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Leipzig/Berlin, 14.06.2021/cw – Sachsens Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Nancy Aris, erklärte zum bevorstehenden 17. Juni, der Volksaufstand von 1953 sei ein „tag der Selbstermächtigung gewesen. Die Menschen hätten es damals gewagt, „trotz größter Gefahren öffentlich ihren Freiheitswillen zu bekunden.“

Aris betonte die Wichtigkeit, „junge Menschen heute daran zu erinnern, dass autoritäre Systeme sich auf Dauer nicht halten können und jeder Einzelne etwas bewegen kann.“ Dies halte sie für die wichtigsten Lehren des 17. Juni.

Flugblatt mit der Aufschrift 'Arbeiter erklärt Euch mit den Berlinern solidarisch in dem Ihr streikt!!!'

Auf der Rückseite des Flugblattes notierte die Stasi: „Diese Fotokopie wurde am Mittwochabend in der Beethovenstr. den Passanten in die Hände gedrückt.“ – Quelle: BStU, MfS, BV Leipzig, Leitung, Nr. 231, Bl. 59

Die 51-Jährige Nancy Aris war im März einstimmig vom sächsischen Landtag als Nachfolgerin von Lutz Rathenow gewählt worden, der das Amt seit 2011 innehatte. Sie war seit 2003 bereits stellvertretende Landesbeauftragte.

In der damaligen „DDR“-genannten sowjetisch besetzten Zone hatten Hunderttausende zunächst gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen protestiert und im Verlauf für Freiheit, freie und geheime Wahlen und gegen das SED-Regime, den Rücktritt der Regierung, demonstriert. Der Aufstand wurde schließlich durch den Einsatz von Panzern der Roten Armee und die Verhängung des Ausnahmezustandes erstickt. Insgesamt kamen während und nach dem Aufstand mindestens 55 Menschen ums Leben. Nahezu 15.000 Menschen wurden verhaftet und viele der Teilnehmer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Gedenken der VOS und des Vereins Bürgerkomitee Leipzig

Am kommenden Donnerstag wird in Leipzig mit zwei Veranstaltungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 erinnert. Nancy Aris selbst debattiert am Nachmittag unter dem Motto „Vom Preis der Freiheit“ mit Schülern der Anton-Philipp-Reclam-Schule, wie ihr Büro am Montag in Dresden mitteilte. Sachsens Landeskultusminister Christian Piwarz (CDU) und der Landesvorsitzende der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Frank Nemetz, werden an der Veranstaltung teilnehmen. Am Nachmittag organisieren die VOS und der Verein Bürgerkomitee Leipzig eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung. Minister Piwarz und  der Leiter des Gedenkstätte „Museum in der Runden Ecke“, Tobias Hollitzer, sowie der Zeitzeuge Karl F. Fischer werden auf der Gedenkveranstaltung erwartet bzw. sprechen. Beide Veranstaltungen werden nach der Pressemitteilung der Landesbeauftragten aufgezeichnet und im Anschluss auf YouTube veröffentlicht.

V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG 17. JUNI 1953 und Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.652).

Nr.065 – Einigkeit und Recht und Freiheit 15. 05. 2017

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Hoheneck: Zukunft und Erinnerung

Kirchturmpolitik im Stadtrat? Das ehem. Zuchthaus Hoheneck 2017 – Foto: LyrAg

Stollberg/Hoheneck, 15.Mai 2017/cw – Die Stadt Stollberg hatte zu einem interessanten Event eingeladen. In Anwesenheit lokaler und überörtlicher Prominenz wurde am vergangenen Freitag auf dem Gelände des einstigen berüchtigten DDR-Frauenzuchthauses die Interaktive Lern- & Erlebniswelt Phänomenia eröffnet. An über 300 Exponaten wird eindrucksvoll gezeigt, wie „aus Staunen Wissen wird“, so das IWS Integrationswerk Westsachsen in seiner Werbung (www.phaenomenia.de). Für den durch Krankheit verhinderten hochbetagten ehem. Vorstandsvorsitzenden von VW, Prof. Dr. Carl H. Hahn sprach seitens der Sponsoren der Geschäftsführer von Porsche-Leipzig Dr. Joachim Lamla. Der ebenfalls von der Stadt eingeladene Vorstand des Frauenkreises der Hoheneckerinnen war nicht vertreten.

Zukunft auf Hoheneck – Foto: LyrAg

In seiner Eröffnungsansprache betonte Oberbürgermeister Marcel Schmidt (Freie Wähler) die Intention der Stadt, „Zukunft und Vergangenheit, Erinnerung und den Blick nach vorn“ am „Ort der schrecklichen Vergangenheit, wie es das DDR-Frauenzuchthaus darstellte“ miteinander zu verbinden. So werde neben der Phänomenia und der Umsetzung des Theaterprojektes die in der Planung befindliche Gedenkstätte die Neuausrichtung von Hoheneck dokumentieren. Das Theaterpädagogische Zentrum soll mit dem Kinder- und Jugendtheater burattino von seinem jetzigen Standort neben dem Kreiskrankenhaus nach Hoheneck verlegt werden, da der jetzige Standort in der Jahnsdorfer Straße für die Einrichtung eines dringend benötigten Medizinischen Versorgungs-Zentrums (MVZ) benötigt wird.

Blick in einen der Ausstellungs- und Aktionsräume – Foto: LyrAg

Im Gegensatz zu Schmidt ging der Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (CDU) als zweiter Redner so gut wie gar nicht auf die Vergangenheit des Ortes ein. Sein Grußwort wurde von vielen Gästen der ansonsten gelungenen Eröffnung eher als deplazierte Wahlkampfrede in seinem Wahlkreis empfunden, den der Abgeordnete mehrmals demonstrativ erwähnte. Möglicherweise stand im Hintergrund das Verhalten seiner Partei im Stadtrat Pate. Die Stadtratsfraktion der CDU stellte sich in der Vergangenheit immer wieder in Opposition zu den Aktivitäten der Stadt bei der Neugestaltung von Hoheneck und kritisierte insbesondere die bisherige Investition der Kommune i.H.v. 1,8 Millionen Euro als eine „bedenkliche Belastung“.

Auch der anwesende Landrat Frank Vogel (CDU) räumte auf Befragen des HB ein, dass der Landkreis sich an den durch den Umbau entstandenen Kosten bisher nicht beteiligt habe. Man habe allerdings vor, sich seitens des Landkreises an den Investitionen für das geplante Theaterprojekt zu beteiligen. Eine Mitverantwortung des Landkreises für die Schaffung einer Gedenkstätte an die Frauen von Hoheneck, die zwischen 1950 und 1989 bis im Einzelfall zu über einem Jahrzehnt aus politischen Gründen in den Mauern des DDR-Frauenzuchthauses gelitten haben, sieht der Landrat und mithin seine Partei wohl nicht.

Nicht vergessen: Am Abend stand eine Buchlesung im Programm -Foto: lyrAg

Damit steht nach gegenwärtigem Stand die Eröffnung einer Gedenkstätte terminlich weiter im Ungewissen. Nach aktuellen Informationen des HB ist die Eröffnung planerisch wohl erst für 2019 vorgesehen. Dieser durchaus kritikwürdigen Zustandsbeschreibung in Sachen Erinnerung versucht die Stadt allerdings aktiv zu begegnen. So erwähnte Marcel Schmidt nicht nur mehrfach die „schmerzliche Vergangenheit von Hoheneck“. Für den am Samstag durchgeführten „Tag der Offenen Tür“ zur Phänomenia waren permanente (und gut genutzte) Führungen durch den einstigen Zellentrakt und eine Buchlesung für den Abend (18:00 Uhr) geplant, auf der das Buch von Nancy Aris „Das lässt einen nicht mehr los – Opfer politischer Gewalt erinnern sich“ vorgestellt wurde (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2017, ISDN 978-3-374-04935-6, 14,00 €, Paperback).

Fraglich bleibt in diesem Szenario die Rolle der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten“ unter deren Geschäftsführer Siegfried Reiprich. Reiprich besuchte zwar kürzlich die Kreisstadt, hielt sich aber gegenüber Wünschen, die Stiftung an der Finanzierung der Gedenkstätte zu beteiligen, mehr als bedeckt, indem er auf Formalien (Projektförderung) pochte, die er im Fall Hoheneck als noch nicht erfüllt sah. Das sich diese reservierte Haltung nicht mit den Intentionen des novellierten Gedenkstättengesetzes des Freistaates deckt, in dessen Förderungskatalog Hoheneck ausdrücklich aufgenommen worden war, verdrängt der häufig selbstherrlich agierende Reiprich, wie einer der Vorwürfe gegen ihn lautet (siehe auch „Der Sonnengott von Dresden“ weiter unten).

Unabhängig davon wäre dem eindrucksvollen Projekt Phänomenia eine Verbreitung über Sachsen hinaus in weiteren Bundesländern zu wünschen. Sie bietet für Kinder und Jugendliche einen begeisterungsfähigen Einstieg in die Welt angeblich unerklärlicher Phänomene und ist geeignet, bislang unentdeckte Fähigkeiten bei dem/der einen oder anderen Heranwachsenden zu wecken. Die Phänomenia in Hoheneck ist Montags bis Freitags von 8:30 – 17:00, an Sonn- und Feiertagen von 12:00 – 19:00 Uhr geöffnet. Eintritt Kinder: 6,00 € (5,50); Erwachsene: 8,00 € (7,50); Familien: 26,00 € (23,00).

Ehemalige Hoheneckerin: Gut, aber gewöhnungsbedürftig *

Hohenecker Bote (HB): Tatjana Sterneberg, sie waren von 1974 bis 1976 im Frauenzuchthaus Hoheneck, weil sie den Wunsch hatten, auszureisen, um ihren Verlobten Antonio aus Italien heiraten zu können. Heute sind sie auf Einladung der Stadt Stollberg zur Eröffnung der Phänomenia eingeladen worden. Schmerzt sie die noch immer fehlende Gedenkstätte?

Begleitete eine Führung durch den ehem. Zellentrakt: Tatjana Sterneberg (re.) – Foto: LyrAg

Tatjana Sterneberg (TSt): Natürlich schmerzt das. Immerhin ist es fast auf den Tag genau sechs Jahre her, als Bundespräsident Christian Wulff hier vor Ort eine Gedenkstätte an die Leiden der Frauen von Hoheneck forderte. Allerdings ist seither auch einiges Positives geschehen. Das Areal ist von privater in die öffentliche Hand übergegangen, eine Grundvoraussetzung für die inzwischen weithin sichtbare Umgestaltung des Areals.

HB: Ist der offensichtliche Vorrang anderer kultureller Projekte vor der Schaffung einer Gedenkstätte für sie oder die Frauen von Hoheneck denn akzeptabel?

TSt: Die Reihenfolge der Umsetzung richtet sich wohl nach der notwendigen Bereitstellung erforderlicher Mittel, ist wohl darum weniger eine Frage des Wollens als des Könnens. Man kann der Stadt, die sich in den vergangenen Jahren ungewöhnlich engagiert hat, wohl am Wenigsten vorwerfen. Fraglich und seltsam ist hier eher das Verhalten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, verkörpert durch Siegfried Reiprich, der seit dem Präsidentenbesuch augenscheinlich wohl eher die Rolle des Boykotts als die des Förderers eingenommen hat. Wenn Reiprich sich hier offensiv eingebracht hätte, wäre die Frage der Reihenfolge wohl kein Thema.

HB: Am Tag der Offenen Tür zeigte sich ja ein gewisser Trubel auf dem Innenhof des einstigen Zuchthauses, in dem ja auch sie Jahre ihres Lebens zubringen mussten. Erinnert dieses Treiben nicht eher an den einst vom Vorbesitzer Freiberger geplanten „Männertag im Frauenknast“ als an einen würdigen Umgang mit der Vergangenheit?

In der ehem. Kapelle: Eindrucksvolle Arbeiten von Schülern – Foto: LyrAg

„Ode an die Freude“ zur Erinnerung an das Ende eines Traumas

TSt: Zunächst einmal müssen die Verantwortlichen mehr als Verständnis dafür aufbringen, wenn ehemalige, wohlgemerkt aus politischen Gründen Inhaftierte sich von Bierständen und buntem Treiben im Innenhof dieses traumatisierenden Bauwerks provoziert fühlen. Aber es ist aus meiner Sicht ein Unterschied, ob an diesem Ort nach einem fragwürdigen US-Vorbild Erlebnistage im Frauenknast als Klamauk veranstaltet werden oder ob man hier vor Ort Gedenken, also Vergangenheit, und Zukunft, wie es der OB bezeichnete, zusammenführen möchte. Es gibt immer verschiedene Sichten. Aber wer hat sich jemals in Zeiten der Haft vorstellen können, dass hier einmal junge Menschen herumtollen können oder sich zukunftsorientierten Experimenten widmen können? Und wer will denn ausschließen, dass auch ein Theater die Möglichkeit bieten kann, Dramen, die zum Beispiel die Verfolgung aus politischen Gründen thematisieren, hier am Ort des Schreckens aufzuführen? Man könnte im Theatersaal auch durchaus Aida oder Fidelio aufführen oder gar die „Ode an die Freude“ zur Erinnerung an das Ende des Zuchthauses erklingen lassen.

HB: Also unkontrolliertes Treiben inmitten eines Leidensortes, in dem unzählige Tränen vergossen, an dem unzählige Biografien gewaltsam verändert wurden, an dem Menschen aus politischen Gründen sterben mussten?

TSt: Keineswegs. Natürlich müssen wir als ehemalige Betroffene drauf hinwirken, dass die Würde des Ortes gewahrt bleibt. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, auf dem Gelände eines ehemaligen KZ Bier- oder Würstchenbuden aufzustellen. Andererseits hat ein KZ als Gedenkstätte keine sogen. gemischte Nutzung. Hier ist das anders. Wir haben in unserem ersten Konzept von 2011, das übrigens eine wichtige Grundlage für den Landtag war, Hoheneck in die Förderung aufzunehmen, ausdrücklich die unabweisbare Mischnutzung beschrieben, weil das die einzige Möglichkeit bot und bietet, eine „Begegnungs- und Gedenkstätte (BuG)“ in diesem riesigen Areal umzusetzen. Hier müssen sowohl die einstigen Frauen von Hoheneck wie die Betreiber der zukunftsorientierten Einrichtungen sensibel aufeinander zugehen und ihre Bedürfnisse und berechtigten Interessen austauschen und abwägen. Dass dabei den Frauen von Hoheneck ein besonderes Gewicht zukommt, darf nicht Außerfrage gestellt werden.

Sensible Wiedergabe der Gedankenwelt einstiger gefangener Frauen – Foto: LyrAg

HB: Wie soll das geschehen? Haben die Frauen von Hoheneck denn noch eine Stimme? Hat sich denn der fragliche Verein nicht selbst aus der Mitsprache verabschiedet? Auch der aktuelle Förderverein ist wohl nicht mehr handlungsfähig?

Frauenkreis hat sich selbst durch Querelen blockiert

TSt: Das gehört auch zur Ehrlichkeit gegenüber den Betroffenen. Wir müssen natürlich dazu stehen, dass sich die einstigen Frauen von Hoheneck durch vielfältige Querelen einstweilen selbst um ihre Mitsprache gebracht haben. Dafür kann die Stadt nichts. Das gleiche gilt für die bereits zwei Versuche, einen Förderverein zu installieren. Der erste Verein wurde mit Hilfe von Siegfried Reiprich zerstört, obwohl dieser sich sofort in die sachliche Arbeit gestürzt hat. Der zweite Verein hat sich durch interne Auseinandersetzungen handlungsunfähig gemacht. Auch hier muss also ernsthaft daran gearbeitet werden, wieder arbeitsfähige Strukturen zu schaffen, um zumindest eine künftige und überaus notwendige Mitsprache zu sichern. Forderungen zu stellen, ist das Eine. Grundlagen zu schaffen, um als Gesprächspartner ernst genommen zu werden, das Andere.

HB: Vielen Dank für das offene Gespräch.

* Das Gespräch wurde in Hoheneck zum Tag der Offenen Tür am vergangenen Samstag aufgezeichnet. Tatjana Sterneberg war stellvertretende Vorsitzende des Frauenkreise der ehem. Hoheneckerinnen (2005 – 2007) und Vorsitzende des ersten Fördervereins „Begegnungs- und Gedenkstätte (BuG) Hoheneck“ (2011-2013). Sterneberg war an diesem Tag die einzige ehemalige Hoheneckerin vor Ort.

Der Sonnengott von Dresden

Dresden/Bautzen – Als Siegfried Reiprich seinerzeit zum Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten berufen wurde, galt der langjährige vormalige Geschäftsführer der inzwischen weltweit bekannten Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin als kompetente Lösung für dieses Amt. Nicht abzusehen war von den für die Berufung Verantwortlichen die Metamorphose des einstigen SED-Kritikers zum zur Selbstherrlichkeit neigenden Entscheidungsdiktator. Nicht erst seit heute wird der Dompteur der Stiftung spöttisch und nicht ohne Bitterkeit als „Sonnengott von Dresden“ bezeichnet.

Jüngstes Beispiel der unsensiblen Reiprichen Vorgehensweise war das diesjährige am 11. und 12. Mai durchgeführte und weit über die Grenzen hinaus bekannte, inzwischen 28. Bautzen-Forum. Seit über zwei Jahrzehnten findet dieses vielbeachtete Treffen in Anwesenheit namhafter Politiker, Publizisten und Zeitzeugen an das DDR-Unrecht statt. Die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung gehörte nicht nur zu den maßgeblichen Sponsoren dieses wichtigen Treffens ehemaliger Bautzen-Häftlinge, sondern begleitete dieses mit ihren Möglichkeiten jeweils aktiv bei der jeweiligen Planung und Durchführung.

Unsensibler Umgang mit der Vergangenheit: Feier im Gefängnisgelände – Foto: LyrAg

Traditionell fand die zentrale Veranstaltung in der Gedenkstätte Bautzen statt, in der sich der einstige Stasi-Knast für „besondere Häftlinge“ befand: Hier mussten DDR-Minister wie der hem. Justizminister Max Fechner (1892-1973) ihre zudiktierte Strafe ebenso absitzen, wie sonstige Geheimnisträger oder Oppositionelle, wie der Schriftsteller Karl-Wilhelm Fricke oder der im letzten Jahr verstorbene XingHu Kuo.

Wie die Sächsische Zeitung am 12. Mai berichtete („Getrübtes Treffen der Stasi-Opfer“) hatte Reiprich dem Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen, Matthias Eisel untersagt, eigenständig mit der Gedenkstätte Planungen für das Bautzen-Forum abzusprechen. Dies könne ausschließlich nur über ihn, Reiprich, erfolgen. Dieser Streit führte im Ergebnis dazu, dass das Bautzen-Forum erstmals ohne Einbeziehung der Gedenkstätte durchgeführt werden musste. „Seit 1990, also von Anfang an, haben wir unsere Zusammenarbeit im Rahmen des Bautzen-Forums immer direkt mit der Gedenkstätte Bautzen abgestimmt“, zitiert die SZ Matthias Eisel. Er sei bislang „den bewährten direkten Weg gegangen“. Nun habe Reiprich der Gedenkstätte und Eisel offiziell untersagt, miteinander zu sprechen. Eisel: „Das ist ein ernster Bruch des Vertrauensverhältnisses“. Da mache er nicht mit.

Eskalation der Auseinandersetzungen

Reiprich verschärft durch diese Eskalation offensichtlich seinen bisher unglücklichen Umgang mit den ihm formal zugeordneten Gedenkstätten. So führte er u.a. jahrelange heftige Auseinandersetzungen mit der vielseits geachteten Leiterin der Bautzen-Gedenkstätte, Silke Klewin. Auch andere Gedenkstättenleitungen klagen seit Jahren, wenn auch meist wegen befürchteter Repressalien unter vorgehaltener Hand über den eigenwilligen Reiprich.

Führung durch die Gedenkstätte Bautzen II im Schatten des Forums, ein ungeeigneter Ort für Provokationen – Foto: LyrAg

Der Vorsitzende des Bautzen-Komitees, Alexander Latotzky, reagierte bestürzt über die neueste Entwicklung: „Mit der „Aufkündigung der Zusammenarbeit von FES und Gedenkstätte sei ein Zustand erreicht, der die jahrelange und mühsame Arbeit vieler engagierter Mitarbeiter und Betroffener zunichte mache und konterkariert“, schrieb Latotzky in einem Brandbrief an Reiprich. Karl Wilhelm Fricke und Manfred Wilke reagierten „entsetzt“ auf die Selbstherrlichkeit des eigens vom Landtag berufenen Geschäftsführers der Sächsischen Gedenkstätten-Stiftung: „Aus fadenscheinigen Gründen verwehrt die Stiftung nicht nur jenen Menschen, die nach 1989 die Gedenkstätte auf den Weg gebracht haben, eine Veranstaltung im ehemaligen Stasi-Gefängnis.“ Sie verbiete der Gedenkstätte zudem „die Teilnahme am wichtigsten Treffen der Opfer“.

Formal macht Siegfried Reiprich mit dem „Einspruch“ zwar von seinem Hausrecht Gebrauch. Mit der 2014 verabschiedeten novellierten Stiftungssatzung wurde endgültig festgeschrieben, dass der Geschäftsführer „alleiniger Entscheider in Gestaltung und Koordinierung“ der Stiftungsaufgaben „einschließlich ihrer Gedenkstätten“ ist. Reiprich hält nun Eisel entgegen, dass dieser „dennoch darauf bestanden hätte, nur mit der Leiterin der Gedenkstätte Bautzen über Art und Umfang seiner Veranstaltungsplanung zu verhandeln.“

Ob der Sächsische Landtag mit seiner wohl parteipolitisch bestimmten Unterstützung des eigenwilligen und offensichtlich unsensiblen Herrschers über Sachsens Gedenken der dringenden Aufarbeitung wohlmöglich einen Bärendienst erwiesen hat, sollten die zuständigen Gremien nach Ansicht von Beobachtern der Szene dringend überprüfen. Auch wenn Reiprich sich formal auf durch die Satzung bestimmte Vollmachten berufen kann, sein Agieren wirkt nicht nur unprofessionell. Reiprich schadet bereits seit Jahren mit seiner Selbstherrlichkeit und der kontinuierlichen Diskreditierung von verdienten Mitarbeitern dem Ruf und Ansehen der Gedenkstätten in Sachsen. Dass dieses Verhalten auch im Widerspruch zu seiner feierlich zur Schau getragenen Rolle als (einstiger) Bürgerrechtler steht, ist offensichtlich. Der Sonnengott von Sachsen zelebriert sich selbst. Und bis zu seiner ansehnlichen Rente wird es wohl kein Politiker wagen, ihm vor den Karren zu springen und das unrühmliche Spiel zu beenden. Siegfried Reiprich, einst FDJ und dann über die SPD in der CDU gelandet, ist gut vernetzt. Nicht zuletzt gründet seine Selbstherrlichkeit auf dieser Gewissheit.

Auch Hoheneck verdankt nicht zuletzt seinen desolaten bis katastrophalen Zustand in Sachen Begleitung beim Aufbau einer überfälligen Gedenkstätte zu einem wesentlichen Teil der Einmischung aus der Dresdner Dülferstrasse 1, dem Sitz der Stiftung „Reiprich“.

VOS zelebriert Widersprüche und beschließt: Schlussstrich!

Friedrichroda/Berlin – Auf der Generalversammlung in Friedrichroda kamen die Probleme der Vergangenheit, die den ältesten und größten Opferverband Deutschlands an den Rand der Insolvenz gebracht hatten, auf den Tisch. Allerdings in anderer Form, als es sich treue Wegbegleiter des Verbandes für einen Neustart erhofft hatten. Der geschickten Regie des Geschäftsführers, der bereits seit geraumer Zeit als „Mister VOS“ gehandelt wird, war es zu verdanken, dass die desolate Situation zwar auf den Versammlungstisch gelegt wurde aber durch einen folgenden Kassenprüfungsbericht ad acta gelegt werden konnte.

In gewohnter Übung hatte der Vorstand die selbst eingebrockte Finanzmisere beklagt und dabei den Geschäftsführer ausführlich bedauert, weil dieser einen erheblichen Strafbefehl „selbst bezahlen“ musste, obwohl eigentlich der gesamte Vorstand hätte haften müssen. In der Vereinspostille „FG“ las sich das dann so: „Kamerad Hugo Diederich musste – indem ihm eine saftige Geldstrafe auferlegt wurde – allein haften. Ob das gerecht ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben.“ Und: „Über die Ursachen der Entstehung des riesigen Schuldenberges ist berichtet worden, wobei wir uns als VOS schließlich einig waren, dass wir unter die Debatte „Wer hatte Schuld?“ einen Schlussstrich ziehen wollen.“ Durch die geschickte und unermüdliche Verhandlungsführung sei es aber dem Geschäftsführer gelungen, weiteren Schaden von der VOS abzuwenden und den Verband schließlich zu retten. FG: „Es ist fraglich, ob unser Verband ohne seine (Hugo Diederichs) Beharrlichkeit und sein Verhandlungsgeschick jetzt schon aus der Krise wäre.“

Nach dieser Wandlung des Schadens-Verursachers in Höhe von immerhin rund 130.000 Euro in eine Lichtgestalt des Retters folgte der Kassenprüfungsbericht. Trotz des zurückliegenden Verfahrens wegen „Vorenthaltung von Sozialbeiträgen“, der gerichtlich festgestellten Rückzahlungspflicht und dem zitierten Strafbefehl gegen den Geschäftsführer wurde eine „einwandfreie Kassenprüfung (im Berichtszeitraum 2014 – 2016) attestiert. Natürlich wurde „Mister VOS“ nach dieser Waschmaschinenkür in seiner Funktion als Geschäftsführer bestätigt. Kein Wunder, wenn unter diesen Parteitagsverhältnissen unseligen Angedenkens auch keine Fragen nach der Vergangenheit zum Beispiel im Stasi-Geflecht gestellt wurden. „Wir müssen nach vorn blicken,“ hatte schon vor Jahren ein Vorstandsmitglied zu den VOS-Verhältnissen gesagt. Und so beschlossen die Kämpfer gegen die „Schlussstrich-Forderungen“ ihrer einstigen Peiniger den Schlussstrich unter eigene Verfehlungen. Glaubwürdigkeit sieht allerdings anders aus.

Frauenkreis: Aktionstag soll Versäumnisse kaschieren

Um Aktivitäten bemüht: Die Vorsitzende des Frauenkreises Regina Labahn – Foto: LyrAg

Hoheneck/Stollberg – Fast schon verzweifelt versucht der verbliebene Rumpfvorstand des Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen die Reputation des einst unter Maria Stein und Margot Jann angesehenen Vereins zu retten. Mit dem für Juni d.J. geplanten „Aktionstag“ soll eine Kontinuität vermittelt werden, die längst nicht mehr existiert. Waren durch den gerichtlich durchgesetzten neuen Vorstand Hoffnungen auf eine Wiederbelebung geweckt worden, so wurden diese bisher enttäuscht. Anstatt an die notwendige Arbeit zu gehen, wurden neue Querelen auf den Weg gebracht, in deren Gefolge der jungfräuliche Vorstand kontinuierlich schrumpfte. Zwar wurden noch erfolgreich Fördermittel beantragt (Stiftung Aufarbeitung: 3.800 Euro für den Aktionstag), aber die bisherige Praxis der Kostenübernahme für Teilnehmer am geplanten Aktionstag auf „Mitglieder“ des Frauenkreises beschränkt. Auch bräuchten laut Einladung „nicht alle Mitglieder“ erscheinen, wenn diese ohnehin eine weite Anreise hätten. Auch die langjährige Vorsitzende und durch Mitgliederbeschluss zur Ehrenvorsitzenden berufene Margot Jann, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, wurde mir nicht dir nichts aus dieser Funktion gestrichen. Kann man so auf eine Wiederbelebung des Frauenkreises hoffen?

An Beratungen hat es gewiss nicht gefehlt. So war der jetzigen Vorsitzenden nach der erfolgreichen Gerichtsverhandlung u.a. empfohlen worden, den rechtlichen Sieg sensibel umzusetzen und – zum Beispiel – alle interessierten Frauen und augenblicklichen Kontrahenten zu einem „runden Tisch“ einzuladen. Dort sollte vorurteilsfrei auf neuer Grundlage (Urteil) die Zukunft debattiert und mögliche Gemeinsamkeiten, die schließlich auf gemeinsam erlittenem Unrecht und der dadurch entstandenen einstige Kameradschaft basierten, festgestellt werden. Die Reaktion: Mit „Denen“ setzen wir uns nicht an einen Tisch, die werden alle (aus dem Verein) rausgeschmissen. Zukunftsgestaltung sieht in der Tat anders aus.

Buchautorin Ellen Thiemann feiert 80. Geburtstag

Ellen Thiemann (Mitte) mit Bundespräsident Christian Wulff bei dessen Besuch in Hoheneck im Mai 2011 – Foto: HB-Archiv

Köln – Die ehemalige Ressortleiterin im Kölner Express und Autorin mehrerer vielbeachteter Bücher über das ehemalige Frauenzuchthaus Hoheneck feiert am Tag des Grundgesetzes, am 23. Mai, ihren 80. Geburtstag.

Thiemann, die ihren Ehrentag im Kreis der Familie verbringt, wurde durch ihre unermüdliche Arbeit um die Aufklärung der Geschehnisse im ehemalige Frauenzuchthaus Hoheneck bekannt. In dem Bestseller „Der Feind an meiner Seite“ (2005) schilderte sie die enttäuschende Entdeckung, dass ihr eigener Mann, einst ein bekannter Sportreporter, für die Stasi arbeitete.

Thiemann begleitete für den Kölner Express namhafte Politiker, wie Bundeskanzler Kohl, Justizminister Kinkel und dem Sächsischen Justizminister Heitmann 1992 nach Bautzen. Der geplante anschließende Besuch in Hoheneck scheiterte wegen eines Schneetreibens, der Hubschrauber konnte nicht nach Stollberg weiterfliegen. Allerdings war Thiemann später mehrmals mit der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und dem Sächsischen Justizminister Heitmann in Hoheneck (1992, 1993).

Die engagierte ehemalige Hoheneckerin malt neben ihren schriftstellerischen Arbeiten eindrucksvolle Bilder und ist nach wie vor in der Forschung nach weiteren Dokumenten des Unrechts engagiert. Allerdings hat sie sich weitgehend aus der Vereinsarbeit zahlreicher Opferverbände zurückgezogen. So trat sie wegen der zahlreichen internen Querelen nach 35 Jahren Mitgliedschaft 2010 aus der VOS aus. Dem Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen gehörte Ellen Thiemann bis 2016 an. Der HB gratuliert herzlich und tröstet über die nach wie vor ausstehende öffentliche Ehrung der Lebensleistung mit dem Ausspruch von Inge Meisel hinweg: „Ein anständig gelebtes Leben braucht keinen Orden.“

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Hinweis: Die bisherigen Ausgaben des Hohenecker Boten können unter http://www.17juni1953.de abgerufen oder direkt bei der Redaktion gegen Kostenbeitrag bestellt werden (Redaktion: Siehe Impressum). Die Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. hat der Redaktion Gastrecht auf der Homepage eingeräumt, der Verein ist für die Inhalte nicht verantwortlich. Namentlich gezeichnete Artikel geben die Meinung des/der Verfasser/Verfasserin wieder (1.247).
Impressum: Der „Hohenecker Bote“ ist einzig der demokratischen Auseinandersetzung und den Anliegen der Verfolgten beider Diktaturen verpflichtet, parteipolitisch und vereinsrechtlich unabhängig und erscheint in der Mitte eines jeden Monats. Beiträge dürfen b.a.W. kostenlos unter Zurverfügungstellung von Nachweisen (Belegen) insbesondere von gemeinnützigen Vereinen der Verfolgten- und Opferszene beider Diktaturen in Deutschland genutzt oder weiterverbreitet werden. Fotos dürfen grundsätzlich nur unter ausdrücklicher Zustimmung bzw. zu den Bedingungen der Redaktion verwandt werden. Redaktion: Carl-Wolfgang Holzapfel (cw) – verantwortlich; redaktion.hoheneck@gmail.com; Kaiserdamm 9, D-14057 Berlin, Tel.: 030-30207778 oder 0176-48061953; Fax: 030-30207786 (derzeit außer Betrieb). Anzeigen auf Anfrage.
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