Istanbul/Berlin, 6.03.2017/cw – Jetzt ist es also raus: Nach Beschreibung durch den türkischen Präsidenten und Möchtegern-Sultan handelt es sich beim heutigen Zentralstaat Europas um „Nazi-Deutschland“. Und während sich die Medien überschlagen und die Politik nach einer halbwegs deutlichen Antwort sucht – immerhin hat ja Cem Özdemir von Bündnis90/GRÜNE eine deutsche Wahlkampfveranstaltung in Istanbul ins Gespräch gebracht – ist kaum etwas von einer Ursachenforschung zu hören. Warum vergreift sich der zukünftige Despot am Bosporus in seiner Sprache? Fällt hier auf Deutschland zurück, was innerdeutsch längst zur Gewohnheit geworden ist? Wird hier nicht in inzwischen zur Tradition gewordener Manier gegen ungeliebte Gegner ohne jeden Anflug von Reflexion die Nazi-Keule geschwungen? Fällt jetzt auf Deutschland zurück, was i n Deutschland längst normativen Kultstatus hat?
Es ist ja nicht nur die pauschale Diffamierung politischer Kritiker, die in Form „brauner Soße“ über diese ausgegossen wird. So schreibt eine junge Journalistin in einem Bericht über die AfD: „Er zieht aus einem braunen Kuvert das blaue Partei-Programm hervor.“ Und: „Danach schiebt er das Blaue in das Braune zurück.“ Es sind diese feinsinnig herübergebrachten Diffamierungen, an die wir uns in Deutschland längst gewöhnt haben, weil wir diese auch noch als Ausdruck unserer demokratischen Reife feiern.
„Deutschland verrecke“
Die permanente Ignoranz gegenüber Beschimpfungen gegen das eigene Land ist uns zur zweiten Natur geworden. Ob vermutliche linke Chaoten auf weithin sichtbaren Dachziegeln in meterhohen Buchstaben unwidersprochen „Deutschland verrecke“ schreiben (nahe der Warschauer Brücke) oder auf ein altes Kriegerdenkmal „Deutschland kaputt“ schmieren (so jüngst im Charlottenburger Lietzensee-Park), es interessiert in diesem Land weder Politiker noch die „kritischen“ Medien.
Aktuell in diesem verqueren Bild stellt sich das breite Engagement für den türkischen und/oder deutschen Journalisten Deniz Yücel (dessen doppelte Staatsbürgerschaft wohl seine persönliche Misere verschlimmert, aber die ist hier nicht das Thema). Deutschland, hier Politik und Medien, setzen sich in durchaus denkwürdiger Übereinstimmung für den in Istanbul aus nicht tolerierbaren Gründen inhaftierten Korrespondenten der Springer-Zeitung DIE WELT ein. Yücel war zuvor Kolumnist der taz, was ja heute nicht unbedingt mehr ein Widerspruch sein muß, sieht man von dem auf der taz-Fassade noch immer prangenden erigierten Penis von Kai Dieckmann ab (auch diese öffentliche Diffamierung wird inzwischen in Deutschland als „Kunst“ verstanden).
Nein, was hier von Interesse ist und der breiten Mehrheit in Deutschland, die sich engagiert für die Freilassung der inhaftierten Journalisten und hier zuvorderst von Deniz Yücel einsetzt, verschwiegen wird, sind die ebenfalls nachdenkenswerten Auslassungen des WELT-Journalisten über Deutschland, die dieser als taz-Kolumnist unter seine damals wohl eher linke Leserschaft brachte. Yücel schrieb am 4.08.2011 unter dem Titel „Super, Deutschland schafft sich ab!“ u.a.:
Das Ende Deutschlands „ausgemachte Sache“
„In der Mitte Europas entsteht bald ein Raum ohne Volk. Schade ist das aber nicht. Denn mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner vermissen wird.“ Und Yücel begründet detailliert: „Woran Sir Arthur Harris, Henry Morgenthau und Ilja Ehrenburg gescheitert sind, wovon George Grosz, Marlene Dietrich und Hans Krankl geträumt haben, übernehmen die Deutschen nun also selbst, weshalb man sich auch darauf verlassen kann, dass es wirklich passiert. Denn halbe Sachen waren nie deutsche Sachen („totaler Krieg“, „Vollkornbrot“); wegen ihrer Gründlichkeit werden die Deutschen in aller Welt ein wenig bewundert und noch mehr gefürchtet.“ Und:“ Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen … zu haben; eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; … diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden.“
Der jetzt unter obstrusen Vorwürfen wie „Agent der Kurden“ oder „Spion Deutschlands“ inhaftierte Journalist gab in seiner Kolumne auch Ratschläge für die Zukunft des dann „ehemaligen Deutschland“: „Nun, da das Ende Deutschlands ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald in der Mitte Europas entstehen wird: Zwischen Polen und Frankreich aufteilen? Parzellieren und auf eBay versteigern? Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen Bedürftigen schenken? Zu einem Naherholungsgebiet verwildern lassen? Oder lieber in einen Rübenacker verwandeln?“ Das Resume fasst Yüzel so zusammen: „Egal. Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.“ (http://www.taz.de/!5114887/)
Die Nazi-Keule gehört zur Nachkriegs-Kultur

Nach wie vor wird Hiltler bemüht, wenn es um Diffamierungen geht, wie hier am Lietzensee, März 2017 – Foto: LyrAg
Mal davon abgesehen, ob das Engagement für den Deutsch-Türken oder Türk-Deutschen so zahlreich ausfiele, wenn die Medien und (in dieser Sache engagierten) Politiker auch diese offenbar andere Seite von Yücel verbreiten würden, stellt sich hier die Frage, ob wir ernsthaft dem türkischen Präsidenten Vorhaltungen wegen seiner Begriffs-Verwendung machen können? Recep Erdogan liebt ohne Zweifel sein Land, auch wenn diese Liebe seit geraumer Zeit neurotische Züge anzunehmen scheint. Aber dass (nicht nur) Erdogan ernsthafte Zweifel an einem Land bekommt, das sich so vehement für einen Verächter des eigenen Landes einsetzt, nimmt das Wunder? Das sich die Nazis niemals für einen Verächter Deutschlands eingesetzt, sondern diesen vielmehr unter das Fallbeil gelegt oder unter den Galgen gestellt hätten, das weiß außer Erdogan und einigen wenigen Unverbesserlichen in unserem Land heute (fast) jedes Kind. Insoweit hinkt der Vergleich aus dem bereits erbauten Sultans-Palast erheblich. Aber dass Erdogan verwirrt ist über die geistige Verfassung in unserem Land lässt sich nachvollziehen. Wenn die Nazi-Keule zur Nachkriegskultur in Deutschland geworden ist, warum sollte man diese nicht auch von Außen verwenden dürfen? Habt Mitleid mit Erdogan. Zumindest das würde unserem realen (weil medial und politisch verankerten) Selbstverständnis im Umgang mit erklärten Feinden entsprechen.
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10 Kommentare
8. März 2017 um 14:39
Bruni Grabow
Die politische Tatik der Kanzlerin finde ich auf den zweiten Blick richtig, auch wenn es wütend macht. Die Entwicklung in der Türkei Richtung Diktatur werden erstens die heutigen türkischen Beführworter zu spüren bekommen bzw. deren Familien in der Türkei und zweitens wird das Staatsoberhaupt eine Niederlage am 16.April mit Sicherheit nicht hinnehmen. Ein Bürgerkrieg wäre die Folge, da die Menschen dort 50:50 mit ihrer politischen Meinung und Lebenswillen sich gegenüberstehen, schreiben selbst türkische Medien. Und genau das ist der Punkt. Wir dürfen die Türkei nicht darin bestärken, dass sie Deutschland an den Niedergang der Türkei die Schuld übertragen, auch wenn diese Vorstellung total absurd ist. Die Massen sind entsprechend durch die Auftritte aufgewiegelt worden. Ich wußte garnicht, das Menschen so naiv sein können und mit Vergnügen ihr eigenes Grab schaufeln wollen. Wartet mal das Referendum im April ab und laßt sie in Deutschland hetzen wie sie wollen. Nach dem 16.04. sieht alles anders aus. Ich habe mir schon für 4 Wochen Lebensmittel eingekauft, obwohl ich kein Typ für solche Szenarien bin, aber es ist leider real.
Und wenn wir ehrlich sind, müssen wir auch zugeben, dass die Kanzlerin es in den Jahren ihrer Amtszeit immer schwerer hatte, globale Konflikte zu regeln, auch wenn Fehler gemacht wurden, wurden sie aus humanitären Gründen gemacht. Wir sollten uns deshalb nicht untereinander zerfleischen, nicht den naiven Beführwortern von Türken nachahmen, sondern in Deutschland zusammenstehen. Das jeder seine politische Meinung hat ist klar udn richtig, jederman sollte aber vielleicht bei den heutigen schwierigen Ereignissen zweimal nachdenken, bevor er/sie auf Hetzkampagnen aufspringen.
9. März 2017 um 02:18
Edith Fiedler
Liebe Bruni, besser als hier von Ihnen kommentiert kann man die gegenwärtige Situation nicht darlegen. Ich schließe mich Ihnen in allen Punkten an. Allerdings, Waren des täglichen Bedarfs werde ich noch nicht horten. Das einzige, was ich in weiblicher Voraussicht schon einige Zeit praktiziere, ist immer einen kleinen Vorrat an Insulin parat zu haben. Die gegenwärtige Merkel-Hetze, die wohl schick sein soll, ist mir suspekt. Mir fällt kein einziger Mann ein aus der Reihe männlicher Bewerber, der es besser händeln könnte, außer mit Gockelgetue und Kriegsgetöse nach außen und nach Innen aufzutreten. Das kommt bei Frauen überhaupt nicht gut an. Zum gerade eben abgeschlossenen Internationalen Frauentag sende ich Ihnen solidarische Grüße. Zwar sind wir ala ehemalige DDR-Frauen in dieser Sache „gebrannte Kinder“, besonders Frauen mit politischer Hafterfahrung, muß man doch zugeben, daß an einem Tag im Jahr ein riesen Rummel um uns Frauen gemacht wurde. An den übrigen Tagen des Jahres blieben die Frauen im niedrig Lohnbereich, das sie jetzt schmerzhaft bei ihren Rentenergebnissen zu spüren bekommen und daher vielfach von der Hand in den Mund leben müssen.
9. März 2017 um 18:16
Bruni Grabow
Danke Edith für die Grüsse und das Bewußtsein, dass ich nicht alleine so denke. Frauentag in der DDR? Ich kann mich erinnern, dass ich mit vielen Kolleginnen immer irgendwo in einer Kneipe saß und den Frauentag so auf unsere Weise feierten. Wir wurden ja zuerst immer vom Betrieb aus gezwungen, an dem Marsch in Berlin teilzunehmen. Es dauerte gar nicht lange, dann waren wir verschwunden.
Zum aktuellen Ereignis:
Es bleibt immer wieder die Frage: Wie kann man inhaltlich zulassen, dass für eine Diktatur und Todesstrafe im demokratischen Deutschland geworben werden darf? Hier muß das GG ergänzt bzw. geändert werden. Entweder müssen die Türken bei uns wählen, die hier bleiben wollen oder sie gehen zu ihrem übermächtigen Ur-Vater nach Hause. Jeder von uns kennt das Märchen vom „kleinen Muck“. Das ist genau die Zeitepoche, für die sich die Türken heute zurückbeamen wollen. Wußte garnicht, das die Masse so ungebildet ist.
8. März 2017 um 08:45
Bernd Stichler
Türkischer NAZI-Vergleich :
Was machen denn gegenwärtig einige Obertürken und warum regt man sich darüber auf? Die machen doch nichts Anderes als DAS, was eine vornehmlich westdeutsche wohlstandsverblödete Masse täglich macht – nämlich sich selbst und das gesamte deutsche Volk mit Dreck besudeln.
Fazit: Wer sich benimmt wie ein Idiot, der wird auch so behandelt. Und wenn sich ein ganzes Volk idiotisch benimmt, dann wird eben dieses ganze Volk auch so behandelt. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Es scheint wieder mal Erntezeit zu sein, und Deutschland fährt eine Rekordernte ein. Sollte nun jemand fragen, was denn die Deutschen genau ernten würden, so kann man ganz klar antworten „Die Früchte der eigenen Dummheit“!
7. März 2017 um 16:42
text030
Ein guter und ehrlicher Beitrag! Es macht aber auch betroffen, wenn man den Niedergang einer Wertegemeinschaft und Kultur in so rasantem Tempo erleben muss.
Da tröstet es auch nicht, dass man eine Köterrasse ist:
7. März 2017 um 12:34
Bruni Grabow
Ich frage mich warum die Türken, die in Deutschland leben und deshalb sich genauso wie alle anderen an das Grundgesetz halten müssen, nicht in Deutschland wählen gehen dürfen, anstatt in der Türkei.
Sie haben aber schon längst ihr eigenes Rechtssystem in Deutschland aufgebaut. Da die Türken schon viele Generationen in Deutschland leben (Gastarbeiter) und unsere Freiheiten und den Sozialstaat gerne in Anspruch nehmen, wäre doch die heutige bösartige Diskussion durch rechtzeitige politische Regelungen garnicht notwendig. Trotzdem erinnere ich auch daran, dass nicht alle türkischen Mitbürger die zukünftige Unfreiheit in der Türkei bejahen. Auch diese Gesellschaft ist gespalten.
Auch die LINKEN sind hier nicht besser, hat doch z.B. das Land Brandenburg auch ihre eigene Rechtsauffassung und stellt sich über Bundesgesetze bzw. macht bei Ansprüchen der Verfolgten des SED-Systems denen das Leben schwer.
7. März 2017 um 08:46
Eva Aust
Du bringst es auf den Punkt. Die Erklärung von Frau Merkel als Staatsoberhaupt ist minimal und damit jämmerlich. Hatte gerade wieder das Büchlein von Werner Mäder „Die Zerstörung des Nationalstaates aus dem Geist des Multikulturalismus“ in der Hand. Dort findet man Erklärungen zu dem, was einen Staat, seine Gesellschaft, seine Kultur, Sprache und Religion und anderes damit zusammenhängend ausmacht. Und wie es zu allen Zeiten große Staatsoberhäupter gegeben hat, die den Menschen den Sinn von Politik vermittelt haben. „Auch wenn die Nation und der Nationalstaat in Westeuropa verblasst, so sind diese nicht aus der Welt. Die Antworten liegen bei jedem Einzelnen, dem die „Deutsche Einheit“ noch am Herzen liegt. Auf dem Grab von Thomas Mann steht: „Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir.“
Begriffsverwirrungen von Politikern sind an der Tagesordnung. Und viele Journalisten tun es ihnen gleich. Abstoßend der Artikel von Deniz Yücel, einem „Deutschen“, in der „taz“. Grüße Eva
6. März 2017 um 22:29
Felix Heinz Holtschke
Man hätte sich derartige öffentliche Solidaritätsbekundungen, die die Bundesregierung und die linken Kartellmedien dem Doppelbürger und Deutschenhasser (obwohl er genug aus unserer Hand gefressen hat) Yücel angedeihen lässt, seinerzeit für die politischen Häftlinge in der „DDR“ gewünscht. Der letzte, der Ulbricht und Honecker öffentlich-medial anprangerte, war Gerhard Löwenthal. Bis die linke Medien auch ihn zu Fall gebracht und seine mutmachende Sendung ZDF-Magazin ideologisch nach scharf links verbogen hatten…
9. März 2017 um 02:31
Edith Fiedler
Hätten Sie das in einer Veranstaltung gesprochen, würde ich Ihnen meinen Beifall gezeigt haben. Danke, dass sie an diesen Kämpfer erinnern.
6. März 2017 um 20:10
Klaus Helmut Dörfert (@klausdrfert)
Wer solche Bündnisspartner hat, benötigt keine Feinde.