Berlin, 04.08.2019/cw – Im Zusammenhang mit der Aktion zum 30.Jahrestag der „Lebendigen Brücke“ : „WIR“ statt „IHR“ am Checkpoint Charlie (12.08.2019, 11:00 Uhr) erreichten mich zahlreiche Anfragen über meinen Weg zum gewaltlosen Widerstand gegen die Mauer. Bis zum 12. August werde ich an dieser Stelle Stationen auf diesem Weg und aus dem Kampf gegen die Berliner Mauer schildern. (7 -Teil 6 siehe 03.08.2019).

So schlimm, wie das Scheitern unseres Tunnels war, die Situation hatte sich nicht geändert. Die Mauer bestand nicht nur weiterhin, sie wurde durch permanente Ausbaumaßnahmen und Perfektionierung der dahinter liegenden Grenzstreifen undurchdringlicher. Es hatte den Anschein, als würde die Zweite Deutsche Diktatur für die Ewigkeit ausbetoniert.
Passierscheinabkommen bewirkte Veränderungen

Dazu trug sicherlich die sich allmählich wandelnde politische Stimmung bei. Die Bereitschaft, sich mit dem „Pankower Regime“ zu arrangieren, wuchs nicht zuletzt nach dem ersten Passierscheinabkommen, das es den Menschen 1963/64 erstmals ermöglichte, wieder ihre Verwandten im Ostsektor der Stadt zu besuchen (Vom 19. Dezember 1963 bis zum 5. Januar 1964, also über Weihnachten und Silvester, nutzten immerhin rund 700.000 West-Berliner diese Möglichkeit). Diese allgemeine Stimmung hatte auch Auswirkungen auf unsere Arbeit gegen die Mauer. Die Polizei, die unseren Aktionen mit höchstzulässiger Sympathie mehr oder weniger unterstützte, wurde schleichend restriktiver. War es in den ersten beiden Jahren nach dem 13. August 1961 noch möglich, die Mauer großflächig zu beschriften: „Trotz Mauer ein Volk – KZ“ oder „Diese Schande muss weg – KZ“, so war dies nur noch begrenzt und bald gar nicht mehr möglich.

Beschriftung in der Bernauer Straße durch C.W. Holzapfel

Ein Beispiel: Wir wollten die Mauer am Ende der Bernauer Straße „bemalen.“ Mit Farbeimer und Pinsel machten wir uns auf den Weg. „Na, Holzapfel, was haben wir denn wieder vor?“ fragte bald darauf ein aufmerksamer Polizist. Wir erklärten unsere Absicht und teilten den beabsichtigten Wortlaut mit. „Wie lange braucht Ihr?“ „Cirka eine halbe Stunde,“ antworteten wir. „Aber nicht länger,“ lautete der Bescheid. Dann wandte sich der Polizist ab. Folgend veränderte sich die Situation unmittelbar an der Mauer für uns deutlich: „Wenn Sie nicht bald verschwinden, bekommen Sie Ärger!“

Offener Brief an Heinrich Albertz

Verzweifelt wandte ich mich in einem Offenen Brief an den Innensenator und Bürgermeister Heinrich Albertz (*22.01.1915; † 18.05.1993). Die Berliner Morgenpost, die Zeitungen aus dem Hause Axel Springer gehörten über viele Jahre zu unseren treuesten publizistischen Verbündeten, veröffentlichte den Brief vollständig. Zuvor hatte ich im „7-UHR-Blatt“, eine Sonntags erscheinende Zeitung, einen langen Artikel veröffentlicht: „Albertz degradiert Polizisten zu Mauerwächtern“.

Im Gegensatz zu heutigen Gepflogenheiten reagierte Albertz keineswegs aggressiv oder gar beleidigt, sondern lud mich zu einem Gespräch in das Schöneberger Rathaus ein. Dort sprach wir uns im Beisein von Hanns-Peter Herz (*1927; † 2012), RIAS-Journalist und Chef der Senatskanzlei, offen aus. So hielt ich dem studierten Theologen Albertz seine jüngste Ansprache zum 20. Juli (Hitler-Attentat) in Plötzensee vor. Albertz hatte Berlin als Zentrum des Widerstandes bezeichnet und die Jugend der Stadt aufgefordert, „gerade hier und heute Widerstand zu leisten.“ Der Widerspruch zwischen Wort und Tat schien mir überdeutlich. Heinrich Albertz erwiderte geradezu fassungslos: „Aber Herr Holzapfel, an solchen Tagen wird doch manches gesagt!“ Der Sozialdemokrat konnte oder wollte nicht begreifen, dass ein junger Mensch seine Worte wirklich ernst nahm.

Mit Tonband und Megaphon Nachrichten aus der Freien Welt – Foto: LyrAg

In dem Gespräch kam dann aber auch das Thema „Studio Freies Deutschland – Sender am Stacheldraht“ zur Sprache. Ich hatte, zusammen mit meinem Freund Fridtjof Klintzsch, in unseren Sendungen und später der Stasi gegenüber als „Freddy Fischer“ benannt, damit begonnen, per Megaphon Nachrichten an der Mauer zu verlesen. Fridtjof kam dann auf die Idee, mittels eines tragbaren Tonbandgerätes vorher Sendungen zu schneiden, was unsere „Ausstrahlungen“ attraktiver machen würde. So hatten wir auch bald als Kennung die Ouvertüre zu AIDA, in der wird unsere Bezeichnung einblendeten: „Hier spricht Studio Freies Deutschland – Sender am Stacheldraht“ und „Wir bringen aktuelle Meldungen aus der Freien Welt.“

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DDR-Grenzer: „Runter oder es knallt!“

Diese Sendungen, als Alternative zu den aus politischen Gründen immer seltener werdenden Einsätzen des SAS („Studio am Stacheldraht“) gedacht, die 1965 dann auch tatsächlich eingestellt wurden, stießen zunehmend auf administrative Ablehnung. So kam sogar nach einer Sendung in der Bernauer Straße – vom Dach des Kartoffelschuppens, aus dem wir unseren Tunnel vorgetrieben hatten – die Abteilung I (Politische Polizei) zum Einsatz, um uns vom Dach zu vertreiben. Zuvor waren wir allerdings (erstmals) durch einen wütenden Grenzoffizier der DDR mit einer Maschinenpistole im Anschlag bedroht worden: „Runter, oder es knallt!“

Auch die Stasi fotografierte die Aktivitäten an der Mauer.  Foto: Holzapfel in der Bernauer Straße (BStU) – Archiv

Ich wollte also diese Sendungen, die ich sogar von einem Balkon des Reichstages ausstrahlte, unbedingt fortsetzen. Albertz war nach einem ernsthaften Diskurs bereit, mir die offizielle Absegnung zu geben. Bedingung: Die beabsichtigten Sendungen sollten zuvor im Rathaus Schöneberg von Hanns-Peter Herz gehört und genehmigt werden. Wohl im jugendlichen Überschwang lehnte ich diese Variante als „Zensur“ ab. Später war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich mit dieser vorschnellen Ablehnung nicht einen Fehler gemacht hätte. Schließlich war Herz im RIAS verankert und hätte mit wohlmöglich eines Tages angeboten, meine Kommentare besser über den RIAS zu verlesen. Vielleicht hätte sich mein ursprünglicher Traum, Journalist zu werden, auf diesem Wege verwirklichen lassen?

Werbungen durch CDU und SPD

Gleichwohl hatte ich mich immer möglichen Versuchungen widersetzt, aus meinem Widerstand persönliche Vorteile zu ziehen. Dietrich Stobbe (*25.03.1938; † 19.02.2011), späterer Regierender Bürgermeister, hatte mich ebenfalls in einem sehr langen Gespräch zum Eintritt in die SPD überreden wollen. Er würde „ein Auge“ auf mich haben, denn solche Leute wie mich brauche die Partei. Der damalige Referent des Jugendsenators und späteren Bürgermeisters Kurt Neubauer ( * 30.09.1922; † 09.12.2012) konnte sich ein halbes Jahr vor seinem Tod auf einem Empfang im Reichstag an dieses Gespräch erinnern: „Und, sind Sie der SPD beigetreten?“

Auch Jürgen Wohlrabe (* 12.08.1936; † 19.10.1995), damals noch Chef der Jungen Union in Berlin und später Präsident des Abgeordnetenhauses, hatte mir schon 1963 angeboten, mich verstärkt in der CDU einzubringen, er wolle mich „wohlwollend begleiten.“ Aber auch diesem jahrzehntelangen Freund hielt ich meine Befürchtung entgegen, meinen Widerstand an der Mauer „politisch abstimmen“ zu müssen, was ich mit meiner Überzeugung nicht in Einklang bringen könne. Außerdem wüsste ich nicht, wie ich mich nach einem so möglichen politischen Aufstieg verhalten würde. Würde ich mich im Zweifelsfall für meine Überzeugung oder nicht dann doch für meine erreichte Position entscheiden? Dieser Versuchung wollte ich mich erst gar nicht aussetzen.

Letztlich verblieb mir die Fortsetzung meines gewaltlosen Kampfes für die eingemauerten Menschen in der Sowjetisch besetzten Zone, für die politischen Gefangenen und damit gegen den Schießbefehl auf Flüchtlinge, gegen die Mauer an sich, die unsere Stadt und unser Land teilte.

-Wird fortgesetzt-

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