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Berlin, 8.02.2018/cw – „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Mit diesen bombastisch wirkenden Titelzeilen wird der 176 Seiten umfassende Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD überschrieben. Bei einem ersten inhaltlichen Überflug entsteht der Eindruck eines Sammelsuriums von Absichtserklärungen: Wir werden, wir wollen, wir prüfen etc. Dabei fällt als häufigster Begriff die „Digitalisierung“ auf. Aber selbst dieses Thema findet keine Zusammenfassung in einem Kapitel, sondern wird in 176 Seiten eingestreut. Eigentlich wäre dieser Begriff aufgrund seiner auffallenden Häufung Titelzeilen-tauglich gewesen: Ein neuer digitaler Aufbruch für Europa – Eine neue digitale Dynamik für Deutschland – Ein neuer digitaler Zusammenhalt für unser Land.“ Zumindest hätte dann dieser Koalitionsvertrag den Willen der Regierungs-Beanspruchenden unterstrichen, mit ihren inhaltlichen Phrasen der Titulierung zu entsprechen.
Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die einzelnen Inhalte auf Glaubwürdigkeit oder auf die Chancen einer Umsetzung in den maximal noch zur Verfügung stehenden drei Jahren zu untersuchen (ein halbes Jahr ist bereits für Verhandlungen um eine Regierungsbildung verstrichen, ein weiteres halbes Jahr – am Ende der Legislaturperiode – dient dem Wahlkampf). Unser Augenmerk richtet sich auf die Frage, wieweit das Thema DDR, das durch diese Diktatur verursachte Unrecht und die notwendige Verbesserung der Rehabilitierung der durch diese Zweite Deutsche Diktatur Betroffenen in den Beratungen Beachtung gefunden und in dem vorliegenden Koalitionsvertrag Berücksichtigung gefunden haben.
Prüfung rechtlicher Grundlagen für DDR-Heimkinder
Offenbar gingen und gehen die künftigen Wieder-Koalitionäre im Gegensatz zur NS-Diktatur von einer Abwicklung der DDR-Geschichte aus: Jedenfalls findet sich diese Thematik nur auf rund 33 von 8.376 Zeilen oder (zusammengefasst) auf nicht einmal einer von 176 Seiten wieder. Dabei haben wir großzügig die Erwähnung von z.B. „30 Jahren friedliche Revolution“, die im Erinnerungskatalog angeführt werden, in die zitierten 33 Zeilen einbezogen. Konkreter heißt es auf Seite 120, ab Zeile 5.639: „Wir wollen die Erinnerungs-Kultur und die Rehabilitierung der Opfer des SED Unrechtregimes weiterentwickeln und die Fristen für die Beantragung nach den Rehabilitierungsgesetzen im Einvernehmen mit den Bundesländern aufheben.“ Hier ist der Duktus interessant: Wir „wollen“, nicht „wir werden“.
„Wir werden prüfen, inwieweit die bestehenden rechtlichen Grundlagen für die DDR-Heimkinder verbessert werden können“ (ebda.). Warum die „Verbesserung bestehender rechtlicher Grundlagen für DDR-Heimkinder“ fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch geprüft werden müssen, erschließt sich dabei zumindest den Betroffenen nicht. Diese „Verbesserungen“ sind dringend notwendig.
Auf Seite 124 (Ab 5.780) wird von den Koalitionären ausgeführt, dass die sich einig darin sind „dass die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Justizunrecht auch Tei der Juristenausbildung ist.“ Häähhh?? Das DDR-Unrecht, das sich eindrücklich durch Unrechts- und Terror-Urteile manifestierte, soll offenbar nicht Teil der Juristenausbildung werden? Weil noch Richter aus der DDR in der Justiz tätig sind? Oder weil man nach 1945 schließlich auch NS-Belastete in diesem Bereich weiterbeschäftigt hat?
Provozierte Retraumatisierung von DDR-Opfern
Auf Seite 131 (ab 6.145) wird über den zweifelsfrei notwendigen Opferschutz von Terror-Opfern (Stichwort Breitscheidplatz) resümiert: „Wir werden den Opferschutz weiter stärken…“. Ein „ständiger Opferbeauftragter“ soll in „dauerhafter Struktur als direkter Ansprechpartner“ zur Verfügung stehen. Um DDR-Opfer hat man sich hingegen nie ähnliche Gedanken gemacht. Sie müssen ihre Rehabilitierungen bzw. daraus resultierende berechtigten Ansprüche oft in quälenden, weil jahrelangen, oft gerichtlichen Auseinandersetzungen vortragen. Das Thema der dadurch permanenten Retraumatisierung hat dabei die Politik bisher und offenbar auch die gegenwärtigen Koalitionäre nicht interessiert.
Auf den Seiten 170 – 171 (ab 7.993) wird halbwegs konkret die SED-Diktatur benannt: „ … zum demokratischen Konsens in Deutschland gehören die Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur…“. Und (8.001) „Das Gedenken an die beiden deutsche Diktaturen darf nicht mit Verweis auf die jeweilig andere zu einer Relativierung der NS-Terrorherrschaft noch zu einer Bagatellisierung des SED-Unrechts führen.“
Bisher ausgegrenzte DDR-Opfergruppen nicht erwähnt
Aber (S.171, 8.031): „Bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus wollen wir anerkennen und ihre Geschichte aufarbeiten.“ Wo werden die „wenig beachteten“ Opfer der SED-Diktatur in Gestalt der Zwangsenteigneten, der Übersiedler, der vom Rentenbetrug Betroffenen (Die Bundeskanzlerin hatte am 11.08. vergangenen Jahres bei ihrem Besuch in Hohenschönhausen persönlich eine „Überprüfung“ zugesagt), der von ihren Eltern durch politische Willkür getrennten Kinder, der Zwangsadoptierten erwähnt?
„Auch die fortgesetzte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien, Bundesbehörden sowie des Deutschen Bundestages wird weiter unterstützt“ (ebda, ab 8.041)“ Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch die Übernahme von Belasteten, z.B. aus dem MfS oder der SED-Nomenklatur nach der Wiedervereinigung, kein Thema?
Immerhin, die „Überprüfungsmöglichkeit im öffentlichen Dienst (auf eine Stasitätigkeit) soll für einen weiter zu beschränkenden Personenkreis bis zum 31.Dezember 2030 verlängert werden“ und „Im Lichte der Ergebnisse der Expertenkommission und im Benehmen mit den Opferverbänden werden wir die Stasiunterlagenbehörde zukunftsfest machen“ (ebda., ab 8.048).
„Den durch SED-Unrecht Geschädigten steht auch in Zukunft eine gesellschaftliche Anerkennung und Rehabilitierung zu. Deshalb wird die Koalition die Fristen in den Rehabilitationsgesetzen streichen“ (ebda., ab 8.054). Die Streichung der Fristen ist natürlich zu begrüßen. Sie allein wird aber nicht ausreichen, um konkret notwendige Ergänzungen in der Reha-Gesetzgebung durchzusetzen.
Abschließend wird im Koalitionsvertrag zum Thema DDR das Wollen verkündet, in Leipzig und Berlin ein Freiheits- und Einheitsdenkmal zu errichten. Punkt. Im Ergebnis kann man aus dem vorliegenden Papier herauslesen, dass die beteiligten Parteien die DDR-Geschichte im Wesentlichen für abgeschlossen halten. Jetzt werden die wohl äußerst lästigen Überbleibsel abgewickelt, damit wir 2019 (Mauerfall) und 2020 (Wiedervereinigung) ungehindert in den großen Jubel über die „demokratische Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte“ ausbrechen dürfen. Lästige Zeitzeugen werden da nicht mehr groß stören. Ihre Anzahl schwindet mit jedem Jahr. Dann erledigt sich das Thema DDR-Diktatur von selbst und wir können uns ungehindert weiter der permanenten Notwendigkeit der Erinnerung an das Trauma anderer Diktaturen widmen.
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