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Berlin, 29.03.2018/cw – Der Thüringer Landtag hat am 22. Februar „im Ergebnis der hierzu geführten politischen Diskussion“ einen Beschluss zum künftigen Umgang mit den zufließenden Mitteln aus dem PMO-Vermögen (sogen. ehem. SED-Vermögen) gefasst (Drucksache 6/5356). Vorausgegangen war ein Schreiben der Vereinigung 17. Juni, Berlin, an den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (LINKE) Anfang diesen Jahres, in dem Ramelow aufgefordert wurde, die aus einem neuerlich erfolgreich abgeschlossenen Rechtsverfahren in der Schweiz erzielten Millionen aus dem einstigen SED-Vermögen auch für „verfolgungsbedingte Aufgaben“ zu verwenden. Der Staatsvertrag über die Verwendung aufgefundenen SED-Vermögens sieht bisher die Verwendung für Infrastrukturmaßnahmen in den Neuen Bundesländern vor.

Aufarbeitung weder überflüssig noch rückwärtsgewandt

In seinem Beschluss kommt der Landtag zu bemerkenswerten Feststellungen: „Die Aufarbeitung der SED-Diktatur in all ihren Facetten ist weder überflüssig noch rückwärtsgewandt. Aufarbeitung ist fester Bestandteil der demokratischen Kultur von morgen.“ Sie bleibe „ein fester Bestandteil des tägliche Wirkens“ des Landtages und der Landesregierung.

In diesem Sinne „bittet“ der Landtag die Landesregierung, sich bei der Verwendung der zugeflossenen Mittel aus dem PMO-Vermögen dafür einzusetzen, dass diese für „Investitionen in die Modernisierung der existierenden Erinnerungs- und Gedenkstätten … insbesondere für die drei ehemaligen Bezirksdienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Andreasstraße Erfurt, in Gera und Suhl“ zu verwenden. Ferner regt der Landtag an, über verbleibende bzw. „restlich auszukehrende Mittel“ mit den berechtigten Bundesländern und dem Bund über die Errichtung „eines Fonds für soziale Härtefälle und bisher nicht berücksichtigte Gruppen von Opfern des SED-Unrechts zu verhandeln.“ In der Begründung wird der Versuch ins Gespräch gebracht, „die noch von der BvS zurückgestellten Mittel“ für die Errichtung eines solche Fonds einsetzen zu dürfen.

SPD-geführte Regierungen lehnen Änderungen ab

Die Landesregierung hat mit Bezug auf diese Landtagsinitiative am 6. März beschlossen, sich dafür einzusetzen, „die Anforderungen für den Mitteleinsatz zu flexibilisieren“ um die Mittel gemäß des Landtagsbeschlusses verwenden zu können.

Im Gegensatz zu der „begrüßenswerten und klaren Haltung des Landes Thüringen“ (Vereinigung 17. Juni) haben die Länder Brandenburg und Berlin die Nachfragen der Vereinigung negativ beschieden. Die „zuständigen Finanzminister“ erklärten sich in Antwortschreiben außerstande, die „staatsvertraglich vereinbarten Zweckbestimmungen für die Verwendung des SED-Vermögens abzuändern.“

Es sei „nachdenkenswert, das eine LINKS-geführte Landesregierung im Gegensatz zu sozialdemokratisch geführten Regierungen offenbar Bewegungsspielraum in der Verwendung dieses Vermögens zu Gunsten der SED-Opfer und der nach wie vor notwendigen Aufarbeitung sieht,“ erklärte der Vereinsvorstand in Berlin.

Die Staatskanzlei Thüringen weist überdies in ihrem Antwortschreiben auf eine interessante Veranstaltung der „Interministeriellen Arbeitsgruppe zur Unterstützung und Weiterentwicklung der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen (IMAG Aufarbeitung)“ hin: Innerhalb der Themengruppe „Was auf der Seele brennt – SED-Unrecht im Dialog“ lädt die IMAG am Mittwoch, 4. April 2018, von 18:00 – 20:00 Uhr in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße (37a) in Erfurt zu einer weiteren Veranstaltung zu diesem Thema ein. Dr. Jan Philipp Wölbern („Haftzwangsarbeit politischer Gefangener in der DDR“) und Dr. Christian Sachse („Das System der Zwangsarbeit in der SED-Diktatur – Die wirtschaftliche und politische Dimension“) werden sich als wissenschaftliche Experten an dem geplanten Dialog beteiligen. Um Voranmeldung unter R15_PF@tsk.thueringen.de (Nach „R15“ Unterstrich beachten) oder telefonisch unter 0361/57 32 11-152 oder –154 wird gebeten.

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Berlin, 26.03.2017/cw – „Ihrem Wunsch nach einer Verbesserung der Altersversorgung der ehemaligen DDR-Übersiedler kann … nicht entsprochen werden.“ Schonungslos offen erteilt Ministerialrat Dr. Achim Bertuleit aus dem Bundeskanzleramt in einem Schreiben an die Vereinigung 17. Juni in Berlin (23.03.2018) im Auftrag der Bundeskanzlerin allen Hoffnungen auf eine Revision des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) eine wohl endgültige Absage.

 Noch am 11.August letzten Jahres hatte Angela Merkel am Rande eines Besuches in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen in Gesprächen mit ehemaligen DDR-Opfern „eine nochmalige Prüfung der vorgetragenen Anliegen“ zugesichert und damit Hoffnungen geweckt. Zwischenzeitlich wurden diverse Schriftwechsel geführt, erhielten Petenten mehr oder weniger hinhaltende Antworten auf vorgetragene Fragen: „Die Überprüfungen brauchen Zeit“; „Die Bundeskanzlerin befasst sich mit Ihrem Anliegen“ oder „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist gebeten worden, dieses wichtige Thema in das nächste Treffen des Dialogforums SED-Opfer einzubringen.“ (Staatsministerin Monika Grütters am 29.09.2017).

Dr. Bertuleit verkennt in seinem Schreiben nicht den „maßgeblichen Anteil (der Betroffenen) an dem Zusammenbruch des DDR-Regimes und den weiteren Entwicklungen, die zur Deutschen Einheit führten.“ Es sei “unbestreitbar, dass viele ehemalige DDR-Bürger durch ihre Flucht bzw. Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland persönliche Risiken und tiefe umwälzende Einschnitte auf sich genommen haben.“ Trotzdem könne dem Wunsch auf Änderungen nicht entsprochen werden.

Koalitionsvertrag sieht Fondslösung vor

Erneut bezieht sich das Bundeskanzleramt auf die seit Jahren vorgetragenen Argumente, wonach des Bundessozialgericht gegen die gültige Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen habe (2011). Auch der angerufene Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages habe 2015 bestätigt, „dass die Regelungen für die Überleitung von Rentenansprüchen … auch für DDR-Übersiedler anzuwenden“ sind. Letztlich habe das Bundesverfassungsgericht 2016 (Anm.: Nach 4 Jahren!) eine Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Vereinigung 17. Juni sieht sich „durch die jetzt vorliegende endgültige Absage“ aus dem Bundeskanzleramt „getäuscht.“ Einmal mehr wurden „gezielt gesetzte Hoffnungen“ als Wahlkampfmanöver entlarvt. Der in der Stellungnahme des Bundeskanzleramtes erfolgte abschließende Verweis auf den Koalitionsvertrag, wonach „für Härtefälle im Rentenüberleitungsprozess ein Ausgleich durch eine Fondslösung“ geschaffen werden solle, „entbehre unter den bekannten bisherigen Manövern der Regierungsfraktionen jeglicher Glaubwürdigkeit. Mit Absichtserklärungen den anvisierten Tod der Betroffenen zu pflastern, sei nicht der würdige Umgang mit den erneut gedemütigten Opfern der Zweiten Deutschen Diktatur,“ erklärte der Vereinsvorstand heute in Berlin.

Untersuchungsausschuß anvisiert

Mehrere Vereine und Betroffene streben nunmehr die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag an und wollen sich dieserhalb an diverse Abgeordnete im Parlament wenden. Es müsse geklärt werden, ob die seinerzeitige Abwendung vom Fremdrentengesetz (FRG) durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) für Bürger der Bundesrepublik, die vor 1989 von der DDR ausgebürgert worden waren, gesetzlich, d.h. unter Einbeziehung des Deutschen Bundestages erfolgt sei. Ottmar Schreiner, der verstorbene Sozialpolitiker der SPD-Fraktion hatte eben dies 2011 in seiner berühmt gewordenen Philippika gegen die angewandte Regelung bezweifelt, ohne dass die Vorgänge jemals parlamentarisch untersucht worden waren. Schreiner hatte auf eine Interpretation des seinerzeitigen Arbeitsministeriums ggüb. der Deutschen Rentenversicherung hingewiesen, die nicht durch den Text des Gesetzes gedeckt gewesen sei. Das RÜG sei so „am Parlament vorbei“ falsch ausgelegt worden.

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Berlin, 25.03.2018/cw – Udo Pahlow, geboren am 11.08.1941, hat uns am 16. März 2018 nach langer, tapfer ertragener Krankheit für immer verlassen. Er habe „Gottes Angebot, ein neues Abenteuer zu beginnen, angenommen,“ schreibt seine Tochter in der Todesanzeige.

Der Verstorbene gehörte zu den ältesten Mitgliedern der Vereinigung, gehörte über viele Jahre dem Vorstand als Geschäftsführer an und bestimmte über mindestens zwei Jahrzehnte die Geschicke des Vereins entscheidend mit. Seine Erkrankung, die ihn erst zum Gebrauch von Gehstöcken und schließlich in den Rollstuhl zwang, erlaubte keine weitere aktive Mitarbeit. Dennoch war er sogar noch im Rollstuhl bis vor zehn Jahren Teilnehmer an der jährlichen Ehrung am einzigen originären Mahnmal des Volksaufstandes, dem Holzkreuz in Zehlendorf, bis ihn die Krankheit auch an der Wahrnehmung dieses für ihn stets wichtigen Termins hinderte. Udo war der Begründer unserer Internetseite, mit der er die moderne Kommunikationsschiene, zunächst durchaus gegen Widerstände aus dem Vorstand, auch für den Verein öffnete. Dieser Internetauftritt ist über die Jahrzehnte zu einem wichtigen Informationsmedium innerhalb der Verfolgtenszene gediehen.

Udos Engagement war stets geprägt von dem Einsatz „für Deutschland.“ Dafür nahm er, wie viele Kameraden vor ihm und auch nach seiner Tätigkeit im Vorstand Anwürfe und Verleumdungen inkauf. Sein durchaus auch umstrittenes Engagement in einer rechten Partei sah er nie als Auswuchs einer gewollten Wiederbelebung nationalsozialistischen Unrechts oder gar einer neuerlichen Hitler-Verehrung. Für ihn, dem Auch-Verzweifelten an der Teilung seines Vaterlandes durch Mauer und Stacheldraht standen die Ideale des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 im Vordergrund: Einigkeit und Recht und Freiheit. Ihnen opferte er sein Engagement in der Freizeit, die ihm sein Beruf ließ.

Udo Pahlow war ein Aufrechter, ein Kämpfer für die Freiheit und Einheit unseres Volkes. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Udo Pahlow wird am Dienstag, den 27. März 2018 um 15:00 Uhr auf dem Kirchhof Lichtenrade, Paplitzer Str. 10, 12307 Berlin (Lichtenrade) beigesetzt.

© 2018 Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin .- Tel.: 030-30207785

Berlin, 22.03.2018/cw – Die Senatorin für Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (LINKE) hat der Vereinigung 17. Juni eine Überprüfung der Praxis bei der Ausstellung des berlinpass für EmpfängerInnen von Leistungen nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zugesagt. In ihrer Stellungnahme bittet Breitenbach „um etwas Geduld,“ da hierfür „noch entsprechende Abstimmungen mit den beteiligten Verwaltungen“ erforderlich sind.

Die in Berlin ansässige Vereinigung hatte sich nach Inkrafttreten der grundsätzlich begrüßten Regelung in Schreiben an die Fraktionen des Abgeordnetenhauses und die zuständige Senatorin gewandt und u.a. kritisiert, dass der berlinpass an den betroffenen Personenkreis wie bei Empfängern von Sozialhilfe nur beschränkt, in der Regel für 12 Monate, ausgestellt wird. Durch diese Gleichstellung erfolge eine Diskriminierung, weil die SED-Opfer über eine unbefristete Anerkennung als Verfolgte verfügten. Im Ergebnis würde zum Beispiel auch die BVG ein Abo für die Monatskarte mit der Begründung ablehnen, die durch den berlinpass festgelegte Begünstigung basiere auf einer „zeitlich befristeten sozialen Hilfeleistung.“

Die Vereinigung hatte auch aus diesem Grund ihren ursprünglichen Vorschlag wiederholt, den Diktatur-Opfern einen eigenen Ausweis auszustellen, der diese für alle sichtbar als anerkannte Verfolgte ausweist.

Auch FDP-Chef Czaja sagt Unterstützung zu

Auch die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus sagte ihre Unterstützung der berechtigten Initiative zu. Fraktionschef Sebastian Czaja wandte sich umgehend persönlich an die Senatorin: „Als Freie Demokraten vertreten wir den Anspruch, das Menschen die politische Repressionen ausgesetzt waren und häufig ihr gesamtes Leben unter diesen leiden müssen, auch eine dauerhafte Unterstützung erfahren.“ Die (vorgeschlagene) Ausstellung eines Dauerausweises würde die Bürokratie entlasten und dem Ziel des Berliner Senats entsprechen, „die öffentliche Anerkennung einstiger Opfer der Diktatur voranzutreiben.“

Keine Reaktion der CDU-, SPD- und GRÜNE-Fraktionen

Im Gegensatz zu den positiven Reaktionen der FDP, der AfD und der Partei DIE LINKE (die Senatorin selbst) haben die Fraktionen der CDU, der SPD und GRÜNE bisher auf die Eingabe der Vereinigung 17.Juni nicht reagiert. Der Vorstand des Vereins bedauert dies zwar, sieht aber dennoch seine Initiative in Sachen berlinpass auf einem guten Weg: Dank der bisherigen wenn auch partiellen Unterstützung im Parlament und der Befassung der zuständigen Senatorin mit dem Vorgang „dürfen wir eine Lösung der angesprochenen Probleme in angemessener Zeit erwarten,“ erklärte heute der Vorstand.

© 2018 Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.366).

von Martin Sachse*

Berlin, 20.03.2018 – Dr. Karl-Heinz Bomberg ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und auf Spätfolgen politischer Repression spezialisiert. Die politische Verfolgung in der ehem. DDR ist dabei ein Schwerpunkt seiner psychoanalytischen fachärztlichen Tätigkeit.

Das im Februar 2018 editierte Buch „Heilende Wunden“ umfasst neben wissenschaftlichen Exkursen zu den Themen Resilienz, Traumatisierung, Psychotraumatologie auch Therapieformen – so die Sinnestherapie und Psychoanalyse. Die Formen der Bewältigung beziehen dabei auch die Spiritualität und Religion, die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Trauma und das soziale Netz ein. Der Ansatz des Autors ist damit ein ganzheitlicher. Das Buch gibt einen Einblick in die komplexe Problematik. Fallbeispiele ergänzen seine Ausführungen.

Damit hat der Autor erneut ein wichtiges Werk vorgelegt, dass für Therapeuten und die Wissenschaft wichtige Impulse gibt – für Betroffene ist es begleitende Unterstützung bei der Bewältigung ihrer seelischen Verwundungen infolge erlittenes Unrecht.

Der Autor beginnt seine Ausführungen mit biografischen Notizen und eigenen Erfahrungen mit politischer Verfolgung. Zur Bewältigung von Traumata notiert er: „Allgemein gilt: Die Psyche ist nicht so stabil wie die Körpertemperatur. Wird ihr zu stark zugesetzt, so ist der entscheidende Punkt die Symbolisierung dieses Traumas. Das Erlebte muss in heilsame Gedanken gebettet werden.“ So wird auch schnell klar, dass Re-Traumatisierungen infolge verweigerter Anerkennung erlittenen Unrechts und antidemokratische wie autoritäre gesellschaftliche Entwicklungen der Resilienz entgegenstehen.

Im Buch wird der Zusammenhang der Art und Stärke des Traumas in Relation zu den Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten aufgezeigt. Hier zeigt sich auch der Gewinn des Buches durch die jahrelange praktische Erfahrung des Autors mit Betroffenen. So verbindet der Autor immer wieder persönliche Erfahrungen und Therapieansätze mit wissenschaftlichen Exkursen. Es ist ihm zu danken, dass er die Vielfalt der Betroffenen in den Fokus rückt und nicht Opfergruppen gegeneinander ausspielt.

Humor und Versöhnung

Der Autor gibt weiteren Bewältigungsformen breiten Raum. Dazu gehören Humor und Versöhnung. Humor und Freude am Leben bleiben nach schwerer und/oder langanhaltender politischer Verfolgung oft auf der Strecke. Auch die Stasi wusste diese Erkenntnis zu nutzen und so hörten Menschen in Verhören nicht selten den Ausspruch: „Ihnen wird das Lachen noch vergehen“. Dr. Bomberg setzt die Bedeutung des Humors für die Bewältigung von Traumata auch hier in den Kontext persönlicher Bewältigungsstrategien und ergänzt diese durch eigene Gedichte und Sentenzen, wie im folgenden Beispiel:

“Beide können gut hören.
Der Psychologe gut zuhören.
Der Sicherheitsbeamte gut abhören.“

Das Kapitel zu weiteren „Bewältigungsformen/Humor und Versöhnung“ wird mit persönlichen Erfahrungen des Autors und einem wissenschaftlichen Exkurs eingeleitet. Die Bedeutung des Lächelns bei Kindern wird dabei ebenso angesprochen, wie auch „Humor und soziale Kompetenz“ sowie die „Theorien des Humors“ und „Humor in psychotherapeutischen Ansätzen“.

Trotz der Wissenschaftlichkeit der Ausführungen erschließt sich dem Leser der Inhalt durch die klar gegliederten Ausführungen und Quellenbezüge. Der Autor beschreibt die Rolle des Humors in der Psychoanalyse. Er bezieht sich u.a. auf Sigmund Freud und seine Schriften „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ sowie „Der Humor“ und führt aus: „Freud hatte schon frühzeitig erkannt, dass die Dynamik der Witzentstehung eine enge Affinität zum primärprozesshaften Traumdenken aufweist und sich ähnlicher Vorgänge bedient (Verdichtung, Verschiebung, Doppelsinn)“ (S. 68).

Bomberg war auch immer Musiker, Liedermacher und Lyriker, bereits in der Zeit der ehem. DDR. Autobiografisch notiert er zu seiner Armeezeit bei der NVA: „Meine Armeezeit hätte ich ohne Trompete nicht überlebt (..). (S. 79 f.)

Die im Buch angefügte Lyrik und Gedichte prägte eine ganze Generation von Oppositionellen der ehem. DDR. So die Lyrik von Reiner Kunze (Der Vogel Schmerz, 1963/1996), Wolf Biermann (Was wird bloß aus unsern Träumen, 1981) oder Jürgen Fuchs (Auf dem Weg zum Briefkasten, 1978). Im Kapitel „Psychoanalyse und künstlerische Kreativität“ geht der Autor auf den wichtigen Zusammenhang zwischen künstlerischer Auseinandersetzung und der Psychoanalyse ein. Bomberg: „Kreativität schafft und zerstört. Beide Seiten wohnen ihr gleichermaßen inne: Sowohl konstruktive als auch destruktive Wirkungen werden ihr stets zu eigen sein.“

Soziales Netz

In der Einleitung des Kapitels „Soziales Netz“ schreibt Bomberg: „Ein soziales Netz ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, die ein Mensch mit anderen Menschen eingeht. In der Familie, später im Kindergarten, in der Schule, dann in verschiedenen Lehrstellen sind wir immer wieder in soziale Systeme eingebunden. Der Ort, das Land, der Erdteil und schließlich die Erde selbst bilden den Rahmen für unsere Existenz.“

Transgenerationale Sicht

Sehr persönlich geprägt ist das Kapitel: „Transgenerationale Sicht“. Dort kommen die Kinder des Autors zu Wort, der durch eigene Verfolgung in der ehem. DDR geprägt wurde und weil gerade Kinder darunter besonders leiden mussten. Die Ausführungen der Kinder von Bomberg machen betroffen. Der Mut der Kinder, über das Erlebte zu schreiben, wie auch der Mut des Autors eine „transgenerationale Sicht“ zuzulassen, verdienen höchsten Respekt.

Fallbeispiele

Im Kapitel: „Fallbeispiele“ kommen Betroffene selbst zu Wort. Die Authentizität der Berichte und „Zustandsbeschreibungen“ über erlittene Haft, Heimaufenthalt, Psychiatrieeinweisungen und anderen Formen der Repression und Zersetzung sind von einer emotionalen Dichte, die betroffen macht. Auch für Freunde und Angehörige sind die Erfahrungen Betroffener im Sinne der transgenerationalen Weitergabe von immenser Relevanz.

Viele der politisch Verfolgten der ehemaligen DDR leiden bis heute an einer PTBS (Posttraumatischen Belastungsstörung). S. beschreibt im Buch das Gespräch mit einem Gutachter wegen der Anerkennung seiner Versorgungsansprüche. Zitat: „Der Kollege sagte ihm, dass die PTBS wie ein Holzwurm sei. Sie frisst und frisst“. Von der Unterstellung, sich lediglich nur Versorgungsleistungen erschleichen zu wollen bis zur Konfrontation mit belasteten oder voreingenommenen Gutachtern findet sich hier die gesamte Bandbreite an Verantwortungslosigkeit gegenüber schwer traumatisierten Betroffenen. Das Buch „Heilende Wunden“ soll Wege aufzeigen, mit dem Erlebten umzugehen. Das vorliegende Buch ist hier eine wichtige Hilfestellung, sowohl für Therapeuten als auch für Betroffene. Die Versäumnisse der Politik und Aufarbeitung kann es allerdings nicht kompensieren.

Der Autor widmet sich auch seiner eigenen Biografie, was dem Buch eine weitere Tiefe gibt. Er wechselt sozusagen die Seiten. Im Kapitel OV „Sänger“ notiert er seine eigenen Erfahrungen und die Verfolgung in der ehem. DDR. Bomberg bezieht hier ebenso Stellung zu aktuellen Tendenzen der Gesellschaft und schreibt (Zitat, S. 168):

„Die Spaltung der Gesellschaft ist eine Gefahr. Eine Gesamtidentität ist für eine lebendige Demokratie erforderlich. Nichts ist jemals einfach: In der DDR gab es zwar weniger Freiheit, dafür aber mehr >Einbettung<. Allerdings war diese an einen Kommandeur gebunden, der einem sagt, wo es langgeht. Dies ist in Diktaturen eine typische Erscheinung. Früher musste immer ein Genosse zugegen sein, heute ist es ein Techniker.“ Bomberg führt weiter aus: „Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Politische Haft kann in diese Hinsicht widerstandsfähiger machen. Aktivitäten helfen, um aus der Opferposition herauszukommen. Kunst setzt Wirkung. … Hafterfahrung macht stark. Wer flüchtet schon gerne?“

Die im Buch hinterlegten Lied- und Verszeilen des Autors sind zugleich Dokumente und literarische „Zeitzeugen“. Sie sind eine Art „poetisches“ Gleichgewicht zu den wissenschaftlichen Ausführungen und Analysen. Das Buch schließt mit der Vorstellung von Institutionen, die sich der Aufarbeitung widmen, einem ausführlichen Literaturverzeichnis und einem Anhang mit Abbildungen der künstlerischen Arbeiten.

Fazit

Die Verhaltensmuster von Menschen und politischen Systemen wiederholen sich in den geschichtlichen Abläufen. Und sie grenzen immer wieder Menschen aus und führen zur Verfolgung Andersdenkender. Bomberg will mit seinem Werk „Heilende Wunden“ Hoffnung machen, dass dieser Teufelskreis eines Tages durchbrochen werden kann.

Mit seinem Buch macht Bomberg den Menschen Mut, sich Verwerfungen der Gesellschaft entgegenzustellen. „Heilende Wunden“ ist ein gewichtiger Beitrag zur Aufarbeitung, Analyse und Bewältigung politischer Traumatisierung. Es zeugt vom großen Respekt gegenüber den Opfern politischer Verfolgung. Nicht zuletzt liegt auch darin seine Stärke.

Dr. Karl-Heinz Bomberg, Buchreihe: Forum Psychosozial, Verlag: Psychosozial-Verlag, 245 Seiten, Broschur, Februar 2018, ISBN-13: 978-3-8379-2775-7, Bestell-Nr.: 2775, 24,90 €
* Der Autor ist selbst Opfer der Stasi-Diktatur. Der professionelle und leidenschaftliche Fotograf (ullstein) betreibt unter http://www.medienfabrik-b.de/fotografie/bild012.html ein eigenes Forum. Die vorliegende Buchbesprechung ist redaktionell verkürzt. Sie ist vollständig nachzulesen unter: https://text030.wordpress.com/2018/03/19/heilende-wunden-wege-der-aufarbeitung-politischer-traumatiserung-in-der-ddr/

© 2018 Martin Sachse u. Redaktion Hoheneck (Kürzungen), Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.365).

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