Bremerhaven/Berlin, 06.05.2019/cw – Heute erreichte uns die Nachricht: Bernd Stichler, einstiger Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS). ist tot. Er starb nach kurzer schwerer Krankheit am 2. Mai im Krankenhaus. Stichler wurde am 5.Oktober 1944 in Halle/Saale in eine „durch und durch kommunistische Familie“ hineingeboren, wie er später selbst formulierte.
Der verordnete Maulkorb in der DDR blieb in seiner Erinnerung als permanente Bevormundung und Untersagung freier Meinungsäußerung im Bewusstsein. Angekommen in der Spitze des seinerzeit größten Verfolgtenverbandes VOS, gab er seine Vorstandsfunktion 2006 auf, nachdem ihm Äußerungen vorgehalten worden waren, die er drei Jahre zuvor wohl etwas alkoholisiert im geschlossenen Kreis von sich gegeben hatte. Stichler war als permanenter Kritiker an der „unvollständigen Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur“ in bestimmten politischen Kreisen in Ungnade gefallen. Da wurden die – freilich unpassenden und nicht akzeptablen – Äußerungen über Muslime und Juden von seinen Gegnern geradezu freudig aufgegriffen, um ihn in Bedrängnis zu bringen.
„Die Prozeduren der Ausschaltung unerwünschter Personen sind eigentlich unabhängig vom jeweiligen System,“ resümierte Stichler später im Rückblick. Die Kritik an seinen Äußerungen nahm er im zeitlichen Abstand als ein „geborenes Recht“ der Kritiker hin. Die „bittere Erfahrung“ sah Stichler in dem Verhalten von Vereins-Kameraden, die seine Äußerungen nutzten, um den Rücktritt von seiner Position als Vorsitzender zu fordern. Dabei konnte man dem streitbare Verstorbenen nicht vorwerfen, dass er auf Posten ausgewesen sei und sich in die Reihe der Nutznießer möglicher Geldquellen einreihen würde. Seine soziale Einstellung wurde auch von seinen Gegnern nicht bestritten. So verzichtete er schon damals auf die Kraft Amtes zustehende Mitgliedschaft im ZDF-Fernsehrat zugunsten seines damaligen Stellvertreters und späteren Nachfolgers als VOS-Vorsitzender. Dieser war wirtschaftlich schlechter gestellt; Stichler, der sein Einkommen als ausreichend ansah, wollte dem Kameraden die durchaus ansehnliche monatliche Aufwandsentschädigung zukommen lassen.
Im Ergebnis der seinerzeitigen Auseinandersetzungen vor dreizehn Jahren zog sich Stichler wenig später ganz aus der politischen Arbeit zurück und verließ kurz darauf die Hauptstadt, um nicht „täglich an diesen politischen Vergiftungsbrunnen“ erinnert zu werden. „Die Prozeduren der Ausschaltung unerwünschter Personen sind eigentlich unabhängig vom jeweiligen System,“ stellte er sarkastisch in der ihm eigenen Sprachdeutlichkeit fest. Einst im politischen „Aufarbeitungsgeschirr“ eingespannt, lebte er seither mit seiner Frau ein ruhiges Rentnerdasein und meldete sich nur noch sporadisch hier und dort in einem Internet-Forum zu Wort. Hilfreich im Ruhestand war ihm seine in der DDR begonnene Leidenschaft zur Musik. Er komponierte und interpretierte in seinen Musikstücken ein Stück „gewolltes anderes Leben“ und verspürt – in die Jahre gekommen – dabei sogar „ein wenig Glück.“ Wenngleich dieses Glück durch mehrere Herzoperationen zunehmend eingeschränkt war. Nach zweiwöchigem Koma starb der politische Idealist, ohne noch einmal in diese Welt zurückgekehrt zu sein. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Christa und seiner Familie.
Datum und Ort der Beisetzung liegen uns derzeit nicht vor.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607953 (1.403).
5 Kommentare
8. Mai 2019 um 13:06
fritz schüler
Traurig, traurig ! !
Schon wieder ist ein aufrechter Kamerad und unbeugsamer Streiter gegen subtile Verharmlosungstaktik marxistischer Terrorideologie von uns gegangen.
Um so mehr gilt es, der bedrohlichen Wiedergeburt jener blutigsten Irrlehre der Menschheitsgeschichte kompromislos entgegen zu treten.
7. Mai 2019 um 11:46
Gustav Rust
Bernd, wir werden Dich nicht vergessen!
Gustav Rust
7. Mai 2019 um 02:28
tout lieu
Herr Schippendraht, aka Bernd Stichler erklärte hier schon 2014 Pegida als Protestbewegung und outete sich bereits 2007 als harter Islamkritiker an der VOS-Spitze. Er lag meist quer zur Achtsamkeit und diversen Politik. Es fiel Stichler schwer, im schlitzohrigen Politikgetriebe schlau die Minderheit der DDR-Verfolgten zu vertreten. Er hatte den ewig Bevormundung witternden pol. Häftling aus der Swingjugend nie überwunden. – Jetzt sterben sie alle, leise und unbeachtet. Sozialdemokraten, Rechte, Wertkonservative … kämpfende Elemente, die im modernen, subtil despotischen Zeitgeist ethischer Beliebigkeit heimatlos wurden. Dazu eine Sozialstudie!
6. Mai 2019 um 16:45
Klaus Hoffmann
Bernd Stichler war ein edler Mensch und Kamerad. Dank der Readktion für die anerkennenden Worte!
Klaus Hoffmann
6. Mai 2019 um 16:42
text030
Eine traurige Nachricht im 30. Jahr des Mauerfalls. Der Beitrag würdigt die Rolle Bernd Stichlers nicht als Teil einer Aufarbeitungsindustrie, sondern als streitbaren Mensch, den ich sehr schätzen gelernt habe. Auch seine kritischen Kommentare auf diesem Blog gehören dazu.
Die Sentenz: „Der verordnete Maulkorb in der DDR blieb in seiner Erinnerung als permanente Bevormundung und Untersagung freier Meinungsäußerung im Bewusstsein“ ist auch 2019 hochaktuell, haben sich doch nun wieder die Verhältnisse von einst restauriert.
Ein würdiger Nachruf. Danke!