Magdeburg/Berlin, 19.09.2017/cw – Der Landesvorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, hat sich zur Kritik an der Kandidatur eines ehem. Stasi-Offiziers im besonderen Einsatz (OibE) für den Deutschen Bundestag geäußert: „„Für uns zählt wirklich das Hier und Jetzt“, sagte er. Gleichzeitig plädierte er dafür, mit Blick auf eine Stasi-Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen. „Eine Stasi-Vergangenheit dürfe nicht immer wieder instrumentalisiert werden.“
Die Kandidatur von Frank-Ronald Bischoff (69) im Harz war auf heftige Kritik gestoßen, nachdem seine Tätigkeit als OibE von 1977 bis zum Mauerfall bekannt geworden war. Bischoff hatte zunächst geleugnet, dann aber nach Vorlage der Fakten – BILD hatte eigens bei der BStU recherchiert – diese Tätigkeit eingeräumt, gleichzeitig aber – wie in solchen Fällen gewohnt – seine Unschuld beteuert: „Ich habe keinem Menschen geschadet.“
Anders ein ehemaliger Genosse bei der Stasi. Frank Oettler (51), der für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) kandidiert. Er räumt die Tätigkeit ohne Wenn und Aber ein: „Man ist damals auf mich zugekommen und hat mich für den Wehrdienst bei der Stasi-Wachabteilung angeworben.“ Er habe knapp fünf Jahre für die Stasi gearbeitet und damit eine hauptamtliche Anstellung erhalten. Oettler: „Das war ein riesiger Fehler. Dafür kann ich mich, obwohl ich niemandem direkt geschadet habe, bei allen Opfern des DDR-Systems nur entschuldigen. Ich war ja Teil dieses Systems.“
Von Bischoff fehlt bisher nicht nur eine Entschuldigung, er steht auch weiterhin fest zu seiner Kandidatur, offenbar nach wie vor von seiner Partei, die sich als Alternative für Deutschland bezeichnet, unterstützt. Jedenfalls fehlt bisher jegliche Kritik sowohl am Kandidaten wie an den Parteifreunden, die Bischoff diese Kandidatur erst ermöglicht haben. Dies erstaunt auch deswegen, weil Bischoff bei seiner Kandidatur für die Listenaufstellung seine MfS-Vergangenheit öffentlich gemacht haben soll.
Auch nur eine Fressnapf-Partei?
Nun setzt der sächsisch-anhaltinische AfD-Boss noch eins drauf, indem er in schönster SED-Manier dazu auffordert, Geschichte als solche zu belassen und „nach vorne zu blicken.“ Der Sprecher der in Berlin ansässigen „Vereinigung 17. Juni 1953“, die sich unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals an die AfD gewandt und zumindest eine deutliche Distanzierung verlangt hatte, weil eine Streichung der Kandidatur technisch nicht mehr möglich sei, zeigte sich enttäuscht: „Die Alternative entlarve sich mit diesem Verhalten als eine Fressnapf-Partei, die ihre Moral an den gegebenen Möglichkeiten orientiere, endlich an der Macht- und Postenverteilung in diesem Staat teilzuhaben. Damit stelle sie aber keine Alternative, wie behauptet, zum bisherigen Parteiensystem dar.“
Auch Vera Lengsfeld, einstige Bundestagsabgeordnete und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, deren Vater ebenfalls bei der Stasi beschäftigt war, fordert via BILD Konsequenzen: „Die AfD sollte den Mann auffordern, auf seine Kandidatur zu verzichten. Meine Haltung war und ist in diesem Fall sehr klar. Solche Leute haben im Bundestag nichts zu suchen.“
Nur Propaganda gegen die AfD?
Unter den einstigen Opfern der SED-Diktatur ist die Haltung zur Stasi-Kandidatur überraschend weniger eindeutig. So kam von anderen Verbänden, z.B. UOKG oder VOS, bislang keine Stellungnahme. Von Distanzierungen war von Betroffenen der Zweiten Diktatur auch nur vereinzelt zu hören. Dagegen wurde mehrfach direkt oder indirekt die indifferente Haltung der AfD unterstützt: „Dies sei doch nur Propaganda gegen die AfD“ oder „Man müsse jetzt nach vorne schauen, der Rückblick bringe nichts.“
Auch Tatjana Sterneberg (65), ehemalige Hoheneckerin, sieht das anders. Sie wandte sich heute mit einer Mail an André Poggenburg: „Als sie 1975 geboren wurden, saß ich bereits zwei Jahre in den Gefängnissen der DDR, weil mein ordentlich gestellter Antrag auf Ausreise zu meinem Verlobten abgelehnt worden war und ich als einzige Aussicht auf unsere Zukunft die Vorbereitung meiner Flucht sah. Diese Widerständler gegen ein unmenschliches System waren die eigentliche Vorreiter und Lastenträger der Deutschen Einheit,“ mailte Sterneberg. „Wie kann es sein, dass Sie einen Ex-Stasi-Offizier hofieren, der als Mitarbeiter des MfS unsägliche Schicksale der Repression mit zu verantworten hatte?“
Quellen: https://www.volksstimme.de/lokal/halberstadt/afd-kandidat-bischoff-war-geheimer-stasi-offizier?fbc=fb-shares – http://www.mz-web.de/sachsen-anhalt/landespolitik/ronald-bischoff-afd-bundestagskandidat-war-jahrelang-stasi-offizier-28414764?originalReferrer – http://www.mz-web.de/sachsen-anhalt/landespolitik/afd-kandidat-war-stasi-offizier-poggenburg-staerkt-bischoff-den-ruecken-28433662 – https://www.volksstimme.de/lokal/halberstadt/bundestagswahl-zwei-kandidaten-mit-stasi-verdacht
Kommentar: Im Fall Holm klang der Protest noch anders
von Carl-Wolfgang Holzapfel
Als André Holm in die neue Berliner Regierung als Staatssekretär eintrat, klang der Protest seitens der ehemaligen DDR-Flüchtlinge und politischen Haftopfer gegen den Einzug der Stasi in die Politik noch anders. Aber Holm stand ja auch der SED-Partei DIE LINKE nahe. Da lässt sich Protest offenbar leichter, weil auf einer anderen Ebene formulieren. Bei der noch jungen Partei AfD stehen viele der einst Betroffenen vor einem Dilemma: Endlich sahen sie eine Alternative für die vielen Enttäuschungen und Frustrationen durch die Alt-Parteien. Herausragend dabei die rentenrechtliche Rückbeorderung von Westdeutschen in den Status von DDR-Bürgern. Und nun stellt ausgerechnet die AfD einen Stasi-Hauptmann zum Einzug in den Bundestag auf. Da hilft dann auch nicht mehr der Rückzug auf die „Nazi-Propaganda“, mit der die Konkurrenz den Partei-Neuling permanent diffamiert (und dabei die jahrzehntelang tolerierte Besetzung von Bundestagssitzen durch einstige NSdAP-Anhänger vergisst). Klarheit in der Beurteilung derartiger skandalöser Vorgänge überzeugt, nicht eine wie immer geartete Schaukelei oder gar die Hand vor dem Gesicht nach dem (kindlichen oder Poggenburg-) Motto: Ich sehe nichts.
Zur Ehrenrettung darf allerdings auch nicht verschwiegen werden, dass sich auf der jüngsten Protestdemo gegen den Rentenbetrug an ehemaligen Flüchtlingen und Aussiedlern am 13. September in Berlin Entsetzen und Empörung über die AfD-Stasi-Kandidatur breit machte. Es gibt sie noch, die Aufrechten. Auch wenn die erhoffte Alternative nunmehr im Stasi-Nebel verschwindet.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.286).
6 Kommentare
20. September 2017 um 11:07
Hilde
Er darf seine politische Karriere fortsetzen, wenn er sich zu seiner Vergangenheit UND zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt – wobei es sich hier nicht nur um bloße Lippenbekenntnisse handeln darf.
Seinen Worten müssen Taten folgen!
Allerdings: Wer genau hinschaut, findet Parallelen zur jüngsten Vergangenheit, in der es durchaus strategische Zweckbündnisse zwischen Links- und Rechtsextremisten (KPD & NSDAP) gegeben hat. Warum? Um die Demokratie bzw. die bürgerlichen Kräfte zu bekämpfen.
Heutzutage wirbt die AfD zusammen mit postkommunistischen Vereinen, in denen sich viele ehemalige MfS-Mitarbeiter befinden, für Putin & Co..
Das nennt man „den Blick nach VORNE richten“. Jedoch ist die Realität komplizierter als es den Anschein haben mag.
Wer weiß, vielleicht steht auf der Rückseite der Verpackung „Sponsored by FSB“? So ganz abwegig wäre es nicht – schließlich wurde die NPD 1948 auf Weisung der sowjetischen Militäradministration Deutschlands gegründet.
Doch die sogenannte Schlussstrich-Mentalität (frei übersetzt: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“) findet man zuerst bei den Altparteien und -verbänden. Ein Gutachten (https://goo.gl/A1opdk) aus dem Jahr 2011 belegt, dass viele Mitglieder – dazu zählen auch Personen in Schlüsselpositionen – die politische, historische und juristische Auseinandersetzung mit der DDR kategorisch ablehnen.
20. September 2017 um 12:59
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Kleine Korrektur: Bei der zitierten Gründung handelt es sich allenfalls um die NDPD, die später auch in der sogen. Nationalen Front der DDR vertreten war.
Die NPD wurde 1964 in der (alten) Bundesrepublik Deutschland gegründet. – Die Redaktion
20. September 2017 um 15:26
Bruni Grabow
Prüfungen abgelehnt -Gutachten 2011 – Das stimmt, Die Linke hat Mithilfe der SPD und Bündnis90/DIE Grünen eine Personenprüfung im Bundestag wegen Stasimitarbeit leider abgelehnt.
Aber:
Deshalb hatte die CDU/CSU 2013 – als sie diesbezüglich die Mehrheit hatte- den Bundestagspräsidenten Lammert ermächtigt, ein erneutes Gutachten in Auftrag zu geben. Ich hatte es mir vor Jahren vom Bund zusenden lassen. Diese Publikation (397 Seiten stark) gibt es jetzt nur noch online unter: gutachten-data.pdf.
Der Kandidat der AfD Bischoff ist nach meiner Kenntnis nun doch nicht auf der Liste des eventuellen Einzuges in den Bundestag. Wofür brauchen wir eine weitere Aufarbeitung von SED-Unrecht, wenn heute sogar SED-Verfolgte die DDR- Vergangenheit ausblenden bzw. beschönigen. Das verstehe ich nicht. Für die ehem. Stasimitarbeiter sind SED-Opfer Kriminelle. Die haben ihre eigenen Vereine und versuchten schon immer die Demokratie zu stören, wo auch immer es machbar ist.
19. September 2017 um 19:33
Bruni Grabow
Ob die sich zur Stasi–Aufarbeitung äußern oder nicht, ist egal. Ihnen steht das BStU-Gesetz entgegen. Es ist mir nicht bekannt, dass ehem. Stasihauptmänner überhaupt in den Bundestag einziehen könnten.(2013 Gutachten Lammert) Und das klärt man vor den Wahlen und nicht hinterher.
19. September 2017 um 16:15
Bruni Grabow
Die politisch Verfolgten aus der ehem. DDR flüchteten aus dem Land, weil die SED ihnen die Lebenschancen genommen hatten. Ausgerechnet sollen nun neben Nationalsozialisten und die es noch werden wollen, die Verursacher der SED-Diktatur (SED-Genosssen und Stasi), deren Frust nehmen bzw. deren Probleme regeln? Ich glaube aber, dass die große Anzahl von politisch Verfolgten einen gesunden Blick für zukünftige Politik hat.
19. September 2017 um 15:08
text030
Wenige Tage vor der Wahl ist diese Diskussion nicht tiefgründig zu führen. Wenn André Poggenburg sich so zur Stasi-Aufarbeitung geäußert hat, ist das mehr als nur undifferenziert.
Es stellt sich aber auch die Frage, weshalb die aktuelle Diskussion so kurz vor der Wahl geführt wird.
Die AfD sollte Gelegenheit und Zeit haben sich klar zur Stasi-Aufarbeitung zu äußern.