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Schwerstedt/Weimarer Land, 6.04.2015/cw – „Du wirst dort geprägt, lebenslang verändert. Dir wird dein lebenswürdiges Leben genommen. Du bist nur noch Dreck.“

Ob Karin N. (Name geändert) an diese Worte gedacht hat, als sie vor drei Tagen von der Polizei festgenommen wurde? Sie hatte vor einem Jahr als Zeitzeugin über ihre Zeit (1983) als Fünfzehnjährige im Jugendwerkhof Torgau berichtet und dabei fast schon resignierend diese Sätze gesagt.

Am 2. April rückte die Polizei an und durchsuchte ihren Bauernhof. Dort wurde nach Presseberichten in der Scheune eine riesige Hanfplantage entdeckt und abgepackte Drogen in einem Wert von mehreren hunderttausend Euro beschlagnahmt. Karin N. wurde verhaftet und sitzt seither in U-Haft. Ihr Ex-Freund wurde in Berlin festgenommen.

Diverse Medien berichteten über die Rauschmittel-Produktion

Diverse Medien berichteten über die Rauschmittel-Produktion

Häufung von Skandalen in Opfer-Szene

Die jetzige Festnahme einer gefragten Zeitzeugin über die DDR-Vergangenheit kommt für die Opfer- und Verfolgten-Szene zur Unzeit. In den letzten Jahren häufen sich die Skandale in diesem Bereich. So flog in Nordrhein-Westfalen zum Jahresbeginn ein weiterer ehemaliger Stasi-IM im Zeitzeugenprogramm des bislang größten und ältesten Verfolgtenverbandes auf. Zuvor hatten sich bereits zwei Zeitzeugen in diesem staatlich finanzierten Programm als ehem. Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit geoutet. Allerdings erst, nachdem sich die Indizien unwiderlegbar verdichtet hatten.

In Berlin gehörte dem Bundesvorstand dieses Verbandes viele Jahre der einstige Fluchthelfer Werner F. (Name geändert) an, der in der DDR-Haft mindestens drei Theologie-Studenten an die Stasi verraten hatte. Alle drei wurden verhaftet und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Ein Pfarr-Anwärter überlebte diese Tortur nicht. Werner F. beteiligte sich überdies an unzähligen, bislang nahezu zwanzig Vereinsgründungen oder inszenierte diese selbst, um vermutlich von den zahlreichen Fördergeldern aus diversen staatlichen Quellen seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Auf der letzten Generalversammlung des Verbandes (2014) wurde ihm sogar die Fälschung von Stimmunterlagen vorgeworfen.

Im Oktober 2013 berichtete bereits der BERLINER KURIER über die Kalamitäten im  größten Opferveband

Im Oktober 2013 berichtete bereits der BERLINER KURIER über die Kalamitäten im größten Opferveband

Dem langjährigen Bundesgeschäftsführer, zeitweiligen Bundesvorsitzenden und Bundesschatzmeister des Verbandes Dieter H. (Name geändert) wurde (neben weiteren Vorstandsmitgliedern) vorgeworfen, der Sozialversicherung Beiträge in sechsstelliger Höhe vorenthalten zu haben. Jahre zuvor war er mit dem Vorwurf konfrontiert worden, über eine zu diesem Zweck gegründete Scheinfirma einen rechtswidrigen Vertrag mit dem Bundesvorstand geschlossen zu haben, der ihm ein mtl. Salär von über 1.000 Euro sicherte. Der amtierende Fernsehrat einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (Monatspauschale über 500 Euro zzgl. Aufwandspauschalen) bestreitet bis heute trotz vorgelegten Gutachtens ein illegales Handeln. Dem Verband droht durch die lässige Arbeit des vormaligen Bundesschatzmeisters und die dadurch nachgeforderten Sozialbeiträge die Insolvenz. Trotz dadurch bedingter Einschränkungen wie der verzögerten Herausgabe der monatlichen Verbandspublikation. Ob die vor nahezu zwei Jahren in die Wege geleitete Neugründung von selbstständigen Landesverbänden und die „angeregte Verlagerung“ von Vereinsgeldern in die nun „selbstständigen“ Vereine diese Insolvenz verhindern kann, steht derzeit in den Sternen, zumal unter vorgehaltener Hand bereits von versuchter Insolvenzverschleppung gesprochen wird.

Als wäre diese Bündelung handfester Vorwürfe nicht genug wählte die Generalversammlung des Verbandes vor einem Jahr den einzig kandidierenden hauptberuflichen Religionspädagogen und ehrenamtlichen Chef des Dachverbandes UOKG zum Bundesvorsitzenden. Der Theokrat muss sich seit Jahren ebenfalls mit harten, wenn auch bislang nicht finanziell begründeten Vorwürfen auseinandersetzen, bezeichnet er doch u.a. Juden als „Knechte Satans,“ wettert gegen den Bau einer Moschee in seinem Wirkungsumfeld und bezeichnet Allah als „erfundenen Götzen“ sowie dessen von den Muslimen verehrten Propheten Mohammed als „Lügner.“ Eine brisant zündelnde Mischung im Sinne von extremer Seite betriebener Volksverhetzung.

Zum Problem wir die hartnäckige Banalisierung

Die festgenommene Karin N. gehört zum Zeitzeugenkreis des Dachverbandes und wurde in der Vergangenheit entsprechend gefördert. Die Buchautorin Grit Poppe hatte auch deren Schicksal literarisch verarbeitet und war auf gemeinsamen Lesungen mit Karin N. aufgetreten. Für Beobachter liegt die Krux weniger in der Tatsache begründet, daß auch unter Opfern und Verfolgten einer Diktatur sogen. „schwarze Schafe“ auftauchen können. Zum Problem wird die Häufung dieser Vorfälle und deren hartnäckig betriebene Ignorierung oder Banalisierung. So mußte im letzten Jahr eine Beraterin in der UOKG und Freundin von Karin N., ebenfalls ehemalige jugendliche Insassin in Torgau, ihre Tätigkeit beenden, weil ihr vorgeworfen wurde, eigenmächtig Spenden von Betroffenen vereinnahmt und nicht abgeführt zu haben. Der UOKG-Chef ließ sich dennoch und trotz des eingeleiteten juristischen Verfahrens mit der Betroffenen ablichten und diese öffentlich den Dank für die stete Unterstützung durch den UOKG-Chef im Internet verbreiten.

Vielleicht wäre Karin N. das jetzige Schicksal erspart geblieben, wenn die Verantwortlichen der vielfach als „Aufarbeitungsindustrie“ benannten Institutionen beizeiten eine klarere und unmissverständliche Haltung eingenommen hätten. So kämpfen zum Beispiel einige bekannte Frauen, ehemalige Insassinnen des berüchtigten DDR-Frauenzuchthauses Hoheneck, seit über drei Jahren um die Wahrhaftigkeit von Zeugnissen über die erlittene Vergangenheit, bisher vergebens. Eine Mitgefangene, auch Vorstandsmitglied im Dachverband UOKG, hatte in ihren Zeitzeugen-Berichten Behauptungen verbreitet, die sich im Nachhinein als offensichtliche Lügen herausstellten, ohne dass dies zu entsprechenden Folgen geführt hätte. Seither häufen sich „unsaubere“ Storys, ohne dass auch nur eine Aufarbeitungsinstitution diesen „Geschichten“ Einhalt gebietet. Wenn der Verlobte „in Bautzen während der Haft (1954) verstorben“ und seine Urne „an der Ostsee beigesetzt“ worden sein soll und dieser einstige Verlobte noch heute (2015) lebt; wenn der schreckliche „Aufenthalt in der Wasserzelle in Hoheneck“ beschrieben wird, obwohl dies öffentlich von der selben Zeitzeugin gegenüber dem Bundespräsidenten dementiert worden war, dann ist die Grenze der Zumutbarkeit und die der Glaubwürdigkeit von Zeitzeugen nach Meinung nicht nur dieser Frauen weit überschritten.

Kommentar

cw – Was Karin N. jetzt vorgeworfen wird, kann sich in der Konsequenz als schlimmer herausstellen, als die fünf Monate in Torgau. Die vorgefundenen Beweise sind erdrückend, Mitleid für den illegalen und nach ersten Eindrücken industriellen Rauschmittelanbau und –handel ist wohl unangebracht.

Trotzdem braucht Karin N. Hilfe. Die oft durch ihre Erlebnisse traumatisierten Opfer der zweiten Diktatur werden zu oft mit ihren Erlebnissen alleine gelassen. An die Stelle monoton wirkender finanzieller Leistungsforderungen durch die Verbände hätte längst die Forderung nach und das unausweichliche, gesetzlich fundierte Angebot von psychosozialer Hilfe gehört. So gut die garantierte Akteneinsicht (BStU), so gut die Einstiege in finanzielle Entschädigungen sind, diese ersetzen nicht die zu garantierende Begleitung bei der Aufarbeitung erlittener Traumata.

Niemand kann sagen, ob ein solches Angebot Karin N. wirklich davon abgehalten hätte, sich und die Kameradinnen und Kameraden durch ihr Verhalten in Verruf zu bringen. Der Versuch wäre es wert gewesen. Dazu gehört zweifellos auch ein kritischer Umgang mit Zeitzeugen und Berichten, die widerlegbar sind. Die Aufarbeitungsinstitutionen dürfen schon aus Gründen der Selbstachtung nicht das Abgleiten von klaren rechtlichen Vorgaben tolerieren. Sie müssen Grenzen aufzeigen, die womöglich Karin N. aber auch die Beraterin in der UOKG, den Geschäftsführer oder auch Vorstandsmitglieder in einem Verfolgtenverband davon abgehalten hätten, in einem offensichtlich unzureichend abgesicherten und damit vielfach rechtsfreien Raum eigene Wege zu suchen und – fatalerweise – zu finden. (965)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

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