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Berlin/Stollberg/Hoheneck, 29.03.2019/cw – Die Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung, Anna Kaminsky, hat sich in einem Brief an den Oberbürgermeister Marcel Schmidt der Stadt Stollberg gewandt. In dem Schreiben, das bereits Anfang März versandt und erst jetzt der Redaktion vorliegt, fordert Kaminsky den OB auf, „die offenbar geplante Benennung des einstigen Geländes vom Frauenzuchthaus Hoheneck in „Areal Staleburgk“ zu überdenken.

Die Stiftung Aufarbeitung habe zu diesem Thema „viele aufgeregte Anrufe und Mails erreicht.“ Kaminsky bittet den Oberbürgermeister „sehr herzlich, diese Entscheidung im Lichte der historischen Prägung dieses Ortes zu überdenken.“ Hoheneck stehe als Synonym und Symbol für politische Verfolgung von Frauen in der kommunistischen Diktatur im 20. Jahrhundert: „Dieser Ort ist vor allem durch diese Verfolgungs-, Repressions- und Unrechtsgeschichte geprägt.“

Auch vom Bürgergarten aus gut zu sehen: Das einstige Frauenzucht-haus Hoheneck (rechts) – Foto: LyrAg/RH


Kaminsky gibt zu bedenken, dass eine Benennung des Areals in der geplanten Art und Weise – auch wenn das einstige Zuchthausgelände heute vielfältig genutzt wird – den fatalen Eindruck erwecken könne, „dass die schreckliche Geschichte mit Haft und Verfolgung von Frauen aus politischen Gründen verwischt und unkenntlich gemacht werden soll.“ Dies würde aus Sicht der Stiftung Aufarbeitung das Projekt der Einrichtung einer würdigen Gedenkstätte auf eine Art belasten und überschatten, die der OB sicher nicht intendiert.

Bereits vor einem Jahr hatte die ehem. Hoheneckerin Tatjana Sterneberg in einem Brief an den OB eine andere Benennung angemahnt: „Begegnungs- und Gedenkstätte (kurz: BuG) Hoheneck“. Marcel Schmidt hatte in seiner Antwort eine Überdenkung der beabsichtigten Namensfindung zugesagt.

In ersten Reaktionen diverser Frauen ggüb. unserer Redaktion zum Kaminsky-Brief zeigen sich diese dankbar für diese „wichtige Unterstützung“ vorgetragener Bedenken durch eine Institution in Berlin. Die Absichten der Stadt Stollberg bezüglich der Gedenkstätte waren besonders in den letzten Tagen zusätzlich ins Gerede gekommen, nachdem der mdr in seiner Sendung SACHSENSPIEGEL verbreitet hatte, dass sich Stollberg für eine Schließung der Gedenkstätte einsetze. Diese befindet sich allerdings im Gegensatz zu anderen Projekten in der ehemaligen DDR-Strafanstalt noch in der Planungsphase. Auch hat die Beauftragte der Stadt für die Gedenkstätte der Darstellung des Senders inzwischen scharf widersprochen und ein Gespräch mit diesem angekündigt.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607953 (1.390).

Berlin, 09.02.2019/cw – Kaum zu glauben, aber wahr: Die einschlägig bekannte Amadeu Antonio Stiftung (Novalisstraße 12, 10115 Berlin) lädt inoffiziell, weil nicht durch öffentliche Werbung, zu einer „Fachtagung“: Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung am 14. Februar ein. Unterstützt wird diese „Provokation der DDR- und Stasi-Opfer im Vorfeld des 30. Jahrstages 9.November 1989“ (so die Vereinigung 17. Juni in Berlin in einem Statement) von der Landeszentrale für politische Bildung in Berlin mit 5.000 Euro.

Empörung in der Opfer-Szene

Die bekannt gewordene Veranstaltung löste in den Vereinen und Verbänden der Opferszene von der VOS (Vereinigung der Opfer des Stalinismus) bis zur Vereinigung 17. Juni heftige, bei einzelnen Betroffenen auch aggressive Reaktionen aus. Dies weniger wegen der Veranstaltung an sich als durch den von der linksradikalen Stiftung verbreiteten Text zur gen. Veranstaltung. In bekannter DDR-Diktion werden anerkannte Widerständler gegen das DDR-Regime, wie der bekannte ehemalige Cottbuser Häftling Siegmar Faust (u.a. „Ich will hier raus!“) in die neo-nazistische Ecke gestellt. Der langjährige Vorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte Hohenschönhausen und langjährige Redakteur des MDR, Dr. Jörg Kürschner, „publiziert, wie andere Akteure der Szene in Rechtsaußenblättern wie der JUNGEN FREIHEIT.“ Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL wird dabei geschickt zitiert. Dieses habe bereits Anfang 2018 darauf hingewiesen, „dass eine Reihe vormaliger DDR-Bürgerrechtler politisch weit nach rechts abgedriftet ist.“
Die eher nachdenkliche Einlassung des einstigen Vorsitzenden der UOKG, Gerhard Finn, wonach in der DDR „aus der Rassenfrage die Klassenfrage, aus der Frage nach dem arische Großvater die Frage nach dem proletarische Vater“ wurde, wird als Beweis angeblichen neonazistischen Gedankenguts unter führenden Funktionären der Aufarbeitung angeführt.

Soll der DDR-Jargon über Gegner wieder belebt werden?

Geschichtsbewusste Bürger können sich noch gut daran erinnern, dass in der kommunistischen DDR Gegner des Diktatur-Systems grundsätzlich als „Neo-Nazis“ und „Neo-Faschisten“ diffamiert wurden. Selbst die (alte) Bundesrepublik wurde stereotyp in der Propaganda des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates“ als „faschistisch“ und „von Alt- und Neo-Nazis“ geführte Republik dargestellt. Auf diesen Umstand wies am vergangenen Mittwoch auf einem Treffen mit Vertretern der Verfolgtenverbände und Aufarbeitungsinitiativen im Abgeordnetenhaus von Berlin der Sprecher der Vereinigung 17. Juni hin: „Soll jetzt im Gefolge der jüngsten Attacken in Hohenschönhausen zum Halali auf die Aufarbeitungsszene geblasen werden?“ fragte der einstige Mauerkämpfer. Die Amadeu-Stiftung habe selbst in ihrer Einladung die Verbindung zu Hohenschönhausen hergestellt, indem sie den verdienten Direktor der Gedenkstätte Hubertus Knabe auch eine „Scharnierfunktion zu den rechten Rändern der Aufarbeitung“ unterstellte. Knabe „scheute nicht davor zurück, Nationalsozialismus und SED-Sozialismus als zwei sozialistische Seiten einer totalitären Medaille zu betrachten und beide Regimes zu analogisieren – eine am rechten Rand typische Grenzüberschreitung.“
Dass Knabe mit dieser Einschätzung nichts anderes tat, als eine Jahrzehnte lang in der (alten) Bundesrepublik getragene Überzeugung zu bestätigen, die wohl auch Teil der (damaligen) Staatsräson war, wird genauso unterschlagen, wie die Tatsache, dass einst der von der SPD bzw. Willy Brandt geführte Senat von Berlin schon 1964 diese Gleichstellung öffentlich plakatieren ließ: „Wie sich die Bilder gleichen“ – Ein braunes Hakenkreuz wurde plakativ dem DDR-Wappen gegenübergestellt.

Um Sachlichkeit bemühte Kritiker werfen dann auch der linken Stiftung nicht eine kritische Beleuchtung der DDR-Aufarbeitungsszene vor, vielmehr sei die offensichtliche und von der DDR gewohnte linksextreme Einseitigkeit nachhaltig zu kritisieren, die stets auf dem linken Auge blind und um so mehr „wachsam“ auf dem rechten Auge sei. So werde zwar erwähnt, dass ein UOKG-Vorsitzender wegen antisemitischer Äußerungen 2015 „abtreten“ mußte, aber unterschlagen, dass dieser „Abtritt“ infolge erbitterten Widerstandes durch einstige DDR-Kritiker erfolgte bzw. von diesen erstritten wurde.

Auf der erwähnten Veranstaltung im Abgeordnetenhaus kritisierte auch Hugo Diederich von der VOS die Tatsache, dass die Landeszentrale für politische Bildung eine Veranstaltung fördere, die durch eine ehemalige Informelle Mitarbeiterin (IM) der Stasi maßgeblich initiiert worden sei.

Untersuchungsausschuß notwendiger den je

Die Vereinigung 17. Juni hatte zuvor an die anwesenden Abgeordneten (CDU, SPD, FDP, GRÜNE und LINKE – die AfD war nicht vertreten) appelliert, dem Antrag der FDP-Fraktion auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zuzustimmen: „Durch die nun bekannt gewordenen Veranstaltung der Amadeu-Stiftung und deren Verknüpfung zu den Vorgängen in Hohenschönhausen werde die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusse geradezu unterstrichen.“ Wenn die LINKE mit Senator Lederers Dementi einer „angeblichen Verschwörung“, die zur Ablösung Knabes geführt habe, recht habe, könne sie nichts anderes tun, als „diesen Antrag für einen Untersuchungsausschuss aktiv zu unterstützen. Dort könne DIE LINKE ihre Unschuld und Nichtbeteiligung an den Vorgängen in Hohenschönhausen unter Beweis stellen.“
Die VOS kritisierte speziell die CDU, die offensichtlich Schwierigkeiten habe, sich diesen Attacken „von links“ entgegen zu stellen (Hugo Diederich).

Teilnahmeliste weist prominente Politiker aus

Auf erstaunlich wenig Kritik stieß die Teilnahme prominenter Politiker an der Veranstaltung der Stiftung. So betonte Markus Meckel (SPD) in einem Statement, er habe einer Anfrage „sofort zugestimmt“, weil er dieses Thema für wichtig halte. Und Anna Kaminsky von der Stiftung Aufarbeitung erklärte, sie sei zwar empört über den Terminus der Einladung gewesen, aber „sehr glücklich über die Tatsache, dass Stefan Hilsberg (SPD), Markus Meckel und Dieter Dombrowski (CDU) von der UOKG auf der Fachtagung vertreten sind.“
Ob die gen. Politiker ihre Stimme für die Verfolgten der Zweiten deutschen Diktatur erheben werden, wird mit Spannung erwartet. Besonders die ideologisch besetzte Gleichsetzung eines „nationalen Engagements“, zum Beispiel am 17. Juni 1953 oder auch 1989 („Wir sind ein Volk“) mit den nationalsozialistischen Verbrechen sei „widerlich und durch nichts gerechtfertigt,“ so ein einstiger Verfolgter.
Inzwischen liegen der Redaktion Informationen vor, dass einstige Opfer der DDR-Diktatur am 14. Februar eine Protestdemo vor dem Sitz der Amadeu-Stiftung planen. Die Amadeu-Stiftung hingegen hat offensichtlich zahlreiche Anmeldungen aus Kreisen der Opfer-Szene bis zum Redaktionsschluss nicht bestätigt.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 0176-48061953 (1.377).

Berlin, 14.07.2015/cw – Nur wenige Plätze am Rande waren noch frei. Wieder einmal hatte die Bundesstiftung Aufarbeitung das richtige Gespür gehabt und ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das offenbar auf großes Interesse stieß: Das Gesundheitswesen in der DDR.

Aufmerksamkeit für kritische Frage  aus dem Publikum: Das Podium (Mi. Bergmann-Pohl) - Foto: LyrAg

Aufmerksamkeit für kritische Fragen aus dem Publikum: Das Podium (Mi. Bergmann-Pohl) – Foto: LyrAg

In einem einführenden Vortrag stellte Dr. Rainer Erices vom Institut für Ethik der Medizin aus Erlangen komprimiert und gut nachvollziehbar die wunden Stellen in der „sozialistischen Medizin“ der DDR vor. Das Manko habe nicht in einer mangelnden Ausbildung oder Motivation gelegen, das Manko sei die Rückständigkeit in der technischen und pharmazeutischen Versorgung gewesen. Standards, die im Westen längst eingeführt waren, konnten so nicht in die medizinische Versorgung eingeführt werden, Patienten wurden dadurch häufig unzureichend versorgt oder erhielten nicht die Medikamente, die für eine Behandlung unablässig gewesen wären.

In der anschließenden Podiumsdiskussion kamen dann unter der Moderation der Wissenschaftsjournalistin Lilo Berg einstige DDR-Mediziner zu Wort: Dr. med. Sabine Bergmann-Pohl, Ärztin und einstige Präsidentin der Volkskammer und kurzeitiges Staatsoberhaupt der DDR nach der ersten freien Wahl, Bundesministerin a. D. und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft e. V. , die neben der Stiftung Aufarbeitung die Veranstaltung organisierte; Prof. Dr. med. Jürgen Kleditzsch, Arzt und 1990 Minister für Gesundheitswesen der DDR; Dr. med. Winrich Mothes, Arzt und u.a. Ehrenpräsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern.

Notierte im Anschluss Hintergründe zur vorgetragenen Kritik: Dr.Tomas Kittan von der B.Z. - Foto: LyrAg

Notierte im Anschluss Hintergründe zur vorgetragenen Kritik:  Dr.Tomas Kittan von der B.Z. – Foto: LyrAg

Während die Diskutanten sich in der Beurteilung einig waren, daß das Gesundheitswesen der DDR „trotz einiger Mängel eigentlich beispielhaft organisiert war,“ also nur unwesentliche Unterscheidungen in der Rückschau gelten lassen wollten, kam es zu einem emotionalen Ausbruch bei einer Zuhörerin, der in der DDR während der Schwangerschaft ohne ihr Wissen das Medikament CERUTIL verabreicht worden war. Aufgrund dieser „kriminellen“ Falschbehandlung sei ihre Tochter seither zu 50 % schwerbehindert und keine Macht der Welt erkenne ihre Forderungen auf Entschädigungen an. Sie sei als Mutter und Geschädigte auf jahrelange Prozesse und ermüdende Bittstellungen in der Bürokratie angewiesen, was sie nach dieser Vergangenheit nicht leisten könne.

Frau Bergmann-Pohl zeigte sich „tief betroffen,“ verwies aber auf die „gute und ausreichende Entschädigungspraxis“ und merkte etwas hilflos wirkend an, sie sei „seit 13 Jahren aus der Politik“ und könne daher „in dieser Sache gar nicht helfen.“ Auf den Gedanken, hier selbstlos einfach ihre sicher noch bestehenden Kontakte zur Hilfestellung anzubieten, kam die ehemalige Spitzenpolitikerin (CDU) allerdings nicht.

Dachsimpeln am Rande: Ehem. OP-Schwester im Klikum Buch und nachmalige Hoheneckerin (li.) im Gespräch mit Bergmann-Pohl - Foto: LyrAg

Fachsimpeln am Rande: Ehem. OP-Schwester im Klikum Buch und nachmalige Hoheneckerin (li.) im Gespräch mit Bergmann-Pohl – Foto: LyrAg

Etwas hilflos wirkte dann auch die Hausherrin Anna Kaminsky, als sie nach mehreren emotionalen Unterbrechungen des Podiums – es meldeten sich weitere Betroffene aus der einstigen DDR – zur Ordnung rief und eine „pauschale Beschimpfung“ des Podiums seitens des Veranstalters ablehnte. So schwerwiegend die vorgetragenen Erlebnisse seien, müsste man zur Kenntnis nehmen, dass „dies nicht das Thema der Veranstaltung“ sei. Auf den Gedanken, die Kritik auf die fehlende Einbeziehung von Opfern der DDR-Medizin einzugehen, kam Kaminsky offenbar nicht, was zu weiteren Unmutsäußerungen führte. Dabei wäre das Angebot, eine weitere Veranstaltung unter Einbeziehung von Betroffenen in Aussicht zu stellen, sicherlich geeignet gewesen, die aufgewühlte Stimmung zu beruhigen. Auch hätte es dem Anspruch der Stiftung auf „Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ sicherlich nicht geschadet.

So blieb der Eindruck eines zwar informativen Abends zurück, der letztlich aber in der etwas mittlerweile langweiligen Aussage einmündete: Die DDR war nicht so schlecht, wie ihr Ruf (im Westen!) es suggeriere. Einzig die aufbrechenden und nachvollziehbaren Emotionen aus dem Publikum relativierten die verharmlosenden Aussagen zur DDR-Gesundheitspolitik und hinterließen zumindest bei kritischen Teilnehmern den Eindruck, wenigstens einen rudimentären, wenn auch nicht beabsichtigten Einblick in die zweifellos vorhandenen Schattenseiten der Gesundheitspolitik im Sozialismus erhalten zu haben. (1.012)

Siehe auch (Hinweis):

http://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/erschuetternde-frauenschicksale-durch-medikamente

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

Berlin, 30.11./1.12.2012/cw – Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag hatte infolge der am 16.11. d.J. der Öffentlichkeit präsentierten Untersuchungsergebnisse zur Ausnutzung der Zwangsarbeit in  der DDR durch das schwedische Möbelhaus IKEA zu einer Anhörung in den Bundestag (Paul-Löbe-Haus) eingeladen. Zahlreiche Vertreter der Verfolgten-Organisationen der SED-DDR-Diktatur waren aus der Ferne angereist, um dieser „längst überfälligen Anhörung“ (MdB Kurth) beizuwohnen.

Als Sachverständige waren eingeladen: Hugo Diederich, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS); Dr. Steffen Alisch, Forschungsverbund SED-Staat an der FU; Roland Jahn, Leiter der BStU; Dr. Anna Kaminsky, Bundesstiftung Aufarbeitung; Günter Saathoff, Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft; Dr. Karin Schmidt, Juristin aus Rostock und Dr. Christian Sachse, wiss. Mitarbeiter der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG).

Sachverständige: Dr. Steffen Alisch und Hugo Diederich (VOS), von links nach rechts - Foto: LyrAg

Sachverständige: Dr. Steffen Alisch und Hugo Diederich (VOS), von links nach rechts – Foto: LyrAg

Burkhardt Müller-Sönksen, Medienpoliti- scher Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, begrüßte die Teilnehmer und zeigte sich über das große Interesse sehr erfreut. Die FDP habe sich spontan zu dieser Anhörung entschlossen, nachdem IKEA immerhin als bisher einzige Firma eine Mitverantwortung für die Ausnutzung der Zwangsarbeit in den Zuchthäusern der DDR eingeräumt habe. Dies sei ein  Anfang, aber noch lange kein Ende: „Die Täter haben  einen  Namen,“ betonte Müller-Sönksen und es sei an der Zeit, diese zu benennen.

FDP-MdB Patrick Kurth, Berichterstatter für die Aufarbeitung des SED-Unrechtes in der Bundestagsfraktion der Liberalen, erinnerte an die Anfrage des Abgeordneten  Dr. Hennig von 1978 zur Zwangsarbeit. Der damaligen Bundesregierung sei die Antwort nur 28 Zeilen wert gewesen. Diese „frühe Anfrage“ zeige aber auch, daß das Thema „nicht erst heute“ aufgekommen sei. Gleichwohl sei die Zwangsarbeit in  der DDR von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen oder verdrängt worden. Dem wolle die FDP aktiv entgegentreten.

VOS fordert direkte Wiedergutmachung 

Hugo Diederich, als erster Redner der Sachverständigen und neben Roland Jahn als Sachverständiger einziger Betroffener des DDR-Unrechtes, sorgte zum Auftakt gewissermaßen für einen Paukenschlag, als er namens des größten Einzelverbandes der Verfolgten die Einrichtung eines „Zwangsarbeiterfonds“ forderte, aus dem die einst schamlos Ausgebeuteten finanzielle Wiedergutmachung erhalten sollten. Der VOS-Vorsitzende erinnerte daran, daß die VOS bereits 2005 an die seinerzeitige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in dieser Sache geschrieben habe und dabei von dem verstorbenen, von  den Opfern unvergessenen Hermann Kreutzer unterstützt worden sei.

Steffen Alisch erinnerte an die anderen Großbetriebe, wie Quelle und Photo-Porst, die sich nachhaltig vor ihrer Verantwortung ggüb. der Zwangsarbeit durch die DDR gedrückt hätten. Zwar sei das Bekenntnis von IKEA ein Fortschritt, die vorgelegte Studie in ihrem öffentlich gemachten Teil „aber nichtssagend.“ Alisch unterstützte den VOS-Vorschlag ausdrücklich, weil es kaum möglich sei, eine individuelle Entschädigung nach dieser Zeit durchzusetzen.

BStU-Chef Roland Jahn merkte an, für ihn  sei es schwierig, als „Experte“ aufzutreten, da das Thema noch zu wenig erforscht sei: „Uns fehlen die ausreichenden Kenntnisse.“ Die BStU habe IKEA rund 1.150 Seiten umfassende Akten zur Auswertung übergeben. Dennoch wären die vorgelegten  Erkenntnisse nur ein „halber Schritt“. Jahn forderte IKEA auf, trotz der nachvollziehbaren Einschränkungen  durch den Datenschutz der Öffentlichkeit den vollständigen  Bericht vorzulegen: „Nur so sei eine Beurteilung möglich.“ Die Beteiligten ständen erst „am Anfang einer notwendigen  Diskussion,“ betonte Jahn. Eine Pauschalisierung der Zwangsarbeit sei nicht möglich und nicht hilfreich.

Eine FDP-Troika leitete souverän die Anhörung (v.l.n.r.): Reiner Deutschmann, Patrick Kurth (Moderation), B. Müller-Sönksen- Foto: LyrAg

Eine FDP-Troika leitete souverän die Anhörung (v.l.n.r.): Reiner Deutschmann, Patrick Kurth (Moderation), B. Müller-Sönksen
– Foto: LyrAg

Anna Kaminsky erinnerte an die besonders gravierende Fallhöhe für IKEA zwischen dem Image als familienfreundlicher, familienorientierter Konzern und dem Vorwurf, die Zwangsarbeit für den eigenen Profit ausgenutzt zu haben. Hier habe also zwingend Handlungsbedarf bestanden. IKEA habe immerhin in den achtziger Jahren bis zu zwanzig Prozent der Produktion in der DDR erstellen lassen. Hier stelle sich auch die Klärung der Frage, was die Politik wusste. Kaminsky schloss sich der Forderung von Steffen  Alisch an, für die Betroffenen für den Bereich der Haftfolgeschäden die Beweislastumkehr einzuführen. Auch sei eine Erhöhung der derzeitigen  monatlichen Entschädigung für erlittenen Haftzeiten unumgänglich.

Mangelhafte Begriffsklärung für Zwangsarbeit

Günter Saathoff machte die „mangelnde Zusammenarbeit linker und rechter Gehirnhälften“ für die notdürftige, weil mangelhafte Begriffsklärung für „Zwangsarbeit“ verantwortlich. Er erinnerte an die deutliche Diskrepanz zwischen der „tatsächlichen Zwangsarbeit“ im NS-Staat und der Arbeit in den Zuchthäusern der DDR, die „von  Kriminellen gleichermaßen wie von politisch Verfolgten“ zu leisten gewesen sei. Saathoff mahnte eine wissenschaftlich zu erforschende Begriffsklärung an, ehe wir über „die hier vorgetragenen Inhalte“ sprechen könnten.

Karin Schmidt betonte, dass zweifelsfrei der wirtschaftliche Nutzen der Zwangsarbeit im Vordergrund stand und führte u.a. als Beweis das Fehlen einer leistungsgerechten Bezahlung für die erzwungene Arbeit an. Die Politik habe sich dieses Themas wohl auch deswegen  entzogen, weil es „auf dem Papier“ keine Unterscheidungzwischen kriminellen und politischen Gefangenen gab.

Christian Sachse betonte seine Überzeugung, nach der „die gesamte Spitze von IKEA“ die Akten zur Zwangsarbeit gelesen habe. Er habe für die UOKG zwischen September und November des Jahres über eine Beteiligung des Möbel-Konzerns an einem Forschungsprojekt verhandelt und IKEA habe dies dankenswerterweise zugesagt. Erste Ergebnisse seien allerdings erst in etwa fünf Jahren zu erwarten, bis dahin müsse die Frage nach einer wie immer gearteten Entschädigung offen bleiben. Sachse erinnerte in seinen Ausführungen auch an die Veröffentlichung von Karl-Wilhelm Fricke im  Jahr 1979 zur Zwangsarbeit. So habe auch die Reichsbahn von  dieser Arbeitsform profitiert und es stelle sich die Frage, inwieweit die Deutsche Bahn  als Rechtsnachfolger bereit sei, sich dieser Verantwortung zu stellen.

Auch Deutsche Bahn  soll sich ihrer Verantwortung stellen

Eine Grauzone skizzierte Sachse nach Meinung von Beobachtern allerdings mit der detaillierten Anführung  über Zwangsarbeiten von Jugendlichen.  So seien von über vierzehnjährigen Jugendlichen  Arbeiten bis zu 16 Stunden  täglich erzwungen  worden. Sachse ließ dabei außen vor, dass es diese Ausbeutung bis Ende der sechziger Jahre auch in der alten Bundesrepublik gegeben hatte, gewissermaßen ein gesamtdeutsches Vermächtnis. Der Sachverständige führte auch aus, dass es  im Gegensatz zu späterer Praxis in  den fünfziger Jahren sogar Tarife in den sogen. Jugendwerkhöfen gegeben habe. Anmerkung: Die gab es in der alten Bundesrepublik in vergleichbaren staatlichen  oder kirchlichen Einrichtungen nie.

Sachverständig: Dr. Karin Schmidt, Rostock und Dr. Anna Kamisky, Stiftung SED-Unrecht (v.l.n.r.) -Foto: LyrAg

Sachverständig: Dr. Karin Schmidt, Rostock und Dr. Anna Kamisky, Stiftung SED-Unrecht (v.l.n.r.) –
Foto: LyrAg

In der anschließenden Diskussion, wegen der aktuellen Abstimmung im Bundestag zur Griechenland-Hilfe war die Anhörung kurzeitig unterbrochen, kamen auch übrige Teilnehmer zu Wort. So verwies Frau Rauschenbach vom Bundesarchiv über das Vorhandensein von rund zweihundert Akten zum Thema Arbeitseinsatz. Diese beträfen aber nur bestimmte Zeitschienen, seien also nicht vollständig.

UOKG: Entschädigungsforderungen – Was haben wir damit gewonnen? 

Reiner Deutschmann, FDP/MdB, merkte an, die Politik sei nach dem Bewusstseinswandel bei IKEA zum Handeln gezwungen. Christian Sachse stellte kritisch die Forderungen nach Entschädigungen infrage: „Was haben  wir damit gewonnen?“ und plädierte erneut für eine zunächst erforderliche ergebnisoffene Forschung, während Günter Saathoff appellierte, „Generalangriffe auf Einzelne“ zu vermeiden und sich für eine „kollektive Lösung“ aussprach, die auf freiwilliger Basis alle infrage kommenden Firmen einschließen sollte.

Burkhardt Müller-Sönksen merkte in seinem  Schlusswort für die FDP-Fraktion an, nach der Erforschung der und entsprechenden Erkenntnissen über die Zwangsarbeit sei erst im  zweiten oder dritten Schritt eine Entschädigung, möglicherweise über eine Stiftung zu erwarten.

Patrick Kurth dankte als souveräner Moderator für das „überraschend große Interesse“ an dieser Anhörung und versprach, „zeitnah eine Folgeveranstaltung“ durchzuführen, auf der auch die direkt Betroffenen zu Wort kommen sollten.

Am Rande der Veranstaltung war aus als zuverlässig geltender Quelle zu erfahren, dass seitens IKEAS für die geplante Erforschung der Zwangsarbeit Beträge in „Millionenhöhe im Raume“ ständen.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785

 Siehe auch LINK (DIE WELT):

http://www.welt.de/eilmeldung/article111731312/Stasi-Behoerde-stochert-bei-Zwangsarbeit-im-Nebel.html

FDP:

981-Kurth-Mueller-Soenksen-DDR-Zwangsarbeit.pdf

Dieser Beitrag wurde aus folgenden Ländern gelesen:

Deutschland, USA, Philippinen, Marocco, Süd Afrika, Italien, Groß Britannien, Russland, Österreich, Schweiz, Brasilien, Schweden

http://www.fdp-fraktion.de/Pressemitteilungen/263c6/index.html?id=18021

Berlin, 30.11.2012/cw – Die Bundestagsfraktion der FDP erörtert heute das Thema „DDR-Zwangsarbeit“ und hat dazu Fachleute und Vetreter der Opferverbände der SED-Diktatur in das Paul-Löbe-Haus (10:00 – 12:00 Uhr, Raum E 200) eingeladen. Nach Mitteilung des FDP-MdB Patrick Kurth werden in der „Öffentlichen Fachanhörung zu Zwangsarbeit im DDR-Strafvollzug“ u.a. Roland Jahn (BStU), Dr. Anna Kaminsky (Bundesstiftung Aufarbeitung) und Hugo Diederich (Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V.) zu Wort kommen. Danach gehöre das Thema Zwangsarbeit und „eine umfassende politische Beschäftigung mit der Problematik  in den Deutschen Bundestag.“Die FDP wolle hier den Anfang machen und erhoffe sich eine breite politische Diskussion.

Am gestrigen  Abend verbreitete die Deutsche Welle erneut einen TV-Beitrag zur Thematik. In der Sendung POLITIK DIREKT kamen u.a. Roland Jahn, BStU, Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin und Tatjana Sterneberg, ehemalige Hoheneckerin, zu Wort. Der Beitrag ist abrufbar unter:

http://www.dw.de/politik-direkt-das-politikmagazin-2012-11-29/e-16362580-9800

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17.Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785 oder 0176-48061953

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