde nun auch diese als „republikflüchtig“ eingestuft. Somit waren beide Eltern im DDR-Sprech „Staatsfeinde“.

1963: Direkt vor der Mauer begann der Tunnel. Auf dem Foto der Vater der Antragstellerin – Foto: LyrAg/RH
Der Vater wurde bereits durch die NS-Diktatur politisch verfolgt
Hinfort sann der Vater, ein aufgrund seiner jüdische Abstammung bereits im Dritten Reich verfolgtes Kind – der Großvater wurde 1943 in Auschwitz ermordet – nach Wegen, seine Tochter in den freien Westen zu holen. Schließlich begann er im Frühjahr 1963 einen Tunnelbau unmittelbar hinter der Abgrenzung zum ehemaligen Güterbahnhof an der Bernauer Straße, die an dieser Stelle durch den Mauerbau zur Staatsgrenze avanciert war. Nach Monaten der Plackerei sechs Meter unter der Erde wurde der Tunnel verraten. Nur wenige Meter fehlten zum ausersehenen Fluchtpunkt in einem Haus an der Oderberger Straße. Der sogen. Weinstein-Tunnel war vor einem Jahr spektakulär durch Bauarbeiten der Berliner Wasserwerke wiederentdeckt worden, worüber international medial bis hin zur New-York-Times berichtet wurde.
Da auch die Großeltern des inzwischen zweijährigen Kindes durch den Tunnel flüchten sollten, wurden auch diese neben 19 weiteren Personen verhaftet und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Großmutter kam in das berüchtigte Frauenzuchthaus Hoheneck, der Großvater mußte seine Strafe in Rummelsburg verbüßen. Eine fluchtwillige und ebenfalls verurteilte Frau starb in der Haft.
Das MfS ordnete die Heimeinweisung an
Infolge der Inhaftierung ihrer Großeltern kam die Zweijährige durch entsprechende Anweisung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in ein Heim. Das Gericht sieht in dieser Maßnahme keine Unterbringung, „die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient“ hat. „Die Einweisung der Betroffenen erfolgte, da ihre Großeltern, bei denen sie nach der Ausreise ihrer Eltern nach Berlin (West) lebte, versuchten, aus der ehemaligen DDR zu flüchten und festgenommnen wurden,“ so das Gericht in seiner Begründung und weiter: „Da aufgrund der Inhaftierung beider Großeltern eine angemessene Betreuung der Betroffenen zunächst nicht möglich war, erfolgte die vorübergehende Heimunterbringung ausschließlich aus fürsorgerischen Gründen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Betroffene aufnahmebereiten Dritten aus politischen Gründen gezielt vorenthalten werden sollte.“
„Beschluss ein justizpolitischer Skandal“
Die in Berlin ansässige VEREINIGUNG 17.JUNI, die die Antragstellerin ggüb. dem Landgericht vertritt, spricht in einer ersten Stellungnahme von einem „justizpolitischen Skandal.“ Dreißig Jahre nach dem Mauerfall erachtet ein hohes Gericht die Verbringung eines Kindes wegen der rechtswidrigen politischen Haft seiner betreuenden Großeltern in ein Heim als eine „fürsorgerische Maßnahme“, aus der keine politische Verfolgung abzulesen sei. „Die Verweigerung der Ausreise des Kindes zu seinen Eltern werde skandalös ignoriert und somit im Nachhinein als rechtens betrachtet.“
Auch wenn der angewiesene Heimaufenthalt durch die folgende Aufnahmebereitschaft der Urgroßmutter relativ kurz war, bleibe der Kindesentzug ggüb. den republikflüchtigen Eltern, bzw. die Vorenthaltung der Eltern dem Kind gegenüber ein „Unrechtstatbestand, der, solange dieser nicht durch eine Rehabilitierung aufgehoben wird, den Anstrich einer rechtsstaatlichen Maßnahme erhalte,“ kritisiert der Verein. Immerhin konnte das Kind nach jahrelangen Bemühungen auch der Bundesregierung erst am 9. November 1972 zu seinen Eltern nach West-Berlin ausreisen. Damit wurde Eltern und Kind ein gegebenes Recht auf ein Zusammenleben über elf Jahre durch die DDR aus leicht nachvollziehbaren politischen und damit rechtsstaatswidrigen Gründen verwehrt. „Die Entscheidung des Gerichtes ist auch unter diesem Aspekt in keiner Weise nachvollziehbar,“ erklärte Vorstandssprecher Holzapfel. Man werde der Antragstellerin empfehlen, Beschwerde gegen den ergangenen Beschluss einzulegen.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030/85607953 (1.394).
Berlin, 8.02.2018/cw – „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Mit diesen bombastisch wirkenden Titelzeilen wird der 176 Seiten umfassende Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD überschrieben. Bei einem ersten inhaltlichen Überflug entsteht der Eindruck eines Sammelsuriums von Absichtserklärungen: Wir werden, wir wollen, wir prüfen etc. Dabei fällt als häufigster Begriff die „Digitalisierung“ auf. Aber selbst dieses Thema findet keine Zusammenfassung in einem Kapitel, sondern wird in 176 Seiten eingestreut. Eigentlich wäre dieser Begriff aufgrund seiner auffallenden Häufung Titelzeilen-tauglich gewesen: Ein neuer digitaler Aufbruch für Europa – Eine neue digitale Dynamik für Deutschland – Ein neuer digitaler Zusammenhalt für unser Land.“ Zumindest hätte dann dieser Koalitionsvertrag den Willen der Regierungs-Beanspruchenden unterstrichen, mit ihren inhaltlichen Phrasen der Titulierung zu entsprechen.
Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die einzelnen Inhalte auf Glaubwürdigkeit oder auf die Chancen einer Umsetzung in den maximal noch zur Verfügung stehenden drei Jahren zu untersuchen (ein halbes Jahr ist bereits für Verhandlungen um eine Regierungsbildung verstrichen, ein weiteres halbes Jahr – am Ende der Legislaturperiode – dient dem Wahlkampf). Unser Augenmerk richtet sich auf die Frage, wieweit das Thema DDR, das durch diese Diktatur verursachte Unrecht und die notwendige Verbesserung der Rehabilitierung der durch diese Zweite Deutsche Diktatur Betroffenen in den Beratungen Beachtung gefunden und in dem vorliegenden Koalitionsvertrag Berücksichtigung gefunden haben.
Prüfung rechtlicher Grundlagen für DDR-Heimkinder
Offenbar gingen und gehen die künftigen Wieder-Koalitionäre im Gegensatz zur NS-Diktatur von einer Abwicklung der DDR-Geschichte aus: Jedenfalls findet sich diese Thematik nur auf rund 33 von 8.376 Zeilen oder (zusammengefasst) auf nicht einmal einer von 176 Seiten wieder. Dabei haben wir großzügig die Erwähnung von z.B. „30 Jahren friedliche Revolution“, die im Erinnerungskatalog angeführt werden, in die zitierten 33 Zeilen einbezogen. Konkreter heißt es auf Seite 120, ab Zeile 5.639: „Wir wollen die Erinnerungs-Kultur und die Rehabilitierung der Opfer des SED Unrechtregimes weiterentwickeln und die Fristen für die Beantragung nach den Rehabilitierungsgesetzen im Einvernehmen mit den Bundesländern aufheben.“ Hier ist der Duktus interessant: Wir „wollen“, nicht „wir werden“.
„Wir werden prüfen, inwieweit die bestehenden rechtlichen Grundlagen für die DDR-Heimkinder verbessert werden können“ (ebda.). Warum die „Verbesserung bestehender rechtlicher Grundlagen für DDR-Heimkinder“ fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch geprüft werden müssen, erschließt sich dabei zumindest den Betroffenen nicht. Diese „Verbesserungen“ sind dringend notwendig.
Auf Seite 124 (Ab 5.780) wird von den Koalitionären ausgeführt, dass die sich einig darin sind „dass die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Justizunrecht auch Tei der Juristenausbildung ist.“ Häähhh?? Das DDR-Unrecht, das sich eindrücklich durch Unrechts- und Terror-Urteile manifestierte, soll offenbar nicht Teil der Juristenausbildung werden? Weil noch Richter aus der DDR in der Justiz tätig sind? Oder weil man nach 1945 schließlich auch NS-Belastete in diesem Bereich weiterbeschäftigt hat?
Provozierte Retraumatisierung von DDR-Opfern
Auf Seite 131 (ab 6.145) wird über den zweifelsfrei notwendigen Opferschutz von Terror-Opfern (Stichwort Breitscheidplatz) resümiert: „Wir werden den Opferschutz weiter stärken…“. Ein „ständiger Opferbeauftragter“ soll in „dauerhafter Struktur als direkter Ansprechpartner“ zur Verfügung stehen. Um DDR-Opfer hat man sich hingegen nie ähnliche Gedanken gemacht. Sie müssen ihre Rehabilitierungen bzw. daraus resultierende berechtigten Ansprüche oft in quälenden, weil jahrelangen, oft gerichtlichen Auseinandersetzungen vortragen. Das Thema der dadurch permanenten Retraumatisierung hat dabei die Politik bisher und offenbar auch die gegenwärtigen Koalitionäre nicht interessiert.
Auf den Seiten 170 – 171 (ab 7.993) wird halbwegs konkret die SED-Diktatur benannt: „ … zum demokratischen Konsens in Deutschland gehören die Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur…“. Und (8.001) „Das Gedenken an die beiden deutsche Diktaturen darf nicht mit Verweis auf die jeweilig andere zu einer Relativierung der NS-Terrorherrschaft noch zu einer Bagatellisierung des SED-Unrechts führen.“
Bisher ausgegrenzte DDR-Opfergruppen nicht erwähnt
Aber (S.171, 8.031): „Bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus wollen wir anerkennen und ihre Geschichte aufarbeiten.“ Wo werden die „wenig beachteten“ Opfer der SED-Diktatur in Gestalt der Zwangsenteigneten, der Übersiedler, der vom Rentenbetrug Betroffenen (Die Bundeskanzlerin hatte am 11.08. vergangenen Jahres bei ihrem Besuch in Hohenschönhausen persönlich eine „Überprüfung“ zugesagt), der von ihren Eltern durch politische Willkür getrennten Kinder, der Zwangsadoptierten erwähnt?
„Auch die fortgesetzte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien, Bundesbehörden sowie des Deutschen Bundestages wird weiter unterstützt“ (ebda, ab 8.041)“ Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch die Übernahme von Belasteten, z.B. aus dem MfS oder der SED-Nomenklatur nach der Wiedervereinigung, kein Thema?
Immerhin, die „Überprüfungsmöglichkeit im öffentlichen Dienst (auf eine Stasitätigkeit) soll für einen weiter zu beschränkenden Personenkreis bis zum 31.Dezember 2030 verlängert werden“ und „Im Lichte der Ergebnisse der Expertenkommission und im Benehmen mit den Opferverbänden werden wir die Stasiunterlagenbehörde zukunftsfest machen“ (ebda., ab 8.048).
„Den durch SED-Unrecht Geschädigten steht auch in Zukunft eine gesellschaftliche Anerkennung und Rehabilitierung zu. Deshalb wird die Koalition die Fristen in den Rehabilitationsgesetzen streichen“ (ebda., ab 8.054). Die Streichung der Fristen ist natürlich zu begrüßen. Sie allein wird aber nicht ausreichen, um konkret notwendige Ergänzungen in der Reha-Gesetzgebung durchzusetzen.
Abschließend wird im Koalitionsvertrag zum Thema DDR das Wollen verkündet, in Leipzig und Berlin ein Freiheits- und Einheitsdenkmal zu errichten. Punkt. Im Ergebnis kann man aus dem vorliegenden Papier herauslesen, dass die beteiligten Parteien die DDR-Geschichte im Wesentlichen für abgeschlossen halten. Jetzt werden die wohl äußerst lästigen Überbleibsel abgewickelt, damit wir 2019 (Mauerfall) und 2020 (Wiedervereinigung) ungehindert in den großen Jubel über die „demokratische Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte“ ausbrechen dürfen. Lästige Zeitzeugen werden da nicht mehr groß stören. Ihre Anzahl schwindet mit jedem Jahr. Dann erledigt sich das Thema DDR-Diktatur von selbst und wir können uns ungehindert weiter der permanenten Notwendigkeit der Erinnerung an das Trauma anderer Diktaturen widmen.
© 2018 Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.356).
Berlin, 29.05.2017/cw – „Bundesregierung und ostdeutsche Länder kommen im Bericht zu der Einschätzung, dass Zwang und Gewalt für viele Säuglinge, Kinder und Jugendliche in DDR-Heimen alltägliche Erfahrung waren, insbesondere in den Spezialheimen der Jugendhilfe wurden Menschenrechte verletzt. … Die Erlebnisse in den Heimen führten zu massiven Beeinträchtigungen der Lebenschancen und Entwicklungspotentiale der Betroffenen, die bis heute teilweise traumatisch nachwirken.“ https://www.fonds-heimerziehung.de/fonds/fonds-heimerziehung-in-der-ddr.html
Fehlende Beweislastumkehr
Vorstehende Feststellungen sind der Begründung des Deutschen Bundestages für die Schaffung eines Fonds „Heimerziehung in der DDR“ zu entnehmen. Durch den Fonds sollten analog zu dem Heimfonds WEST auch Heimkinder in der DDR für rechtlich nicht vertretbare Maßnahmen entschädigt werden. Allerdings ist neben diesem ziemlich pauschal gefassten Entschädigungsanspruch keine automatische Rehabilitierung staatlich verordneter Heimunterbringung verbunden. Diese Rehabilitierung muss nach wie vor über den Rechtsweg erstritten werden, wobei nur etwa ein Prozent der beantragten Rehabilitierungen positiv, also für das ehemalige Heimkind, entschieden werden. Als wesentliches Hemmnis sehen Experten das Problem der fehlenden Beweislastumkehr. Nicht der Staat (als Nachfolger der DDR) muss eine rechtstaatskonforme Unterbringung durch die Heimeinweisung beweisen, sondern der betroffene ehemalige Heim-Zögling muss die rechtsstaatswidrige Einweisung (und Unterbringung) beweisen.
Nach dieser Rechtslage, die der allgemeinen Handhabung der Feststellung politischer Verfolgungen durch die DDR-Diktatur entspricht, haben die Betroffenen so gut wie keine Chance auf Feststellung einer Rechtswidrigkeit ihrer Heimunterbringung in der DDR. Trotzdem versuchen einige Wagemutige – oder Verzweifelte – wie Erika Heimbach* (*Name geändert), die einstige Unterbringung im Nachhinein gerichtlich anzufechten, da die psychischen Folgen dieser empfundenen Ungerechtigkeit noch Jahrzehnte nachwirken.
Obwohl auch das Kammergericht in Berlin neben dem OLG Thüringen sowie dem OLG Sachsen-Anhalt aufgrund der Änderung des § 2 Absatz 1 StrRehaG durch die letzte StrRehaG-Novelle davon ausgeht, dass bei einer Heimeinweisung gesetzlich unwiderlegbar vermutet wird, dass diese eine Freiheitsentziehung darstellt, weist das Kammergericht in vergleichbaren Fällen Ansprüche auf Rehabilitierungen brüsk zurück. Dabei bezieht sich das KG – wie im Fall der hier zitierten Erika Heimbach* – ausschließlich auf Akten der DDR, ohne deren rechtsstaatlichen Grundlagen überhaupt zu hinterfragen. In seiner jüngsten Entscheidung (4 WS 47-4817 REHA / 22.Mai 2017) wird die Beschwerde Heimbachs* gegen den Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Berlin vom 24.01.2017 als unbegründet verworfen.
Spezialfall allgemeiner kommunistischer Erziehung
Erika Heimbach* war im Alter von 15 Jahren durch Beschluss des Rates des Stadtbezirkes Berlin-Marzahn vom 26.05.1983 im Spezialkinderheim „Maxim Gorki“ und hernach in Fortsetzung am 30.08.1984 (bis 19.06.1986) in das Spezialkinderheim „Adolf Reichwein“ eingewiesen worden. In „Heimerziehung“, 1984 von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Eberhard Mannschatz herausgegeben, wird die Heimerziehung als ein Spezialfall der allgemeinen kommunistischen Erziehung beschrieben: „Für die Heimerziehung sollten die gleichen Prinzipien für die Gestaltung der Erziehungsprozesse gelten, wie sie für alle Bürgerinnen und Bürger bzw. Kinder und Jugendlichen in der DDR galten. So wollte man den umfassenden Geltungsanspruch der marxistischen Pädagogik herausstellen“.
Trotz dieser als bekannt zu unterstellender Grundlagen der DDR-Heimerziehung hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin die vom Heimbach* beantragte Rehabilitierung nicht befürwortet (7.12.2016): „Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Heimunterbringung seien nicht ersichtlich“. Das Handeln der Jugendbehörde sei „allein fürsorglich motiviert“ gewesen. Das Kammergericht schloss sich dieser Bewertung an: „Es fehle an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Einweisung und Unterbringung aus rechtsstaatswidrigen Gründen erfolgt sei…“.
Der Umgang mit den Jugendlichen einer Reha nicht zugänglich
Formal bezieht sich das Kammergericht mit dieser Begründung indirekt auf die Feststellung des Bundestages zur Schaffung des Heimkinderfonds Ost, nach der die gesetzlichen Voraussetzungen (für eine Rehabilitierung) deutlich machen, „dass der Schwerpunkt auf der Rechtsstaatswidrigkeit der auf die konkrete Person bezogenen Einweisungsentscheidung liegt. In erster Linie ist also entscheidend, warum ein Kind oder eine Jugendliche bzw. ein Jugendlicher ins Heim eingewiesen wurde. Der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen während der Unterbringung in den Jugendhilfeeinrichtungen ist für sich genommen einer Rehabilitierung nach dem StrRehaG nicht zugänglich“ (Bericht: Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR, hier: 4. Derzeitige Möglichkeiten der Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), Seite 47).
Ohne hier auf Einzelheiten der Vorgänge einzugehen, die seinerzeit zu dem Einweisungsbeschluss der zuständigen DDR-Behörden geführt haben (obwohl einige, wenn auch spärliche Fakten wie von Heimbach* aufgespürte Unterlagen in der BStU auf politische Motivierungen hinweisen), mutet hier die Abstellung auf die Einweisungsbegründung und nicht auf die Formen der Unterbringung jugendlicher Delinquenten durch den Gesetzgeber nach den historischen Erfahrungen mit beiden deutschen Diktaturen befremdlich an. Man stelle sich vor (ohne hier eine Heimunterbringung mit einem KZ-Aufenthalt in der NS-Zeit gleichsetzen zu wollen), die Einweisung in ein NS-KZ und nicht deren tödlicher Charakter wäre zum Ausgangspunkt jeglicher Rehabilitierungsansprüche durch NS-Opfer gemacht worden. Ein berechtigter Aufschrei der Gesellschaft wäre die Folge gewesen. Die Durchsetzung von Entscheidungsinstitutionen in Deutschland mit Alt-68ern und tatsächlichen oder Pseudo-Linken, die der DDR wegen ihrer antifaschistischen Attitüden schon immer freundlich gesonnen waren, haben offenbar auch hier ihre gesetzgeberische Wirkung entfaltet. Nach dem Grundsatz, dass nicht ist, was nicht sein darf, wurde auch in Sachen Rehabilitierung jede Möglichkeit genutzt, Konsequenzen aus dem DDR-Unrecht zu vermeiden und auf das Unabweisliche zu beschränken.
Zwar sehen die §§ 1 und 2 StrRehaG einen Anspruch auf Rehabilitierung im Einzelfall eine Prüfung anhand folgender Kriterien vor, nach denen die Unterbringung a) freiheitsentziehenden Charakter haben oder unter haftähnlichen Bedingungen erfolgt (was mit Neufassung des § 2 Abs. 1 StrRehaG für Kinderheime nicht mehr zu prüfen ist) und b) durch eine staatliche Stelle angeordnet und mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sein muss (insbesondere weil sie 1. der politischen Verfolgung oder 2. sonstigen sachfremden Zwecken gedient hat oder 3. in grobem Missverhältnis zu dem zugrunde liegenden Anlass gestanden hat – Unverhältnismäßigkeit -), die Rechtsprechung entspricht diesen oft widersprüchlichen Vorgaben im Wesentlichen nicht.
Erika Heimbach* hatte in ihrer „ausführlichen Begründung“ der Beschwerde (Kammergericht) u.a. auf den möglichen politischen Hintergrund der letztlichen Heimeinweisung hingewiesen, weil ihre Mutter von mindestens „zwei Verfahren des Ministeriums für Staatssicherheit“ betroffen gewesen sei. Auch habe man der Mutter seitens „deren Arbeitgeber und der Polizei wegen fehlenden Engagements für Partei und Gesellschaft Vorhaltungen gemacht“. Daher sei die Heimeinweisung der Beschwerdeführerin vermutlich „als Druckmittel gegen ihre Mutter“ eingesetzt worden. „Im Dezember 1988 sei ihre Mutter ohne nachvollziehbaren Anlass“ in einer „geschlossenen psychiatrischen Abteilung zwangsbehandelt worden“, begründete Heimbach* in ihrer Beschwerde. „Insoweit sei eine repressiv motivierte missbräuchliche Klinikeinweisung auf Veranlassung des Staatssicherheitsdienstes denkbar“. Auch aus diesem Grund sei „die Einweisung und Unterbringung (von Heimbach*) in einem Spezialkinderheim angesichts wissenschaftlicher Erkenntnisse über dort herrschende Verhältnisse regelmäßig als rechtsstaatswidrig einzustufen“. Erika Heimbach* machte geltend, dass sie selbst in den Heimen „unmenschlicher Behandlung sowie körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt“ gewesen sei.
Das Kammergericht bezieht sich in seiner Entscheidung (wenn es sich nicht um eine hochangesehene juristische Instanz handeln würde, wäre man geneigt, von einer „dreisten Begründung“ zu sprechen) eben auf die gesetzliche Regelung der §§ 1,2 Abs.1 StrRehaG, wonach „die Anordnung der Unterbringung in Heimen … der ehem. DDR unabhängig davon, ob die Unterbringung im konkreten Einzelfall freiheitsentziehenden Charakter hatte oder unter haftähnlichen Bedingungen im Sinne des § 2 Abs.2 StrRehaG vollzogen wurde, eine rehabilitierungsfähige Maßnahme darstellen“. Aber: „Ein Anspruch auf Rehabilitierung besteht jedoch nur dann, wenn die Anordnung … der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat oder wenn die Einweisungsentscheidung aus sonstigen Gründen mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil die angeordnete Unterbringung in grobem Missverhältnis zu ihrem Anlass stand“. Diese Voraussetzungen sieht das Kammergericht im vorliegenden Fall als „hier nicht erfüllt“ an.
Demnächst Rückforderungen durch den Heimkinderfonds?
Die pubertär bedingten Entwicklungsschwächen sieht das Gericht also als ausreichend an, eine gerade einmal fünfzehnjährige Jugendliche einer Spezialkinderheimeinrichtung der DDR auszuliefern. Die rechtsstaatswidrigen Methoden in diesen Spezialkinderheimen können dabei geflissentlich übersehen werden, da es darauf nicht ankommt. Damit wird die Verfolgung unzähliger Jugendlicher in den Spezialeinrichtungen der DDR auch noch juristisch ad absurdum geführt. Erika Heimbach* (und ihren Leidensgenossen) ist zu empfehlen, schon einmal vorsorglich Rücklagen für Rückforderungen des Heimkinderfonds zu bilden. Denn bei dieser Rechtsprechung, die sich ja auf gesetzliche Vorgaben beruft, ist nicht auszuschließen, dass entsprechende Entschädigungszahlungen des Fonds wegen „irrtümlicher Schadensfeststellungen“ zurückgefordert werden könnten.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.251).
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