Berlin, 12.06.2019/cw – Wieder einmal wurden die Vertreter diverser Opferverbände zum „Fachgespräch Aufarbeitung der SED-Diktatur“ in das Abgeordnetenhaus von Berlin eingeladen. Der Briefkopf war Partei-übergreifend bunt und eindrücklich: Die Logos von SPD, DIE LINKE., Bündnis90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten und CDU standen einträchtig standen einvernehmlich nebeneinander im Briefkopf der Einladung und signalisierten: Wir nehmen uns Eurer Probleme ohne parteipolitisches Hickhack an.
Man wolle den (begonnenen) „Austausch mit den Opferverbänden, Aufarbeitungsinitiativen, Beratungsstellen und Gedenkstätten vertiefen, direkt von Ihnen erfahren, wo Sie Handlungsbedarf sehen …“, hieß es ankündigungsfroh in der von fünf Parteivertretern bzw. Abgeordneten unterzeichneten Einladung
Trotz üblicher Sprechblasen konstruktive Ansätze
Und in der Tat hatten die vorhergehenden Gespräche in dieser Runde bereits zu Ergebnissen geführt: So wurde die auch in dieser Runde von der Vereinigung 17. Juni kritisch angemerkte Praxis der Ausweitung des Berlin-Tickets auf anerkannte Rehabilitierungsopfer aufgegriffen und zwztl. durch die Sozialsenatorin (DIE LINKE) eine Verbesserung im Sinne einer Überprüfung der Vorschläge (Einführung eines Dauerausweises und damit Trennung von der Einstufung in die Soziale Bedürftigkeit) zugesagt. Diese Gesprächsrunden wiesen also trotz vieler in diesen Gremien üblich gewordener Sprechblasen durchaus konstruktive Ansätze auf.
Allerdings fiel dem Vorsitzenden der Vereinigung 17. Juni, dem ehemaligen Mauerdemonstranten und politischen Häftling der DDR, Carl-Wolfgang Holzapfel (75), anlässlich der aktuellen Einladung zum heutigen Mittwoch erneut auf, dass eine Partei der sechs im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien erneut nicht im Briefkopf ausgewiesen und auch nicht von einem Vertreter mitunterzeichnet worden war: die AfD.
Anlässlich der Weiterleitung einer aktuell erstellten Dokumentation des Vereins zum Umgang mit der originären Gedenkstätte „17. Juni 1953“ in Berlin-Zehlendorf an die einladenden Abgeordneten bat die Vereinigung darum, „uns vorab die Gründe für die offensichtlich fehlende Mitwirkung der auch im Abgeordnetenhaus vertretenen AfD“ zu übermitteln. Der Vorstand wollte nicht ausschließen, daß sich die AfD entgegen ihrer Verlautbarungen wenig oder gar nicht an der Aufarbeitung der SED-Diktatur beteiligen wollte. Immerhin hatte ja auch die AfD zu Parlamentswahlen ohne Bedenken ehemalige Stasi-IM aufgestellt. Hatte sich die Alternative für Deutschland also absichtlich einer Mitwirkung an dieser Gesprächsrunde a l l e r Parteien entzogen?
Frage nach Abstinenz der AfD ohne Resonanz
Interessanterweise lagen vierzehn Tage nach Absendung dieser Nachfrage noch keine Antworten der involvierten Abgeordneten bei der Vereinigung vor. Der Vorstand wandte sich daher vorsorglich an die AfD-Fraktion, übermittelte dieser die Nachfrage an die übrigen Parteien und bat um Aufklärung der offensichtlichen Abstinenz. Die Antwort bzw. Darstellung der AfD überraschte dann doch. Der Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung, Martin Trefzer, übermittelte folgender Auskunft:
Trefzer bezeichnete die erneute Nichtbeteiligung der AfD an dem Fachgespräch Aufarbeitung als „Armutszeugnis des parlamentarischen Selbstverständnisses dieser fünf Fraktionen.“ Die AfD habe über ihn, Trefzer, „bereits beim letzten Mal in aller Form bei den beteiligten Fraktionen und beim Präsidenten des Abgeordnetenhauses gegen die Ausgrenzung“ der Fraktion protestiert. Auch als er sich zu der Veranstaltung „als Gast“ angemeldet hätte, sei ihm „von der federführenden Koordinatoren, Frau Dr. West von der SPD-Fraktion, mitgeteilt“ worden, dass er „auch als Gast nicht an der Veranstaltung teilnehmen dürfe.“ Trefzer bat daraufhin den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland (SPD), diesen Vorgang rechtlich zu prüfen. Der Präsident ließ dem Abgeordneten „durch den Direktor mitteilen, dass auch diese persönliche Teilnahmeversagung nicht zu beanstanden sei.“
Die Vereinigung 17. Juni kann „aus ihrem historischen Verständnis heraus die Ausgrenzung einer frei gewählten Partei aus dem politischen Willensbildungsprozess nicht nachvollziehen,“ heißt es dazu in einer Stellungnahme des Vorstandes zu diesem Vorgang. „An die Stelle des demokratischen Disputs wieder die Ausgrenzung zu setzen, ist 66 Jahre nach dem Volksaufstand von 1953 und fast 30 Jahre nach dem endlichen Fall der Mauer ein unzumutbarer Eklat für die Demokratie.“
Die ausstehenden Stellungnahmen der angefragten fünf Parteien sieht die Vereinigung, die sich nach dem Volksaufstand zunächst als „Komitee 17. Juni“ gegründet hatte, als Eingeständnis eines „offenbaren schlechten Gewissens“ für dieses unbegreifliche, weil undemokratische Verhalten. Dass der Präsident des Abgeordnetenhauses, der zu einer parteiübergreifenden Neutralität in seinem Amt verpflichtet sei, diesen Vorgang verteidigt und als rechtens darstellen lässt, zeige einen bedenklichen Umgang mit „selbstverständlichen demokratischen Spielregeln.“
Auseinandersetzung um Werte essentiell
Die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Parteien und der von diesen propagierten Werten sei ein „essentieller politischer Anspruch und dürfe daher keineswegs kleingeredet werden,“ so der Vorstand in seiner Stellungnahme. Dazu gehöre auch „die notwendige Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichem Gedankengut, so dieses propagiert oder verteidigt werde. Wenn aber politische Institutionen, Parteien oder sonstige Organisationen das vom Grundgesetz vorgegebene demokratische Spielfeld verlassen, leisten sie den Kräften Vorschub, deren angebliche Bekämpfung wegen undemokratischer Verhaltensweisen sie als Begründung für eigene demokratische Abstinenz“ anführen. Damit werde nicht „der demokratische Diskurs und die notwendige Verteidigung der Demokratie gefördert, sondern werden für die demokratische Ordnung gefährliche gegenteilige Reaktionen beim Wahlbürger provoziert.“
Der Vorstand betont in seiner Erklärung, die er im Nachgang zum heutigen Treffen im Berliner Abgeordnetenhaus „allen im Parlament vertretenen Parteien“ zukommen lassen will, dass die heutige Abwesenheit der Vereinigung 17. Juni ausschließlich gesundheitliche Ursachen habe und insoweit „nicht als vorgefasster Protest“ gegen das als undemokratisch empfundene Verhalten aufgefasst werden dürfe. Man sei aber „nicht unfroh, dass die gesundheitliche Komponente hilfreich bei der heute sichtbaren Abwesenheit der Vereinigung gewesen sei.“ Man werde von den noch immer ausstehenden, aber erwarteten Stellungnahmen „unser weiteres Verhalten wie unsere weitere Teilnahme an derartigen Gesprächen gleichwohl abhängig machen.“ Auch würde man zu gegebener Zeit die anderen Teilnehmer ggf. auffordern müssen, „die weitere Zusammenarbeit bei einer Fortführung undemokratischer Verhaltensweisen zu überdenken.“ Diese klare Haltung sei man „dem Erbe des 17. Juni 1953, der sogen. Friedlichen Revolution wie den tausenden Opfern der Verfolgung in der zweiten deutschen Diktatur schuldig.“
V.i.S.d.P.: Vorstand VEREINIGUNG (AK) 17. JUNI 1953 e.V., Berlin (für den Inhalt der vorliegenden Erklärung) und Redaktion Hoheneck, Berlin (für den redaktionellen Beitrag) – 1.419.
4 Kommentare
13. Juni 2019 um 06:54
text030
Der aufgezeigte Fall ist die erneute Bankrotterklärung der politisch Verantwortlichen, aber auch der gesamten Nicht-„Aufarbeitung“ und Ausgrenzung von Zeitzeugen der vergangenen 30 Jahre.
Viele der aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen sind damit aufs engste verbunden.
Im 30. Jahr des Mauerfalls ist der Kaiser nackt, sind die Hoffnungen der einstigen DDR-Opposition und politisch Verfolgten der DDR nachhaltig zerstört und belegen die Verhältnisse, dass man aus zwei Diktaturen nichts gelernt hat.
13. Juni 2019 um 02:57
Klaus Helmut Dörfert
Liebe Kameraden / in
was läuft in der bundesdeutschen Historie verkehrt? Die Bundesrepublik hatte sich 1945 auf den Weg gemacht, in Richtung Demokratie. 1966 gingen CDU und SPD die Große Koalition ein und brachten damit das Parlament um jede wirkungsvolle Opposition und machten den braunen EX-PG Kurt Georg Kiesinger zum Kanzler. 1989 machten sich die DDR und BRD in Richtung vereintes Deutschland – Demokratiestaat auf. 2005 wurde Angela Dorothea Kasner (Merkel) Bundeskanzlerin, eine EX-FDJ-Funktionärin. Also können wir doch die gleichen Entwicklungen feststellen, vom Parteienstaat zum Autoritätsstaat, bis zum Diktaturstaat? … Wer jetzt noch an eine wahrheitsgemäße Aufarbeitung der „zweiten Verganenheit“ glaubt, der lebt auf einem anderen Planeten.
Mit kameradschaftlichem Gruß
Dipl. Klaus Helmut Dörfert
12. Juni 2019 um 20:41
Wolfgang Graetz
Braucht es hierzu noch einer Kommentierung ?- Meine mehrmaligen Nachfragen zur Thematik „Aufarbeitung“ sowohl im Land Brandenburg, als auch bei der Bundesstiftung wurden dahingehend beantwortet, das alles „BESTENS“ wäre und „was ich wolle“- mein Hinweis auf die Dokumentation von Dr. Stücken wurde mit Auflegen des Telefonhörers in der Bundesstiftung beantwortet- brauchts also mehr ???
Der 17.Juni 1953, ein „denkwürdiger Tag “ für Deutschland wird „aufgearbeitet“ mit der Schuld Deutschlands am/im 2.Weltkrieg und dies … LEBENSLANG / auf alle EWIGKEIT !!!
Warum lassen WIR, das Deutsche VOLK, uns dies ALLES gefallen?
12. Juni 2019 um 20:24
Felix Heinz Holtschke
Dieser neuerliche Boykott einer demokratisch gewählten und agierenden Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, wo die Linke unter Kultursenator Lederer u.a. auch den administrativen Vorsitz über die Gedenkstätten der SED-Diktatur innehat – ein unfassbarer Treppenwitz der Geschichte – ist ein weiterer Schritt hin zur Meinungsdiktatur hierzulande, wie wir ihn bereits zu Zeiten der SED-Diktatur in der untergegangenen DDR haben miterleiden dürfen. Auch an dieser Stelle müsste das Bundesverfassungsgericht längst mit einer Offizialklage einschreiten, um diesem eklatanten Demokratie-verstoss ein sofortiges Ende zu bereiten !
Felix Heinz Holtschke
VOS-Landesvorsitzender NRW
40489 Duesseldorf