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Von Siegmar Faust
Berlin, 29.08.2019 – Ich bekam schon im ersten Jahr der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes, am 3. Dezember 1990, einen handgeschriebenen und entwaffnend ehrlichen Brief zugesandt. Hier der unveränderte Text unter der Überschrift:
„Auf ein offenes Wort!
Herr Faust und Herr Löwenthal haben sich zu einer undemokratischen, verbrecherischen Organisation zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist ehrliche Sozialisten zu verläumden und moralisch und physisch kaputt zu machen.
Aber daraus wird nicht viel werden.
Sie, Schriftsteller Faust, sind ein elendes Faschistenschwein, Ihr Mitstreiter ist der sattsam bekannte Lügner und Hetzer, dem bei unserer Bevölkerung das Kotzen kommen läst, seine Nazifratze auf Wahlplakaten zu sehen und Ihr Verbrecher aus der DSU habt für eure verbrecherische Tätigkeit gegen die ehemalige DDR und gegen aufrechte Sozialisten bei den Wahlen eine vernichtende Niederlage erlitten.
Euch und Eure Schweinepartei werden wir bekämpfen bis zur Auflösung, und Ihr Halunken vor ein wahres Volksgericht gestellt werdet.
i A Hans Lobenstein, W. Grünbergs, Lothar Bergmann“
Bosse aus Bayern hatten unsere CSU-Gründung verboten
Heute, so muss ich zugeben, sind die Schreiber, die gegen die AfD und mich als ihren Wähler hetzen, etwas intelligenter und geübter im Schreiben, aber deren Gesinnung unterscheidet sich nur in Nuancen. Ob die Unterzeichner dieses „offenen Wortes“ noch leben, darf bezweifelt werden …

Unter Willy Brandt ließ der Berliner Senat 1964 Wahrheiten plakatieren, von denen nicht nur der Autor überzeugt ist: Unerlaubte Gleichsetzung?
– Foto: LyrAg
Ja, ich war damals Berater der DSU-Fraktion in der Volkskammer und konnte die alten und angehenden Politiker ganz aus der Nähe betrachten. Die DSU war diejenige Partei, die unverzüglich die Wiedervereinigung gefordert hatte. Ich war bei der Gründung der „CSU Sachsen“ in Wiederitzsch bei Leipzig dabei. Dann kamen die Bosse aus Bayern und haben die schon gebildete CSU, der allein auf einer Montagsdemo in Leipzig 1000 Mitgliedsanträge zuströmten, einfach verboten. Wir durften uns als Schwesterpartei der CSU dann DSU nennen, bekamen aber den Pfarrer Ebeling von der Thomaskirche vorgesetzt, der mit seinem Stellvertreter P.-M. Diestel eine CSPD gegründet hatte und dann die Wahlveranstaltung wütend verließ, weil die Mehrheit sich für die CSU Sachsen entschieden hatte. So kam dieser dubiose Diestel ungewählt in die Partei und machte sie als Generalsekretär systematisch von oben her kaputt, bevor er in die CDU wechselte, in der dieser Offizierssohn und Freund Gregor Gysis und vieler Stasi-Offiziere noch immer Mitglied ist.
Es gibt noch viele Geschichten, die Geschichte machten
Die DSU gibt es noch in einigen Gebieten auf Gemeinde- und Kreisebene. Und mich gibt es auch noch.
Ebeling verdiente sich dann sein Taschengeld bei der Moon-Sekte, die ebenso zum Ziel des Hasses fortschrittlicher Gutmenschen wurde. Ebeling, einmal von mir auf Diestel angesprochen, bekam Schnappluftatmung. Ich solle ihn noch einmal in einem Jahr ansprechen, was ich auch tat, aber da winkte er nur traurig ab und ging weiter, sein Geheimnis verschlossen mitnehmend.
Moon war für mich eher ein Haftkamerad, der Folter in Nordkorea hinter sich hatte. Um ihn wurde es erst wieder ruhig, nachdem er Gorbatschow mit einem großzügigen Kredit gerettet hatte …
Oh, es gibt noch viele Geschichten zu erzählen, die Geschichte mach(t)en.
Einfügung der Zwischenüberschriften durch Redaktion.
V.i.S.d.P.: Der Autor und Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.469).
Berlin/Leipzig, 28.06.2019/cw – In selten gewordener Einigkeit empören sich Bürgerrechtler, SED-Opfer und Protagonisten der Aufarbeitung des SED-Unrechtes gegen den geplanten Auftritt von Gregor Gysi am 9. Oktober in der Peterskirche. Zu den Klängen der Leipziger Philharmoniker soll ausgerechnet der letzte SED-Chef die Festrede zum 30.Jahrestag der Leipziger Groß-Demo halten.
Gysi, dem u.a. von einem Bundestagsuntersuchungsausschuss vorgehalten wurde, IM der Stasi gewesen zu sein, hatte zwar während der SED-Herrschaft zahlreiche Oppositionelle und Bürgerrechtler vor den Schranken der zweiten deutsche Diktatur verteidigt. Es waren aber nie Vorhaltungen verstummt, dass der Rechtsanwalt dabei auch die Interessen der Stasi vertreten hätte.
Ebenso schwer wiegen die jetzigen erneuten Vorhaltungen im Zusammenhang mit der geplanten Veranstaltung in Leipzig: Gregor Gysi hatte sich nach der Mauer-Öffnung vehement und erfolgreich gegen Anträge gewehrt, die SED aufzulösen und dies u.a. damit begründet, dass dann das gesamte Parteivermögen für die Partei verloren ginge. Nach seiner
erfolgreichen Überzeugungsarbeit war er von den frustrierten Genossen zum neuen Parteichef gewählt worden. Gysi gelang in der Folge die Metamorphose, über die Kürzel SED/PDS, PDS (1990), Die Linkspartei/PDS (2005) und nach der Fusion mit der WASG in DIE LINKE (2007) die Diktatur-Partei im demokratischen System der Bundesrepublik zu verankern. Auch das sogen. SED-Vermögen konnte weitgehend für die Arbeit der nominell gewandelten Partei gerettet werden.
Eine derartige Leitfigur der SED könnte nicht auf einer derartigen Gedenk-Veranstaltung an die Friedliche Revolution auftreten, schon gar nicht den Festvortrag halten, sagen jetzt die Kritiker, die am kommenden Montag der Öffentlichkeit einen Protestbrief zugänglich machen wollen. Bis dahin (Limit: Sonntag, 30. Juni) können sich Bürger und Institutionen diesem Protest mit ihrer Unterschrift anschließen.
Schorlemmer: Ausladung käme einer Zensur gleich
Gegen die Forderung, Gregor Gysi auszuladen, sprach sich der Wittenberger Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer aus: Eine Ausladung käme einer Zensur gleich, zitiert die Leipziger Volkszeitung heute den streitbaren Theologen. Niemand sei genötigt in jenes Konzert in der Peterskirche zu gehen. Er, Schorlemmer, könne in dem Auftreten Gysis keine Verhöhnung erkennen. Schließlich sei auch Gysi durch die Friedliche Revolution „von der Einmauerung befreit“ worden. Letztere Logik hört sich für die Kritiker denn doch mehr als eine „überzogene theologische Umarmungs-Begründung“ denn als eine politisch überzeugende Argumentation an.
Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass sich diese „Provokation von Leipzig“ nicht durchsetzen wird. Sie rechnen aufgrund der Proteste mit einer Korrektur der Programm- Gestaltung. Schließlich gäbe es genügend redegewandte Zeitzeugen und Bürgerrechtler, die diesem Jubiläum Glanz verleihen könnten.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.429).
Von Vera Lengsfeld*
Vor dreißig Jahren stand Leipzig im Zentrum der Friedlichen Revolution, die das Ende der SED-Diktatur herbeiführte und die Überwindung der Spaltung Deutschlands ermöglichte. Von hier gingen die Montagsdemonstrationen aus, die sich wie ein Buschbrand über die ganze DDR ausbreiteten und schließlich zum Fall der Mauer und freien Volkskammerwahlen führten.
Wegen ihrer überragenden Rolle sollte Leipzig sogar der Titel „Heldenstadt“ zuerkannt werden, jedenfalls war das der vielbeachtete Vorschlag des Schriftstellers Christoph Hein.
Nun geht ausgerechnet von Leipzig eine ungeheure Geschichtsklitterung aus, eine Verhöhnung der Friedlichen Revolution.
Wie die Leipziger Volkszeitung bereits im Mai unter der Rubrik „Sonderthemen“ meldete, planen die Leipziger Philharmoniker ein Gedenkkonzert zur Friedlichen Revolution in der Peterskirche. Der Titel der Veranstaltung lautet: „Freiheit, schöner Götterfunken“.
Ausgerechnet am 9. Oktober, dem Jahrestag der großen Montagsdemonstration, die der Beginn des Endes der SED-Diktatur bedeutete, soll mit der Neunten Sinfonie von Beethoven das Werk erklingen, das Leonard Bernstein mit dem neuen Text „Freiheit, schöner Götterfunken“ 1989 in Berlin zum Fall der Berliner Mauer aufführte. Was als „respektvolle Würdigung für die vielen Tausend, die seinerzeit in Leipzig mutig auf die Straße gegangen sind“, angekündigt wurde, gerät durch den engagierten Festredner Gregor Gysi allerdings zu einer Verhöhnung der Demonstranten.
Die Leipziger und alle anderen Demonstranten in der ganzen DDR sind gegen die Herrschaft der SED auf die Straße gegangen. Es war Gregor Gysi, der die Mauerschützenpartei vor dem verdienten Untergang rettete. Beim letzten SED-Parteitag, der am 8. Dezember 1989 stattfand, war die Mehrheit der Delegierten, gepeinigt von Scham und Reue entschlossen, die Partei aufzulösen. Der damalige Partei- und Regierungschef Hans Modrow, drohte mit seinem Versuch, die Auflösung zu verhindern, zu scheitern. Da trat der bis dato fast unbekannte Rechtsanwalt Gregor Gysi, laut Feststellung des Bundestags- Immunitätsausschusses von 1998 erwiesener Mitarbeiter der Staatssicherheit, ans Mikrofon. Er überzeugt die Genossen, ihre Entscheidung zu überdenken, denn dann wären auch das Vermögen und die Parteistrukturen verloren, was „unabsehbare Folgen“, besonders für den kommenden Wahlkampf hätte.
Nach dieser Rede wird Gysi zum Parteivorsitzenden der SED gewählt. Eine seiner ersten Amtshandlungen ist die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Sicherung des Parteivermögens. In der Legislaturperiode 1994-1998 recherchierte der Bundestags-Untersuchungsausschuss geschätzten 24 Mrd. DM verschwundenem DDR-Vermögen hinterher. Alle PDS-Funktionäre, die vom Ausschuss vernommen wurden, verweigerten die Aussage mit der identischen Erklärung, sie würden sich der Strafverfolgung aussetzen, wenn sie ihr Wissen preis geben würden. Seitdem wird nicht mehr nachgefragt.
Außerdem verpasste Gysi der Partei den Zusatznamen PDS, Partei des Demokratischen Sozialismus. Seitdem ist die SED noch dreimal umbenannt worden und immer noch unter uns. Gysi ist nicht mehr ihr Vorsitzender, aber im Programm hat sie noch den „Systemwechsel“, also die Abschaffung der Demokratie.
Für die Philharmonie Leipzig sei es „eine Ehre“, dass Gregor Gysi an diesem historischen Datum die Festrede hält, ließ die Philharmonie die Leipziger Volkszeitung wissen. Gysi gelte in Politik, Wissenschaft und Medien seit vielen Jahren als kompetenter Meinungsführer und sei ein gefragter Autor und Interviewpartner, lautete die Begründung. Zu seiner Rolle als letzter Parteichef der SED und Retter des von der SED zusammengerafften Vermögens, kein Wort. Natürlich auch nichts zu seiner fragwürdigen Rolle als Anwalt von Oppositionellen in der DDR.
Die angebliche Ehrung der mutigen Demonstranten ist angesichts dieser Fakten eine Verhöhnung. Die Leipziger Philharmonie täte gut daran, auf diesen Skandal zu verzichten.
* Der Beitrag erschien original unter: https://vera-lengsfeld.de/2019/06/25/die-verhoehnung-der-friedlichen-revolution-1989/
Berlin, 11.08.2016/cw – Berlin wählt am 18. September ein neues Abgeordnetenhaus. Anlass für die Redaktion, einigen Spitzenpolitikern aus allen Parteien Fragen zu stellen. Wir wollen unsere Fragen und die Antworten in loser Reihenfolge bis zur letzten Woche vor der Wahl veröffentlichen.
Dr. Klaus Lederer (1974 in Schwerin) ist Landesvorsitzender von DIE LINKE, nachdem er zuvor bereits Landesvorsitzender der PDS (vorhergehender Name) war. Der promovierte Jurist erhielt für seine Doktorarbeit (2004) im Januar 2005 den Carl-Goerdeler-Preis des Deutschen Instituts für Urbanistik und den John-Desmond-Bernal-Preis der Partei-Nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg. Im Februar 2006 bestand er das 2. Juristische Staatsexamen. Seit 2003 ist er Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und dort rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Er ist Mitglied des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung. Der Realo Lederer ist Spitzenkandidat seiner Partei zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18. September diesen Jahres.
Redaktion Hoheneck (RH): Herr Dr.Lederer, sind Sie, ist Ihre Partei über ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall in der Demokratie angekommen?
Wir sind in der Demokratie angekommen
Lederer: Zunächst möchte ich mich für die Möglichkeit dieses Interviews bedanken – bei den wechselseitigen Vorbehalten die es vereinzelt, aber unbestreitbar, noch gibt, keine Selbstverständlichkeit.
Und ja – für mich, wie für meine Partei, kann ich das vollständig bejahen. Wir sind in der Demokratie angekommen – und nicht erst gestern. Den ersten, vielleicht sogar wichtigsten Schritt hat die damalige SED/PDS bereits Ende 1989 getan mit dem klaren, unwiderruflichen Bruch mit dem Stalinismus als System und daraus folgenden, notwendigen, Erkenntnis, dass gesellschaftliche Veränderungen nur und ausschließlich demokratisch erfolgen können.
Ich war damals noch jung – bei den 1989 handelnden Personen, allen voran Lothar Bisky, Gregor Gysi und Michael Schumann, bin ich mir jedoch zu 100 Prozent sicher, dass sie diese Positionen aufrichtig und aus tiefstem Herzen vertreten haben, und es keine Verbeugung vor der Erwartung des Westens war.
Das war der Auftakt für einen langen Prozess, der noch immer nicht abgeschlossen ist, die Aufarbeitung unserer Geschichte, aber er war zwingend notwendig und ist ehrlicher und schmerzhafter geführt worden, als uns oft unterstellt wird.
RH: Ihre Partei hat sich ja dreimal umbenannt: von SED in SED-PDS, in PDS und schließlich in DIE LINKE. Ihrer Partei wird ja vornehmlich von Opfern und Verfolgten der zweiten Diktatur vorgehalten, mit der Namensänderung lediglich Kosmetik zu betreiben. Ist das so oder sehen Sie tatsächliche inhaltliche Änderungen und Unterscheidungen zur Ursprungspartei?
Lederer: Vier Mal – die Linkspartei.PDS zwischen PDS und DIE LINKE fehlt in der Aufzählung. Und mit Kosmetik hat das nichts zu tun. Die Parteineugründung, als sich die Linkspartei.PDS und die WASG im Juni 2007 zur Partei DIE LINKE vereinigt haben, war allerdings schon ein Moment mit dem – und ab dem – wir für neue Milieus im Westen endlich „annehmbar“ wurden. Enttäuschte Sozialdemokraten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vor allem aus dem Westteil des Landes fanden bei uns eine politische Heimat.
Gut ein Drittel der heutigen Mitgliedschaft der LINKEN ist nach 2007 in die Partei eingetreten und ein hoher Prozentsatz unserer Mitglieder im Osten war 1989 noch keine 18 Jahre alt, zu jung also, um verantwortlich für die DDR-Diktatur zu stehen. Dazu kommt, dass wir uns inhaltlich an den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten abarbeiten: Rentenkonzepte, Umverteilung und Gerechtigkeit, Friedenspolitik und – natürlich und vor unserem Hintergrund essenziell – die Fragen von Demokratisierung, Mitbestimmung.
Kurz gesagt: Von unserer Mitgliederstruktur und unserer politischen Arbeit im Hier und Jetzt können wir kaum weiter von der Ursprungspartei entfernt sein. Was Anknüpfungspunkt ist und bleibt, ist die Überzeugung, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist, eine gerechte Welt, die allen die gleichberechtige Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ermöglicht, machbar ist. Hinzugefügt sei: aber nur auf demokratischem Wege erreichbar.

Gelegenheit für unkonventionelle Gespräche: Lederer (3.v.li.) am Rande des Staatsaktes zum 17. Juni (2012) im Gespräch mit dem Vors. d. Vereinig.17.Juni, Holzapfel (li) – Foto: LyrAg
RH: Bisher fehlt eine deutliche Absage Ihrer Partei an die schlimme Vergangenheit der SED. Ist das eine Folge des Namenswechsels, der eine Distanzierung „von sich selbst“ nicht zulässt?
Lederer: Nein und nein. Die deutliche Absage an die SED-Vergangenheit fehlt nicht. Wir haben aufgearbeitet, wie oben erwähnt seit 1989 und sogar weit mehr, als andere Parteien, die ihre „Blockflöten-Schwestern“ weitgehend aufarbeitungslos geschluckt haben. Und wir arbeiten bis zum heutigen Tag auf, wir stellen uns und stehlen uns nicht aus der Verantwortung.
Sehr deutlich wird dies in Thüringen: Im Zuge der Koalitionsverhandlungen dort hat Gregor Gysi sehr deutlich gesagt, dass die DDR kein Rechtsstaat war, eine Diktatur war, und dass es staatlich verordnetes Unrecht gab – sogar grobes Unrecht. Bodo Ramelow trifft sich mit Opfergruppen und Menschen, die in der DDR unter dem System gelitten haben, physischer und psychischer Folter ausgesetzt waren. Er sucht den Dialog, als wichtigen Anker in einem Prozess der Suche nach Verständigung und Versöhnung. Und er ist nicht der einzige, der das tut.
Über die Jahre haben wir uns vom System der Unfreiheit und Unterdrückung in der DDR immer wieder distanziert, eben angefangen bei der Entschuldigung bei den DDR-Bürgern Ende 1989 über die Entschuldigung für den Bau der Mauer und das entsetzliche Leid, dass er über Menschen gebracht hat, im Sommer 2002 bis zu den Vereinbarungen zum DDR-Unrecht in den Koalitionsverträgen in Thüringen und Brandenburg. Das ist Teil unserer Geschichte, davor können wir uns nicht wegducken – da spielt der Name keine Rolle.
RH: Ihre Partei verzeichnet in den eigenen Reihen ja nach wie vor bekennende Anhänger des einstigen SED-Regimes. Auch die Tolerierung ehemaliger Stasi-Kader gehört wohl zum Alltagsgeschäft. Wie vereinbart sich dieses doch sehr indifferente Haltung mit den Aussagen Ihrer Partei gegenüber dem politischen Extremismus, zum Beispiel von Rechts? Ist DIE LINKE auf dem linken Auge blind?
Viele Biografien gebogen und gebrochen
Lederer: Ich habe vorhin für die Partei von einem ehrlichen und schmerzhaften Prozess gesprochen. Das gilt in ganz besonderem Maße auch für einige Mitglieder, die diesen Prozess ganz persönlich schmerzhaft durchgemacht haben – wenn Gewissheit Gewordenes wegbricht, eine Welt ganz wortwörtlich zusammenbricht, mit allem, was daran hängt an persönlichen Geschichten und persönlicher Verantwortung – dann ist man, glaube ich, gezwungen, sich ganz grundsätzlich zu hinterfragen. Ich kenne einige Genossen, die jahrelang mit sich und ihrem Anteil an der Schuld sehr, sehr hart ins Gericht gegangen sind.
Und es sind gerade diese Menschen, die sehr glaubwürdig mit sich und dem DDR-System abgerechnet haben und heute sehr glaubhaft für die Beseitigung von Demokratiedefiziten in der Bundesrepublik streiten, beispielsweise.
Das macht nicht ungeschehen, dass Mitglieder meiner Partei, die heute die Entwertung ihrer Biographie beklagen, in der DDR Verantwortung dafür trugen, dass die Biografien vieler anderer Menschen gebogen und gebrochen wurden.
Und auf dem linken Auge blind sind wir keineswegs. Wir haben auch keine indifferente Haltung gegenüber politisch motivierter Gewalt: Gewalt ist für uns kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, niemals.
Der Gesellschaft und Demokratie bedrohende Extremismus kommt gegenwärtig von rechts. Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat mindestens 178 Opfer rechter Gewalt seit 1990 gezählt, die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Angriffe mit antisemitischem Hintergrund gehen in die Tausenden. Hier müssen alle demokratischen Parteien klare Kante zeigen. Wer rechten Extremismus mit dem 1. Mai in Kreuzberg gleichsetzt, verharmlost die Gefahr von rechts.
RH: Sie persönlich werden ja der Realo-Linie zugerechnet und haben sich ja mit anderen Kollegen, z.B. Ihrem Fraktionschef Wolf oder auch der Vizepräsidentin im Bundestag, Petra Pau, für Gespräche mit Opfern der zweiten Diktatur offen gezeigt. Ihre Partei hat auch jüngst im Deutschen Bundestag zusammen mit Bündnis 90/DIE GRÜNEN einen alten SPD-Antrag gegen den sogen. Rentenbetrug eingebracht.
(Anmerkung: Einstige DDR-Flüchtlinge, vor dem Mauerfall zu Bundesbürgern geworden und in das Rentensystem der Bundesrepublik eingegliedert, wurden zu Begin der neunziger Jahre über Nacht rückwirkend in das Rentensystem der DDR rückgestuft. Dadurch entstanden für diesen Personenkreis erhebliche Verluste in der Rentenzahlung.)
Der (neuerliche) und ursprüngliche SPD-Antrag scheiterte am Widerstand der CDU/CSU und der SPD. Trotz dieses wohl noch gewöhnungsbedürftigen Engagements für die Verfolgten der zweiten Diktatur wurde Ihre Partei von der wenig später durchgeführten Protestkundgebung betrogener Rentner ausgesperrt. Schmerzt Sie das oder haben Sie dafür Verständnis?
Symbolische Handlung Berlins für Haftzwangsarbeit finanzierbar
Lederer: Sowohl als auch. Natürlich schmerzt es, wenn man das Richtige und das Gute will und tut – und es nicht honoriert wird. Wir treten ja für Gerechtigkeit ein, das ist eines unserer Leitmotive, und da ist es unerheblich, wem Unrecht widerfahren ist. Auf der anderen Seite habe ich in begrenztem Maße auch Verständnis für solch eine Reaktion – es sind Wunden geschlagen worden, die für die, die sie erlitten haben, eben nicht heilen.
Im Übrigen war unser rentenpolitischer Sprecher Matthias W. Birkwald auf der Protestkundgebung und hat dort auch sehr viel Zuspruch erfahren. Das zeigt, wie wichtig es ist, das Gespräch zu suchen und auch zu führen.
RH: Dem Abgeordnetenhaus bzw. den Fraktionen liegt seit 2014 ein Antrag der Vereinigung 17. Juni vor, wonach sich Berlin seiner Verantwortung für die Haftzwangsarbeit ehem. politischer Gefangener in der DDR wenigstens symbolisch stellen sollte.
(Anmerkung: Zuvor war bekannt geworden, dass (West-)Berlin zu Zeiten der Teilung 25 Prozent seines Zementbedarfes aus Rüdersdorf bezogen hatte. In Rüdersdorf erfolgte die Produktion ebenfalls durch Haftzwangsarbeit.)
Nach diesem Vorschlag sollte Berlin den in den Stadtmauern lebenden einstigen politischen Opfern der zweiten Diktatur Freifahrt für die öffentlichen Verkehrsmittel und evtl. auch freier Eintritt in die Museen der Stadt ermöglicht werden. Als einzige Partei hat die CDU-Fraktion, wenn auch nichtssagend, geantwortet. Sie selbst und Herr Wolf haben auf Nachfrage eine solche Geste des Landes Berlin für finanzierbar gehalten. Hat Ihre Partei vor, ähnlich der Bundestagsfraktion (Rentenbetrug), in dieser Sache gesetzgeberisch aktiv zu werden?
Lederer: Ich bleibe dabei: Es wäre finanzierbar. Ich bin unsicher, ob wir das initiieren sollen – es gäbe sicherlich den Vorwurf, dass wir uns damit reinwaschen wollen, nicht aufrichtig sind. Wenn alle Parteien, also auch die, die im alten West-Berlin von solch menschenverachtenden Vereinbarungen profitiert haben, dem zustimmen, wäre das ein wichtige Geste der Verständigung.
RH: Welche Möglichkeiten und welchen Spielraum sehen Sie für Ihre Partei, sich aus der offensichtlichen Mitverantwortung für vergangenes Unrecht künftig zu engagieren? Könnten Sie sich zum Beispiel regelmäßige Gespräche trotz der offensichtlich vorhandenen gegenseitigen Vorbehalte vorstellen?
Lederer: Selbstverständlich kann ich mir regelmäßige Gespräche und einen offenen, beiderseitigen Austausch vorstellen. Nicht nur das, er ist sogar notwendig. Ich habe das im Übrigen auch schon gemeinsam mit jungen Mitgliedern unserer Partei, die diese Zeit nicht mehr bewusst erlebt haben, praktiziert.
Ob man das gleich auf großer Bühne und im Licht von Scheinwerfern tun muss, ist fraglich. Große Bühnen fordern immer große Worte. Aber es geht ja um Annäherung, Austausch und Verständigung – das Bemühen um einen ehrlichen, guten Dialog muss man nicht an die große Glocke hängen. Vielleicht kommen wir mit leisen Tönen und gezielten, guten Vorstößen im Parlament weiter.
RH: Wir bedanken uns für die offenen und ehrlichen Antworten.“
Die Fragen stellte Carl-Wolfgang Holzapfel.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.141)
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