Berlin, 08.08.2018/cw –Nachdem sich die Gedenkstätte unlängst von dem bekannten ehemaligen Cottbus-Häftling Siegmar Faust getrennt hatte (wir berichteten), soll jetzt der einstige Bürgerrechtler und Ex-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg (SPD) aus dem Förderverein ausgeschlossen werden. Hilsberg wird vom Vereinsvorstand vorgeworfen, Interna aus dem Verein in die Öffentlichkeit transportiert zu haben.
Die Gedenkstätte hatte ihrem bisherigen Referenten Siegmar Faust vorgeworfen, während seiner Führungen durch den ehemaligen Stasi-Knast indirekte Werbung für die AfD gemacht zu haben. Außerdem soll er in einem freilich umstrittenen Interview den einstigen RAF-Heroen und späteren Rechtsextremisten Horst Mahler verteidigt haben, was Faust vehement bestreitet. Hohenschönhausen-Direktor Dr. Hubertus Knabe zog die Notbremse und sperrte den einst angesehenen Zeitzeugen von weiteren Tätigkeiten für die Gedenkstätte aus. Der ehemalige Haftkamerad von Siegmar Faust in Cottbus und seit 2015 Vorsitzender des Dachverbandes der DDR-Opferverbände UOKG, Dieter Dombrowski (CDU), sprang Knabe für einstige Verfolgungsopfer irritierend schnell zur Seite und begrüßte den Rauswurf.
Hilsberg: Verein von AfD unterwandert
Stephan Hilsberg (SPD), einstiger Bürgerrechtler der letzten DDR-Tage und bei den letzten Wahlen als Schriftführer in den Vorstand des „Förderverein Gedenkstätte Hohenschönhausen“ gewählt, brachte Brisanz in die aufgewühlte Debatte, indem er die Aufnahme des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, in den Förderverein öffentlich kritisierte und jüngst sogar ggüb. der Berliner Zeitung den Vorwurf erhob, der Verein sei von der AfD „unterwandert“. Außerdem warf Hilsberg dem unlängst in seinem Amt bestätigtem Vorsitzenden Jörg Kürschner vor, in der „rechtsgerichteten Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT AfD-nahe Artikel“ zu publizieren.
Der ehemalige Redakteur des MDR in Berlin hingegen wirft seinem Vorstands-Kritiker vor, Hilsberg wäre derjenige, der Parteipolitik in den Verein trage. Kürschner: Es sei „mit dem Zweck des Vereins nicht vereinbar, die politische Ausgrenzung einer Partei zu betreiben, die im Deutschen Bundestag und in 14 Landtagen vertreten ist“. Hilsberg wird indessen von Parteigenossen und Vertretern der politischen Linken unterstützt. So erklärte Jens Gieseke, Mitglied des Beirates der Gedenkstätte Hohenschönhausen und Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in der Berliner Zeitung: „Es ist höchst bedenklich, dass der Förderverein den aufrechten Bürgerrechtler Stephan Hilsberg ausschließen will. Offenbar halten die Kreise um den Vorsitzenden Jörg Kürschner die Gedenkstätte für ihr privates Fürstentum.“ Und Markus Meckel (SPD), letzter Außenminister der DDR, sagte die vorgesehene Laudatio zur Verleihung des Hohenschönhausen-Preises ab. Begründung: Er sehe den Verein wegen der AfD in einer „Schräglage“.
Beobachter aus der Verfolgten-Szene sehen die seit Woche andauernde Auseinandersetzung in der renommierten Gedenkstätte mit tiefer Besorgnis und befürchten eine „existenzielle Krise der Aufarbeitung.“ Der „Polit-Zoff“ habe jetzt einen der wichtigsten Orte der Gedenkstätten-Kultur erreicht, was „die Fortführung einer parteifernen Aufarbeitung der SED-Diktatur ernsthaft gefährde,“ sagte ein ehemaliger Hohenschönhausen-Häftling.
Kommentar:
Schlägt das Imperium zurück? („Das Imperium schlägt zurück“ war 1980 der berühmte Titel eines US-amerikanischer Science-Fiction-Films). Soweit sind wir noch nicht. Aber wenn man die schon seit Monaten andauernde Kampagne gegen die Stützpfeiler der Aufarbeitung in Hohenschönhausen, hier den bisher allseits willkommenen Förderverein, bewerten will, stehen durchaus derlei Fragen an. Die Gedenkstätte stand von Beginn an im Feuer linker Kritiker, angeführt von alten Stasi-Genossen, wie dem ehem. Leiter des zentralen Untersuchungsgefängnisses des MfS, Siegfried Rataizick.
Unter der souveränen Leitung von Hubertus Knabe gelang es den Kritikern jedoch nicht, den Ausbau des einstigen Zentralen Untersuchungsgefängnisses der DDR-Staatssicherheit zur führenden Gedenkstätte zu verhindern. Geschickt wußte Knabe die Stiftung von parteipolitischen Querelen freizuhalten. Ein Balanceakt besonders, nachdem ausgerechnet der LINKE-Politiker Thomas Flierl als Kultus-Staatssekretär unter Klaus Wowereit politisch für die Gedenkstätte verantwortlich wurde. Rückblickend gesehen gelang es Flierl jedoch, wohl nicht ohne entsprechende Einwirkung durch Knabe, durch geschicktes Lavieren zwischen den Fronten das Gedenken an das Unrecht maßgeblich zu befördern.
Auch jetzt steht die Gedenkstätte in der Obhut eines LINKE-Senators. Klaus Lederer stellte sich allerdings gleich zu Beginn seiner Amtszeit ohne Vorbehalte in die gewachsene Tradition, entschuldigte sich gar persönlich glaubwürdig für das erlittene Unrecht bei den Betroffenen. So weit, so gut.
Agitprop aus dem Grufti-Keller
Jetzt scheint die bisherige unschätzbar wertvolle parteipolitische Neutralität aufgebraucht, wittern einstige Widersacher und lange still gewordene Gegner der Aufarbeitung Morgenluft. Und natürlich werden als Mittel zum Zweck die alten Rezepte der Agitprop der einstigen staatstragenden Diktatur-SED aus dem Grufti-Keller hervorgeholt: Es gelte, „rechten Tendenzen, gar einer Wiederauferstehung von Nazi-Gedankengut“ Widerstand zu leisten. Dass dabei eine buchstäblich aus dem Nichts entstandene Partei als Bösewicht herhalten muß, ist nach deren demokratischen Aufstieg durch zahlreiche Wählerentscheidungen in Bund und Ländern und der dadurch entstandenen Konkurrenz nicht verwunderlich. Verwunderlich hingegen ist das Schweigen jener Kritiker gegenüber der Ausbreitung DDR-konformen Gedankengutes in Medien und Politik. Dass der Polit-Zoff jetzt also auch Hohenschönhausen erreicht hat, verdanken wir auch Stephan Hilsberg und Markus Meckel durch deren unbesonnene, offensichtlich parteipolitisch instruierten Äußerungen. Aber auch dem Förderverein, der vorschnell gegen einen ehemaligen politischen Gefangenen Stellung bezog, statt ihn zuförderst zu verteidigen. Auch das Aufarbeitungsschwergewicht Hubertus Knabe vergaß etwas zu schnell seine frühere Standfestigkeit im Engagement für ehemalige Opfer, distanzierte sich von Zeitzeugen (Faust) und Mitstreitern in Gestalt des Fördervereins (Kürschner). Sieht er sein Lebenswerk durch seine bisherige klare Sprache bereits gefährdet?
Ob die in die Jahre gekommene Aufarbeitung noch genügend Kraft besitzt, sich autonom gegen die Übernahme durch vorlaute (und jetzige Gedanken-)Täter zur Wehr zu setzen? Da sind Zweifel angebracht, auch wenn man Debatten „von links“ als unverzichtbaren demokratischen Beitrag einstuft, Solidarität mit Weggefährten hingegen als „rechte Gesinnung“ diffamiert.
Die Träger der selbstgerecht gewordenen „Aufarbeitungsindustrie“ sollten sich warm anziehen, sprich erheblich deutlicher und unmissverständlicher artikulieren, wenn von dem ursprünglichen Gedanken eines Sieges der „Demokratie gegen die Diktatur“ noch etwas bewahrt werden soll. Gedanken- und Meinungsfreiheit galten einst als unveräußerliche Grundlage der Unrechts-Aufarbeitung.
Carl-Wolfgang Holzapfel*
* Der Autor war im Oktober 1965 nach einer Demonstration für die Freilassung politischer Gefangener in der DDR verhaftet und im April 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er saß insgesamt neun Monate in Einzelhaft in Hohenschönhausen, bevor er nach Bautzen verlegt wurde.
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9 Kommentare
15. August 2018 um 18:48
Felix Heinz Holtschke, VOS-Landesvorsitzender NRW
Frustrierend, traurig, beschämend, wie der Spaltpilz offenbar die unverzichtbare Erinnerungskultur an die zweite Diktatur zu zerfressen droht. Jeder von uns muss sich mit seinen eigenen Möglichkeiten vor Ort dagegen stellen. Es ist bezeichnend, dass es immer wieder Sozialdemokraten sind, die den Keil setzen und bestimmen wollen, wer dazugehört und wer nicht oder wer dazugehören darf und wer ausgeschlossen werden soll. Und schon gar nicht von den Linken müssen sich Parteimitglieder der AfD sagen lassen, wer Demokrat ist und wer nicht. Die, die einst Menschen wie Hasen an der Berliner Mauer und an der Demarkationslinie haben abschiessen lassen, sind moralisch bis zum heutigen Tage hierzu in keinster Weise berechtigt! Kaum nachvollziehbar und unangemessen empfinde ich es jedoch, dass sich Dr. Hubertus Knabe von unserem Kameraden Siegmar Faust so drakonisch distanzierte. Den Ausschluss von Hilsberg aus dem Förderverein hingegen kann ich unter den gegebenen Umständen nur begrüssen.
10. August 2018 um 22:03
Edith Fiedler
Gestern war ich in Erfurt und auch in der Andreasstr., Kultur- und Gedenkstätte. Da „hängen“ alle friedlich beieinander. Hartmut R. , Siegmar F., Anita G., Angelika K. Katrin B. usw. Alles ehemalige und noch Vertreter der SED-Opfer in der UOKG. Habe mal nachgefragt, ob man nun Siegmar „abhängt“? Da lebt man aber im Tal der Ahnungslosen. Sie wissen nichts von diesen Streitigkeiten in HSH in Berlin. Vieleicht werden diese Vorgänge hier in Berlin viel zu sehr aufgebauscht. Die wenigen Besucher gestern Nachmittag lauschten den Kopfhörern an ihrem Ohr und ließen andachtsvoll die an der Wand erscheinenden Zeitzeugen auf sich einwirken. Für mich und einem Begleiter kostete der Eintritt nur 1 €. Damit kann man so eine Gedenkstätte nicht erhalten. Allein die Benutzung der Behindertentoilette kostet ein Vielfaches. Alle Etagen sind mit dem Aufzug erreichbar, so das auch Rollstuhl- und Rollatorbenutzer sich alles bequem anschauen können. Es wurde viel Geld dort investiert. Sorry, das muß man auch mal sagen dürfen.
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10. August 2018 um 09:18
Klaus Hoffmann
Kamerad Stichler,
Dein Klartext -Fazit „Auch Antikommunismus ist Antifaschismus“ trifft den Nagel auf den Kopf.
Kausal für der Querelen im „Förderverein Gedenkstätte Hohenschönhausen“ ist der Umgang mit unserem Haftkameraden SIEGMAR FAUST.
Symptomatisch brachen die Postionen der Meinungsfreiheit gegenüber Zensur auf.
„DEUTSCHLAND DU MIESES STÜCK SCHEISSE!“
Hinter diesem Transparent marschierte in der ersten Reihe CLAUDIA ROTH, Bundestagsvizepräsidentin(!), bei einer Anti-AfD-Demonstration!
Um Sie herum wurde „DEUTSCHLAND VERRECKE!“ skandiert!
Diesen Gesinnungsgenossen geht wohl einer ab, wenn sie vernehmen, was unserem Haftkameraden aus „DDR“-Sozialismus-Zeit widerfährt!
SIEGMAR FAUST wurde denunziert, er hätte die Gedenkstätte „als Bühne für AfD-nahe Positionen benutzt.“ Ein Demokrat hat das Recht, auch und gerade an diesem Ort, in einem sich an seine Führung durch die Gedenkstätte anschließenden Gespräch mit Journalisten, die Kontinuität seiner politischen Einordnung kundzutun.
CLAUDIA ROTH wurde für ihre öffentliche Positionierung als biologisches Teilchen „SCHEISSE“ nicht sanktioniert!
SIEGMAR FAUST wurde als Besucherreferent in der Gedenkstätte Hohenschönhausen entlassen!
9. August 2018 um 09:17
tout lieu
Die SPD steckt im 18%-Dauertief, die AfD feiert lt. ARD mit 17 Prozent Rekorde, in Teilen Sachsens mit 30%. Protestwähler drohen mit Italienischen Verhältnissen. Diese Spaltung der Gesellschaft spiegelt sich eben auch unter DDR-Verfolgten, wie Spiegel und taz feststellen. Dem bei Stolpe so mutigen Hilsberg oder den seit Jahrzehnten rechten Faust auszugrenzen und Zensur zu fordern, sind untaugliche Methoden, diese heutige Meinungsvielfalt zu beschneiden. Dialog wäre besser. Das hätte uns die DDR lehren müssen!
9. August 2018 um 05:12
Bernd Stichler
…… „Warum muss ein Demokrat Antikommunist sein ? “…….
Das ist eine äußerst entscheidende Frage, die leider viel zu selten gestellt wird! Kommunismus ist die rote Variante des Faschismus. Bekanntlich hat ja jede Medaille zwei Seiten, so auch die faschistische Medaille. Eine Seite ist braun, die andere rot. Wer also mit einer Diktatur sympathisiert, kann kein Demokrat sein. Für den aufmerksamen Beobachter war es schon seit Brandt und Wehner klar, dass die Partei der Arbeiterbewegung mit der Partei der Arbeiterklasse sympathisiert. Darauf beruht vermutlich Hilsbergs Verhalten. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die SPD kurz vor ihrem endgültigen politischen AUS noch so viele Rundumschläge austeilen möchte, wie nur irgend möglich.
Klartext: „Auch Antikommunismus ist Antifaschismus“!!!
8. August 2018 um 15:49
Dirk Jungnickel
Mein Leserbrief ( 7.8.18) an die Berliner Morgenpost zum Artikel „Ärger um die AfD in der Gedenkstätte“ vom 7.8. 18
Der Artikel wirft einige Fragen auf. In der Präambel zur Gründung des Fördervereins (2003) wird seine parteipolitische Unabhängigkeit betont. Das bedeutet meiner Ansicht nach, Parteizugehörigkeit und Parteidebatten spielen keine Rolle. Insofern darf auch eine Mitgliedschaft in der AfD kein Rolle spielen, zu ihr mag man stehen wie man will. Wenn gegen Stephan Hilsberg ein Ausschlussverfahren eingeleitet wurde, sollte man Näheres über die Gründe erfahren. Offensichtlich hat er SPD – Parteipolitik betrieben, wenn er öffentlich die Mitgliedschaft eines AfD – Mitgliedes abgelehnt hat. Möglicherweise hat das Vorstandsmitglied Hilsberg auch gegen §15 der Vereinssatzung, der zur Verschwiegenheit verpflichtet, verstoßen. Das Votum der Mitgliederversammlung bleibt abzuwarten. Wenn der Artikel die Affinität der Zeitzeugen zur AfD thematisiert, dann liest es sich zwischen den Zeilen so, als wäre dies eine Regelverstoß.
Es darf daran erinnert werden, dass es sich um die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag handelt.
Die Werbung für diese (und jede andere) Partei in der Gedenkstätte i s t ein Regelverstoss gegen das Neutralitätsgebot. Dr. Knabe hat entsprechend reagiert. Es wäre sehr zu bedauern, wenn die erfolgreiche Arbeit des Gedenkstättenvereinsvorsitzenden Dr. Kürschner und die von Dr. Knabe Schaden nimmt. Stephan Hilsberg scheint auch Probleme mit „Antikommunisten“ zu haben. Vielleicht sollte er unter seinen Genossen einmal eine Debatte anstoßen. Motto: „Warum muss ein Demokrat Antikommunist sein ? “
Dirk Jungnickel
8. August 2018 um 18:36
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Hier der LINK zum Artikel in der Morgenpost, auf den Dirk Jungnickel sich bezieht:
https://www.morgenpost.de/berlin/article215027073/Aerger-um-AfD-in-ehemaligem-Stasi-Gefaengnis.html
8. August 2018 um 11:33
Polit-Zoff in Gedenkstätte: Beobachter sehen Gefahr existenzieller Krise – nachtgespraechblog
[…] https://17juni1953.wordpress.com/2018/08/08/polit-zoff-in-gedenkstaette-beobachter-sehen-gefahr-exis… […]
8. August 2018 um 09:24
Bernd Stichler
Hilsberg bringt SPD-Politik in die Gedenkstätte. Bereits vor Jahrzehnten positionierte sich die SPD gegen die Verfolgten der SED-Diktatur.
Ich frage: Warum soll die AfD schlecht sein, die Terror-Grünen und die Mauermord-Linken jedoch nicht? Herr Hilsberg, nicht die AfD ist eine Gefahr für die Demokratie sondern die Etablierten, die angeblich Ausgrenzung bekämpfen wollen, diese aber in perfekter Weise selbst praktizieren. Hilsberg als SPD-Mitglied ist schon allein aus Gründen der Parteidisziplin verpflichtet, gegen die AfD Stellung zu beziehen, selbst wenn er damit die wirkliche Demokratie mit Füßen tritt. Allerdings ist er damit in der Aufarbeitungsindustrie nicht der Einzige, zum Leidwesen der wirklich Verfolgten und nicht der selbsternannten Bürgerrechtler.