Berlin, 9.03.2017/cw – Eine interessante Lesung bietet der Verein „Bürgerkomitee 15. Januar“ am 28. März 2017, 18.30 Uhr, im Cafe Vernunft (ehemaliges Stasi-Gelände Ruschestraße 103, 10365 Berlin-Lichtenberg / U-Bahn Magdalenenstraße) an. Harry Waibel liest aus seinem demnächst erscheinenden Buch „Die braune Saat Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus in der DDR“.

Waibel weist nach, dass heutige rechtsradikale Tendenzen und Attacken auf Ausländer in Ostdeutschland eine längere Tradition haben, als zuweilen angenommen. Auch in der SED-Diktatur bildeten Neonazis sowohl die Speerspitze als auch den Motor für eine sich dynamisch entwickelnde rechte Bewegung, die sich gegen die Existenz der kommunistischen Herrschaft richtete. Nahezu 10.000 antisemitische, rassistische und neonazistische Propaganda- und Gewaltstraftaten seien in der DDR belegt.

Inwieweit der Autor bei der Verwendung dieser Zahlen die Tatsache berücksichtigt, dass die DDR nahezu jeden Widerstand gegen die SED-Diktatur als „revanchistisch“ und „neo-nazistisch“ oder grundsätzlich als „faschistisch“ einstufte und die politisch-ideologisch ausgerichtete DDR-Justiz diesen Widerstand entsprechend hart mit langen Zuchthausstrafen belegte, dürfte an diesem Ort (dem Sitz der einstigen Stasi-Zentrale) die Besucher der Veranstaltung besonders interessieren.

Die Struktur der Neonazis wurde nach Waibel ab Ende der 1970er Jahre dramatisch durch mehrere tausend Skinheads, Hooligans und Heavy-Metal-Fans verstärkt, die zur Szene stießen. Der Autor räumt eine institutionelle Judenfeindschaft ein, die sich lange als „Antizionismus“ verkleidet, in einer verschärften politischen und ideologischen Kontrolle der wenigen Jüdinnen und Juden, die sich zur Jüdischen Gemeinde bekannten, zeigte. Erst ab der zweiten Hälfte des Jahres 1988 wurde von den Sicherheitsorganen eine „Dokumentation R“ erstellt – „R“ wie „Rowdy“ – in der Rechtsradikale erfasst wurden.

Das Buch beschreibt Gründe, wieso der Antifaschismus der SED die neonazistische, antisemitische und rassistische Bewegung in ihrer Entwicklung nicht erkennen und stoppen konnte (oder –Anmerkung: nicht stoppen wollte?).

Der Referent und Autor:

Harry Waibel (*1946 Lörrach) ist durch zahlreiche fundierte Untersuchungen zum Neonazismus und Antisemitismus in der DDR bekannt. Er promovierte als Historiker am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und ist als Dozent und Autor tätig. Ein weiterer Themenschwerpunkt ist der Rassismus in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Der Autor (Industriekaufmann) arbeitete nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr in verschiedenen Unternehmen als kaufmännischer Angestellter. Er beteiligte sich in Lörrach im Republikanischen Club und in Basel an Aktionen der APO (außerparlamentarische Opposition. 1969 war Waibel gegen die seit 1968 in den Landtag von Baden-Württemberg gewählte NPD aktiv. Mitglied im Sozialistische Büro Offenbach und Sozialistische Bund Südbaden, engagierte sich u.a. für Hausbesetzungen und schrieb für die Zeitungen „Sumpfblüte“ und „Links unten“. PH Freiburg Lehramtsstudium (Zweiter Bildungsweg), Fortsetzung und Abschluss als Dipl.Pädagoge an der FU Berlin. 1993 wurde Waibel bei Wolfgang Benz am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin mit einer Studie über Neonazismus, Antisemitismus und Rassismus in der DDR unter dem Titel Rechtsextremisten in der DDR bis 1989 zum Dr.phil. promoviert. Beide Studiengänge und die Promotion wurden von der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung finanziell gefördert.

Harry Waibel forscht auch in den Archiven des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit und im Bundesarchiv zum Rassismus in der DDR. Er lebt und arbeitet heute als freier Publizist und Historiker in Berlin.

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