Berlin, 01.06.2018/cw – „Im Gegensatz zu jeder Diktatur, wo viele nur wegen Meinungsäußerungen eingesperrt worden waren, (muss) in einer Demokratie sehr wohl zulässig sein darauf hinzuweisen, dass jede Demokratie nur der faire Meinungsstreit im Gleichgewicht hält. Dass Gedankenfreiheit eins der höchsten Güter in einer offen sein wollenden Gesellschaft ist. Dass hier keiner das Recht hat, mit Marx … zu meinen, die objektiven Geschichtsgesetze zu kennen und damit immer zu wissen, wo’s langgeht. Nein, demokratische Politik lebt auch vom Zweifel, sogar vom Recht des Irrtums, vor allem aber von der fairen Streitkultur, und dazu bedarf es immer einer Opposition, die es nur in einer Diktatur nicht geben darf.“
Wer wollte diese Sätze des einstigen DDR-Dissidenten und späteren, wenn auch kurzweiligen WELT-Autors Siegmar Faust nicht unterschreiben? Faust schrieb diese in einem Beitrag für Das Debatten-Magazin The European im Dezember vergangenen Jahres (https://www.theeuropean.de/siegmar-faust/13251-kampf-gegen-rechts-ist-eintraegliches-geschaeft): „Ich lasse mir den Mund nicht verbieten.“
Beschwerdebrief wegen Kritik an aktuellen Zuständen
Zuvor hatte sich eine Besuchergruppe in einem Brief an die Gedenkstättenleitung über den ehemaligen DDR-Häftling beschwert und neben vielen Vorwürfen auch ausgeführt: Der Zeitzeugen-Referent „ging sogar einen Schritt weiter und behauptete, dass es in Deutschland überhaupt keine Streitkultur gäbe und dass die aktuelle gesellschaftliche Situation der Situation in der DDR gleiche, bzw. sogar ‚eigentlich noch viel schlimmer wäre‘, denn man hätte ja die Möglichkeit etwas zu sagen, aber man mache es schlichtweg nicht.“
Jetzt hat die Gedenkstätte die Reißleine gezogen und sich nach einem Beitrag in der Berliner Zeitung vom 29.05. (https://www.berliner-zeitung.de/politik/ddr-dissident-vom-buergerrechtler-zum-afd-anhaenger-30538334) von ihrem bisherigen Vorzeige-Referenten getrennt. Voreilig, das heißt ohne jede Not, wurde eine Presseerklärung verbreitet, in der sich der allseits geachtete Gedenkstättendirektor Dr. Hubertus Knabe von Siegmar Faust distanziert und die (bisherige) Zusammenarbeit aufkündigt. Nachdenkenswert eine der übermittelten Begründungen: „Besonders schwer wiegt dabei, dass Herr Faust die Gedenkstätte ohne deren Zustimmung als Bühne missbraucht hat, sich öffentlich zu äußern.“
Es fällt dem Beobachter schwer, hier nicht bedenkliche Parallelen zur Gedankenkontrolle einer Diktatur zu entdecken. Der Referent habe die Gedenkstätte ohne deren Zustimmung als Bühne missbraucht, sich öffentlich zu äußern. Als ehemaliger politischer Häftling (Autor/Urteil: 8 Jahre Zuchthaus) bekommt man da Magenkrämpfe, zeichnet sich die Frage ab: wann folgt der Ächtung wieder die Gedankenpolizei, die Ausstellung eines Haftbefehls durch (wieder) willfährige Staatsanwälte, die sich durch parteiliches Wohlverhalten hochgedient haben?
War die eilige Distanzierung angebracht?
Hätte es nicht einer Gedenkstätte, die an die grausamen Zustände in der Zweiten Deutschen Diktatur erinnert, gut angestanden, erst einmal vorsichtig, also reserviert zu reagieren? Etwa so:
„In einem Artikel der Berliner Zeitung vom 30. Mai 2018 wird der ehemalige DDR-Häftling Siegmar Faust mit verschiedenen Äußerungen zitiert, die er im Anschluss an eine Führung durch die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen gegenüber dem Journalisten Markus Decker getätigt haben soll. Die Gedenkstätte wird sich unmittelbar um eine Klärung des geschilderten Sachverhaltes mit ihrem Referenten Siegmar Faust bemühen. Erst dann ist eine unzweideutige Stellungnahme möglich. Wir achten und verteidigen als Institution, die an die Schrecken der DDR-Diktatur erinnert, besonders das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dies gilt besonders für Menschen wie Siegmar Faust, die wegen ihres mutigen Eintretens für dieses fundamentale Recht in einer Diktatur schwere Nachteile bis zur Folter-Haft inkauf genommen haben.
Sollten die zitierten Äußerungen tatsächlich so gemacht worden sein, hätte die Gedenkstätte allerdings Probleme damit, sich mit diesen Äußerungen zu identifizieren. Insbesondere würde eine parteipolitische Betätigung auf dem Boden der Gedenkstätte nicht den Grundsätzen unserer Einrichtung einer parteipolitischen Neutralität entsprechen, die lediglich ihre natürliche Ausnahme in der Darstellung von SED-Verbrechen hat, die teilweise noch heute parteipolitisch bagatellisiert werden. Das trifft im Übrigen auch auf die Beurteilung von Verbrechen zu, die die NSdAP zu verantworten hatte.“
Stattdessen wurde in einem vorauseilenden Gehorsam (gegenüber einem unbestritten festzustellenden Links-Stream?) auf einen Zeitungsartikel hin ungeprüft der Bann gegen einen herausragenden einstigen politischen Dissidenten geschleudert. Kann das Aufgabe einer Gedenkstätte an eine Diktatur sein, die den einstigen Verbrechen nicht ohne Stolz das Grundgesetz der Bundesrepublik entgegen stellt?
Gegendarstellung gefordert
Siegmar Faust hat heute die Redaktion der Berliner Zeitung aufgefordert, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Faust bestreitet darin die inzwischen ungeprüft durch diverse Medien weiter verbreiteten und ihm zugeschriebenen Äußerungen der Zeitung. Faust weist u.a. darauf hin, dass insbesondere die unterstellte Äußerung, er habe ein Schluss der Weiterwirkung der Verbrechen der Nazizeit gefordert, nicht seinen Äußerungen entspricht und „völlig gegen meine eigenen Grundsätze“ verstoßen würde.
Wie schrieb der nun umstrittene DDR-Dissident und Autor am Ende seines Artikels in The European abschließend: „Zum Glück hat die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen eine so kundige wie mutige und deshalb auch erfolgreiche Geschäftsleitung, allen voran Dr. Hubertus Knabe und sein Stellvertreter Helmuth Frauendorfer.“
Ob diese Einschätzung für Siegmar Faust zum Glück in der aktuellen Debatte wird, ist derzeit nicht abzusehen. Das Vertrauen in die bisherige Geradlinigkeit der Gedenkstättenführung ist nicht mehr ungestört. Vertrauen hingegen ist und bleibt die Grundvoraussetzung für eine weitere erfolgreiche Arbeit vor Ort. Dieses Vertrauen ist nicht durch einen Kotau vor linken Tendenzen zu verteidigen, denen die Gedenkstätte von je her ein Dorn im Auge ist. Schade, wenn ausgerechnet Siegmar Faust den Auftakt für neuerliche Attacken auf diese unverzichtbare Einrichtung der Aufarbeitung geliefert hätte. Aber auch dann wäre eine Faust auf „Faust“ eine von dieser Seite bedenkliche Reaktion.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.388).
5 Kommentare
2. Juni 2018 um 19:37
text030
Kommentar bezieht sich auf die Kommentierung von Bernd Stichler (bitte den Kommentar zuvor löschen):
Man sollte die Vergangenheit (die ich nicht bewerten kann) nicht mit den aktuellen Ereignissen vermengen. Das nützt nur denen, die Kritikern der aktuellen gesellschaftlichen Zustände maximalen Schaden zufügen wollen.
2. Juni 2018 um 15:48
Bernd Stichler
Ich (und ich nicht allein) verurteile Faust nicht aufgrund seiner Äußerungen – denn die sind richtig – sondern ich verurteile ihn aufgrund seines charakterlich verwerflichen Verhaltens!!! Er hat sich damals in der Horst-Schüler-UOKG denunziatorisch gegenüber Gustav Rust, gegenüber Wolfgang Holzapfel und mir gegenüber verhalten und unsere klare Weltsicht verunglimpft, nur um sich bei Horst Schüler Liebkind zu machen. Es hat ihn aber trotzdem nicht weiter gebracht, weil er an den Schleim eines Rainer Wagner und eines Dombrowski nicht heran reichte. Er hätte lieber ehrlich und aufrichtig bleiben sollen. Aber ob sich Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit vor dem Hintergrund der Popiolek-Affäire als glaubhaft erweisen, mag mit Recht von vielen Kamaradinnen und Kameraden bezweifelt werden. Vor diesem Hintergrund ist es absolut fraglich, ob Faust Mitleid verdient oder ob er Genugtuung darüber verdient, für seine früheren verwerflichen Handlungen endlich die verdiente Quittung bekommen zu haben!!!
2. Juni 2018 um 08:54
Klaus Hoffmann
DEUTSCHLAND DU MIESES STÜCK SCHEISSE!
Hinter diesem Transparent marschierte in der ersten Reihe CLAUDIA ROTH, Bundestagsvizepräsidentin(!), bei einer Anti-AfD-Demonstration!
Um Sie herum wurde DEUTSCHLAND VERRECKE! skandiert!
Diesen Gesinnungsgenossen geht wohl einer ab, wenn sie vernehmen, was unserem Haftkameraden aus „DDR“-Sozialismus-Zeit widerfährt!
SIEGMAR FAUST wurde denunziert, er hätte die Gedenkstätte „als Bühne für AfD-nahe Positionen benutzt.“ Ein Demokrat hat das Recht, auch und gerade an diesem Ort, in einem sich an seine Führung durch die Gedenkstätte anschließenden Gespräch mit Journalisten, die Kontinuität seiner politischen Einordnung kundzutun.
CLAUDIA ROTH wurde für ihre öffentliche Positionierung als biologisches Teilchen SCHEISSE nicht sanktioniert!
SIEGMAR FAUST wurde als Besucherreferent in der Gedenkstätte Hohenschönhausen entlassen!
3. Juni 2018 um 15:36
Edda Sperling
Ja, lieber Klaus Hoffmann, so ticken leider die Uhren wieder im vereinigtem Deutschland… Was sagen eigentlich die anderen Besucherreferenten zu der Vorgehensweise der Gedenkstätte HSH ?
1. Juni 2018 um 19:05
Dörfert
Liebe Kameraden/inen,
es gab doch im Bundestag längst keine Streitkultur mehr, bis zur Geburt der AFD, dem Stiefkind der CDU/CSU. Wir müssen doch auch die „Roten Banditen“ im Bundestag ertragen. Als Demokrat bin ich der Meinung, so etwas hält eine stabile Demokratie aus.
Ich möchte aber trotzdem eine zeitgemäße Definition dazu abgeben:
Eine Demokratie ist, wenn ich aus dem Fenster schaue und mich an der Natur erfreuen kann.
Eine Diktatur ist, wenn ich aus dem Fenster schaue und erschossen werde.
Wo wir jetzt in unserem deutschen Vaterland stehen, das liebe Kameraden/innen zu entscheiden, überlasse ich eurem Gewissen.
Mit kameradschaftlichem Gruß
Dipl . Klaus Helmut Dörfert