Berlin/Bremen, 06.08.2018/cw – In der Vergangenheit klopften sich Politiker aller Coleur auf die eigene Brust: Man stelle sich den Verpflichtungen aus dem dunklen Erbe der Diktatur(en) in Deutschland und erkenne die vielfältigen Qualen der Opfer in den Haftanstalten und Konzentrationslagern durch die zumindest symbolische Zahlung einer gesonderten Rente an.
Das in der Praxis die Umsetzung nach anderen Kriterien erfolgt, wird dabei verschwiegen. So erhalten die Opfer der Zweiten Diktatur nach wie vor „in Anerkennung der politisch ungerechtfertigten Verfolgung“ eine „Soziale Zuwendung“, verschwiemelt als „Opferrente“ bezeichnet. Mit der gesetzlichen Formulierung wird gewährleistet, dass diese „Rente“ nur an Hilfebedürftige ausgereicht wird. Selbst Rentner, die diesem Personenkreis angehören, haben nur einen Anspruch, wenn das eigene Einkommen nicht bestimmte Grenzwerte übersteigt. Und in Berlin bezog man nach jahrelangen Bemühungen die anerkannten Opfer der SED-Diktatur in die sozialen Vergünstigungen des berlinpass ein. Diese müssen sich allerdings alljährlich bei den Bürgerämtern in die Schlange der Sozialhilfeempfänger einordnen, um sich diese „Vergünstigung“ verlängern zu lassen. Ein von der Vereinigung 17. Juni geforderter Dauerausweis für Opfer der Diktatur lehnt die zuständige Sozialsenatorin bislang ab. Anerkennung sieht anders aus.
Nun berichten Medien, u.a. die Leipziger Volkszeitung über einen weiteren Skandal in der angeblichen Aufarbeitung einstigen Unrechtes (http://www.lvz.de/Nachrichten/Politik/NS-Opferrente-gekuerzt-Regierung-in-der-Kritik). Der einstige Deserteur Ludwig Baumann entging 1942 knapp der Todesstrafe und verbüßte seine Strafe bis zum Kriegsende in einem Zuchthaus der NS-Diktatur. Baumann litt lange unter den Folgen der Haft. Trotzdem wurde ihm 2017 die Opferrente gekürzt, weil er in ein Pflegeheim umziehen mußte. Da über den Einzug in die Pflegeeinrichtung keine ordnungsgemäße Meldung erfolgte, soll jetzt der Sohn nach dem Tod seines Vaters 4.000 Euro an die Staatskasse zurückzahlen. Als Begründung wurde die erfolgte „Vollversorgung“ in der Pflegeeinrichtung angegeben. Offenbar handelt es sich um keinen Einzelfall.
Die Opferente war bereits auf ein Heimtaschengeld reduziert worden
Der Anfang Juli in Bremen verstorbene einstige Deserteur bezog seit 1993 eine NS-Opferrente von zuletzt 660 Euro monatlich. Nach dem Bezug des Altenheims war diese in ein „Heimtaschengeld“ von 352 Euro umgewandelt, also bereits gekürzt worden.
Nicht nur der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion, Jan Korte, sprach von einem Skandal: Es sei beschämend, „dass hochbetagten Überlebenden des NS-Terrors in ihren letzten Lebensjahren so eine Diskriminierung angetan wird.“ Das erlittene Unrecht „wird ja nicht kleiner, wenn der Betroffene ins Pflegeheim gehen muss,“ wird der Politiker von der LVZ zitiert. Die LINKE wolle im Bundestag auf eine entsprechende Revision der Bestimmungen hinwirken und setzt dabei auf eine breite Zustimmung im Bundestag.
Bei eigenen Vorteilen atemberaubendes Tempo
Die Vereinigung 17. Juni in Berlin befürchtet allerdings, das „hier eine weitere Selektion der Diktaturopfer“ droht. Man habe mit großer Sorge bereits in der Vergangenheit festgestellt, dass die Politik Opfer der beiden deutschen Diktaturen durch unterschiedliche Handhabungen in der Opferentschädigung „weiterhin gegeneinander ausspielt.“ Allerdings erfolge diese Unterscheidung bei der Beschneidung bereits laufender Zahlungen nicht: „Wenn der Staat sparen kann, dann tut er es ggf. auch auf dem Rücken einstiger Verfolgter, denen er zuvor jegliche Zuwendung versprochen hat,“ sagte der Vorstandsprecher. Wenn es hingegen um eigene Vorteile gehe, so jüngst in der Parteienfinanzierung oder den Zuwendungen an die Fraktionen im Bundestag, werde ein „atemberaubendes Tempo in der Durchsetzung notwendiger Bestimmungen“ eingelegt.
Übrigens sei hier noch am Rande vermerkt, dass der einstige Bürgermeister von Hamburg vor nicht allzu langer Zeit mit dem verstorbenen Baumann zusammen ein Denkmal für Deserteure eingeweiht hat. Sein Name: Olaf Scholz, SPD. Jetzt ist der Bürgermeister Finanzminister und Vizekanzler im Kabinett Merkel und lässt schon einmal vorab alle Änderungswünsche in der Sache durch seinen Ministeriumssprecher abwimmeln. Scholz orientiert sich offenbar an Vorbildern: Im Jahre 2011 hatte die SPD noch vehement gegen den Rentenbetrug der seinerzeitigen CDU/CSU/FDP-Koalition an ehemaligen DDR-Flüchtlingen protestiert. Selbst in die Regierung eingetreten, wollte die einst stolze Arbeiterpartei davon nichts mehr wissen: Was schert mich mein Geschwätz von gestern?
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.418).
9 Kommentare
18. August 2018 um 16:01
Rainer Anhalt
A) Fragen an die Forum -Leitung :
1. WER zuerst kommt, malt zuerst,
oder warum hier nicht ?
2. Wie kann ich mir die hier eingestellten
Texte und Beiträge ausdrucken ?
3. Generell sind die meisten Artikel viel zu lang hier.
4. Die Aussagen im Leitartikel sollten klarer Struktuiert sein.
Damit ließen sich Miss- Verständnisse vermeiden.
B) Fragen werden erschlagen :
Was will der Meister der „Schlagworte, Detlef …“ ?
WOZU diese Polemik?
Es geht um – 2 – ZWEI – historische Zeiträume, oder nicht ?
Ich hatte zum ERSTEN gefragt.
Und dann mussten ZWEI deutsche Staaten ihre Vergangenheit
„aufräumen“. Was doch ziemlich unterschiedlich erfolgte.
Beidseitig der Elbe stank es weiter nach Unrecht.
Weil nach 1945 nicht konsequent „entnazifiziert“ wurde.
Wie sollten die Opfer der Nazi´s gerecht behandelt werden,
von den sitzen-gebliebenen, ehemaligen
nazistischen Juristen, Beamten? Wie sollte das gehen?
Und im Osten kam nach 1949 auf den alten Dreck
neuer hinzu ! –
Die Nazi – Erziehung wirkte lange nach, auch im Osten.-
Jetzt wächst darüber hinaus in Ganz-Deutschland was „Neues“.
Jedoch: Erschreckende Formulierungen, Symbole
und Aktionen erinnern an Zeiten vor 1945.
Das sollten wir nicht zulassen!
Meine Empfehlung an den Angesprochen:
Nicht immer gleich raus-Poltern.
Das verhindert gemeinsame Anteilnahme, Aktionen, Solidarität, usw.
Diese wäre nötig gewesen für die mit nur 830 Mit- Zeichner
am 14.08.2018 geschlossene e-Petition.
Diese Petition wurde gemeinsam eingereicht
von UOKG, VOS und IEDF.
8. August 2018 um 11:08
Springer
Leider sind wir von zu viel Schmutz und Dreck umgeben und “ die wissenschaftlichen Erkenntnisse“ werden nur zu Rate gezogen – von der Verwaltung, Richterschaft und Politik, wenn sie ihnen nutzen!
Wir sind nur noch „einen kleinen Steinwurf“ von der SBZ/DDR entfernt! – sagt Manfred Springer-aus dem „ehrbaren-besser verlogenen“ Hamburg. .
7. August 2018 um 20:49
J.G.
Bedeutet das, wer in ein Pflegeheim oder Betreutes Wohnen aufgrund einer Krankheit oder des Alters kommt, dieser von der SED Opferrente nur noch die Hälfte als „Heimtaschengeld“ erhält? Das wäre ja schäbig. Kann sich da mal jemand kundig machen,, wie die Regelung in solchen Fällen ist? Ich denke mal, dass sich viele SED Opfer bestimmt schon in Einrichtungen aufgrund vom Alter und Krankheit befinden. Ich tippe mal, dass das Sozialamt da eingreift und die Opferrente kürzt. Im Netz finde ich dazu nichts.
Das man auch NS Opfern die Rente halbiert ist ein Skandal. Menschen, die im KZ waren, aufgrund einer Pflegeheimeinweisung die NS Opferente zu kürzen, ist mir vollkommen unverständlich. Die Rente gibt es als Anerkennung der Leiden, die diese Menschen durchlebt haben.
7. August 2018 um 11:39
Opferrente für Diktatur-Opfer: Angebliche Anerkennung als Sozialleistung definiert – nachtgespraechblog
[…] https://17juni1953.wordpress.com/2018/08/06/opferrente-fuer-diktatur-opfer-angebliche-anerkennung-al… […]
6. August 2018 um 19:52
Bernd Stichler
Ich habe lange , vielleicht zu lange geschwiegen : Als Bundesvorsitzender der VOS hatte ich im Jahre 2003 einen Gesprächstermin bei dem SPD-Genossen Rudolf Körper. Es ging um die Ungleichbehandlung der Opfer beider deutscher Diktaturen . Genosse Körper äußerte sich dahingehend, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland in einer Gleichbehandlung eine Verwässerung jüdischer Leidenswege sieht. In vorauseilendem Gehorsam – was ja das Markenzeichen der SPD ist – hat die SPD ( auch Hilsberg und Gutzeit ) versucht, eine finanzielle Würdigung unserer Leidenswege grundsätzlich zu verhindern. Weil aber damals eine CDU/SPD-Koalition bestand, mussten die Spezialdemokraten zähneknirschend hinnehmen, dass wir zumindest diese beschämende Sonderzuwendung bekamen.
6. August 2018 um 16:37
tout lieu
Das Menschenrecht auf Teilhabe und soziale Anerkennung nach Art.12 UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009 wird zu oft verweigert, von Behörden wird diskriminiert. Existenzielle Anerkennungsmuster wie Liebe, Recht und Solidarität (nach A.Honneth) fehlen.
SED-Diktaturverfolgte und das Menschenrecht auf Gesundheit haben wenig Fürsprache in unserer Kultur der Vielfalt. Alten Menschen wird selbst in afrikanischen Gesellschaften mehr Respekt entgegengebracht, man attestiert ihnen dort Weisheit und Erfahrung. Bei uns indes scheinen sie gesellschaftlich nichts mehr beizutragen und deshalb zu stören.
https://www.amazon.de/SED-Verfolgte-Menschenrecht-gesundheitlicher-therapeutische-Sachsen-Anhalt/dp/3954625512
6. August 2018 um 16:20
Rainer Anhalt
Ich hab da mal ´ne Frage:
Wieviele NS-Täter erhalten heute noch Rente, Pensionen auf Grund
ihrer „staatsnahen“ Tätigkeit im 3. Reich?
Und wie bzw. wo leben diese Leute, in Deutschland, im Ausland?
7. August 2018 um 05:00
Wengel Detlef
…ich erspare mir zur erfragen, aus welchem Spektrum Sie stammen, Herr Anhalt. Es geht hier um die Opferentschädigungen für Betroffene der zwei deutschen Diktaturen. Warum fragen Sie nicht danach, welche ehem. SED-Bonzen, NVA-Mauermörder und MfS-Verbrecher heute fette Renten inkl. Sonderversorgungsleistungen kassieren? Das sind bedeutend mehr, wie die von Ihnen Erwähnten. Sie haben sogar eine eigene Lobby, die ISOR – und keifen immer noch nach mehr Geld. Ich kann Ihnen auch sagen, wo diese Lumpen leben: in Deutschland – teilweise sogar in Villen am Starnberger See!!!!!!!
7. August 2018 um 15:33
Edith Fiedler
Ja, und ergänzend bemerkt, ihrer Tätigkeiten in der SBZ/DDR und Ost-Berlin.