Berlin, 09.03.2019/cw – Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Sein Vater war der Schriftsteller Dieter Noll. Er studierte Kunst und Kunstgeschichte in Ostberlin, bevor er Anfang der 1980er Jahre den Wehrdienst in der DDR verweigerte und 1983 nach Westberlin ausreiste, wo er vor allem als Journalist arbeitete. 1991 verließ er mit seiner Familie Deutschland und lebte in Rom. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. 1998 erhielt er die israelische Staatsbürgerschaft. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland.
Stacheldraht im Gehirn
In einem Essay für achgut.com vom 3. März d.J. berichtet Noll aus seiner letzten Begegnung mit Bärbel Bohley:
„Ich beschäftigte mich damals, im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Freien Universität, mit den Akten des DDR-Schriftstellerverbands und war entsetzt über die lückenlose Überwachung und Bespitzelung, die schon im Keim erstickte Meinungsfreiheit, die „innere Zensur“, der sich die Schreibenden unterworfen hatten und die – der heutigen political correctness vergleichbar – bereits die Wege ihres Denkens auf ungesunde Weise lenkte und behinderte. Ich konnte nachverfolgen, wie Regulierung von Sprache, Themen, Meinungen ihre Rückwirkung nimmt auf die Psyche. Wie Menschen daran krank werden. Ich nannte es „Stacheldraht im Gehirn“.“
Viel feiner, als die Stasi
Noll erinnert sich an Bohleys eindringliche Ausführungen zu diesem Thema, die er nie vergaß:
„Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen.
Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
Siehe dazu: https://www.achgut.com/artikel/baerbel_bohley_die_frau_die_es_voraussah/P10
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-85607953 (1.386).
3 Kommentare
9. März 2019 um 12:39
Klaus Helmut Dörfert
Liebe Kameraden / in
Es müsste doch jeden aufgefallen sein ,dass uns 30 Jahre nach der „Wiedervereinigung“ nie eine wirtschaftliche sowie eine politische Abschussbilanz vorgelegt wurde. In den Medien und in den politischen Institutionen, war nie eine sachliche Diskussion zu hören bzw. zu lesen.
Die gewaltigen Transformationsprozesse zogen das Wirtschaftsverbrecher an, daher kann ich nur feststellen, das die Treuhand mit der Stasi und den politischen Verbrechern der DDR ,Hand in Hand´ die Enteignung der 17 Millionen DDR Bürger vollzogen hat. Da die Westdeutschen Politiker so involviert waren und sind, sind sogar die Gesetze geändert worden, was eine Strafverfolgung per Gesetz unmöglich macht. Das ist die bittere Pille der Deutschen Einheit, die man uns allen zu schlucken gegeben hat.
Mit kameradschaftlichem Gruss
Dipl. Klaus Helmut Dörfert
9. März 2019 um 12:34
Dirk Jungnickel
Meine Antwort an Chaim Noll:
Lieber Chaim Noll, ich korrigiere Sie höchst ungern. Nein, nicht korrigieren , aber ein wenig relativieren muß ich Ihre Eloge schon. Auch ich habe Bärbel Bohley kennen gelernt, und zwar in der Gedenkbibliothek für die Opfer des Stalinismus (heute: des Kommunismus,) wo Sie – wenn ich mich recht erinnere – auch zu Gast waren. Selbstverständlich war Bärbel Bohley ein Ikone der Wende, d.h. aber nicht, dass ihre Visionen fundiert waren. In vielen Köpfen derer, die die „DDR“
verbessern wollten steckte nämlich noch die von der SED eingetrichterte Angst vor dem bösen Kapitalismus. Sie begriffen nicht, dass Freiheit nur in einer offenen Gesellschaft möglich ist, die eben auch eine kapitalistische , sozial – marktwirtschaftliche ist. Eine weichgespülte „DDR“, oder eine Koexistenz wäre den „DDR“ – Bürgen 1989 nicht zu vermitteln gewesen. Naiv, wer das für möglich hielt.
Dass die Stasi – Methoden heute noch virulent sind, kann man so wie Sie B.B. zitieren nicht wirklich behaupten. Auch nicht wenn man sich über die vor allem medialen Zustände die Haare raufen möchte. Vor allem kann man sich heute dagegen wehren.
In meinen Kreisen hatte sich B.B. selbst diskreditiert, als sie im SFB behauptete, die inzwischen schon in der Aufarbeitung verdienstvolle Gedenkbibliothek wäre ein Hort ehemaliger Nazis, weil sich dort u.a. Menschen trafen, die die Speziallager der Sowjets überlebt hatten. Menschen, die völlig unschuldig nach 1945 in ehemaligen Nazi – KZs vegetiert hatten und endlich – wenn sie in der „DDR“ verblieben waren – offene Ohren für Ihre Schicksale fanden.
Bärbel Bohley hat ihre Verdienste, aber hier hat sie wider besserer Wissen agiert.
9. März 2019 um 11:44
Bärbel Bohley: „Das ständige Lügen wird wiederkommen“ – nachtgespraechblog
[…] https://17juni1953.wordpress.com/2019/03/09/baerbel-bohley-das-staendige-luegen-wird-wiederkommen/ […]