Erfurt/Berlin, 6.02.2020/cw – Auf die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum neuen Thüringer Ministerpräsidenten reagierten Politiker und Journalisten in beängstigender Einigkeit mit Empörung: „Verstoß gegen die Grundwerte des Landes!“ , (Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt). „Tabubruch!“ (ARD-Journalist Georg Restle). „Zivilisationsbruch!“ (TV-Komiker Jan Böhmermann) und der durchaus umstrittene SPD-Politiker Ralf Stegner warf in der von ihm bekannten widersprüchlichen Manier CDU und FDP vor, sich vom „Konsens der Demokraten“ verabschiedet zu haben. Ein kleiner Ausschnitt aus einem unübersichtlich gewordenen Chaos der Reaktionen auf die MP-Wahl in einem „neuen“ Bundesland.
Was war geschehen? In einer geheimen Wahl von insgesamt drei Wahlgängen war der Kandidat der kleinsten Fraktion zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Es dürfte Außerfrage stehen, daß diese Wahl begeisterte Zustimmung der Politik und Medien gefunden hätte, wenn dadurch die Wahl eines AfD-Politikers verhindert worden wäre. So aber wurde die Wiederwahl eines Politikers der SED, heute LINKE, verhindert, und der Aufschrei kennt keine (demokratischen) Grenzen mehr. Längst wird dem Bürger auf breiter Ebene eine Linie verkauft, der das Etikett „Demokratie“ aufgeklebt wurde. Wer sich dagegen stellt, diese Form angeblich demokratischer Auseinandersetzung infrage stellt, wird zum „Feind der Demokratie“ erklärt.
Was aber unterscheidet LINKS und RECHTS? Was berechtigt „überzeugte Demokraten“ dazu, linken Anarchismus, gar Terror als „LINKSAUTONOM“ darzustellen und damit gefährlich zu verharmlosen, rechten Anarchismus und Terror aber generell als solchen zu brandmarken? Was berechtigt unsere „Hüter der Demokratie“ dazu, die LINKE generell als demokratisch und koalitionsfähig zu bezeichnen, obwohl diese – gerichtlich bestätigt – die SED verkörpert, die uns die zweite deutsche Diktatur im letzten Jahrhundert beschert hat? Was berechtigt die „Hüter der Demokratie“ im Gegenzug dazu, die AfD generell als Nazi-Partei zu diffamieren, mit der man – im allgemeinen Konsens – politisch nichts zu tun haben wolle?
Ramelow und Lederer sind keine „SEDisten“
Bodo Ramelow, der gestern in Erfurt abgewählte Ministerpräsident, ist zweifellos kein SEDist, kein „verkappter Anhänger“ der mit Recht untergegangenen SED-Ideologie, obwohl er der SED-Partei mit neuem Namen angehört. Auch Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator in Berlin, ist alles andere als ein SED-Kommunist. Trotzdem beherbergt die Partei nach wie vor die „Kommunistische Plattform“, grenzt sich offiziell nicht von linkem Terrorismus und Anarchismus ab. Rechtfertigt dies eine Ausgrenzung von politischer Mitwirkung in diversen Koalitionen mit anderen Parteien? Wo fängt Demokratie an, wo hört Demokratie auf?
Alexander Gauland, der Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag, war früher – als CDU-Politiker – angesehener Chef der Staatskanzlei in Hessen, leitete nach dem Mauerfall lange Zeit als Chefredakteur eine demokratische Zeitung. Er ist zweifellos kein „verkappter Faschist“ oder – im üblichen Sprech – ein „Nazi“. Auch Georg Pazderski, Fraktionsvorsitzender der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, war angesehener Oberst in der Bundeswehr, bevor er sich für eine Laufbahn in der AfD entschied. Auch er ist kein verkappter Faschist oder gar Nazi. Trotzdem tolerieren diese Politiker Personen wie Björn Höcke in ihrer Partei, der zweifellos mit fragwürdigen und durchaus als extremistisch einzustufenden Äußerungen eine nachfragwürdige Klientel an die AfD bindet. Rechtfertigt das Vorhandensein eines derartigen Partei-Flügels die generelle Ausgrenzung der AfD von der Mitarbeit oder gar Koalition mit anderen Parteien? Wo fängt Demokratie an, wo hört Demokratie auf, hat Demokratie ihre akzeptablen Grenzen?
Inakzeptabler Vorgang der LINKEn führte nicht zum Aufschrei
Diesmal lieferte die LINKE ein konkretes Beispiel, um dieser Fragestellung nachzugehen: Deren Fraktionsvorsitzende warf dem neu gewählten Ministerpräsidenten den vermutlich für Bodo Ramelow vorgesehenen Blumenstrauß vor die Füße. Man stelle sich vor, die AfD hätte eine derartigen Fauxpas produziert und einem wiedergewählten Bodo Ramelow den Blumenstrauß vor die Füße geworfen. Der Aufschrei der Politik und der (in diesem Punkt bereits gefährlich eigen-Meinungs-losen, gleichgeschaltet wirkenden) Medien würde unsere Republik erschüttern. So aber werden die Bilder von diesem inakzeptablen Vorgang mit einem blassen Schilderungsvorgang verbreitet, als handele es sich hier um einen normalen demokratischen (linksautonomen?) Vorgang. Es muss hinterfragt werden dürfen, ob es einen Unterschied macht, ob eine linke Politikerin hinter einem Plakat marschiert, auf dem „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ geschmiert steht (akzeptabel?) oder ein rechter Politiker dieser öffentlichen Verunglimpfung unseres Landes folgt (inakzeptabel?).
Es würde diesen Beitrag sprengen, wenn hier alle derartigen Vorgänge und Vorgehensweisen dokumentiert werden würden. Aber die Frage muss erlaubt sein, stellt sich immer drängender: Wo steht unsere Demokratie wirklich? Welche wirklichen Gefahren drohen ihr? Wo wollen wir letztendlich hin mit unserer wiedervereinigten Republik? Wollen wir generell nur noch „freie“ Wahlen der Bürger akzeptieren, wenn diese ein vorgegebenes Ergebnis zeitigen? Wollen wir andere Meinungen nur dann akzeptieren, wenn diese einem vorgegebenen „Konsens“ entsprechen? Oder wollen wir das Grundgesetz neu beleben, indem wir wieder lernen, unterschiedliche Meinungen zu ertragen, um diese in demokratischer Auseinandersetzung zu streiten, um Lösungen demokratisch ringen?
Dieser Republik stehen fraglos nicht erst seit der gestrigen Wahl in Erfurt schwere Zeiten bevor. Wenn wir nicht anfangen, über die Grundsätze einer Demokratie offen und ehrlich zu debattieren, wenn wir nicht endlich anfangen, Terror als Terror zu bezeichnen, gleich ob dieser von LINKS oder RECHTS kommt, wenn wir nicht aufhören, unsere Geheimdienste für parteipolitische Taktiken zu missbrauchen, statt diese gegen die tatsächlichen Feinde unserer demokratischen Ordnung von RECHTS und LINKS einzusetzen (Was eine unmissverständliche und für alle nachvollziehbare Definition voraussetzt!), dann ist unsere Demokratie tatsächlich in Gefahr.
Was von oben verordnet wird, kann ja wohl nicht schlecht sein
Wir können eben nicht tagein tagaus gegen den Hass demonstrieren, und dabei selbst eifrig dieses Instrument „HASS“ gegen Andersdenkende einsetzen. An diesem offenen Widerspruch zerbricht letztlich jede Gesellschaft. Die (Mit-)Bürger der einstigen und Gott sei Dank überwundenen DDR-Diktatur haben sich ihre Freiheit selbst erkämpft. Den (Mit-) Bürgern der (alten) Bundesrepublik wurde die Freiheit von oben (durch die Alliierten) verordnet. Vielleicht liegt hier die Ursache für die Hege einer missverstandenen Freiheit? Was von oben verordnet wird, kann ja wohl nicht schlecht sein?
Die DDR hatte ihren 17. Juni, hatte ihren erkämpften Fall der Mauer. Von unseren Mit-Bürgern dieser ehemaligen DDR eben diesen Revolutions- und Erneuerungswillen zu lernen, kann für uns im (ehemaligen politischen) Westen durchaus eine Alternative sein. Das setzt die Fähigkeit zum notwendigen Umdenken voraus. Auf allen Seiten.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.508).
4 Kommentare
8. Februar 2020 um 20:23
Rosebrock
Hallo, Fehler – der Mann, der „am liebsten gar nicht da sein sollte“ – nein, ich finde seine Ausgrenzung und das unmenschliche Bashing gegen ihn absolut empörend und mies – heißt immer noch Björn Höcke! Der Bernd ist aus der heute-show… .
6. Februar 2020 um 16:55
Klaus Helmut Dörfert
Was haben die SEDler in die Parlamente gebracht?
Statt Humanität kam Hass und Intoleranz, statt echter Demokraten verblendete Anbeter des Kommunismus. Ich glaube, wenn so etwas wie in Thüringen passieren kann, dann hat die Demokratie sich selbst zu Grabe getragen. Die, die ihren Beruf als Politiker als Meinungsmacher einer kommunistischen Ideologie verstehen, sind verantwortungslos…
Dipl. Klaus Helmut Dörfert
6. Februar 2020 um 11:29
Dirk Jungnickel
Lieber Wolfgang, schön wieder von Dir zu hören. –
Aber ich meine: Viel zu viel der Worte. Die Heuchelei der sogen. Altparteien spricht für sich !
Herzliche Grüße von Dirk
6. Februar 2020 um 10:48
Felix Heinz Holtschke
Wenn es einen Tabubruch in Thüringen jemals in den letzten 6 Jahren gab, so war es die Wahl bzw. Ernennung von Bodo Ramelow von der ehemaligen Mauerschützenpartei am 5. Dezember 2014 zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes Thüringen. Spätestens an diesem Tage wurde die Linke in ganz Deutschland von interessierten Kreisen der Öffentlichkeit und der Medien hoffähig gemacht…
Felix Heinz Holtschke
VOS-Landesvorsitzender NRW