Von Carl-Wolfgang Holzapfel*

Berlin, 18.10.2018

Ja, es ist ein Zufall, dass heute der 52. Jahrestag meiner Verhaftung am Checkpoint Charlie ist. Nein, es ist kein Zufall, dass ich wenigstens eine Nacht darüber schlafen mußte, um zu entscheiden, ob ich über die Feier zum 20. Jahrestag der Stiftungs-Gründung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ berichten wollte/sollte. Und es ist wohl kein Zufall, dass ich mich für „keine Berichterstattung“ entschieden habe. Warum?

Nachdenklich: Margot Jann, einst zum Tode verurteilte Ehrenvors. der ehem. Frauen von Hoheneck – Foto: LyrAg

Immerhin waren hohe Honoratioren, angeführt vom Bundespräsidenten und seinem Vorgänger, anwesend, hat der Bundespräsident selbst eine Rede gehalten. Aber?

Keiner der hochrangigen Redner kam auch nur ansatzweise auf die Idee, neben den „sehr verehrten Bundestagsabgeordneten, Abgesandten“ etc. pp. die (auch) anwesenden Lastenträger der Teilung Deutschlands, die zudem von der Politik auch zu Lastenträgern der Einheit paraphiert wurden (siehe Rentenbetrug etc.) zu begrüßen oder zu erwähnen. Man gab sich geschichtsbewusst, indem man diese Zeitzeugen als „schon lange nicht mehr existent“ behandelte. Die Selbstbeweihräucherung einer oft zu Recht so bezeichneten „Aufarbeitungsindustrie“ erstickte jedes Bewusstsein für wenigstens formalen Anstand den anwesenden Frauen von Hoheneck, den politischen Gefangenen von Bautzen und anderen DDR-Haftanstalten, den (auch) anwesenden Fluchthelfern gegenüber.

Staatsministerin Grütters:
Gedenkstätten wie Hohenschönhausen sind wichtig… – Foto: LyrAg

Erstaunlich die Antworten gestandener Politiker auf meine Frage nach dem Ende des Festaktes, ob ihnen diese Ignoranz in den Begrüßungen auch aufgefallen sei: „Jetzt, wo Sie mir das sagen, fällt mir das auch auf! Das geht eigentlich gar nicht!“

Interessant also auch, das dieser vergessene Anstand 29 Jahre nach dem Mauerfall und 28 Jahre nach der aktenkundigen Wiedervereinigung in Form eines Beitritts eines Teil-Deutschlands zu einem anderen Teil-Deutschland auch jenen nicht mehr auffällt, die einst oder heute noch eine „enge Bindung“ zur Politik haben.

Stiftung „Aufarbeitung“? Ich meine, hier muß nicht nur traurige Vergangenheit, sondern auch triste reale Wirklichkeit aufgearbeitet werden. Daran denke ich heute am Jahrstag meiner Verhaftung durch Grenzorgane der DDR und einen Tag nach einer großen Selbstbeweihräucherung jener, die außer guten Positionen (nach der Wendezeit) herzlich wenig aktiv am einstigen Kampf für die Freiheit unserer (einstigen) „Brüder und Schwestern“ beteiligt waren.

P.S.: Das die Gedenkstätte Hohenschönhausen nur einmal an diesem Abend eher beiläufig erwähnt wurde, ansonsten das brennend aktuelle Thema eisern umschifft wurde, passt in den Rahmen einer selbstverliebten, weil für richtig gehaltenen Aufarbeitung. Doch das wäre ein weiteres Thema…

„Wer trug die Lasten?“ Das blieb im Museum für Kommunikation offensichtlich ein Geheimnis – Foto: LyrAg

* Der Autor ist seit 2002 Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. und kämpfte 28 Jahre lang durch gewaltlosen Kampf und Fluchthilfe gegen die betonierte Teilung Deutschlands.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.345).