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Berlin, 12.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der heutigen Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Vom 29. Juli bis zum 12. August habe ich an dieser Stelle Stationen auf desem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer geschildert. (Schluss -Teil 14 siehe 11.08.2019).
Am morgigen 13. August wiederholt sich zum 30. Mal der Tag, an dem ich als „Lebendige Brücke“ zwischen Ost und West am Checkpoint Charlie über dem dortigen Grenzstrich gelegen habe. Es war der 28. Jahrestag der Erbauung des „Antifaschistischen Schutzwalls“, den die DDR in den vergangenen Jahren jeweils propagandistisch pompös als „Akt des Friedens“ beging.
Mit einer Deutschlandfahne bedeckt hatte ich mich so über die „weiße Linie“ gelegt, daß mein Oberkörper mit Kopf und Herz im Osten (Sowjetisch besetzter Sektor), mein Unterkörper mit den Beinen und Füßen im Westen (Amerikanisch besetzter Sektor) lagen. Eine weiße Binde lief so über meinen Körper, daß die trennende weiße Linie optisch auch diesen teilte. Jeder Mensch konnte sich aber davon überzeugen, dass mein Körper trotz dieser scheinbar über ihn gezogenen Linie ein Ganzes blieb, so wie Berlin und Deutschland trotz willkürlicher Grenzziehung ein Ganzes waren. Kopf und Herz im Osten sollten symbolisieren, die Menschen, die ihre Heimat verlassen, um sich frei bewegen zu können, ließen natürlich nicht ihre Liebe zu ihrer Herkunft, ihrer Heimat zurück. Sie blieben dort verwurzelt. Beine und Füße sollten das Recht symbolisieren, sich jederzeit nach eigenem Willen frei an jeden Ort dieser Welt, zumal im eigenen Land, bewegen zu können.
Den 30. Jahrestag des Mauerbaus erlebt Ihr nicht mehr
Mit dieser Demonstration wollte ich den vielen Menschen in der DDR, die begonnen hatten, ihre Furcht abzulegen und mutig ihre Forderungen nach einem freien Staat zu artikulieren, Mut machen. Oder schlicht und einfach Solidarität zwischen Deutschland und Deutschland bekunden. Dazu gehörte auch die den jungen Grenzern zugerufene Frage: „Was strengt Ihr Euch so an? Den 30. Jahrestag erlebt ihr doch sowieso nicht mehr.“ Erst knappe vier Monate später erfuhr ich am Checkpoint Charlie von zwei jungen Studenten aus Ost-Berlin, meine Demonstration habe unter den Kommilitonen positive Diskussionen ausgelöst. Meine Demo war also auch, was ich damals nur hoffen konnte, in Ost-Berlin angekommen.
Wenn ich heute diese Demonstration symbolisch wiederhole, dann möchte ich meine Aktions-Laufbahn nach fast 60 Jahren mit einem Appell beenden:
„WIR“ statt „IHR“.
30 Jahre nach der erkämpften glücklichen Öffnung der Mauer haben wir uns in bedrohlicher Weise von dem jahrzehntelangen Bekenntnis des WIR verabschiedet, droht der Aufbruch von 1989 und 1990, der uns in einen beispiellosen Glückstaumel versetzt hatte, in einem aberwitzigen, wie dekonstruktiven IHR zu ersticken. „IHR im Osten, IHR im Westen!“ Dabei haben wir die Teilung unseres Landes nur im manchmal zwar schwächelnden, weil zweifelnden, aber immerhin im WIR überwunden. Dies war ein Glaubens- und Überzeugungsgrundsatz, der uns über alle zweifellos entstanden Unterschiede hinweg den unveräußerlichen Willen erhalten hat, als „Brüder und Schwestern“ einer Nation zusammenzugehören und wieder in e i n e m Land leben zu wollen.
Einer neuen Spaltung entgegen treten
Die Politiker geben sich wieder vorschnell eigensüchtigen Machtspielen um eigener Vorteile willen hin, statt ihrer vornehmsten Aufgabe nachzukommen, den inneren Frieden im Lande vor allen anderen parteiorientierten Zielen zu sichern. Dem aktuellen Trend der neuen Spaltungstendenzen entgegen zu treten braucht freilich Mut und Zivilcourage. Es braucht dazu die Aufbruchstimmung aus den Jahren 1989 und 1990 und die Abkehr von gewohnten Mustern der unbedingten und rücksichtslosen Machterhaltung. Nicht die Partei wird die Zukunft gewinnen, die schneller Vorteile wegen alte Vorurteile belebt und Ost gegen West und West gegen Ost ausspielt. Die Politiker und die Partei(en) werden in der Zukunft eine Rolle spielen, die sich deutlich vom aufkommenden Trend einer neuen Spaltung nicht nur distanzieren, sondern dieser erneuten Spaltungsgefahr mit einem mutigen Appell an das WIR tatsächlich entsprechen und handelnd begegnen.

Gespräche niemals ausschlagen: Begegnung am Checkpoint Charlie im April 2005 mit Günter Schabowski –
Archiv
Der von mir aufgegriffene Gewaltlose Kampf für die Menschenrechte, gegen erneutes Unrecht in Deutschland wäre niemals so geradlinig durchführbar gewesen, wenn ich diesen isoliert, also nur auf die Mauer oder den Unrechtsstaat DDR fokussiert hätte. Vielmehr war mir sehr schnell bewusst, daß ein langfristiger Erfolg nur in der Einbettung in einem breiten sozialen und politischen Engagement erfolgen konnte.
Politisch-soziales Engagement breit aufgestellt
So habe ich mich in meinem Leben sowohl als Betriebsratsvorsitzender in einer Bank, wie als Elternbeiratsvorsitzender einer Schule oder in einem Kirchenvorstand engagiert. Das Eintreten für ein würdiges Gedenken in der Gedenkstätte des ehem. Konzentrationslagers Dachau gehörte ebenso dazu, wie das Ordern von dutzenden Exemplaren des „Tagebuch der Anne Frank“, um diese an Schulen zu verteilen. Der vor 40 Jahren eingebrachte Lösungsvorschlag an die damalige Bundestagsfraktion der SPD für eine gesellschaftlich vertretbare Gestaltung der Mieten, die an einen bundesweiten Mietspiegel und an 30 Prozent eines verfügbaren Einkommens gekoppelt werden sollte, gehörte ebenso dazu wie die bereits 1969 gestalteten und über die Vereinigung 17. Juni vorgestellten zwei Vorschläge für ein Einheitsdenkmal in Berlin. Auch die Beteiligung an Neugründungen politischer Parteien gehörte zu meinem sozialpolitischen Engagement. Für die auf dem Stuttgarter Killesberg gegründete „Aktionsgemeinschaft 4.Partei“, eine Antwort auf die betonierte Besetzung des Bundestages durch drei Parteien, war ich sogar als Kandidat aufgestellt worden.
Nur in diesem breiten Engagement konnte aus meiner Sicht der Gewaltlose Widerstand gegen „Mauer und Stacheldraht“, für die Menschen in der DDR, glaubwürdig eingebettet werden, ohne den für die Sache tödlichen Anschein des Sektierertums zu verbreiten. Mahatma Gandhi wäre nach meiner Überzeugung in seinem Freiheitskampf gescheitert, wenn er sich allein auf seine Hungerstreiks und demonstrativen Märsche konzentriert hätte. Er hat diesen Kampf eingebettet in überzeugte soziale Vorstellungen für sein Land, für seine Bevölkerung. In diesem Sinn gibt auch die Flagge Indiens diesen Sinngehalt wieder. S.Radhakrishnan (1888–1975), der spätere zweite Präsident Indiens, interpretierte Indiens Flagge so:
„Bhagwa oder Safran steht für Entsagung und Distanziertheit. Unsere Führer müssen materiellem Gewinn gleichgültig gegenüberstehen und sich ihrer Aufgabe hingeben. Das Weiß im Zentrum ist das Licht, der Weg der Wahrheit, der unser Verhalten leiten soll. Das Grün zeigt unsere Beziehung zur Erde, unsere Beziehung zum Leben der Pflanzen, von dem alles weitere Leben abhängig ist. Das Ashoka-Rad im Zentrum des Weiß ist das Rad des Gesetzes des Dharma. Wahrheit oder Satya, Dharma oder Tugendhaftigkeit sollen die Prinzipien jener sein, die unter dieser Flagge arbeiten. Das Rad steht auch für Bewegung. In der Stagnation liegt der Tod. In der Bewegung ist Leben. Indien sollte Veränderungen nicht mehr widerstehen, es muss sich bewegen und vorwärts gehen. Das Rad repräsentiert die Dynamik friedlicher Veränderungen.“
Handeln im WIR müßt jetzt Ihr
In diesem Sinn beende ich (75) meine fast sechzigjährige Aktions-Laufbahn und gebe in tiefer Überzeugung heute das WIR an Euch weiter, die Ihr die Zukunft unseres Landes, unseres Europas gestalten müsst. Wir Älteren können nur unsere Erfahrungen vermitteln. Handeln im WIR müsst jetzt Ihr!
-Schluss-
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.459).
Berlin, 07.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (10 -Teil 9 siehe 06.08.2019).

Bei der späteren Demonstration für die Freilassung des Wehrdienstverweigerers Nico Hübner am Grenzübergang „Heinrich-Heine-Straße“ im Sommer 1978 konnte Holzapfel sogar ungehindert den Grenzbereich betreten. Er wurde erst nach zwei Stunden abgewiesen. Foto: Archiv cwh
Vierzehntausend politische Gefangene wurden seinerzeit von den zuständigen Gremien der (alten) Bundesrepublik 1965 in der DDR registriert. Eine gewaltige Größenordnung, die man bei allem Mitleid und Mitgefühl in diesem Umfang nicht wirklich vermitteln konnte. Diese Zahl war zu groß, zu anonym, um wirkliche Reaktionen auslösen zu können. Daher war es unbedingt wichtig, ein Einzelschicksal beispielhaft herauszugreifen oder voranzustellen, um das eigentlich Unfassbare begreifbar zu machen.
Den Irrsinn der politischen Verfolgung begreifbar machen
Mit Harry Seidel war so ein Beispiel gegeben. Das Schicksal eines einst gefeierter DDR-Straßenmeisters im Radsport, der sich nach dem Mauerbau ideell der Fluchthilfe verschrieben hatte, dessen Frau aufgrund seiner Verhaftung und Verurteilung zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe (!) nun ohne Ehemann leben, dessen kleiner Sohn nun ohne Vater aufwachsen mußte, war vermittelbar, weil begreifbar. Hier konnte das Schicksal tausender politischer Gefangener personalisiert werden. Mit dem weltberühmt gewordenen „Tagebuch der Anne Frank“ konnte zum Beispiel der Irrsinn des nationalsozialistischen Terrors begreifbar und zugänglich gemacht werden. Ohne dieses und andere Einzelbeispiele wäre die unbegreifliche Zahl von sechs Millionen ermordeter Menschen bei bestem Willen nicht zu fassen gewesen. Darum ist die Heraushebung eines – möglichst markanten – Schicksals auch in einer derartigen Auseinandersetzung so unendlich wichtig.
Für den 17. Juni 1965, damals noch arbeitsfreier gesetzlicher Feiertag, hatte ich am selben Grenzübergang in der Heinrich-Heine-Straße für die Mittagsstunden die Fortsetzung der Demonstration für Harry Seidel und 14.000 seiner Leidensgenossen geplant. Der 17. Juni als nationaler Feiertag, an dem des Aufstandes von 1953 für die FREIHEIT gedacht wurde, erschien mir besonders für eine solche Demonstration geeignet. Diesmal wollte ich laut Ankündigung eine Stunde lang versuchen, mit meinem Schild nach Ost-Berlin zu gelangen, um dort meine Forderungen vorzutragen.

1965 scheiterte ein geplanter Hungerstreik vor dem Amerika-Haus
an der Weigerung der BVG, die Plakate auf den U-Bahnhöfen auszuhängen – Archiv: C.W. Holzapfel
Wieder wurde ich von einem „offizialem Aufgebot“, diesmal angeführt von einem Oberst der DDR-Grenztruppen, erwartet. Diesmal gelangte ich wenigstens bis zum Mauerdurchlass für Grenzgänger, nachdem ich am 14.11.1964 bereits kurz nach dem Überschreiten der Sektorengrenze abgewiesen worden war. Der Oberst forderte mich auf, die „Provokation“ unverzüglich zu beenden, da ich ansonsten mit meiner Festnahme rechnen müsste.
Der Grenzübergang wurde geschlossen
„Was denken Sie, warum ich mit meiner Forderung hier stehe? Wenn Sie nicht so brachial mit Ihren Drohungen gegen Andersdenkende vorgehen würden, gäbe es keine politischen Gefangenen bei Ihnen. Ergo brauchte ich nicht für deren Freilassungen zu demonstrieren,“ erklärte ich. „Tun Sie also, was Sie offenbar nicht lassen können.“
Nach einigem weiteren Geplänkel kam der Oberst auf eine ihm wahrscheinlich genial dünkende Idee: „Heute besuchen viele Menschen die Hauptstadt der DDR, um Freude und Verwandte zu besuchen. Sie wollen dies doch sicher unterstützen,“ wandte sich der Oberst an mich.
„Natürlich freue ich mich über jede dieser Gelegenheiten, die ohnehin eigentlich selbstverständlich sein sollten, ohne Passierscheine und ohne Mauer.“
„Dann nehmen Sie folgendes zur Kenntnis: Wenn Sie nicht augenblicklich Ihre Provokation beenden, werden wir den Grenzübergang komplett sperren. Dann kann heute keiner mehr zu diesen Besuche einreisen.“

Den Stacheldraht beseitigen, wie hier am Gleimtunnel 1963 – das WIR in den Vordergrund stellen. – Foto: LyrAg
„Wenn ich hier stehe, um für die Freilassung der politischen Gefangenen zu demonstrieren und dabei riskiere, wie Sie selbst permanent androhen, ebenfalls festgenommen zu werden, dann kann ich erwarten, dass ein vorgesehener Besuch an einem anderen Tag erfolgt. Denn ich stehe mit meiner Forderung auch für diese Menschen hier.“
Tatsächlich wurde der Grenzübergang für den Besucherverkehr geschlossen. Meine Befürchtung, in der Folge von abgewiesenen Besuchern beschimpft zu werden, liefen allerdings ins Leere. Es kam zu keinerlei Vorwürfen oder lauten Äußerungen negativer Art. Ich konnte beobachten, wie abgewiesene Besucher ohne „laut zu werden“ wieder nach West-Berlin umkehrten.
Pünktlich um 13:00 Uhr wandte ich mich an die kleine Gruppe von Offizieren, die unmittelbar am Mauerdurchlass bei mir stehen geblieben waren: „Ich bedauere, das Sie mich mit meiner Demonstration nicht nach Ost-Berlin gelassen haben und breche daher, wie angekündigt, für heute meine Demonstration ab. Sie dürfen davon ausgehen, dass ich diese Demonstrationen für die Freilassung politischer Gefangener fortführen werde und mich nächstes Mal über einen längeren Zeitraum hinaus um eine Demonstration in Ost-Berlin für dieses Anliegen bemühen werde.“
Ohne weitere Behinderungen konnte ich umkehren und das Grenzgebiet in Richtung West-Berlin verlassen. Mein Schild mit der Forderung: „Freiheit für Harry Seidel und 14.000 politische Gefangene in der SbZ“ hatte ich dabei. Die DDR-Grenzer hatten erstaunlicherweise keinen Versuch unternommen, mir dieses Schild abzunehmen.
-Wird fortgesetzt-
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.453)
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