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Berlin, 29.05.2017/cw – „Bundesregierung und ostdeutsche Länder kommen im Bericht zu der Einschätzung, dass Zwang und Gewalt für viele Säuglinge, Kinder und Jugendliche in DDR-Heimen alltägliche Erfahrung waren, insbesondere in den Spezialheimen der Jugendhilfe wurden Menschenrechte verletzt. … Die Erlebnisse in den Heimen führten zu massiven Beeinträchtigungen der Lebenschancen und Entwicklungspotentiale der Betroffenen, die bis heute teilweise traumatisch nachwirken.“ https://www.fonds-heimerziehung.de/fonds/fonds-heimerziehung-in-der-ddr.html
Fehlende Beweislastumkehr
Vorstehende Feststellungen sind der Begründung des Deutschen Bundestages für die Schaffung eines Fonds „Heimerziehung in der DDR“ zu entnehmen. Durch den Fonds sollten analog zu dem Heimfonds WEST auch Heimkinder in der DDR für rechtlich nicht vertretbare Maßnahmen entschädigt werden. Allerdings ist neben diesem ziemlich pauschal gefassten Entschädigungsanspruch keine automatische Rehabilitierung staatlich verordneter Heimunterbringung verbunden. Diese Rehabilitierung muss nach wie vor über den Rechtsweg erstritten werden, wobei nur etwa ein Prozent der beantragten Rehabilitierungen positiv, also für das ehemalige Heimkind, entschieden werden. Als wesentliches Hemmnis sehen Experten das Problem der fehlenden Beweislastumkehr. Nicht der Staat (als Nachfolger der DDR) muss eine rechtstaatskonforme Unterbringung durch die Heimeinweisung beweisen, sondern der betroffene ehemalige Heim-Zögling muss die rechtsstaatswidrige Einweisung (und Unterbringung) beweisen.
Nach dieser Rechtslage, die der allgemeinen Handhabung der Feststellung politischer Verfolgungen durch die DDR-Diktatur entspricht, haben die Betroffenen so gut wie keine Chance auf Feststellung einer Rechtswidrigkeit ihrer Heimunterbringung in der DDR. Trotzdem versuchen einige Wagemutige – oder Verzweifelte – wie Erika Heimbach* (*Name geändert), die einstige Unterbringung im Nachhinein gerichtlich anzufechten, da die psychischen Folgen dieser empfundenen Ungerechtigkeit noch Jahrzehnte nachwirken.
Obwohl auch das Kammergericht in Berlin neben dem OLG Thüringen sowie dem OLG Sachsen-Anhalt aufgrund der Änderung des § 2 Absatz 1 StrRehaG durch die letzte StrRehaG-Novelle davon ausgeht, dass bei einer Heimeinweisung gesetzlich unwiderlegbar vermutet wird, dass diese eine Freiheitsentziehung darstellt, weist das Kammergericht in vergleichbaren Fällen Ansprüche auf Rehabilitierungen brüsk zurück. Dabei bezieht sich das KG – wie im Fall der hier zitierten Erika Heimbach* – ausschließlich auf Akten der DDR, ohne deren rechtsstaatlichen Grundlagen überhaupt zu hinterfragen. In seiner jüngsten Entscheidung (4 WS 47-4817 REHA / 22.Mai 2017) wird die Beschwerde Heimbachs* gegen den Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Berlin vom 24.01.2017 als unbegründet verworfen.
Spezialfall allgemeiner kommunistischer Erziehung
Erika Heimbach* war im Alter von 15 Jahren durch Beschluss des Rates des Stadtbezirkes Berlin-Marzahn vom 26.05.1983 im Spezialkinderheim „Maxim Gorki“ und hernach in Fortsetzung am 30.08.1984 (bis 19.06.1986) in das Spezialkinderheim „Adolf Reichwein“ eingewiesen worden. In „Heimerziehung“, 1984 von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Eberhard Mannschatz herausgegeben, wird die Heimerziehung als ein Spezialfall der allgemeinen kommunistischen Erziehung beschrieben: „Für die Heimerziehung sollten die gleichen Prinzipien für die Gestaltung der Erziehungsprozesse gelten, wie sie für alle Bürgerinnen und Bürger bzw. Kinder und Jugendlichen in der DDR galten. So wollte man den umfassenden Geltungsanspruch der marxistischen Pädagogik herausstellen“.
Trotz dieser als bekannt zu unterstellender Grundlagen der DDR-Heimerziehung hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin die vom Heimbach* beantragte Rehabilitierung nicht befürwortet (7.12.2016): „Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Heimunterbringung seien nicht ersichtlich“. Das Handeln der Jugendbehörde sei „allein fürsorglich motiviert“ gewesen. Das Kammergericht schloss sich dieser Bewertung an: „Es fehle an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Einweisung und Unterbringung aus rechtsstaatswidrigen Gründen erfolgt sei…“.
Der Umgang mit den Jugendlichen einer Reha nicht zugänglich
Formal bezieht sich das Kammergericht mit dieser Begründung indirekt auf die Feststellung des Bundestages zur Schaffung des Heimkinderfonds Ost, nach der die gesetzlichen Voraussetzungen (für eine Rehabilitierung) deutlich machen, „dass der Schwerpunkt auf der Rechtsstaatswidrigkeit der auf die konkrete Person bezogenen Einweisungsentscheidung liegt. In erster Linie ist also entscheidend, warum ein Kind oder eine Jugendliche bzw. ein Jugendlicher ins Heim eingewiesen wurde. Der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen während der Unterbringung in den Jugendhilfeeinrichtungen ist für sich genommen einer Rehabilitierung nach dem StrRehaG nicht zugänglich“ (Bericht: Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR, hier: 4. Derzeitige Möglichkeiten der Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), Seite 47).
Ohne hier auf Einzelheiten der Vorgänge einzugehen, die seinerzeit zu dem Einweisungsbeschluss der zuständigen DDR-Behörden geführt haben (obwohl einige, wenn auch spärliche Fakten wie von Heimbach* aufgespürte Unterlagen in der BStU auf politische Motivierungen hinweisen), mutet hier die Abstellung auf die Einweisungsbegründung und nicht auf die Formen der Unterbringung jugendlicher Delinquenten durch den Gesetzgeber nach den historischen Erfahrungen mit beiden deutschen Diktaturen befremdlich an. Man stelle sich vor (ohne hier eine Heimunterbringung mit einem KZ-Aufenthalt in der NS-Zeit gleichsetzen zu wollen), die Einweisung in ein NS-KZ und nicht deren tödlicher Charakter wäre zum Ausgangspunkt jeglicher Rehabilitierungsansprüche durch NS-Opfer gemacht worden. Ein berechtigter Aufschrei der Gesellschaft wäre die Folge gewesen. Die Durchsetzung von Entscheidungsinstitutionen in Deutschland mit Alt-68ern und tatsächlichen oder Pseudo-Linken, die der DDR wegen ihrer antifaschistischen Attitüden schon immer freundlich gesonnen waren, haben offenbar auch hier ihre gesetzgeberische Wirkung entfaltet. Nach dem Grundsatz, dass nicht ist, was nicht sein darf, wurde auch in Sachen Rehabilitierung jede Möglichkeit genutzt, Konsequenzen aus dem DDR-Unrecht zu vermeiden und auf das Unabweisliche zu beschränken.
Zwar sehen die §§ 1 und 2 StrRehaG einen Anspruch auf Rehabilitierung im Einzelfall eine Prüfung anhand folgender Kriterien vor, nach denen die Unterbringung a) freiheitsentziehenden Charakter haben oder unter haftähnlichen Bedingungen erfolgt (was mit Neufassung des § 2 Abs. 1 StrRehaG für Kinderheime nicht mehr zu prüfen ist) und b) durch eine staatliche Stelle angeordnet und mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sein muss (insbesondere weil sie 1. der politischen Verfolgung oder 2. sonstigen sachfremden Zwecken gedient hat oder 3. in grobem Missverhältnis zu dem zugrunde liegenden Anlass gestanden hat – Unverhältnismäßigkeit -), die Rechtsprechung entspricht diesen oft widersprüchlichen Vorgaben im Wesentlichen nicht.
Erika Heimbach* hatte in ihrer „ausführlichen Begründung“ der Beschwerde (Kammergericht) u.a. auf den möglichen politischen Hintergrund der letztlichen Heimeinweisung hingewiesen, weil ihre Mutter von mindestens „zwei Verfahren des Ministeriums für Staatssicherheit“ betroffen gewesen sei. Auch habe man der Mutter seitens „deren Arbeitgeber und der Polizei wegen fehlenden Engagements für Partei und Gesellschaft Vorhaltungen gemacht“. Daher sei die Heimeinweisung der Beschwerdeführerin vermutlich „als Druckmittel gegen ihre Mutter“ eingesetzt worden. „Im Dezember 1988 sei ihre Mutter ohne nachvollziehbaren Anlass“ in einer „geschlossenen psychiatrischen Abteilung zwangsbehandelt worden“, begründete Heimbach* in ihrer Beschwerde. „Insoweit sei eine repressiv motivierte missbräuchliche Klinikeinweisung auf Veranlassung des Staatssicherheitsdienstes denkbar“. Auch aus diesem Grund sei „die Einweisung und Unterbringung (von Heimbach*) in einem Spezialkinderheim angesichts wissenschaftlicher Erkenntnisse über dort herrschende Verhältnisse regelmäßig als rechtsstaatswidrig einzustufen“. Erika Heimbach* machte geltend, dass sie selbst in den Heimen „unmenschlicher Behandlung sowie körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt“ gewesen sei.
Das Kammergericht bezieht sich in seiner Entscheidung (wenn es sich nicht um eine hochangesehene juristische Instanz handeln würde, wäre man geneigt, von einer „dreisten Begründung“ zu sprechen) eben auf die gesetzliche Regelung der §§ 1,2 Abs.1 StrRehaG, wonach „die Anordnung der Unterbringung in Heimen … der ehem. DDR unabhängig davon, ob die Unterbringung im konkreten Einzelfall freiheitsentziehenden Charakter hatte oder unter haftähnlichen Bedingungen im Sinne des § 2 Abs.2 StrRehaG vollzogen wurde, eine rehabilitierungsfähige Maßnahme darstellen“. Aber: „Ein Anspruch auf Rehabilitierung besteht jedoch nur dann, wenn die Anordnung … der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat oder wenn die Einweisungsentscheidung aus sonstigen Gründen mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil die angeordnete Unterbringung in grobem Missverhältnis zu ihrem Anlass stand“. Diese Voraussetzungen sieht das Kammergericht im vorliegenden Fall als „hier nicht erfüllt“ an.
Demnächst Rückforderungen durch den Heimkinderfonds?
Die pubertär bedingten Entwicklungsschwächen sieht das Gericht also als ausreichend an, eine gerade einmal fünfzehnjährige Jugendliche einer Spezialkinderheimeinrichtung der DDR auszuliefern. Die rechtsstaatswidrigen Methoden in diesen Spezialkinderheimen können dabei geflissentlich übersehen werden, da es darauf nicht ankommt. Damit wird die Verfolgung unzähliger Jugendlicher in den Spezialeinrichtungen der DDR auch noch juristisch ad absurdum geführt. Erika Heimbach* (und ihren Leidensgenossen) ist zu empfehlen, schon einmal vorsorglich Rücklagen für Rückforderungen des Heimkinderfonds zu bilden. Denn bei dieser Rechtsprechung, die sich ja auf gesetzliche Vorgaben beruft, ist nicht auszuschließen, dass entsprechende Entschädigungszahlungen des Fonds wegen „irrtümlicher Schadensfeststellungen“ zurückgefordert werden könnten.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.251).
Wangen(Schweiz)/Berlin, 26.05.2017/cw – Einst galten sie als stille Helden, die stellvertretend für ihre Überzeugungen in den Zuchthäusern und Gefängnissen einer Diktatur einsitzen mussten. Heute werden sie zum Teil wieder als einstige Renegaten gesehen: „Jeder Staat wehrt sich gegen seine Feinde!“ Und die einstigen Peiniger? Die sind in Neu-Deutschland angekommen, sitzen in Parlamenten und Behörden und werden, wie jüngst im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick vom Bezirksbürgermeister mit der „Bürgermedaille“ für das Engagement „gegen Rechts“ ausgezeichnet. Der Ausgezeichnete war einst IM (inoffizieller Mitarbeiter) und hernach hauptamtlicher Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit. Aber: Er sieht seinen Fehler ein und hat sich als Demokrat legitimiert, betonte der Bürgermeister (der in früheren Jahren einmal bei der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur gearbeitet hatte, also weiß, wovon er spricht) in seiner Laudatio.

Tote Helden sind die besten Helden: Sie können sich gegen eine Einvernahme und Interpretationen nicht mehr wehren – Foto: LyrAg
Die Einmal/Immer-Opfer gehen leer aus
Und die einstigen aus politischen Gründen Verfolgten? Soweit sie sich der politischen Landschaftspflege angeschlossen, also integriert haben, werden diesen – meist von sympathisierenden Parteifreunden – Bundesverdienstkreuze vermittelt (zum Beispiel haben Bundestagsabgeordnete ein Vorschlagsrecht für ein bestimmtes Kontingent dieser „Auszeichnung“). Die Anderen, die sich ein kritisches Bewusstsein im Sinne eines demokratischen Selbstverständnisses bewahrt haben oder die wegen ihrer gesundheitlichen und (folgenden) beruflichen Einschränkungen im wahrsten Sinne des Wortes im wiedervereinigten Deutschland auf der Strecke geblieben sind und sich teilweise fast dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer vergeblich durch die oft selbstherrlich anmutenden Instanzen kämpfen müssen, diese „Einmal/Immer-Opfer“ gehen leer aus. Sie werden ignoriert oder einfach totgeschwiegen. So wie die mehrfache Buchautorin und ehemalige Hoheneckerin Ellen Thiemann, die nicht einmal aus Anlass ihres 80. Geburtstages eine öffentliche Anerkennung erfahren hat. Oder Dirk L., der sich mutig durch die Instanzen kämpft, um ein eigentlich selbstverständliches Auskunftsrecht gegen eine Behörde zu erstreiten, deren Aufgabe es – dem Namen nach – ist, sich der Aufarbeitung zu widmen. Viele ehemalige politisch Verfolgte beschränken sich nicht auf leere Formeln, wie (einstige) Bürgerrechtler, sondern fühlen sich tagtäglich der Aufgabe verpflichtet, das einst errungene Bürgerrecht immer wieder umzusetzen und mit Leben zu füllen.
Ehemaliger DDR-Häftling: „Es geht wieder heim.“
Dr. Detlef Symietz, einst politischer Häftling im „Roten Ochsen“ in Halle und seine Frau Sibylle, ehemalige Hoheneckerin, leben heute in Wangen in der Schweiz und sind nach eigenem Bekunden froh darüber. Denn: „Was in Deutschland schief läuft, lässt uns nicht in Ruhe: „Als frühere politische Häftlinge in der DDR wissen wir nun, es geht wieder heim,“ äußerte Symietz vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung (24.05.2017). Letzter Anlass für diese kritische Äußerung war der Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert, das Parlament solle die Alterspräsidenten-Regel so ändern, dass künftig der dienstälteste Abgeordnete den Vorsitz führe. Lammert wolle mit diesem „demokratischen Kniff“ verhindern, dass ein Abgeordneter der AfD den Alterspräsidenten im nächsten Bundestag stellen könnte. Nicht nur Symietz, einst überzeugter CDU-Parteigänger und heute Mitglied der AfD, fühlt sich dadurch an unselige Vorbilder erinnert. So hatte Hermann Göring 1932 als damaliger Präsident des gerade abgewählten Reichstages bereits das Recht manipuliert, als er vor der ersten Sitzung des neuen Reichstages eine mögliche Wahl der kommunistischen Abgeordneten Clara Zetkin verhinderte, indem er sich nach einer „Fraktionsführerbesprechung“ selbst mit dem Amt beauftragte.
Jetzt schritt der Wahl-Schweizer zur Tat: In einer bezahlten Anzeige in der Mitteldeutschen Zeitung formulierte er kurz und bündig seinen Frust über die derzeitigen politischen Verhältnisse in Deutschland: „Danke, Merkel, Danke, Schulz, Danke, Lammert für die LEX AfD,“ textete der Physiker. Und weiter: „Als frühere politische Häftlinge in der DDR wissen wir nun, es geht wieder heim. Und wenn man sich für Sozialismus statt Freiheit entscheidet, muss man auch dessen Wege gehen.“
Es bleibt abzuwarten, ob es sich hier um den Alleingang eines ehemals politisch verfolgten Ehepaares aus der DDR handelt oder ob dies einst als Startschuss für einen mehr oder weniger offenen Protest jener Menschen gewertet werden wird, die das neue Deutschland zunehmend als eine neuerliche, wenn auch reformierte DDR empfinden. So haben sich nach Meinung kritischer Bürger auch gewisse Sprach-Injurien im einst freiheitlichen Deutschland eingebürgert, die tagtäglich an die unseligen Metaphern der DDR-Propaganda erinnern. Es vergeht nahezu kein Tag, ohne dass nicht zum Kampf „gegen den Faschismus“ und die „neue Gefahr von Rechts“ aufgerufen wird. Kritiker werden ohne Reflektion in die Kategorie „Neo-Nazi“ oder „Rechts-Extremist“ eingeordnet und damit mit dem bereits üblich gewordenen Maulkorb versehen. Dagegen werden linke Extremisten als „Links-Autonom“ verharmlost und von diesen etablierte Organisationen und Vereine mit reichlichen Steuergeldern finanziert.
Der deutsche Philosoph, Kulturwissenschaftler und Buchautor Peter Sloterdijk (*1947) äußerte sich entsprechend kritisch: „Wir haben uns – unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten Meinungsäußerung – in einem System der Unterwürfigkeit, der organisierten sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet, das praktisch das ganze soziale Feld von oben bis unten paralysiert.“
Am 22.Juni d.J. wollen betroffene ehem. DDR-Bürger, die vor dem 9. November 1989 in den freien Teil Deutschlands geflüchtet oder übergesiedelt waren, erneut gegen den sogen. Rentenbetrug im Regierungsviertel demonstrieren (Beginn 14:00 Uhr vor dem Sozialministerium in der Mohrenstraße). Den nunmehr Bundesrepublikanern war seinerzeit eine Gleichsetzung des Rentenverlaufs mit dem der in der Bundesrepublik festgestellten Verläufen verbindlich zugesichert worden (Fremdrentengesetz/FRG). Nach der Wiedervereinigung wurde diese gesetzliche Regelung stillschweigend durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) geändert und die Neubürger der alten BRD wieder zu DDR-Bürgern gestempelt. Durch diesen Betrug an einstigen Zusagen hat dieser Personenkreis Renteneinbußen bis zu mehreren hundert Euro monatlich zu verkraften.
Feste Vorstellung von den Grundfesten eines Rechtsstaates
Auch der bis heute schmähliche Umgang mit den einstigen Opfern der Diktatur, denen man 17 Jahre nach der Wiedervereinigung eine „Soziale Zuwendung“ gewährte, ist kein Ruhmesblatt des neuen Deutschland. Statt offener Anerkennung durch eine Ehrenrente werden die einst Malträtierten mit Hartz-IV-Empfängern gleichgestellt. Dass es auch anders geht, bewiesen die Abgeordneten des Bundestages einige Wochen später, als sie den Fünf-Monats-Ministern der letzten und einzig frei gewählten DDR-Regierung eine „Ehrenpension“ zugestanden. Diese lag im Einstieg mehr als doppelt so hoch wie die „Soziale Zuwendung“, wird dynamisch bei jeder Erhöhung der Besoldung von Bundesministern angehoben und ist auf Ehepartner vererbbar. Bei dieser Selbstbedienungsmentalität nimmt es kein Wunder, dass sich immer mehr Bürger von den etablierten Parteien abwenden. Auch die einst treuen Wähler der Union unter den ehemaligen politisch Verfolgten wenden sich ebenfalls zunehmend von dieser ab, weil sie diese nur noch als ein einziges Lügenkartell wahrnehmen: Gestern versprochen, heute gebrochen.

Bereits mehrfach zogen Demonstranten – meist von der Politik unbeachtet – gegen den Rentenbetrug durch die deutsche Hauptstadt – Foto: LyrAg
Es regt sich also Widerstand durch die einst Widerständigen. Ob diese allerdings das revolutionäre Potential der einstigen 68´er auf die Straße bringen, darf bezweifelt werden. Im Gegensatz zu diesen haben die einst in der DDR-Diktatur politisch Verfolgten eine feste Vorstellung von den Grundfesten eines Rechtsstaates und stellen diese Grundüberzeugung trotz aller Kritik (noch) nicht infrage. Dieses „Hemmnis“ kommt den Verschleppern der SED-Diktatur-Aufarbeitung mehr als entgegen. Die Politik kann diesen zum Himmel schreienden Skandal des Umgangs mit den Diktatur-Opfern „generationös“ aussitzen. Ein Vorbild sind die einstigen „Helden“ des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Gerademal eine Handvoll dieser tapferen Menschen erhielt eine Anerkennung in Form einer öffentlichen Auszeichnung. Jetzt sind die meisten Aufstandsführer und Teilnehmer tot. Und tote Helden sind für jedes System die besten Helden, sie können sich gegen Einvernahmen nicht mehr wehren. Dabei hätte man einen Blick über die Grenzen werfen können. So hat Polen nach der friedlichen Befreiung vom Kommunismus den einstigen Teilnehmern am Aufstand in Posen (Poznan) von 1956 den Kombattanten-Status verliehen und einen eigenen „Kombattanten-Orden“ geschaffen. Durch diese Gleichsetzung mit Kriegsteilnehmern hatten diese einen Anspruch auf eine entsprechende Versorgung und durften auf Staatskosten ein eigenes Domizil für Beratungen einrichten. Der vormalige und 2002 verstorbene Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni 1953, Manfred Plöckinger (1932-2002), erhielt als ehemaliger Arbeiter an der Stalinallee und Aufstandsteilnehmer von 1953 in Anwesenheit der einstigen Parlamentspräsidentin Hanna Renate Laurien zum 40.Jahrestag des Volksaufstandes durch eine Abordnung aus Polen die Kombattanten-Medaille überreicht. Eine Auszeichnung und damit Anerkennung durch die Bundesrepublik hat neben anderen Aufständischen auch Plöckinger nie erhalten.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.250).
Ein Einwurf von Jörg Moll*
Berlin, 23.05.2017/jm – Der Innensenator sonnt sich im Medienrummel des aufrechten und gnadenlosen Aufräumers. Endlich greift einer durch. Endlich wird – über fünf Monate danach – untersucht, welche amtlichen Schlampereien und Versäumnisse dem Terroristen Anis Amri das weihnachtliche Attentat ermöglicht haben. Andreas Geisel (SPD) präsentiert sich als Saubermann an der Spree, als Saubermann der Nation. Durch eine Strafanzeige will er die Versäumnisse endlich aufklären lassen…
Strafanzeige? War da nicht was?
Ja, richtig. Am 27.12., also acht Tage nach dem furchtbaren Anschlag vor der Gedächtniskirche, stellte die Berliner Vereinigung 17. Juni bei der Staatsanwaltschaft in Berlin Strafanzeige gegen Unbekannt. Der Vorwurf: Unterlassung. Der Vereinsvorstand argumentierte: „Auch wenn Details seiner (Amris) Planung nicht bekannt waren, so hat man das Wissen um dessen Gefährlichkeit lange gekannt. Mithin haben sich diverse, derzeit unbekannte Personen der Unterlassung schuldig gemacht und haben insofern den Tod von Menschen inkauf genommen. Auch wenn die insbesondere für die Sicherheit verantwortlichen Personen im Nachgang eben diese Verantwortung bestreiten und dafür juristische und andere, die Verantwortung abweisende Gründe anführen, liegt hier zumindest der Verdacht auf einen Straftatbestand vor.“ Und: „Maßgeblich ist allein das Unterlassen des rechtlich gebotenen, aktiven Tuns (Wessels/Beulke/Satzger). Echte Unterlassungsdelikte begründen eine Rechtspflicht zum Tätigwerden in sich selbst.“ Der Vorstand forderte die Staatsanwaltschaft auf, „in diesem Sinne vorurteilsfrei „in alle Richtungen“ zu ermitteln. Falls den Ermittlungen das „Weisungsrecht“ möglicher politisch Verantwortlicher ggüb. der Staatsanwaltschaft entgegenstehen sollte, wäre Ihrerseits zu prüfen, inwieweit eine übergeordnete Dienststelle (z.B. Generalstaatsanwalt oder Bundesanwaltschaft) aufgefordert wird, die notwendige Ermittlungen an sich zu ziehen.“
Bereits am 17. Januar teilte die Staatsanwaltschaft dem Verein mit, dass sie keine Anhaltspunkte gesehen habe, entsprechende Ermittlungen aufzunehmen. In einer Beschwerde an den zuständige Generalstaatsanwalt vom 3.02.2017 argumentierte der Verein gegen die Ablehnung von Ermittlungen u.a.: „Der Tod von 12 Menschen und die Verletzung weiterer 50 Menschen durch einen solchen terroristischen Anschlag kann aber nicht einfach aus wie immer gearteten Bequemlichkeiten heraus zu den Akten gelegt werden. Hier ist die Staatsanwaltschaft v e r p f l i c h t e t , jeglichem Verdacht auf eine mögliche strafbare Handlung nachzugehen.“
Unterschiedliche Verantwortlichkeiten
Zuständige Behörden und Institutionen hätten geäußert, sie würden „gewissenhaft jeder Möglichkeit unterschiedlicher Verantwortlichkeiten nachgehen, um entsprechende – auch strafrechtliche – Konsequenzen ziehen zu können.“ Unter diesem Gesichtspunkt sei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft zumindest voreilig gefällt worden. Der Verein befürchtete durch die staatsanwaltliche Entscheidung eine Legitimation anderer Institutionen des Staates, „die weitere Untersuchung möglicher Verantwortlichkeiten unter Hinweis auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin einzustellen.“ Es könne und dürfe nicht Sinn und Zweck einer Strafverfolgungsbehörde sein, möglichen Verantwortlichen oder gar Tätern im strafrechtlichen Sinn im Voraus einen Persilschein auszustellen, ohne nicht zuvor entsprechende Ermittlungen anzustellen.
Wundern sie sich, das auch der Generalstaatsanwalt keinen Grund sah, die beantragte Aufhebung des Einstellungsbescheides zu vollziehen? Dann haben sie sicherlich übersehen, das die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden ist. Selbst wenn ein Staatsanwalt wollte könnte er sich nicht „Weisungen“ übergeordneter Stellen widersetzen. Es ist aber müßig, jetzt darüber zu debattieren. Denn jetzt hat der Innensenator höchst persönlich Strafanzeige erstattet. Und nach dem dadurch ausgelösten Medienrummel haben es die für die Strafverfolgung zuständigen Instanzen zumindest schwerer, erneut Ermittlungen abzulehnen. Es bleibt also zumindest durch die jetzige mediale Hype zu hoffen, dass Verantwortlichkeiten endlich ernsthaft geklärt, mögliche Versäumnisse notwendige Konsequenzen „ohne Ansehen der Person“ nach sich ziehen und die jetzige Anzeige letztlich nicht als purer Spree-Klamauk in die Analen der Hauptstadt eingeht. Auch der beginnende Wahlkampf darf nicht den Blick auf die Familien verstellen, die so sinnlos ihre Liebsten vor dem Fest der Liebe verloren haben oder schwerverletzte Angehörige noch heute in Krankenhäusern besuchen müssen.
An dieser Stelle ein Dank an die Bürgerrechtler von heute, die sich lange vor einem Senator veranlasst sahen, zumindest den Versuch einer Aufklärung zu unternehmen und die Verantwortlichen einschließlich der Staatsanwaltschaft an ihre Pflichten zu erinnern.
* Der Autor ist Vorsitzender der Vereinigung der Opfer des Kommunismus – Deutschland e.V., (VOK) in Wolfenbüttel und war zuvor um die Jahrtausendwende Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), deren Ehrenmitglied er seither ist.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.249).
VEREINIGUNG 17. JUNI 1953 e.V.
PRESSEMITTEILUNG
17.Juni 1953
Hardy Firl: Ein Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen
Berlin, 16.Mai 2017/cw – Hardy Firl (*22.10.1931), aktiver Teilnehmer am Volksaufstand vom 17. Juni 1953, ist nach kurzer schwerer Krankheit am vergangenen Freitag, 12.05.2017, verstorben.
Firl hatte noch Anfang April der Vereinigung 17. Juni zugesagt, für die Toten des Volksaufstandes am Staatsakt der Bundesregierung und des Senats von Berlin teilzunehmen und den Kranz der Vereinigung niederzulegen. Bereits Mitte April musste seine Frau, mit der Hardy Firl 56 Jahre verheiratet war, dem Verein absagen. Ihr Mann sei schwer erkrankt und man müsse mit dem Schlimmsten rechnen.
Hardy Firl wurde 86 Jahre alt. Zeitlebens war er stolz auf seine Mitwirkung an den Demonstrationen, die zum Volksaufstand in der DDR mutierten. Der 21jährige Mitarbeiter der MITROPA war am 17.Juni in die Stalinallee gegangen und stieß dort auf eine unübersehbare Menschenmasse. Dem junge Mann wurde ein Banner in die Hand gedrückt: „Freie Wahlen“. Begeistert reihte sich Firl in die Reihen der Demonstranten ein. Mutig geworden, entwendete er einem Volkspolizisten, der die Demonstranten aufforderte, nach Hause zu gehen, das Mikrofon. Jetzt sprach Firl: „Weg mit der Volkspolizei“, „Der Spitzbart muss weg“ und „Wir fordern den Rücktritt der Regierung“.
Fünf Stunden später wird Firl mit zahlreichen anderen Demonstranten am Ostbahnhof von Vopos eingekesselt und auf Lastwagen geladen. Ziel der Gefangenen-Transporte: Das Armeegelände auf dem ehemaligen Viehhof in Friedrichsfelde.

Sein letzter Auftritt: Nach dem Staatsakt 2016 auf dem Friedhof Seestraße mit Kanzleramtschef Altmeier im Gespräch: Hardy Firl – Foto: LyrAg
„Wir wurden wie Vieh in die Hallen getrieben und mussten uns auf den Boden legen. Mit fünf Männern musste ich mich mit dem Gesicht zur Wand aufstellen. Hinter uns lagen Volkspolizisten mit Maschinengewehren im Anschlag. Es war der entsetzlichste Augenblick meines Lebens, da ich glaubte, gleich tot zu sein,“ schilderte Firl die damalige dramatische Situation. Tatsächlich schossen die Vopos, allerdings in die Decke. Es war eine Scheinerschießung. Durch Querschläger kam es allerdings zur Panik, zahlreiche Menschen wurden verletzt. Möglich, dass hier die Geschichte ihren Anfang nahm, im ehemaligen Viehhof seien Soldaten der Roten Armee erschossen worden, weil sie sich geweigert hatten, auf deutsche Arbeiter zu schießen.
Für Hardy begann noch am Abend eine wahre Odyssee durch verschiedene Haftanstalten. Dazwischen immer wieder Verhöre. Die Stasi forderte das Eingeständnis, dass Firl im Auftrag der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)“, des CIA oder gar der SPD-Jugendorganisation „Die Falken“ an den Demonstrationen teilgenommen hätte.
In einem nur 30 Minuten andauernden Prozess wurde der junge Mann am 30. Juni 1953 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Haftstrafe musste er in Rummelsburg verbüßen, wo er eine Zelle mit einem Kinderschänder, einem Wirtschaftskriminellen und einem „Zeugen Jehovas“, letztere galten ebenfalls als Feinde der DDR, teilen musste.
Am Bittersten empfand Firl die Haltung seiner Eltern, die ihn niemals in der Haft besuchten. Sein Vater war überzeugter SED-Genosse (Firl: „Tausendprozentig!“) und hatte sich offensichtlich von seinem „Verräter-Sohn“ losgesagt.
1956, nach seiner Freilassung, flieht er nach West-Berlin. Aber der in seinem Kiez Verwurzelte kehrt schon 1958 zurück. Hier hatte er seine Freunde, seine zwei Geschwister. Und dass drei Jahre später eine Mauer seine einstige Haft auf andere Art fortsetzen würde, konnte auch Firl nicht ahnen. Bis zu seiner Verrentung arbeitete Firl im Kundendienst des Warenhauses am Alexanderplatz, dem heutige KAUFHOF.
Sein Urteil wurde 1994 aufgehoben, Hardy Firl rehabilitiert. Seine Erlebnisse am 17. Juni 1953 und die Zeit danach ließen ihn aber nicht mehr los. Nach dem Fall der Mauer konnte er dieser Erinnerung offen leben, war stolz auf seinen 17. Juni 1953. Noch im letzten Jahr stand er vor der TV-Kamera des Bayerischen Rundfunks. Zahlreiche Medien berichteten über diesen Mann, der stets bescheiden aber voller Stolz vom Aufstand der Arbeiter berichtete.
Firl lebte nur zwei Kilometer von Rummelsburg entfernt in Lichtenberg. Er hinterlässt seine Frau Siegrid, zwei Kinder, zwei Enkel und zwei Urenkel. Die Beisetzung findet am 12. Juni um 13:00 Uhr auf dem Parkfriedhof in Berlin-Marzahn statt.
Der Vorstand der Vereinigung würdigte in einem Nachruf die Verdienste des Verstorbenen, der „seinen unvergessenen Platz in der Geschichte des Volksaufstandes gefunden hat. Wir werden ihn stets in ehrenvoller Erinnerung behalten.“
V.i.S.d.P.: VEREINIGUNG 17.JUNI 1953 e.V., Berlin – Tel.: 030-30207785
Nr.065 – Einigkeit und Recht und Freiheit – 15. 05. 2017
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Hoheneck: Zukunft und Erinnerung
Stollberg/Hoheneck, 15.Mai 2017/cw – Die Stadt Stollberg hatte zu einem interessanten Event eingeladen. In Anwesenheit lokaler und überörtlicher Prominenz wurde am vergangenen Freitag auf dem Gelände des einstigen berüchtigten DDR-Frauenzuchthauses die Interaktive Lern- & Erlebniswelt Phänomenia eröffnet. An über 300 Exponaten wird eindrucksvoll gezeigt, wie „aus Staunen Wissen wird“, so das IWS Integrationswerk Westsachsen in seiner Werbung (www.phaenomenia.de). Für den durch Krankheit verhinderten hochbetagten ehem. Vorstandsvorsitzenden von VW, Prof. Dr. Carl H. Hahn sprach seitens der Sponsoren der Geschäftsführer von Porsche-Leipzig Dr. Joachim Lamla. Der ebenfalls von der Stadt eingeladene Vorstand des Frauenkreises der Hoheneckerinnen war nicht vertreten.
In seiner Eröffnungsansprache betonte Oberbürgermeister Marcel Schmidt (Freie Wähler) die Intention der Stadt, „Zukunft und Vergangenheit, Erinnerung und den Blick nach vorn“ am „Ort der schrecklichen Vergangenheit, wie es das DDR-Frauenzuchthaus darstellte“ miteinander zu verbinden. So werde neben der Phänomenia und der Umsetzung des Theaterprojektes die in der Planung befindliche Gedenkstätte die Neuausrichtung von Hoheneck dokumentieren. Das Theaterpädagogische Zentrum soll mit dem Kinder- und Jugendtheater burattino von seinem jetzigen Standort neben dem Kreiskrankenhaus nach Hoheneck verlegt werden, da der jetzige Standort in der Jahnsdorfer Straße für die Einrichtung eines dringend benötigten Medizinischen Versorgungs-Zentrums (MVZ) benötigt wird.
Im Gegensatz zu Schmidt ging der Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (CDU) als zweiter Redner so gut wie gar nicht auf die Vergangenheit des Ortes ein. Sein Grußwort wurde von vielen Gästen der ansonsten gelungenen Eröffnung eher als deplazierte Wahlkampfrede in seinem Wahlkreis empfunden, den der Abgeordnete mehrmals demonstrativ erwähnte. Möglicherweise stand im Hintergrund das Verhalten seiner Partei im Stadtrat Pate. Die Stadtratsfraktion der CDU stellte sich in der Vergangenheit immer wieder in Opposition zu den Aktivitäten der Stadt bei der Neugestaltung von Hoheneck und kritisierte insbesondere die bisherige Investition der Kommune i.H.v. 1,8 Millionen Euro als eine „bedenkliche Belastung“.
Auch der anwesende Landrat Frank Vogel (CDU) räumte auf Befragen des HB ein, dass der Landkreis sich an den durch den Umbau entstandenen Kosten bisher nicht beteiligt habe. Man habe allerdings vor, sich seitens des Landkreises an den Investitionen für das geplante Theaterprojekt zu beteiligen. Eine Mitverantwortung des Landkreises für die Schaffung einer Gedenkstätte an die Frauen von Hoheneck, die zwischen 1950 und 1989 bis im Einzelfall zu über einem Jahrzehnt aus politischen Gründen in den Mauern des DDR-Frauenzuchthauses gelitten haben, sieht der Landrat und mithin seine Partei wohl nicht.
Damit steht nach gegenwärtigem Stand die Eröffnung einer Gedenkstätte terminlich weiter im Ungewissen. Nach aktuellen Informationen des HB ist die Eröffnung planerisch wohl erst für 2019 vorgesehen. Dieser durchaus kritikwürdigen Zustandsbeschreibung in Sachen Erinnerung versucht die Stadt allerdings aktiv zu begegnen. So erwähnte Marcel Schmidt nicht nur mehrfach die „schmerzliche Vergangenheit von Hoheneck“. Für den am Samstag durchgeführten „Tag der Offenen Tür“ zur Phänomenia waren permanente (und gut genutzte) Führungen durch den einstigen Zellentrakt und eine Buchlesung für den Abend (18:00 Uhr) geplant, auf der das Buch von Nancy Aris „Das lässt einen nicht mehr los – Opfer politischer Gewalt erinnern sich“ vorgestellt wurde (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2017, ISDN 978-3-374-04935-6, 14,00 €, Paperback).
Fraglich bleibt in diesem Szenario die Rolle der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten“ unter deren Geschäftsführer Siegfried Reiprich. Reiprich besuchte zwar kürzlich die Kreisstadt, hielt sich aber gegenüber Wünschen, die Stiftung an der Finanzierung der Gedenkstätte zu beteiligen, mehr als bedeckt, indem er auf Formalien (Projektförderung) pochte, die er im Fall Hoheneck als noch nicht erfüllt sah. Das sich diese reservierte Haltung nicht mit den Intentionen des novellierten Gedenkstättengesetzes des Freistaates deckt, in dessen Förderungskatalog Hoheneck ausdrücklich aufgenommen worden war, verdrängt der häufig selbstherrlich agierende Reiprich, wie einer der Vorwürfe gegen ihn lautet (siehe auch „Der Sonnengott von Dresden“ weiter unten).
Unabhängig davon wäre dem eindrucksvollen Projekt Phänomenia eine Verbreitung über Sachsen hinaus in weiteren Bundesländern zu wünschen. Sie bietet für Kinder und Jugendliche einen begeisterungsfähigen Einstieg in die Welt angeblich unerklärlicher Phänomene und ist geeignet, bislang unentdeckte Fähigkeiten bei dem/der einen oder anderen Heranwachsenden zu wecken. Die Phänomenia in Hoheneck ist Montags bis Freitags von 8:30 – 17:00, an Sonn- und Feiertagen von 12:00 – 19:00 Uhr geöffnet. Eintritt Kinder: 6,00 € (5,50); Erwachsene: 8,00 € (7,50); Familien: 26,00 € (23,00).
Ehemalige Hoheneckerin: Gut, aber gewöhnungsbedürftig *
Hohenecker Bote (HB): Tatjana Sterneberg, sie waren von 1974 bis 1976 im Frauenzuchthaus Hoheneck, weil sie den Wunsch hatten, auszureisen, um ihren Verlobten Antonio aus Italien heiraten zu können. Heute sind sie auf Einladung der Stadt Stollberg zur Eröffnung der Phänomenia eingeladen worden. Schmerzt sie die noch immer fehlende Gedenkstätte?
Tatjana Sterneberg (TSt): Natürlich schmerzt das. Immerhin ist es fast auf den Tag genau sechs Jahre her, als Bundespräsident Christian Wulff hier vor Ort eine Gedenkstätte an die Leiden der Frauen von Hoheneck forderte. Allerdings ist seither auch einiges Positives geschehen. Das Areal ist von privater in die öffentliche Hand übergegangen, eine Grundvoraussetzung für die inzwischen weithin sichtbare Umgestaltung des Areals.
HB: Ist der offensichtliche Vorrang anderer kultureller Projekte vor der Schaffung einer Gedenkstätte für sie oder die Frauen von Hoheneck denn akzeptabel?
TSt: Die Reihenfolge der Umsetzung richtet sich wohl nach der notwendigen Bereitstellung erforderlicher Mittel, ist wohl darum weniger eine Frage des Wollens als des Könnens. Man kann der Stadt, die sich in den vergangenen Jahren ungewöhnlich engagiert hat, wohl am Wenigsten vorwerfen. Fraglich und seltsam ist hier eher das Verhalten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, verkörpert durch Siegfried Reiprich, der seit dem Präsidentenbesuch augenscheinlich wohl eher die Rolle des Boykotts als die des Förderers eingenommen hat. Wenn Reiprich sich hier offensiv eingebracht hätte, wäre die Frage der Reihenfolge wohl kein Thema.
HB: Am Tag der Offenen Tür zeigte sich ja ein gewisser Trubel auf dem Innenhof des einstigen Zuchthauses, in dem ja auch sie Jahre ihres Lebens zubringen mussten. Erinnert dieses Treiben nicht eher an den einst vom Vorbesitzer Freiberger geplanten „Männertag im Frauenknast“ als an einen würdigen Umgang mit der Vergangenheit?
„Ode an die Freude“ zur Erinnerung an das Ende eines Traumas
TSt: Zunächst einmal müssen die Verantwortlichen mehr als Verständnis dafür aufbringen, wenn ehemalige, wohlgemerkt aus politischen Gründen Inhaftierte sich von Bierständen und buntem Treiben im Innenhof dieses traumatisierenden Bauwerks provoziert fühlen. Aber es ist aus meiner Sicht ein Unterschied, ob an diesem Ort nach einem fragwürdigen US-Vorbild Erlebnistage im Frauenknast als Klamauk veranstaltet werden oder ob man hier vor Ort Gedenken, also Vergangenheit, und Zukunft, wie es der OB bezeichnete, zusammenführen möchte. Es gibt immer verschiedene Sichten. Aber wer hat sich jemals in Zeiten der Haft vorstellen können, dass hier einmal junge Menschen herumtollen können oder sich zukunftsorientierten Experimenten widmen können? Und wer will denn ausschließen, dass auch ein Theater die Möglichkeit bieten kann, Dramen, die zum Beispiel die Verfolgung aus politischen Gründen thematisieren, hier am Ort des Schreckens aufzuführen? Man könnte im Theatersaal auch durchaus Aida oder Fidelio aufführen oder gar die „Ode an die Freude“ zur Erinnerung an das Ende des Zuchthauses erklingen lassen.
HB: Also unkontrolliertes Treiben inmitten eines Leidensortes, in dem unzählige Tränen vergossen, an dem unzählige Biografien gewaltsam verändert wurden, an dem Menschen aus politischen Gründen sterben mussten?
TSt: Keineswegs. Natürlich müssen wir als ehemalige Betroffene drauf hinwirken, dass die Würde des Ortes gewahrt bleibt. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, auf dem Gelände eines ehemaligen KZ Bier- oder Würstchenbuden aufzustellen. Andererseits hat ein KZ als Gedenkstätte keine sogen. gemischte Nutzung. Hier ist das anders. Wir haben in unserem ersten Konzept von 2011, das übrigens eine wichtige Grundlage für den Landtag war, Hoheneck in die Förderung aufzunehmen, ausdrücklich die unabweisbare Mischnutzung beschrieben, weil das die einzige Möglichkeit bot und bietet, eine „Begegnungs- und Gedenkstätte (BuG)“ in diesem riesigen Areal umzusetzen. Hier müssen sowohl die einstigen Frauen von Hoheneck wie die Betreiber der zukunftsorientierten Einrichtungen sensibel aufeinander zugehen und ihre Bedürfnisse und berechtigten Interessen austauschen und abwägen. Dass dabei den Frauen von Hoheneck ein besonderes Gewicht zukommt, darf nicht Außerfrage gestellt werden.
HB: Wie soll das geschehen? Haben die Frauen von Hoheneck denn noch eine Stimme? Hat sich denn der fragliche Verein nicht selbst aus der Mitsprache verabschiedet? Auch der aktuelle Förderverein ist wohl nicht mehr handlungsfähig?
Frauenkreis hat sich selbst durch Querelen blockiert
TSt: Das gehört auch zur Ehrlichkeit gegenüber den Betroffenen. Wir müssen natürlich dazu stehen, dass sich die einstigen Frauen von Hoheneck durch vielfältige Querelen einstweilen selbst um ihre Mitsprache gebracht haben. Dafür kann die Stadt nichts. Das gleiche gilt für die bereits zwei Versuche, einen Förderverein zu installieren. Der erste Verein wurde mit Hilfe von Siegfried Reiprich zerstört, obwohl dieser sich sofort in die sachliche Arbeit gestürzt hat. Der zweite Verein hat sich durch interne Auseinandersetzungen handlungsunfähig gemacht. Auch hier muss also ernsthaft daran gearbeitet werden, wieder arbeitsfähige Strukturen zu schaffen, um zumindest eine künftige und überaus notwendige Mitsprache zu sichern. Forderungen zu stellen, ist das Eine. Grundlagen zu schaffen, um als Gesprächspartner ernst genommen zu werden, das Andere.
HB: Vielen Dank für das offene Gespräch.
* Das Gespräch wurde in Hoheneck zum Tag der Offenen Tür am vergangenen Samstag aufgezeichnet. Tatjana Sterneberg war stellvertretende Vorsitzende des Frauenkreise der ehem. Hoheneckerinnen (2005 – 2007) und Vorsitzende des ersten Fördervereins „Begegnungs- und Gedenkstätte (BuG) Hoheneck“ (2011-2013). Sterneberg war an diesem Tag die einzige ehemalige Hoheneckerin vor Ort.
Der Sonnengott von Dresden
Dresden/Bautzen – Als Siegfried Reiprich seinerzeit zum Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten berufen wurde, galt der langjährige vormalige Geschäftsführer der inzwischen weltweit bekannten Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin als kompetente Lösung für dieses Amt. Nicht abzusehen war von den für die Berufung Verantwortlichen die Metamorphose des einstigen SED-Kritikers zum zur Selbstherrlichkeit neigenden Entscheidungsdiktator. Nicht erst seit heute wird der Dompteur der Stiftung spöttisch und nicht ohne Bitterkeit als „Sonnengott von Dresden“ bezeichnet.
Jüngstes Beispiel der unsensiblen Reiprichen Vorgehensweise war das diesjährige am 11. und 12. Mai durchgeführte und weit über die Grenzen hinaus bekannte, inzwischen 28. Bautzen-Forum. Seit über zwei Jahrzehnten findet dieses vielbeachtete Treffen in Anwesenheit namhafter Politiker, Publizisten und Zeitzeugen an das DDR-Unrecht statt. Die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung gehörte nicht nur zu den maßgeblichen Sponsoren dieses wichtigen Treffens ehemaliger Bautzen-Häftlinge, sondern begleitete dieses mit ihren Möglichkeiten jeweils aktiv bei der jeweiligen Planung und Durchführung.
Traditionell fand die zentrale Veranstaltung in der Gedenkstätte Bautzen statt, in der sich der einstige Stasi-Knast für „besondere Häftlinge“ befand: Hier mussten DDR-Minister wie der hem. Justizminister Max Fechner (1892-1973) ihre zudiktierte Strafe ebenso absitzen, wie sonstige Geheimnisträger oder Oppositionelle, wie der Schriftsteller Karl-Wilhelm Fricke oder der im letzten Jahr verstorbene Xing–Hu Kuo.
Wie die Sächsische Zeitung am 12. Mai berichtete („Getrübtes Treffen der Stasi-Opfer“) hatte Reiprich dem Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen, Matthias Eisel untersagt, eigenständig mit der Gedenkstätte Planungen für das Bautzen-Forum abzusprechen. Dies könne ausschließlich nur über ihn, Reiprich, erfolgen. Dieser Streit führte im Ergebnis dazu, dass das Bautzen-Forum erstmals ohne Einbeziehung der Gedenkstätte durchgeführt werden musste. „Seit 1990, also von Anfang an, haben wir unsere Zusammenarbeit im Rahmen des Bautzen-Forums immer direkt mit der Gedenkstätte Bautzen abgestimmt“, zitiert die SZ Matthias Eisel. Er sei bislang „den bewährten direkten Weg gegangen“. Nun habe Reiprich der Gedenkstätte und Eisel offiziell untersagt, miteinander zu sprechen. Eisel: „Das ist ein ernster Bruch des Vertrauensverhältnisses“. Da mache er nicht mit.
Eskalation der Auseinandersetzungen
Reiprich verschärft durch diese Eskalation offensichtlich seinen bisher unglücklichen Umgang mit den ihm formal zugeordneten Gedenkstätten. So führte er u.a. jahrelange heftige Auseinandersetzungen mit der vielseits geachteten Leiterin der Bautzen-Gedenkstätte, Silke Klewin. Auch andere Gedenkstättenleitungen klagen seit Jahren, wenn auch meist wegen befürchteter Repressalien unter vorgehaltener Hand über den eigenwilligen Reiprich.

Führung durch die Gedenkstätte Bautzen II im Schatten des Forums, ein ungeeigneter Ort für Provokationen – Foto: LyrAg
Der Vorsitzende des Bautzen-Komitees, Alexander Latotzky, reagierte bestürzt über die neueste Entwicklung: „Mit der „Aufkündigung der Zusammenarbeit von FES und Gedenkstätte sei ein Zustand erreicht, der die jahrelange und mühsame Arbeit vieler engagierter Mitarbeiter und Betroffener zunichte mache und konterkariert“, schrieb Latotzky in einem Brandbrief an Reiprich. Karl Wilhelm Fricke und Manfred Wilke reagierten „entsetzt“ auf die Selbstherrlichkeit des eigens vom Landtag berufenen Geschäftsführers der Sächsischen Gedenkstätten-Stiftung: „Aus fadenscheinigen Gründen verwehrt die Stiftung nicht nur jenen Menschen, die nach 1989 die Gedenkstätte auf den Weg gebracht haben, eine Veranstaltung im ehemaligen Stasi-Gefängnis.“ Sie verbiete der Gedenkstätte zudem „die Teilnahme am wichtigsten Treffen der Opfer“.
Formal macht Siegfried Reiprich mit dem „Einspruch“ zwar von seinem Hausrecht Gebrauch. Mit der 2014 verabschiedeten novellierten Stiftungssatzung wurde endgültig festgeschrieben, dass der Geschäftsführer „alleiniger Entscheider in Gestaltung und Koordinierung“ der Stiftungsaufgaben „einschließlich ihrer Gedenkstätten“ ist. Reiprich hält nun Eisel entgegen, dass dieser „dennoch darauf bestanden hätte, nur mit der Leiterin der Gedenkstätte Bautzen über Art und Umfang seiner Veranstaltungsplanung zu verhandeln.“
Ob der Sächsische Landtag mit seiner wohl parteipolitisch bestimmten Unterstützung des eigenwilligen und offensichtlich unsensiblen Herrschers über Sachsens Gedenken der dringenden Aufarbeitung wohlmöglich einen Bärendienst erwiesen hat, sollten die zuständigen Gremien nach Ansicht von Beobachtern der Szene dringend überprüfen. Auch wenn Reiprich sich formal auf durch die Satzung bestimmte Vollmachten berufen kann, sein Agieren wirkt nicht nur unprofessionell. Reiprich schadet bereits seit Jahren mit seiner Selbstherrlichkeit und der kontinuierlichen Diskreditierung von verdienten Mitarbeitern dem Ruf und Ansehen der Gedenkstätten in Sachsen. Dass dieses Verhalten auch im Widerspruch zu seiner feierlich zur Schau getragenen Rolle als (einstiger) Bürgerrechtler steht, ist offensichtlich. Der Sonnengott von Sachsen zelebriert sich selbst. Und bis zu seiner ansehnlichen Rente wird es wohl kein Politiker wagen, ihm vor den Karren zu springen und das unrühmliche Spiel zu beenden. Siegfried Reiprich, einst FDJ und dann über die SPD in der CDU gelandet, ist gut vernetzt. Nicht zuletzt gründet seine Selbstherrlichkeit auf dieser Gewissheit.
Auch Hoheneck verdankt nicht zuletzt seinen desolaten bis katastrophalen Zustand in Sachen Begleitung beim Aufbau einer überfälligen Gedenkstätte zu einem wesentlichen Teil der Einmischung aus der Dresdner Dülferstrasse 1, dem Sitz der Stiftung „Reiprich“.
VOS zelebriert Widersprüche und beschließt: Schlussstrich!
Friedrichroda/Berlin – Auf der Generalversammlung in Friedrichroda kamen die Probleme der Vergangenheit, die den ältesten und größten Opferverband Deutschlands an den Rand der Insolvenz gebracht hatten, auf den Tisch. Allerdings in anderer Form, als es sich treue Wegbegleiter des Verbandes für einen Neustart erhofft hatten. Der geschickten Regie des Geschäftsführers, der bereits seit geraumer Zeit als „Mister VOS“ gehandelt wird, war es zu verdanken, dass die desolate Situation zwar auf den Versammlungstisch gelegt wurde aber durch einen folgenden Kassenprüfungsbericht ad acta gelegt werden konnte.
In gewohnter Übung hatte der Vorstand die selbst eingebrockte Finanzmisere beklagt und dabei den Geschäftsführer ausführlich bedauert, weil dieser einen erheblichen Strafbefehl „selbst bezahlen“ musste, obwohl eigentlich der gesamte Vorstand hätte haften müssen. In der Vereinspostille „FG“ las sich das dann so: „Kamerad Hugo Diederich musste – indem ihm eine saftige Geldstrafe auferlegt wurde – allein haften. Ob das gerecht ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben.“ Und: „Über die Ursachen der Entstehung des riesigen Schuldenberges ist berichtet worden, wobei wir uns als VOS schließlich einig waren, dass wir unter die Debatte „Wer hatte Schuld?“ einen Schlussstrich ziehen wollen.“ Durch die geschickte und unermüdliche Verhandlungsführung sei es aber dem Geschäftsführer gelungen, weiteren Schaden von der VOS abzuwenden und den Verband schließlich zu retten. FG: „Es ist fraglich, ob unser Verband ohne seine (Hugo Diederichs) Beharrlichkeit und sein Verhandlungsgeschick jetzt schon aus der Krise wäre.“
Nach dieser Wandlung des Schadens-Verursachers in Höhe von immerhin rund 130.000 Euro in eine Lichtgestalt des Retters folgte der Kassenprüfungsbericht. Trotz des zurückliegenden Verfahrens wegen „Vorenthaltung von Sozialbeiträgen“, der gerichtlich festgestellten Rückzahlungspflicht und dem zitierten Strafbefehl gegen den Geschäftsführer wurde eine „einwandfreie Kassenprüfung (im Berichtszeitraum 2014 – 2016) attestiert. Natürlich wurde „Mister VOS“ nach dieser Waschmaschinenkür in seiner Funktion als Geschäftsführer bestätigt. Kein Wunder, wenn unter diesen Parteitagsverhältnissen unseligen Angedenkens auch keine Fragen nach der Vergangenheit zum Beispiel im Stasi-Geflecht gestellt wurden. „Wir müssen nach vorn blicken,“ hatte schon vor Jahren ein Vorstandsmitglied zu den VOS-Verhältnissen gesagt. Und so beschlossen die Kämpfer gegen die „Schlussstrich-Forderungen“ ihrer einstigen Peiniger den Schlussstrich unter eigene Verfehlungen. Glaubwürdigkeit sieht allerdings anders aus.
Frauenkreis: Aktionstag soll Versäumnisse kaschieren
Hoheneck/Stollberg – Fast schon verzweifelt versucht der verbliebene Rumpfvorstand des Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen die Reputation des einst unter Maria Stein und Margot Jann angesehenen Vereins zu retten. Mit dem für Juni d.J. geplanten „Aktionstag“ soll eine Kontinuität vermittelt werden, die längst nicht mehr existiert. Waren durch den gerichtlich durchgesetzten neuen Vorstand Hoffnungen auf eine Wiederbelebung geweckt worden, so wurden diese bisher enttäuscht. Anstatt an die notwendige Arbeit zu gehen, wurden neue Querelen auf den Weg gebracht, in deren Gefolge der jungfräuliche Vorstand kontinuierlich schrumpfte. Zwar wurden noch erfolgreich Fördermittel beantragt (Stiftung Aufarbeitung: 3.800 Euro für den Aktionstag), aber die bisherige Praxis der Kostenübernahme für Teilnehmer am geplanten Aktionstag auf „Mitglieder“ des Frauenkreises beschränkt. Auch bräuchten laut Einladung „nicht alle Mitglieder“ erscheinen, wenn diese ohnehin eine weite Anreise hätten. Auch die langjährige Vorsitzende und durch Mitgliederbeschluss zur Ehrenvorsitzenden berufene Margot Jann, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, wurde mir nicht dir nichts aus dieser Funktion gestrichen. Kann man so auf eine Wiederbelebung des Frauenkreises hoffen?
An Beratungen hat es gewiss nicht gefehlt. So war der jetzigen Vorsitzenden nach der erfolgreichen Gerichtsverhandlung u.a. empfohlen worden, den rechtlichen Sieg sensibel umzusetzen und – zum Beispiel – alle interessierten Frauen und augenblicklichen Kontrahenten zu einem „runden Tisch“ einzuladen. Dort sollte vorurteilsfrei auf neuer Grundlage (Urteil) die Zukunft debattiert und mögliche Gemeinsamkeiten, die schließlich auf gemeinsam erlittenem Unrecht und der dadurch entstandenen einstige Kameradschaft basierten, festgestellt werden. Die Reaktion: Mit „Denen“ setzen wir uns nicht an einen Tisch, die werden alle (aus dem Verein) rausgeschmissen. Zukunftsgestaltung sieht in der Tat anders aus.
Buchautorin Ellen Thiemann feiert 80. Geburtstag

Ellen Thiemann (Mitte) mit Bundespräsident Christian Wulff bei dessen Besuch in Hoheneck im Mai 2011 – Foto: HB-Archiv
Köln – Die ehemalige Ressortleiterin im Kölner Express und Autorin mehrerer vielbeachteter Bücher über das ehemalige Frauenzuchthaus Hoheneck feiert am Tag des Grundgesetzes, am 23. Mai, ihren 80. Geburtstag.
Thiemann, die ihren Ehrentag im Kreis der Familie verbringt, wurde durch ihre unermüdliche Arbeit um die Aufklärung der Geschehnisse im ehemalige Frauenzuchthaus Hoheneck bekannt. In dem Bestseller „Der Feind an meiner Seite“ (2005) schilderte sie die enttäuschende Entdeckung, dass ihr eigener Mann, einst ein bekannter Sportreporter, für die Stasi arbeitete.
Thiemann begleitete für den Kölner Express namhafte Politiker, wie Bundeskanzler Kohl, Justizminister Kinkel und dem Sächsischen Justizminister Heitmann 1992 nach Bautzen. Der geplante anschließende Besuch in Hoheneck scheiterte wegen eines Schneetreibens, der Hubschrauber konnte nicht nach Stollberg weiterfliegen. Allerdings war Thiemann später mehrmals mit der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und dem Sächsischen Justizminister Heitmann in Hoheneck (1992, 1993).
Die engagierte ehemalige Hoheneckerin malt neben ihren schriftstellerischen Arbeiten eindrucksvolle Bilder und ist nach wie vor in der Forschung nach weiteren Dokumenten des Unrechts engagiert. Allerdings hat sie sich weitgehend aus der Vereinsarbeit zahlreicher Opferverbände zurückgezogen. So trat sie wegen der zahlreichen internen Querelen nach 35 Jahren Mitgliedschaft 2010 aus der VOS aus. Dem Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen gehörte Ellen Thiemann bis 2016 an. Der HB gratuliert herzlich und tröstet über die nach wie vor ausstehende öffentliche Ehrung der Lebensleistung mit dem Ausspruch von Inge Meisel hinweg: „Ein anständig gelebtes Leben braucht keinen Orden.“
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