Berlin, 24.10.2018/cw – Am morgigen Donnerstag, 25.10.2018, vollzieht sich ein trauriges Jubiläum vor der Russischen Botschaft, Unter den Linden, in Berlin. Seit vier Jahren erinnert dort der ehemalige politische DDR-Gefangene Roland Wendling mit einer Mahnwache an (z.Zt.) über 70 namentlich bekannte Gefangene in Russland, die aus politischen Gründen zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden oder auf ihr Strafverfahren warten. Der Dauerdemonstrant wird am Donnerstag erneut von 13:00 – 16:00 Uhr an diese politischen Gefangenen Russlands erinnern und ihre Freilassung fordern: Ukrainer, die sich für die Freiheit und Unabhängigkeit, gegen die Teil-Annexion ihres Landes engagiert haben und dafür von Russland in alter sowjetischer Manier politisch verfolgt, der Freiheit beraubt wurden. Verfolgt wurden und werden auch Russen, die sich auf die Seite der Ukraine oder der von der russischen Justiz deswegen Verfolgten gestellt haben und stellen.

Auch in Meseberg organisierte Wendling im August 2018 beim jüngsten Besuch von Waldmir Putin eine Protest-Demo – Foto: LyrAg

Der einstige Cottbuser Häftling unterstützt mit seiner jahrelangen Mahnwache gleichgerichtete Aktionen in aller Welt (London, Stockholm, New Yorck, aber auch in Kiew und Moskau und anderen Städten), mit dem Ziel, die politischen Gefangenen unverzüglich freizulassen.

Aktuell stellt Ronald Wendling das Schicksal des inhaftierten Regisseur Oleg Senzow beispielhaft in den Mittelpunkt seiner Kampagne. Mit einem monatelangen, im Mai 2018 begonnenen Hungerstreik für die Freilassung anderer politischer Gefangener brachte sich der Ukrainer selbst in äußerste Lebensgefahr und die russischen Behörden in Zugzwang. Diese gaben vor rund drei Wochen den Abbruch des Hungerstreiks bekannt, nachdem sie ihren Gefangenen zwangsernährt hatten.

Senzow war bereits 2014 auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim festgenommen worden. Die russische Justiz warf dem Filmemacher „Terrorismus“ vor. Er wurde ein Jahr später (2015) zu 20 Jahren Haft verurteilt. Das Verfahren erinnerte Beobachter an sowjetische Schauprozesse. Der Regisseur ist in einem Straflager in Labytnangi inhaftiert, das in Westsibirien am Polarkreis liegt.

Inzwischen haben sich auch namhafte Persönlichkeiten wie die Literaturnobelpreisträgerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch und mehr als 350 weitere Schriftsteller, Wissenschaftler und Publizisten für Senzows Freilassung eingesetzt. Sie appellierten im Mai in einem offenen Brief an die Bundesregierung, sich für den inhaftierten ukrainischen Regisseur einzusetzen. „Oleg Senzow darf kein Todesopfer der politischen Justiz Russlands werden“, hieß es in dem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD). Zu den Unterzeichnern gehörten auch die Autorin Katja Petrowskaja, die Schriftsteller Wladimir Kaminer, Juri Andruchowitsch und Serhij Zhadan, die Grünen-Bundestagsabgeordneten

Seit 2014 regelmäßiger Protest vor der Russischen Botschaft in Berlin: Ronald Wendling (re.) – Foto: LyrAg

und Manuel Sarrazin, der Historiker Karl Schlögel und die Suhrkamp-Lektorin Katharina Raabe.

Über den aktuellen Gesundheitszustand von Senzow ist so gut wie nichts bekannt. Nicht nur Wendling geht nach wie vor von einem lebensbedrohlichen Zustand aus. „Das Schicksal Senzows steht beispielhaft für alle hier vor der Russischen Botschaft mit Portrait und Namen aufgeführten politischen Gefangenen. Anhand seines Schicksals soll sich jeder Besucher der Mahnwache ein persönliches Bild von dem Schicksal dieser Menschen machen können, damit eine notwendige breite Identifikation möglich wird,“ sagt Wendling am Vorabend seiner neuerlichen Mahnwache. Der einstige politische DDR-Gefangene: „Diese Menschen brauchen die Solidarität einer breiten Bürgerbewegung, damit sich etwas zugunsten dieser Verfolgten etwas bewegt.“

Manchmal wird diese humanitäre Demonstration auch für den Unermüdlichen zur Last für seinen demonstrativen Optimismus: „Natürlich ist es schwer, mit der offensichtlichen Gleichgültigkeit der vielen Touristen umzugehen.“ Auf der anderen Seite besuchen den Demonstranten nicht nur in Berlin lebende Ukrainer, sondern auch regel-/unregelmäßig deutsche Unterstützer: „Das macht Mut und vermittelt die notwendige Kraft, den Einsatz für diese fast Vergessenen fortzusetzen,“ so Wendling. Er ist dankbar für die vielfache logistische Unterstützung beim wöchentlichen Aufbau seiner Protestplakate oder für die Kosten der Herstellung in seiner kleinen Wohnung. Auch die Vereinigung 17. Juni in Berlin unterstützt seit einigen Jahren die Protestaktion: Donnerstag, 25.Oktober 2018, 13:00 – 16:00 Uhr, Russische Botschaft, Nähe Brandenburger Tor.

Nachtrag: Brüssel/Berlin, 25.10.2018/cwEinen Tag nach Redaktionsschluss hat das Europaparlament  Oleg Senzow mit dem diesjährigen Sacharow-Menschenrechtspreis ausgezeichnet: http://www.spiegel.de/politik/ausland/sacharow-preis-geht-an-ukrainischen-regisseur-oleg-senzow-a-1235104.html .

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