Von Heike Eichenmüller*

Berlin, 20.Juli 2019 – Vor 30 Jahren, am 13. August 1989, legte sich der Mauerdemonstrant Carl-Wolfgang Holzapfel (45) über die „Weiße Linie“ am berühmten Checkpoint Charlie in Berlin. Drei Stunden dauerte diese als „Lebendige Brücke“ bezeichnete Demonstration, weil sich US-Amerikaner und Sowjets erst über die Zuständigkeit einigen mussten. Holzapfel lag zur Hälfte („Mit Kopf und Herz“) im Sowjetischen Sektor und („Mit Beine und Füßen“) im US-Amerikanischen Sektor.

„Was strengt ihr euch so an? Den 30. Jahrestag erlebt ihr sowieso nicht mehr!“ rief Holzapfel den aufmarschierten Vopos zu.               Foto: Archiv cwh

30 Jahre später möchte Carl-Wolfgang Holzapfel zum „Abschied aus seiner aktiven Laufbahn“ ein weiteres Zeichen setzen: Der Mauerdemonstrant wird am 12.August ab 11.00 Uhr am ehem. Checkpoint Charlie die Aktion „Lebendige Brücke“ wiederholen.

Zu seiner damaligen Demo am 28. Jahrestag des Mauerbaus vor 30 Jahren hatte Holzapfel die „Lebendige Brücke“ zwischen Ost und West so erklärt: Er werde sich so auf den Grenzstrich legen, dass sein Oberkörper in den Ostteil, der Unterkörper in den Westteil der Stadt hineinreiche. Der „weiße Grenzstrich“ werde durch entsprechende Kennzeichnung über seinen Körper laufen und auch diesen scheinbar teilen. Scheinbar, weil Jedermann, der dieser Demonstration zuschaue, sich davon überzeugen könne, daß sein Körper trotz der augenscheinlichen Trennung a1s Ganzes erhalten bleibe. Solcherart werde demonstriert, das Berlin, das Deutschland in Wirklichkeit ein Ganzes geblieben sei, auch wenn durch diese Grenzlinie der Anschein besteht, a1s sei „dieses Ganze geteilt“.

Hungerstreik im März 1963 nahe dem Checkpoint Charlie am Mahnmal für Peter Fechter – Foto: Archiv cwh

Brust und Kopf im Ostteil sollten belegen, dass die Deutschen in Ost-Berlin und der DDR mit Kopf und Herz in ihrer unmittelbaren Heimat verwurzelt sind, „aber sich durch staatsterroristische Willkür veranlasst sehen, aus ihrer unmittelbaren Heimat zu flüchten“. Die Beine und Füße im Westen sollten das verbürgte Menschenrecht symbolisieren, selbst über sein Ziel entscheiden und dahin gehen zu können, wohin man wolle.

Nachdem sich die Alliierten über die Zuständigkeiten geeinigt hatten, wurde der Demonstrant auf Anweisung der Amerikaner von der West-Berliner Polizei von dem Grenzstrich „entfernt“ und in einem Polizeifahrzeug zur nächsten Inspektion gefahren. Ein noch am selben Tag beantragter Haftbefehl „zur Vermeidung weiterer Demonstrationen am Checkpoint Charlie“ wurde von der diensthabenden Richterin abgelehnt.

Am 18.10.1965 wurde Holzapfel am Checkpoint Charlie verhaftet und am 7.April 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. – Foto: Archiv cwh

„Lasst uns wieder Brücken bauen“

Holzapfel erklärt zu der geplanten Aktion zum 30. Jahrestag:

Mich beunruhigt die sich verstärkende Auseinandersetzung und vielfach provokante Gegensätzlichkeit zwischen Ost und West. Wir sollten uns gerade im 30. Jahr des Mauerfalls daran erinnern, dass wir über Jahrzehnte hinweg die historische Brückenfunktion zwischen beiden Teilen unseres Landes bewahrt  und verteidigt haben. Diese Brückenfunktion verhalf uns schließlich über ein unvergessenes Meer von Tränen, schweren Schicksalsschlägen, die vielfach Leib und Leben forderten, die vielfach als unüberwindlich geltende Mauer aus Beton und Stacheldraht zu überwinden. Der schließliche Fall der Mauer war ein Ergebnis dieses Zusammenhaltes, des gemeinsamen Kampfes von Menschen in Ost und West. Lasst uns diese Brückenfunktion wieder beleben. Lasst uns gemeinsam gegen die unsägliche Belebung überwunden geglaubter Gegensätze aus einem geteilten Land antreten. Wir sollten das WIR an die Stelle oft hasserfüllter „Die-da-drüben-Sätze“ oder „Ossis und Wessis“ stellen. Lasst uns wieder Brücken bauen. Lebendige Brücken, damit wir nicht an den toten Floskeln einer untergegangenen Zeit ersticken und neue Mauern errichten oder gar verteidigen. Wir – unser Land – haben Besseres verdient!“

(Siehe dazu auch: https://mauerdemonstrant.wordpress.com/?p=448&preview=true).

Am 14.11.1964 wurde Holzapfel bei seiner 1. Demonstration für die Freilassung politischer Häftlinge noch von einem Grenzoffizier der DDR abgewiesen (Heinrich-Heine-Straße).                 Foto: Archiv cwh

Der Mann vom Checkpoint Charlie

Der heute 75jährige ehemalige       Mauerdemonstrant Holzapfel wurde 1944 geboren und wuchs im geteilten Berlin auf. Schön sehr früh interessierte er sich für die jüngste Geschichte, besonders für den Widerstand gegen das NS-Regime durch Stauffenberg & Co. Für ihn stand das „Nie wieder“ damit schon sehr früh fest. Seine Eindrücke vom Volksaufstand in Ungarn (1956) politisierten den damals 12jährigen. Mit 14 Jahren schrieb er ein 60 Artikel umfassendes Deutschland-Papier, in dem er die Lösung der deutschen Frage unter internationaler Beteiligung beschrieb.
Nach dem Mauerbau demonstrierte Holzapfel „wie kein Anderer“ (so seinerzeit der Begründer des Mauermuseums, Rainer Hildebrandt) permanent bis zum Fall der Mauer gegen dieses „Bauwerk der Unmenschlichkeit“. 1963 trat er der Vereinigung 17. Juni 1953 bei, deren Vorsitzender er von 2002 bis 2019 war. Der heutige Ehrenvorsitzende der Vereinigung wurde nach mehreren Hungerstreiks an der Mauer, so 1963 am Kreuz für Peter Fechter nahe dem Checkpoint, am 18. Oktober 1965 anlässlich einer (dritten) Demonstration „für den Fluchthelfer Harry Seidel und die Freilassung von 14.000 politischen Gefangenen in der SbZ“ (Sowjetisch besetzte Zone) am Checkpoint Charlie verhaftet und 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch Bundeskanzler Ludwig Ehrhardt unterschrieb seinerzeit am 1. Mai 1966 in Berlin eine Petition zur Freilassung des Mauer-Demonstranten.

Bei der Demonstration für die Freilassung von Nico Hübner am Grenzübergang „Heinrich-Heine-Straße“ im Sommer 1978 konnte Holzapfel sogar den Grenzbereich betreten. Er wurde nach zwei Stunden abgewiesen.                 Foto: Archiv cwh

Nach seinem Freikauf durch die Bundesregierung setzte der Mauerdemonstrant unbeirrt seine Proteste gegen die Mauer fort, so 1978 für den Ost-Berliner Wehrdienstverweigerer Nico Hübner am Grenzübergang Heinrich-Heine-Strasse oder am 13. August 1986 am Checkpoint Charlie („Blumen für Vopos“). Er folgte damit einem Schwur, den er 1961 vor der zugemauerten Versöhnungskirche als 17jähriger abgelegt hatte: Nicht zu ruhen und zu rasten, bis dieses Bauwerk der Unmenschlichkeit fallen wird oder er selbst nicht mehr lebe.

Nachdem er aufmerksam die besonders 1989 vermerkten Unruhen in der DDR verfolgt hatte, wollte er zum 28. Jahrestag des Mauerbaus „ein Zeichen der Verbundenheit und Ermutigung“ für die Menschen in der DDR geben und entschloss sich zu der viel beachteten Demonstration „Lebendige Brücke“ am 13. August 1989 (siehe „Der Mann vom Checkpoint Charlie“, https://www.youtube.com/watch?v=Dtzixl1KRNU).

* Die Autorin (51) ist seit dem 17.Juni 2019 Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni 1953

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