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Berlin, 11. August 2015/cw – In wenigen Tagen erinnern wir uns wieder der Errichtung der Mauer durch Berlin und Deutschland. Wir trauern um die Toten an Mauer und Stacheldraht und legen an diversen Orten Blumen nieder. Und wir werden wieder lauthals anklagen. Ist das richtig?

Wir sollten unsere Erinnerungskultur überdenken. Besonders wir, die wir unmittelbar von der zweiten Diktatur betroffen waren, durch Stasi-Verfolgung, rechtsstaatswidrige Verurteilungen und oft viele Jahre Haft in den Kerkern Ulbrichts und Honeckers. Ein Blick über den mittlerweile europäischen Nachbarzaun sollte uns dabei helfen. Die Franzosen z.B. gedenken an ihrem Nationalfeiertag des Sturms auf die Bastille. Im Vordergrund stehen dabei längst schon die positiven historischen Aspekte, die Freude über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Natürlich erinnert sich unser Nachbar auch an die Toten der Revolution, aber die Freude über den Sieg dieser Revolution steht dabei im Vordergrund.

Auch in Russland, wo man nach wie vor den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg feiert, überlagert die Freude über diesen Sieg längst den Schmerz über die unzähligen Toten. Die Dankbarkeit für deren Einsatz überlagert den Schmerz und die Trauer.

Wir sollten uns endlich auch der Freude hingeben, der Freude über den Sieg der Freiheit über die Diktatur. Die vielen Toten haben den Weg dorthin ermöglicht, haben ihr kostbares Leben für uns alle verloren. Wir sollten uns von der Trübsal verabschieden, sollten die Gedenktage nutzen, um die erlangte Freiheit zu feiern, zu bejubeln. Dabei dürfen wir dankbar sein gegenüber jenen, die diese Freiheit nicht mit uns feiern können. Ja, wir dürfen Blumen an deren Gedenkstätten niederlegen. Aber wir sollten dabei wieder lachen, uns freuen dürfen. Es wäre der schönste Dank an Peter Fechter, Dieter Wohlfahrt, Paul Schulz, um nur einige zu nennen.

Um mit dem Historiker Michael Wolffsohn zu sprechen, der uns dies vor wenigen Jahren in Hohenschönhausen wieder in Erinnerung rief: Wir sind die Kämpfer für die Freiheit, für die Einheit. Sollen wir darüber weinen? Lasst uns fröhlich sein, in die Arme fallen, Tränen der Freude vergießen. Auch diese Tränen netzen die Gräber unserer Toten. Aber diese Tränen beziehen unsere Toten in die Freude ein. Die Mauer wurde an jenem dunklen Sonntag 1961 errichtet, aber: Sie fiel 28 Jahre später unter dem Jubel der Menschen in aller Welt. Kameraden, Verfolgte und Opfer von einst: seht und hört die Signale, freut Euch! (1.022)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin , Tel.: 030-30207785

Thema: 17. Juni 1953

ZDF-Journal, 14.06.2013, 21:45 Uhr

                                                     Ein Zeitzeuge berichtet

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ZDF-Mittagsmagazin, 14.06.2013, 13:00 Uhr

     „Bezwungener Protest – Zeitzeuge berichetet über den 17. Juni 1953“

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Der 17. Juni 1953 – Fanal  oder Fußnote der Geschichte?

von Michael Wolffsohn*

Weder noch, lautet die erste Antwortet. Der 17. Juni 1953 war weder Fanal noch Fußnote der Geschichte. Diese These kann sowohl empirisch-faktisch als auch methodisch-grundsätzlich belegt werden.

Zum Methodisch-Grundsätzlichen: Der 17. Juni 1953 war ein geschichtliches Ereignis, doch kein geschichtliches Ereignis ist an sich schon Geschichte. Geschichte ist die Addition vieler Ereignisse, sozusagen alles. Und eines ist bekanntlich nicht alles. So viel zur Logik.

In der Geschichtsanalyse muss zwischen folgenden Faktoren unterschieden werden:

Prof.Dr. Michael Wolffsohn

Prof.Dr. Michael Wolffsohn

Konstanten bzw. dauerhaften, z. B. geografischen Voraussetzungen oder auch natürlich anthropologischen, also Faktoren des menschlichen Seins an sich;

Strukturellen bzw. langfristig wirksamen, die, wenn überhaupt, nur unter hohen gesellschaftlichen, mentalen, politischen oder wirtschaftlichen Kosten verändert werden können;

Zyklischen bzw. Auf-Ab-Auf-Ab-Entwicklungen;

Aktionen, Personen, Ereignisse.

Von Faktor 1 bis 4 sinkt die Wichtigkeit und Gewichtigkeit der Faktoren. Und wieder gilt: Der 17. Juni 1953 war ein Ereignis, wenngleich ein wichtiges, doch kein entscheidendes. Er war (leider) auch kein Fanal  zu einer Revolution. Eine, die Deutsche Revolution erlebten Deutschland und die Welt erst 1989/90.

Revolutionen verändern die Faktoren 2 bis 4, nicht Faktor 1, den wir bei unserer Fragestellung außer Acht lassen dürfen.

Es gibt Aktionen, Personen und Ereignisse, die sozusagen kommen und gehen. Als wäre sie nicht(s) gewesen. Der 17. Juni 1953 war ein Ereignis, das in Erinnerung blieb.

Im deutschen Westen, der Bä-Är-Dä = BRD, verkümmerte die Erinnerung an den 17. Juni 1953 zur ritualisierten, manchmal peinlichen Pflichtübung. Gipfel der Peinlichkeit war (aus meiner subjektiv fachlichen Sicht als Geschichtswissenschaftler) die Ansprache des deutsch-amerikanischen  „Starhistorikers“ Fritz Stern. Der verstieg sich (wohl eher ohne vorherige Forschung betrieben zu haben) in seinem Vortrag am 17. Juni 1987 zum 17. Juni 1953 zu der – empirisch ganz und gar unhaltbaren – These, dass beim damaligen Bürgeraufstand Wiedervereinigung kein Thema gewesen wäre. Nur um bürgerliche Freiheitsrechte hätten die DDR-Bürger gekämpft. Nach dieser Sternstunde klatschten und jubelten fast alle: Parlamentarier ebenso wie mündige Journalisten, Historiker und andere „mündige Bürger“. Die Starstudie zum 17. Juni 1953 hat Hubertus Knabe im Jahre 2003 vorgelegt. Spätestens dann und dort wurde sichtbar, dass auch bezogen auf den „deutschen Aufstand“ (Hubertus Knabe) vom 17. Juni 1953 nicht jeder Stern hell wie ein Fanal leuchtet.

Titel unserer Schrift zum 60. Jahrestag © 2013 c.w.holzapfel

Titel unserer Schrift zum 60. Jahrestag
© 2013 c.w.holzapfel

In der DDR bleib der 17. Juni 1953 in Erinnerung, weil „die danach“, das heißt „die da unten“, sich an diesem Maßstab messen mussten, ob sie wollten oder nicht. Wer nur über „die da oben“ der DDR „meckerte“, jammerte, stöhnte oder sich beschwerte, hat – willentlich oder nicht, wissentlich oder nicht –  eine Art Blinkzeichen, ja, Fackel, Leuchtfeuer = vom Italienischen „Fanal“ gesehen: „Denk an den 17. Juni. Die damals haben sich gewehrt.“ Zugleich hatten sie aber sowjetische Panzer gesehen. Dieses zweite, entgegengesetzte  Fanal wirkte stärker als jenes erste. Das ist verständlich, denn – Faktor Anthropologie und Psychologie – die wenigsten Menschen waren oder sind Helden.

Erst als die realistische Möglichkeit – nicht Sicherheit! – darüber bestand, dass nicht wieder sowjetische Panzer gegen DDR-Widerständler rollen würden, kam es zu einer Aktionskette, die in die sanfte Deutsche Revolution vom 9. November 1989 mündete. Die Person, die den entscheidenden Unterschied ermöglichte, war – wer wüsste es nicht? –  Michail Gorbatschow, „Gorbi“. Der wiederum wurde nur möglich, weil die Strukturen der Sowjetunion brüchig geworden waren.

Fazit: Bis zum 9. November 1989 schien der 17. Juni 1953 eine Fußnote der deutschen Geschichte geworden zu sein. Erst seitdem wurde erkennbar, dass er, zumindest als vor-, unter- oder unbewusster Widerstandsmotivator Signal, ja, Fanal war. Ein Licht, das nicht erloschen war. Leitbild und Vorbild. Doch nur die Gesamtheit von Ereignis(sen), Aktion(en), Person(en) und Strukturen führte zur Revolution, deren Höhepunkt (nicht Anfang oder Ende) der 9. November 1989 war.

Dank und Respekt denen, die jenes Fanal entzündet hatten.

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* Der Autor ist Historiker, Publizist und Autor diverser Standardwerke. Er lehrte von 1981 bis 2012 an der Universität der Bundeswehr in  München Neuere Geschichte.

Anmerkung: Vorstehender Artikel ist ein  Beitrag für unsere Schrift zum 60. Jahrestag des Volksaufstandes. Da unser Antrag auf Förderung aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt worden ist, wird unsere Schrift erst im  Laufe dieses Jahres, also verzögert erscheinen. Wir sind bemüht, die entsprechenden Kosten selbst aufzubringen.

V.i.S.d.P. © 2013: Der Autor und Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin,        Tel.: 030-30207785

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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