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Berlin, 03.08.2022/cw – Die VEREINIGUNG 17. JUNI wird bereits am Vortag zum diesjährigen Jahrestag des Mauerbaus – 1961 – am 12. August um 11:00 Uhr die Opfer der Mauer mit einer Kranzniederlegung an den Mauerkreuzen zwischen Reichstag und Brandenburger Tor (Friedrich-Ebert-Straße) ehren. Das hat der Verein in einer heute verbreiteten Presseerklärung bekannt gegeben.

Das Grab Peter Fechters in Berlin-Pankow. Auch hier ist kein „Ehrengrab“ vermerkt. –
Foto: LyrAg

„Wir wollen in diesem Jahr besonders an den achtzehnjährigen Bauarbeiter Peter Fechter erinnern, der am 17. August 1962, also vor 60 Jahren, vor den Augen der Welt unmittelbar hinter der Mauer zwischen dem Checkpoint Charlie und dem Axel-Springer-Verlag elendlich verblutete.“ Peter Fechter sei so zum Synonym für die vielen blutigen Opfer an der blasphemisch von den DDR-Machthabern als „Friedensgrenze“ bezeichneten Mauer geworden. „Wir werden daher unseren Kranz diesmal direkt vor dem Kreuz ablegen, das dort an seinen  frühen Tod erinnert,“ erklärte der Vorstand.

Die Vereinigung hatte zum 60. Jahrestag des Mauerbaus im letzten Jahr die weißen Kreuze zwischen Reichstag und Brandenburger Tor und am Spreeufer zwischen Reichstag und Paul-Löbe-Haus erneuert. Durch die Initiative „Den Opfern ein Gesicht geben“ wurde auf den neuen Kreuzen dem bisherigen Namen ein Portrait des Opfers, das Geburtsdatum und eine Kurzbiografie über die Umstände des Todes an der Mauer zugefügt. „Seither,“ so Sprecherin Tatjana Sterneberg, „werden die Kreuze der Erinnerung ganz anders wahrgenommen. Jung und Alt bleiben jetzt stehen, lesen von den dramatischen Schicksalen und sprechen über die Opfer. So bleiben diese auf lebendige Weise im Gedächtnis der vielen hundert täglichen Besucher.“

Bemühungen um Straßenbenennung an Gleichgültigkeit gescheitert

Kritisch äußerte sich der Vorsitzende des Vereins zum Vermächtnis Peter Fechters: „Alle unsere jahrzehntelangen Bemühungen um eine besondere Hervorhebung dieses symptomatischen Maueropfers, quasi stellvertretend für die vielen Toten an der gnadenlosen Grenze durch Europa und Berlin, sind bis heute, 60 Jahre nach seinem Tod, an der offenbaren Gleichgültigkeit politischer Bürokratie gescheitert,“ sagte Carl-Wolfgang Holzapfel, selbst einstiger Mauerdemonstrant und politischer Gefangener der DDR (Urteil: 8 Jahre).

Bereits 2012 wurden am Checkpoint Unterschriften für eine „Peter-Fechter-Straße“ gesammelt… – Foto: LyrAg
 

Man habe bereits im letzten Jahr, also im Vorfeld des jetzt anstehenden 60. Todestages von Fechter, erneut die Verwaltungen und politischen Entscheidungsträger angeschrieben und wiederholt die Umbenennung der Zimmerstraße zwischen Checkpoint Charlie und Axel-Springer-Verlag in „Peter-Fechter-Straße“ gefordert. Holzapfel: „Im Gegensatz zu früheren Jahren werden diese Anfragen und Bitten noch nicht einmal im Eingang bestätigt.“ Man habe den Eindruck, dass die gezeigte öffentlichkeitswirksame Trauer an der Stele Peter Fechters einmal mehr auch in diesem Jahr als pure Heuchelei zelebriert werden wird. Auch der jüngste Vorstoß des Dachverbandes der Opferverbände, UOKG, auf Umbenennung der Zimmerstraße wurde bislang schnöde und „die Opfer der Diktatur fast schon beleidigend“ ignoriert.

In diese „katastrophale Gemengelage“ passe die vor einem Tag bekannt gegebene Ehrung für den 1996 verstorbenen Musiker Rio Reiser wie die berüchtigte „Faust aufs Auge“. Nach Reiser soll jetzt der Heinrichplatz in Kreuzberg umbenannt werden.  Die Umbenennung war bereits vor einem Jahr sogar im Amtsblatt veröffentlich worden, konnte jedoch nach Widersprüchen aus der Bevölkerung und gerichtlichen  Klärungen der Rechtslage wie den Bedingungen der Corona-Pandemie zunächst nicht umgesetzt werden.

Zwar hatte die Bezirksverordnetenversammlung 2005 beschlossen, Straßen und Plätze nur noch nach Frauen zu benennen, sich aber bei der Umbenennung der Gabelsberger in Silvio-Meier-Straße und eines Teils der Koch- in Rudi-Dutschke-Straße selbst nicht daran gehalten. Damit seien auch die bisherigen Argumente der Bezirksoberen und einiger Landespolitiker in Sachen  Peter Fechter vom Tisch, meint nun die Vereinigung, denn  diese hätten sich in Ermangelung „anderer Entschuldigungen“ eben auf diesen Beschluss berufen, „der ja nun leider in der Welt“ sei, wie es jeweils, offenbar Betroffenheit heuchelnd, hieß.

„Dieser politische Mißbrauch von Ehrungen zugunsten bestimmter politischer Klientel ist im Grunde auch nachträglich eine schallende Ohrfeige in das Gesicht jener, die eine angemessene Ehrung durch ihre Lebensleistung oder ihren  nicht zu leugnenden historischen Standort ohne jeden Zweifel verdient hätten“, heißt es abschließend in der Presseerklärung des Vorstandes.

Siehe auch: Peter-Fechter-Straße: „Bezirk hat sich „sich umgehend, konstruktiv und höflich zurückgemeldet“ – Chef der UOKG widerspricht Kritik der Vereinigung 17. Juni – unter Redaktion Hohenecker Bote, https://redaktionhoheneckerbote.wordpress.com/ vom 08.08.2022.

V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V., Berlin – Mobil: 0176-480612953 (1.712)

Von Carl-Wolfgang Holzapfel*

Berlin, 26.11.2021/cw – Es war ein kalter Novembertag – vor sechzig Jahren: Die JUNGE UNION, deren Mitglied ich wenige Monate zuvor in Hamburg geworden war, hatte in Berlin am 21.11.1961 zu einer Demonstration aufgerufen: „Die Jugend protestiert gegen die Mauer“. Nach meiner spontanen Rückkehr aus Hamburg Ende August – nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 hielt mich auch das gerade begonnene Lehrverhältnis als Einzelhandelskaufmann nicht mehr in der Hansestadt – war dies meine erste aktive Teilnahme an einer Demonstration gegen die Mauer. Es sollte der Beginn einer 60jährigen politischen Aktivität sein. Grund genug , mich nach sechs Jahrzehnten dem Ruhestand zuzuwenden.

Rückblickend war dies die erste Schulung im demokratischen Widerspruch, die erste Erfahrung mit dem Begriff „Widerstand“. Der Zug bewegte sich – nach meiner Erinnerung – vom Wittenberg- über den Ernst-Reuter- zum Theodor-Heuss-Platz. Dort waren auf einem Stein die Worte unübersehbar zu lesen: „EINIGKEIT – RECHT – FREIHEIT“. Auf diesem Stein stand eine Schale, aus der eine „Ewige Flamme“ loderte.

Der 17jährige C.W. Holzapfel auf der Demei (Mitte, mit Brille, 5. v. re.) Quelle: rbb RETRO

LINK: https://www.ardmediathek.de/video/rbb-retro-berliner-abendschau/protest-der-jugend-gegen-die-berliner-mauer/rbb-fernsehen/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvYmVybGluZXItYWJlbmRzY2hhdS8xOTYxLTExLTIxVDE5OjMwOjAwXzFlZGU4OTQzLTdiOWItNDgzOS1iMWIzLWU1ZGJkMGM1NDIzMi9yZXRyb18xOTYxMTEyMV9Qcm90ZXN0bWFyc2No/

Warum ziehen wir nicht an die Mauer?

Schon auf dem Weg wagte ich, laut meinen Protest zu formulieren: „Warum ziehen wir nicht an die Mauer? Was soll der Weg durch Straßen, die keine Mauer versperrt?“ Ein Ordner ermahnte mich, die Leute nicht aufzuwiegeln, es ginge hier um eine ernste Sache.

Am Zielort angekommen – ich erinnerte mich an meine Kinderzeit, als hier allwöchentlich Britische Soldaten aufmarschierten und wir am Rande der Show um Kaugummi bettelten („Have you a gum?“) – sprach zunächst Jürgen Wohlrabe, ein späterer Freund, und dann Ernst Lemmer, der allseits anerkannte Minister für Gesamtdeutsche Fragen. Lemmers Rede war anklagend, ganz im Tenor der Empörung über die Aktion „Antifaschistischer Schutzwall“, als den das „Pankower Regime“ den Bau der Mauer bezeichnete.

Diese Demonstration ist nicht angemeldet

Nach dem Absingen der Nationalhymne und der obligatorischen Feststellung durch den Veranstalter „Die Kundgebung ist beendet“ blieben die Demonstranten stehen, als erwarteten sie eine weitere Aktion. „Wir Auf zur Mauer! Auf zur Mauer!“ Überraschend setzte sich dieser Ruf rasend schnell unter den Demonstranten fort. Bald klang es aus hunderten Kehlen: „Auf zur Mauer!“ Nur: Keiner bewegte sich.

Wieder wurde diese Klassenkameradin zu meiner ersten Lehrmeisterin, als sie bemerkte: „Wenn  Ihr nicht lost zieht, bleibt hier alles stehen.“ Dankbar nahm  ich diese Anregung auf und setzte mich mit lauten Rufen in Richtung Ernst-Reuter-Platz in Bewegung. Tatsächlich folgten immer mehr Teilnehmer dem Aufruf, zunächst noch zögerlich.

Bereits auf dem Kaiserdamm hörten wir die ersten Sirenen von Polizeiwagen und auch die ersten Durchsagen: „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. Diese Demonstration ist nicht angemeldet. Bitte verlassen Sie die Fahrbahn und gehen Sie nach Hause!“müssten aufrufen, zur Mauer zu marschieren,“ sagte ich zu ein paar jungen Leuten, unter diesen eine ehemalige Klassenkameradin vom Gymnasium in Zehlendorf. „Da müsst Ihr wohl anfangen, sonst bewegt sich da nichts,“ erwiderte die Kameradin mutig. Also rief ich „

Auf dem Ernst-Reuter-Platz angekommen bemerkten wir, daß die „Straße des 17. Juni“, also der direkte Weg zur Mauer vor dem Brandenburger Tor, abgesperrt war. Darauf reagierten wir Demonstranten mit einem Sitzstreik auf den Fahrbahnen rund um die dortige Mittel-Insel. Nach mehreren erfolglosen Ermahnungen der Polizei, die „illegale Demonstration“ sofort abzubrechen, weil man sich sonst „polizeilichen Maßnahmen“ aussetzen würde, hieß es plötzlich „Knüppel frei“, und die eingesetzten Beamten schlugen mit Gummiknüppeln auf uns sitzende Jugendliche ein. Ich sprang auf und rannte in die Hardenbergstraße in Richtung Bahnhof Zoo.

Dort ziemlich atemlos angekommen, verabredete ich mich mit einigen Versprengten zu einer Fortsetzung unseres Protestes am berühmt gewordenen Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße. Nachdem ich noch angewidert beobachtet hatte, wie ein offenbar enthemmter Polizist auf einen jungen Mann grundlos und brutal mit seinem Gummiknüppel einschlug, der infolge mit blutender Kopfwunde zusammenbrach, eilte ich zur U-Bahn.

Große Worte und reale Wirklichkeit

In der Kochstraße angekommen, war ein Gang zum Checkpoint gar nicht möglich. Mit lautem „Tatütata“ fuhren  mehrere Mannschaftswagen des Typs HANOMAG auf. Kaum  waren  die Klappen gefallen, sprangen Polizeibeamte herunter und knüppelten auf gebildete Gruppen von Demonstranten ein. Mir ist dieser Tag unvergesslich als Widerspruch zwischen „Großen Worten“ („Die Mauer muß weg“) und realer Wirklichkeit. Man kann auch einfach sagen: An diesem Tag vor sechzig Jahren habe ich meine politische Unschuld verloren.

Dieser bitteren und realen Erkenntnis folgte die zunächst verzweifelte Suche nach vertretbaren Formen des Widerstandes gegen neuerliches Unrecht, wie dieses sich in der Mauer manifestierte. Schon bald entschloss ich mich zum „Gewaltlosen Widerstand“ nach Mahatma Gandhi. Dabei half mir ein kleiner, unscheinbar wirkender Mann  aus Indien: T. N. Zutshi. Er war erstmals nach dem Ungarn-Aufstand 1956 nach Europa gekommen, um uns in Europa im Kampf gegen die Rote Diktatur die Methoden Gandhis zu vermitteln. Legendär sein damaliger Fußmarsch (1960)  über hunderte Kilometer von München an die „Brücke von Andau“, über die viele Ungarn nach dem Zusammenbruch des Aufstandes nach Österreich geflüchtet waren.

Nach dem Mauerbau wollte Zutshi in Berlin diesen Kampf fortsetzen, uns vermitteln: „Der erste Schritt zur Freiheit – Legt Eure Furcht ab und sprecht die Wahrheit.“ 1964 verließ uns der mutige Inder. Von diversen Behördenschikanen und Androhungen bedrängt, ihn  als unerwünschten Ausländer abzuschieben, kehrte Zutshi nach Indien (Benares) zurück, wo sich seine Spur verlor. Berlin hat diesem tapferen und uneigennützigen Ingenieur aus Nehrus Indien bis heute keine Erinnerung gewidmet. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mir blieb der gewaltlose Widerstand gegen bestehendes Unrecht. So forderten mein Freund Dieter Wycisk und ich anlässlich eines Hungerstreiks am zuvor aufgestellten Mahnkreuz für den am 25.12.1963 ermordeten Paul Schulz (Thomaskirche/Mariannenplatz) bereits plakativ die UNO zum Handeln auf: „Wir brauchen die TAT!“

Holzapfel bei seinem Hungerstreik 1963/64 am Mauerkreuz für Paul Schulz an der Thomas-Kirche in Kreuzberg – Quelle: rbb-RETRO

LINK: https://www.ardmediathek.de/video/rbb-retro-berliner-abendschau/gebet-und-mahnwache-fuer-mauertoten/rbb-fernsehen/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvYmVybGluZXItYWJlbmRzY2hhdS8xOTY0LTAxLTA0VDE5OjMwOjAwXzBiMmEzZDcwLTJlNTQtNGNkNS1hODkzLTMzOTcwOWQ5OGU2YS9yZXRyb18xOTY0MDEwNF9nZWJldHVuZG1haG53YWNoZW1hdWVydG90ZQ/

Nach 60 Jahren Widmung der Familie

Für mich ist es Zeit, mich nach sechzig engagierten Jahren der nachdenklichen Rückschau zu widmen und die verbleibenden, vermutlich wenigen Jahre meiner lieben Frau, meiner Familie und den verbliebenen Freunden, von denen viel zu Viele schon diese Erde verlassen haben, zu widmen. Meinen Pflichten für die Vereinigung 17. Juni, der ich seit 1963 angehöre und deren Vorsitzender ich seit 2002 bin, werde ich – wie den bereits begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Initiativen (z.B. für das stiefmütterlich behandelte originäre Denkmal an den 17. Juni 1953 in Berlin-Zehlendorf) – selbstver- ständlich und so gut ich es vermag nachkommen. Schon jetzt bitte ich um Nachsicht, wenn  dies nach sechzig kraftzehrenden Jahren nicht mehr so, wie gewohnt, erfolgt oder erfolgen  kann.

Time to say goodbye
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* CWH wurde als „Mauerdemonstrant“ bekannt.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.683).

Von Tatjana Sterneberg*

Berlin, 12.04.2021/tst – Der Verein „Berliner Unterwelten e.V.“ hat dem einstigen Mauer-Demonstranten und Tunnelbauer Carl-Wolfgang Holzapfel (77) die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Die Ehrung erfolgte mehr oder weniger zufällig zum 77. Geburtstag des Vor-sitzenden der Vereinigung 17. Juni 1953. In der Ehrenurkunde wird die Verleihung mit den „besonderen Verdiensten und außergewöhnlichem Engagement für unseren Verein“ begründet.

Ehrenurkunde des Vereins „Berliner Unterwelten e.V.“

In einer ersten Reaktion zeigte sich Holzapfel „tief bewegt.“ Diese Ehrung sei für ihn zweifellos „wertvoller, als jedes staatliche Kreuz.“ Komme sie doch von einer Gemeinschaft, die sich ebenso um die Aufarbeitung der Berliner Geschichte und hier speziell der spannenden Unterwelten in der Wieder-Hauptstadt verdient gemacht hat. Und dies alles vornehmlich auf ehrenamtlicher Basis.

Holzapfel hatte bereits im Alter von 14 Jahren ein „Deutschland-Papier“ entworfen, in dem er Wege zur Wiedervereinigung des geteilten Landes unter internationaler Beteiligung aufgezeigt hatte. Nach dem Bau der Mauer am 13. August vor sechzig Jahren widmete er sich dem Kampf gegen diese „neuerliche KZ-Mauer“ in Deutschland“. Der junge Mann schwor vor der zugemauerten Versöhnungskirche in der Bernauer Straße „so lange zu kämpfen, bis diese Mauer gefallen sein“ oder er „nicht mehr leben würde.“

Zahlreiche Hungerstreiks gegen das Ulbricht-Honecker-Bauwerk, Demonstrationen für die Freilassung politischer Gefangener, die spontane Errichtung von Kreuzen für ermordete Flüchtlinge und die aktive Beteiligung an einem Fluchttunnel, dem sogen. Weinstein-Tunnel (1963) prägten für Jahrzehnte das Leben des späteren Bankkaufmanns. 1966 wurde er sogar nach seiner Festnahme am Checkpoint Charlie (Oktober 1965) für sein Engagement in Ost-Berlin zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch nach dem Freikauf durch die Bundesregierung (Oktober 1966) führte er unermüdlich seinen gewaltlosen Kampf gegen die Mauer fort. Letztlich demonstrierte er am 28. Jahrestag, dem 13.August 1989, „für die Einheit Berlins und Deutschlands“ am Checkpoint Charlie. Über drei Stunden lag er dort auf dem berühmten weißen Strich, der dort die Trennung markierte, ehe er nach langwierigen Verhandlungen zwischen der amerikanischen und sowjetischen Besatzungsmacht von Beamten der West-Berliner Polizei weggetragen wurde.

Als wenige Monate später die Mauer fiel, bezeichnete sich Holzapfel als „den glücklichsten Menschen.“ Auch nach dem Mauerfall widmete er sich dem Thema. So wirkte er im Rahmen der Währungsunion in Eisenach für die COMMERZBANK. Dort unterbrach er im August 1990 seine Tätigkeit, um in Berlin vor dem noch existierenden „Justizministerium der DDR“ einen unbegrenzten Hungerstreik gegen den Justizminister Prof. Wünsche zu beginnen. Wünsche trat sechs Tage später von seinem Amt zurück. Holzapfel hatte kritisiert, dass der Justizminister einer „frei gewählten Regierung“ dieses Amt bereits unter Ulbricht und Honecker inne gehabt habe.

Seinen letzten Hungerstreik führte der nunmehrige Vorsitzende der „Vereinigung 17. Juni 1953“ im Sommer 2005 vor dem heutigen Bundesministerium für Finanzen durch, vor dem im Juni 1953 tausende Arbeiter für „freie Wahlen“ demonstriert hatten. Nach neun Tagen brach der sichtlich Entkräftete seinen Hungerstreik „gegen die Entfernung der Fototafeln an der Fassade des einstigen „Haus der Ministerien“ ab, die dort an den Volksaufstand vom 17. Juni erinnerten. Seine Forderung, den Platz vor dem Ministerium nach dem Volksaufstand zu benennen, wurde erst 2013 nach langen internen Kämpfen umgesetzt.

* Tatjana Sterneberg ist ehemalige Hoheneckerin und Mitglied im Vorstand der Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. in Berlin. Der Beitrag erschien zuerst unter „Redaktion Hohenecker Bote“.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.631).

Von Tatjana Sterneberg

Berlin, 17.02.2020 – Um 12:15 Uhr klingelte vor der JVA Plötzensee das Mobil-Telefon des einstigen Mauerdemonstranten. Der Anrufer: Ein ehemaliger Teilnehmer vom Arbeiteraufstand 1953 aus Niedersachsen. Er teilte dem überraschten Carl-Wolfgang Holzapfel mit, dass der Anrufer eine erste Rate des auferlegten Ordnungsgeldes an die Landesjustizkasse überwiesen und zu Spenden aufgerufen habe, um den Rest auch zahlen zu können. „Du hast soviel in Jahrzehnten für uns getan, jetzt sind wir daran, einmal dafür DANKE zu sagen,“ erklärte Günther D. aus Wolfenbüttel. Er bat Holzapfel dringend, nunmehr von seiner Absicht abzulassen, das Ordnungsgeld durch Haftantritt auszugleichen. Dieser solle auf seinen Gesundheitszustand Rücksicht nehmen.

Ein Anruf aus Niedersachsen schaffte Klarheit – Foto: T.Sterneberg

Holzapfel, der wie angekündigt, pünktlich vor dem Eingang der Haftanstalt erschienen war, zeigte sich tief bewegt von dieser Mitteilung und erklärte schließlich, trotz „schwerwiegender persönlicher Bedenken“ das Angebot seiner Kameraden zu respektieren, um damit seinerseits seinen „tief empfundenen Dank für diesen unerwarteten Akt der Solidarität“ auszudrücken. Ihm sei diese Form des Dankes in den Jahrzehnten seiner Aktivitäten gegen das Unrechtsregime und die Berliner Mauer „erstmals begegnet,“ er werde dies sicherlich „nie vergessen.“ Holzapfel schränkte allerdings ein, dass dies für die letzten Jahrzehnte gelte. Am Beginn seines Gewaltlosen Widerstandes (im Alter von 18 Jahren) habe er auf eine ermutigende Unterstützung bauen können. So habe eine Familie im Haus der ersten Mauerausstellung („Die Freiheit darf hier nicht enden“), als er dort ohne Entgelt arbeitete und sozusagen „von der Hand in den Mund lebte“, für ihn ab und an ein warmes Essen gekocht. Nach seiner Verhaftung durch DDR-Grenzorgane habe die CDU seine Miete bezahlt und zuvor auch viele Jahre kostenlos einen Rechtsanwalt gestellt, um Holzapfel vor Rechtsfolgen  für seinen Widerstand zu schützen. Auch habe ein deutsch-ukrainisches Ehepaar, Maria und Wenzel Reiter, beide in Kiew geboren,  dem jungen Aktivisten nach einem Tunnelbau in der Bernauer Straße kostenlos ein Zimmer zur Verfügung gestellt. Dies alles sei für ihn unvergessen und „stärkende Basis“ für seinen Gewaltlosen Kampf gewesen.

Gegen 12:35 Uhr beendete der einstige Mauerdemonstrant seinen Aufenthalt vor der JVA Plötzensee und kehrte mit seiner ob dieser Wende glücklichen Frau nach Hause zurück. Holzapfel hatte, wie berichtet, infolge eines 2018 verbreiteten kritischen Artikels über die Witwe Rainer Hildebrandts, die heute das von diesem gegründete Mauermuseum am Checkpoint Charlie leitet, auf Antrag von Alexandra Hildebrandt 2019 eine Ordnungsstrafe in Höhe von 1.000 € erhalten, obwohl der Museumschefin andererseits zwei Drittel der angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten in dem Unterlassungsverfahren auferlegt worden waren.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607937 (1.512).

Von Tatjana Sterneberg

Berlin/Hoheneck, 07.11.2019/ts – Heute, vor 46 Jahren, klingelt es an meiner Haustür. „Aufmachen, Polizei!“ Ahnungslos öffnete ich die Tür. Ich hatte ja nichts verbrochen. Drei Männer in Zivil drängten mich in die Wohnung. Und während zwei der Männer begannen, ungefragt die Wohnung zu inspizieren, eröffnete mir der Dritte im Bunde: „Staatssicherheit. Kommen Sie mit zur Klärung eines Sachverhaltes!“

„Natürlich,“ schoss es mir durch den Kopf, „mein Ausreiseantrag und die Pläne einer möglichen Flucht.“ Plötzlich überfiel mich eine unkontrollierte Aufregung, eine nicht gekannte Angst vor etwas bislang Unbekanntem. Und während ich in einem Fahrzeug platziert wurde, gingen meine Gedanken zurück an den Ursprung dieses plötzliche Eingriffs in meine bisherige Unversehrtheit.

Nach meiner Ausbildung zur Restaurantfachfrau war ich gebeten worden, in das neu eröffnete Hotel „Stadt Berlin“ am Alexanderplatz (heute „ParkInn“) meine Berufslaufbahn fortzusetzen. Im ersten Stock befand (und befindet) sich die Zille-Stube, ein gemütliches Restauration in diesem riesigen „Turmhotel“.

Ein quietschroter Käfer und eine Rose

Schon bald tauchte dort Antonio auf. Er war Italiener und hatte es sich zur (nebenberuflichen) Aufgabe gemacht, Freunde und Gäste hin und wieder nach Ost-Berlin zu führen, um ihnen u.a. auch die dortige Restauration vorzuführen. Er sprach, wie ich später erfuhr, fünf Sprachen, was ihm diese Aufgabe wie auch seine Stellung im Hotel Kempinski als Chef de Rang in West-Berlin erheblich erleichterte.

Er muss wohl bei seinen Besuchen „einen Blick“ auf mich geworfen haben. Jedenfalls erschien er eines Tages (1972) mit seinem quietschroten Käfer vor dem Hotel, galant eine Rose in der Hand und fragte mich schlicht und ergreifend, ob er mich zu einem Glas Wein einladen dürfe?

Heute kämpft Tatjana Sterneberg an der Seite Ihres Mannes C.W.Holzapfel für die Rechte Verfolgter der DDR-Diktatur – Foto: LyrAg

Es entwickelte sich schnell eine gegenseitige Zuneigung, die schließlich in Liebe erblühte. Eine Liebe zwischen Ost und West war ja nicht einfach. Denn dazwischen stand die Mauer. Wollte Antonio länger bleiben, so musste er fristgerecht bis 24:00 Uhr den Checkpoint Charlie in Richtung Westen passieren. Dort fuhr er eine entsprechende Kehre, um nach 00:00 Uhr mit dem angemessenen Abstand wieder in die Hauptstadt der DDR mittels eines erneuten Tagesvisums wieder einzureisen.

Nach dem Heiratsantrag: Antonio wollte nicht im Osten leben

Was kommen musste, kam auch bei uns. Antonio machte mir schließlich einen Heiratsantrag. Ich war glücklich, als wäre ich schon seine Frau. Über die Umsetzungsmöglichkeiten machten wir uns erst danach Gedanken. Antonio wollte auf keinen Fall in Ost-Berlin leben. Sich freiwillig einsperren zu lassen war für den Weitgereisten und –Gebildeten (USA, Frankreich, Schweiz, Deutschland und natürlich Italien) keine Alternative. Aber was tun?

In diesen Tagen der Suche nach einer Problem-Lösung kam mir meine Tätigkeit im Hotel zu Hilfe. Ich betreute eine Hochzeitsfeier und fragte den Bräutigam diskret, wo das Paar denn in Zukunft leben wolle? Denn seine Geehelichte war zwar eine Ostberlinerin, er kam aber aus Dänemark. Natürlich würden sie dort leben, erklärte mir der glückliche Däne. Ich war perplex: „Wie geht denn das?“ „Ganz einfach,“ sagte der Däne, „meine Frau hat einen Ausreiseantrag gestellt.“

Überglücklich erzählte ich am Abend Antonio von dieser Feier. Gesagt getan. Ich schrieb einen Ausreiseantrag, formlos, auf einem normalen Briefbogen. Und als die Antwort auf sich warten ließ, hakte ich nach, fragte nach dem Stand. Das führte zu einer Vorladung ins Rote Rathaus, in dem heute der Berliner Senat seinen Sitz hat. Naiv und gutgläubig wie ich war, nahm ich meinen Antonio mit zu diesem Gespräch. War er doch der lebende Beweis für meine guten und harmlosen, sprich unpolitischen Absichten.

Eine Ausreise kommt nicht infrage

Schnell wurde uns im schönsten Partei-Sprech klar gemacht, eine Ausreise komme gar nicht infrage. Alle Argumente halfen nichts, mein artikuliertes Vorpreschen war vielleicht sogar undienlich. So hielt ich dem Gegenüber im Rathaus vor, man könne doch nicht „Eintrittsgeld“ für den Besuch in Ost-Berlin kassieren, und wenn sich dann Mensche ineinander verlieben, dürfen diese nicht zueinander kommen. „Was ist das denn?“

Die Folge dieser unerquicklichen Begegnung: Der Besuch von uns wurde an die Staatssicherheit gemeldet, die daraufhin einen „Operativen Vorgang (OV)“ unter dem Namen „Zille“ anlegte und 12 Informelle Mitarbeiter (IM) unter dem Kennwort „Hänsel und Gretel“ auf uns ansetzte. Das allerdings erfuhr ich erst rund 20 Jahre später aus der Einsicht in meine Stasi-Akten.

Nichtsahnend über diese eingeleitete „Staatsschutztätigkeit“ begann Antonio, fürsorgerisch nach anderen Lösungen zu suchen. Natürlich gehörte dazu auch die Kontaktaufnahme zu Fluchthelfern. Mehrere Möglichkeiten wurden erörtert, mehrere wieder verworfen. Schließlich zeichnete sich ein Versuch über den Checkpoint Charlie unter Hilfestellung einer diplomatischen Vertretung ab.

Menschlichkeit: Antonio wurde bei der Einreise gewarnt

Der Termin war noch nicht vereinbart, als die Abgesandten der Staatssicherheit vor meiner Wohnung standen, um mich in das Polizeipräsidium in der Keibelstraße zu verschleppen. Erst am Morgen des nächsten Tages, kurz vor dem Ende der ersten nächtlichen und stundenlangen Vernehmungsrunde eröffnete mir einer der Vernehmer: „Übrigens, Ihren Antonio haben wir auch!“ Mir fuhr ein Schreck in die Glieder. Was hatte der arme Kerl mit den Teilungs-Strapazen deutscher Befindlichkeiten zu tun?

Was ich an diesem grauen 8. November noch nicht wusste und erst später, nach der Maueröffnung erfuhr: Ein Mensch unter den Unmenschen hatte Antonio bei seiner Einreise in die DDR gewarnt: „Reisen Sie heute lieber nicht ein.“ Antonio hatte diesen Hinweis in übliches Abwehr-Blabla der Kontrollorgane eingeordnet und war dann verhaftet worden.

Gut war, dass mein Stasi-„Informant“ zwar von der Verhaftung, aber wohl nichts davon wusste, dass es an der Grenze auch Menschen gab, die versuchten, sich dem Unrechtssystem auf ihre eigene Art zu entziehen. Damals wusste auch ich nichts davon. Damals, am 7. November 1973, mussten Antonio und ich den langen Weg in die DDR-Haft antreten: Er nach Rummelsburg und ich in das größte Frauenzuchthaus Hoheneck.

Nach unserer Haft haben wir geheiratet, bekamen unsren Sohn Sandro. Aber Antonio überlebte die erlittenen Strapazen nicht. Er starb 2006 an den Folgen. Und ich? Ich trage die Erinnerungen an einen wunderbaren Menschen in mir und die Schmerzen der Erinnerung an einen Abend des 7. November, als drei Leute in meine Wohnung kamen, um ein weiteres Mal Schicksale zu zerstören.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.497).

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