Von Carl-Wolfgang Holzapfel*
Berlin, 14.Juni 2019 – „Wir werden nicht ruhen – diesen Schwur lege ich hier ab für das gesamte deutsche Volk -, bis auch die achtzehn Millionen in der Sowjetzone wieder in Freiheit leben, bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit.“ Bundeskanzler Konrad Adenauer am 23.06.1953 in Berlin.
Es ist 66 Jahre her, an dem sich „zum ersten Mal seit 1933 die Arbeiter am 16. und 17 Juni 1953 zu Demonstrationen zusammen“ fanden. „Keine staatliche Anordnung, kein organisierter Beschluß setzte die Massen in Marsch. Spontan kamen sie aus den Industriewerken der Sowjetzone, um vor dem sowjetzonalen „Regierungsgebäude“ ihren Willen zu bekunden.“ So die einleitende Beschreibung des seinerzeitige Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen für ein 1953 vorgelegtes „Bilddokument einer echten Volkserhebung,“ , das im Archiv der Vereinigung 17. Juni vorliegt.
Es ist auch nach nahezu siebzig Jahren bewegend, mit welcher Akribie die damalige Bundesregierung Bild- und Text-Dokumente dieses ersten Aufstandes gegen die kommunistische Gewaltherrschaft in Europa zusammengetragen hat.

Das einzige originäre Denkmal an den Aufstand wurde 1953 in Berlin-Zehlendorf ggüb. einem sowjetischen Panzer errichtet –
Foto: Archiv 17.Juni
Für den Geschichtshungrigen ist allein diese originale Broschüre ein wahrer Schatz, zumal das offizielle Deutschland sich seit Jahrzehnten in einem schleichenden, weil nahezu unbemerkten Prozess der Erinnerung an diesen Volksaufstand entzieht. War der seinerzeitige Schwur Konrad Adenauers vor dem Schöneberger Rathaus noch mit einer glaubwürdigen Inbrunst vorgetragen worden, die Niemand als „politisches Geschwätz“ missverstand, werden heute die wenigen Erinnerungs-Zelebrierungen, wie der Staatsakt auf dem Friedhof Seestraße im Berliner Arbeiterbezirk Wedding als Rituale verstanden, die auch von den Medien mit zunehmender Unlust transportiert werden. So werden prominente Redner dabei ertappt, sich bereits abgelegter Rede-Manuskripte zu bedienen, weil ihnen in der Tat zu diesem Tag nichts Bewegendes mehr einfällt.
Trauer und Stolz eine unauflösbare Einheit
Dabei gäbe es auch in unserer Zeit genügend Anknüpfungspunkte, um an diesen ersten demokratischen Aufstand seit der Weimarer Republik zu erinnern. Junge Menschen gehen wieder auf die Straße, weil sie sich um die Zukunft sorgen, sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Vielleicht liegt dieses Gefühl der „Verlassenheit“ auch darin begründet, dass unsere Politiker nicht mehr in der Lage sind, Geschichte so lebendig zu vermitteln, daß sich junge Menschen davon angesprochen und inspiriert fühlen. Man kann Geschichte nicht nur auf Zeiten des Niedergangs, der Scham, die aus den zweifellosen Verbrechen erwachsen ist, beschränken. Wir können diese dunklen Tage eigener Geschichte überhaupt erst ertragen, wenn wir uns auch der Tage bewusst sind, auf die wir alle Zeiten und mit Recht wahrhaft stolz sein dürfen. Wenn Geburt und Tod untrennbar zusammen gehören, dann sind auch Trauer und Stolz eine unauflösbare Einheit.
So falsch die alleinige Hervorhebung großer historischer Ereignisse wäre, so falsch wäre und ist die Reduzierung eigener Geschichte ausschließlich auf Ereignisse der Trauer und des Niedergangs. Beides führt zur schleichenden Zersetzung der Identität eines Volkes, zerstört jedwede Basis des Vertrauens in die eigene und vor allem glaubwürdige Zukunftsfähigkeit.
Wir dürfen stolz sein auf diese Tage im Juni 1953. Sie waren der deutsche Auftakt zu einer Freiheitsgeschichte im zerrissenen Nachkriegs-Europa, dem (nahezu vergessenen) Aufstand im Sommer 1956 im polnisch gewordenen Posen, dem dramatischen Freiheitskampf im Oktober/November 1956 in Ungarn, der Freiheitsbewegung von 1967 in der CSSR unter Alexander Dubcek (wer kennt noch diesen Namen unter den „Nachgeborenen“?), dem Kampf der Solidarnosc in Polen in den achtziger Jahren. Ohne den Mut deutscher Frauen und Männer, denen man bis dahin unwidersprochen als Volk die willenlose Unterwerfung unter jedwede Obrigkeit unterstellte, ohne diesen Mut hätte es diesen Aufbruch in das freie Europa so nicht gegeben, wie wir es heute kennen und trotz aller Vorbehalte letztlich zu schätzen, fast schon zu lieben gelernt haben.
Wir sollten einen neuerlichen Stolz auf diesen Aufstand entwickeln, eine neue Dankbarkeit jenen Frauen und Männern gegenüber, die für diesen Ruf nach Freiheit und freien Wahlen, nach der Einheit unseres Vaterlandes mutig auf die Straße gegangen, dafür in die Zuchthäuser der Nach-Nazi-Diktatur gegangen und auch dafür gestorben sind. Der 17. Juni 1953 ist ein Gedenktag, der mit Leben, weil mit vielfältigen Erinnerungen angefüllt ist. Wir sollten diesen Tag dem Fast-Vergessen bewusst entreißen, ihn als historische Klammer zwischen den dunklen und den hellen Zeiten unserer Geschichte begreifen. Den 3. Oktober, der das Gedenken an den 17. Juni 1953 schmählich abgelöst hat, dürfen wir ohne Bedenken dem Orkus der Geschichte überantworten. Er ist als Gedenktag „nach Aktenlage“ blutleer, ohne jedweden erinnernden Lebenshauch, der uns mit dem Inhalt eines wirklichen Gedenktages über politische Grenzen hinaus verbinden sollte.
Der 17. Juni 1953 ist ein Gedenktag, der uns in jedweder Erinnerung mit Leben erfüllt und (wieder) inspirieren sollte. Lasst uns an Deutschlands, an Europas Zukunft glauben. Das ist ohne Erinnerung – auch an diesen Volksaufstand – nicht möglich.
* Der Autor ist Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953 in Berlin.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 0176-48061953 (1.420).
Aus aktuellem Anlass verweisen wir auf folgende Veranstaltungen der Vereinigung bzw. deren Mitwirkung:
– 16. Juni – 11:00 Uhr: Ehrung der Toten an den Mauerkreuzen am Reichstag, Friedrich-Ebert-Straße.
– 16. Juni – 12:00 Uhr: Ehrung am Gedenkstein Weberwiese (Karl-Marx-Allee).
– 16. Juni – 14:00 Uhr: Strausberg, Gedenkstein „17. Juni 1953“ vor der Kaserne.
– 16. Juni – 16:00 Uhr: Gedenken am Steinplatz/Hardenbergstraße – Opfer des Stalinismus, Opfer der nationalsozialistische Gewaltherrschaft.
– 16. Juni – 18:00 Uhr: Gedenkfeier am einzige originären Denkmal an den Aufstand in Berlin-Zehlendorf, Potsdamer Chaussee (Autobahn-Kleeblatt) „Holzkreuz“.
– 16. Juni – 19:00 Uhr: Mitgliederversammlung.
– 17. Juni – 09:45 Uhr: Kranzniederlegung mit Reg. Bürgermeister von Berlin am ehem. „Haus der Ministerien“, dem heutigen Bundesfinanzministerium, Platz des Volksauftandes von 1953.
– 17. Juni – 11:00 Uhr: Staatsakt Bundesregierung und Senat von Berlin, Friedhof Seestraße, Seestraße 93
– 17. Juni – 11:30 Uhr: Gedenken der Verstorbenen Teilnehmer und Zeitzeugen
– 17. Juni – 17:00 Uhr: Treffen mit Schulklasse aus Bremen „Haus der Ministerien“
– 17. Juni – 19:00 Uhr: Treffen mit Schulklasse aus Bremen am „Holzkreuz“ in Zehlendorf. Thema: Der Umgang in Deutschland mit dem Gedenken.
Verantwortlich: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V.
2 Kommentare
16. Juni 2019 um 15:12
Felix Heinz Holtschke
Gedenkfeier am 17.06.2019 anlässlich des 66. Jahrestages des Volksaufstandes in Mitteldeutschland vor dem Städtischen Rurtal-Gymnasium in der Bismarckstrasse 17, 52351 Düren
15. Juni 2019 um 06:56
Matthias Herms
Die Wirkung von Agitation und Propaganda, im Volke Kräfte zu entfesseln, Zuversicht, Wohlstand, positive Gefühle, Zufiedenheit und Glück zu erreichen, waren zu allen Zeiten nur zeitlich begrenzte Illusionen. Fata Morganas, ein Kinderglaube, wie Biermann einmal sagte. Unter Hitler glaubten Millionen dem Schreihals, ließen sich mitreißen in den Wogen der natioanloszialistsichen Bewegung, zogen Uniformen an, ließen sich manipulieren und verführen. Sogar Albert Speer, der Nazirüstungsminister gab später zu, daß das Dritte Reich nur auf Phrasen aufgebaut war, Höhepunkt der Riefenstahlfilm-Film „Triumph des Willens“.Dann wurden Millionen Ostdeutsche erst durch die „antifaschistisch-demokratische Ordnung und ab 1968 für den „Aufbau des Sozialismus“ zusammengetrieben und „begeistert“. Vermeintliche Helden der sozialistsichen Arbeit“ wurden zu Fahnen-, Tansparenten- und Bannerträgern. Keine Straße, wo nicht der Sieg des Sozialismus auf Plakaten vorhergesagt wurde. Eine 41jährige Dauerpropaganda aller Medien pflanzten eine gigantische Illusion in die Gehirne der DDR-Bürger, aber nur die wenigsten glaubten daran und noch weniger wollten mittun aber viele in der sozialen Hängematte liegen und die avisierten „Früchte der sozialistsichen Errungenschaften“ genießen. Aufgrund auch hier eingetretenen Ernüchterungen sprach die SED nun vom „Aufbau der entwickleten sozialistsichen Gesellschaft“, vom Kommunismus als Zukunftsprojekt. Die freidliche Revolution in der DDR 1989/90 suggerierten den Ostdeutschen, der „Aufschwung Ost“ würde kurzfristig die ersehnten Früchte tragen. „Blühende Landschaften“ versprach der Westkanzler Kohl und wieder glaubten Millionen den Versprechungen und Verheißungen medialer Manipulation, denn aus „Aufschwung Ost“ wurde nach der Entindustriealisierung im Osten“ und ersten Ernüchterungen flugs „der Aufbau Ost“. Der Soli sollte es richten, von dem noch heute viele Westdeutsche nicht ahnen, das auch die Ostdeutschen ihn zahlen. Und nun, nach 30 Jahren, wird die Hose zwangsläufig runtergelassen: Verarmte Ostdeutsche müssen mit einer neuen „Grundrente“ bei Laune gehalten werden, wo in „ländlichen Regionen“ kein Konsum, kein Bus, kein Kino mehr ist. Man hatte nur Dresden und Leipzig zu Leuchttürmen kapitalistischer Erfolgsgeschichte auserkoren und heute erkennen die Ostdeutschen, daß sie nun ein drittes Mal Opfer von Selbstsuggestion und medialer Manipulation geworden sind, wählen aus Frust die AfD, die „aufräumen“ soll im Brüsseler Politdickicht. Das Elitenprojekt „EU“ steht in Frage, die Lemminge folgen der Propaganda nicht mehr, denn sie selbst haben wieder nichts von den angeblichen Versprechnungen, sitzen bei HartzIV zu Hause, sind in prikären Arbeitsverhältnissen oder sind völlig vereinsamt. Der 17. Juni 1953 wurde in der DDR durch die SED medial als Tag der Konterrevolution, ersonnen in den Stuben westdeutscher Geheimdienste und der Bonner Ultras, verbreitet und mit Abscheu in die ostdeutschen Seelen gehämmert, während der Westdeutsche ihn nur als Staatsfeiertag erlebte aber selbst keine Beziehung zu ihm entwickeln konnte. Am Ende seines Lebens erkennt jeder Mensch, daß nicht alle Blütenträume reiften und das meiste sich als Illusion und Fehler herausgestellt hat. Aber wartet ab: „Der Kampf um den Klimawandel“ wird es richten, jeder soll wieder selber in sich gehen, sich kritisch befragen, Einkaufstüten und Strohhalme aus Plastik aus seinem Leben verdammen, soll sich schämen für die Vermüllung der Ozeane und selbst in sich als Lebenwesen wurde nun erkannt, daß der Mensch jeden Monat eine Plastikkarte unbemerkt verspeist. Und wieder wird die neue Generation auf die Straße gebracht mit Transparenten und Fahnen und wider passiert n i c h t s, außer wieder zahlen dann Problembewußte die CO2-Steuer. Ob der Mensch aus seinen Fehlern lernt? Oder ist dies auch nur eine der vielen Illusionen?