Karlsruhe/Berlin, 21.01.2017/cw – Erneut scheitern Opfer der Zweiten deutschen Diktatur an dem von diesen einst heiß begehrtem und verteidigtem Rechtsstaat. Das Bundesverfassungsgericht hat nach vier (!) Jahren eine Verfassungsbeschwerde „nicht zur Entscheidung“ angenommen.
„Gundhardt Lässig ist ein Mann, den so schnell nichts umwirft, am Donnerstag aber ringt er hörbar um Fassung. „Ich bin total am Boden, wir sind hier alle völlig fertig“, sagt er und fragt dann: „Sind wir denn eine Bananenrepublik?“, zitiert die FAZ den Frustierten am 19.01. in ihrer Ausgabe (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/keine-rentenanpassung-fuer-einstige-ddr-fluechtlinge-14699216.html).
In einem Merkblatt, das jeder Flüchtling aus der DDR in der Bundesrepublik erhielt, wurde den Verneinern der Zweiten Diktatur zugesagt, daß jeder Flüchtling in der Rentenversicherung der (alten) BRD so eingestuft werden würde, als ob er/sie das ganze Arbeitsleben im westlichen Teil Deutschlands zugebracht hätten. Das war aus damaliger Sicht auch folgerichtig, weil die (alte) Bundesrepublik auch über ihre Verfassung (Grundgesetz) Deutschland als „unteilbar“ definiert hatte. Folglich war auch ein Flüchtling aus der SED-DDR Deutscher im Sinne des Grundgesetzes und hatte daher die gleiche Behandlung zu erwarten, wie die „Brüder und Schwestern“ im Bundesgebiet.
Im Jubel um den 9. November ging nachfolgende Hartherzigkeit unter
Der nunmehr gescheiterte Kläger in Karlsruhe und Einwohner von Saalfeld (DDR) durfte im Frühjahr 1989 nach jahrelangen Schikanen mit Frau und Kindern in den freien Teil Deutschlands ausreisen. Mit seiner Ausreise verzichtete er auf alle erworbenen Ansprüche aus der Rentenversicherung der DDR und entlastete so die ohnehin klamme Staatskasse des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden, als den sich frech die SED-Diktatur bezeichnete. Dies war auch einzig der Grund, warum man Rentner zu Besuchen „im kapitalistischen Ausland“ aus dem Mauer-Staat ausreisen ließ. Verbanden die kommunistischen Diktatoren doch damit die Hoffnung, dass mancher Rentner die Gelegenheit nutzen würde, ohne mühselige und todgefährliche Überwindung von Mauer und Stacheldraht im als Rechtsstaat verstandenen Westen zu bleiben. Zumal auch die großzügige und der Spaltung Deutschlands zu verdankende Regelung im Rentenrecht nicht nur den Verlust von DDR-Anwartschaften ausgleichen würde.
Im Schatten des Jubels um den Fall der Mauer am 9. November 1989, der spätestens hier zum TAG DER NATION wurde, gingen einige Hartherzigkeiten im neu gewonnen geglaubten Rechtsstaat unter. Schon der Justizminister im letzten, immerhin ersten frei gewähltem DDR-Kabinett, Prof. Dr. Kurt Wünsche, beklagte gegenüber dem Autor im August 1990, dass die Kohl-Regierung in Bonn „bisher jeden Ansatz einer Entschädigung für einst politisch Verfolgte in der DDR aus Kostengründen abgelehnt“ hatte. Man berate derzeit über einen „dritten Vorschlag“ des DDR-Kabinetts. Bekanntlich brauchte das wiedervereinigte Deutschland dann bis zum Jahr 2007, um den Ansatz einer angemessenen Entschädigung für ehemalige politische Gefangene in Form einer eher diffamierenden „sozialen Zuwendung“ zu beschließen. Der (vorgeschlagene) Begriff einer „Ehrenrente“ ging den rechtsstaatlich denkenden Parlamentariern offensichtlich zu weit. Allerdings wurde dieser Begriff für die großzügigigen Pensionsansprüche der letzten DDR-Minister, die längstens 5 Monte amtiert hatten, durchaus verwandt.
So wurde, ebenfalls ohne öffentliche Wahrnehmung der Einigungs-trunkenen Betroffenen das sogen. Fremdrentengesetz (FRG) klammheimlich geändert, welches bis zur Wiedervereinigung die beschriebene Rentenregelung juristisch fixierte. Im 1992 verabschiedeten Rentenüberleitungsgesetz (RüG) wurden einstige Flüchtlinge aus der DDR-Diktatur kraft Gesetzes rentenrechtlich wieder zu DDR-Bürgern. Was z.B. für aus Polen übergesiedelte Bürger nach wie vor gilt, galt nun nicht mehr für jene deutschen Staatsbürger, die auf den Rechtsstaat und dessen Zusagen vertrauen durften und vertraut haben.
Der vergebliche Anlauf des verstorbenen Bundestagsabgeordneten Ottmar Schreiner im Jahr 2011, der auch als „soziales Gewissen der SPD“ bezeichnet worden war, durch eine Gesetzesinitiative der SPD diesen unhaltbaren Zustand zu revidieren, scheiterte am Widerstand der damaligen Koalition aus CDU/CSU und FDP.
2016 scheiterte ein zweiter Anlauf im Bundestag erneut. DIE LINKE und Bündnis 90/GRÜNE hatten den seinerzeitigen und von Schreiner glänzend begründeten Antrag wortgleich erneut eingebracht. Die SPD mochte sich an ihre ursprüngliche Initiative zugunsten des Koalitionsfriedens nicht mehr erinnern und stimmte mit den Unions-Parteien gegen den ursprünglich eigenen Antrag. Heute bezeichnet die SPD den von Ottmar Schreiner begründeten Antrag frech als „Irrtum“.
Die FAZ: „Wie emotional das Thema Rente ist, wurde am Donnerstag auch im Bundestag deutlich, als es um die Rentenansprüche einstiger DDR-Bergleute in Braunkohlefabriken ging. Sie hatten zu DDR-Zeiten Beiträge für eine Zusatzrente eingezahlt, die sie nach der Wiedervereinigung nicht bekamen; den Kumpel gehen so bis zu 400 Euro monatlich verloren.“
UNION: „Können nicht jedem gerecht werden.“
Wiederholung der Debatte von 2016: DIE LINKE forderte „gleiche Rechte für gleiche Lebensleistungen“, die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion forderten den endlichen Schluss der „Politik des Schlechtmachens und Kleinredens“. Begründet wurde dieses moralisch bedenkliche Verhalten damit, dass das Rentenrecht „das ganze Land im Blick haben“ müsse und „im Zweifel nicht jedem gerecht werden“ könne, auch wenn die Ansprüche „noch so berechtigt“ sein mögen.
Der Frust der betroffenen Bergleute ist nun wohl ebenso groß wie jener wieder zu DDR-Bürgern degradierten einstigen Flüchtlinge. Sie hadern und haben wie Gundhardt Lässig ernsthafte Zweifel daran, noch „in einem Rechtsstaat“ zu leben (FAZ).
Beobachter halten die Aussichten auf eine Revision der skandalösen Entscheidungen des Bundestages nach der Entscheidung des BVG nunmehr für nahezu aussichtslos. Das Verfassungsgericht hatte seine Entscheidung (1 BvR 713/13 vom 13.12.2016) über die Nichtannahme der Beschwerde Lässigs im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten ausführlich begründet. Danach schütze der Artikel 14 Abs.1 des GG auschließlich in der (alten) Bundesrepublik Deutschland erworbenen Ansprüche aus der Rentenversicherung, so die 1. Kammer des Ersten Senats, nicht hingegen Anwartschaften aus den Herkunftsgebieten. „Eigentumsgeschützte Rechtansprüche werden durch das FRG nicht begründet.“
Der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis (1939), der bis 2013 im Bundestag saß, widersprach in einem jüngst ausgestrahltem Interview mit plus-minus/ARD (http://mediathek.daserste.de/Plusminus/Rente-Weniger-Geld-f%C3%BCr-ehemalige-DDR-Fl/Video?bcastId=432744&documentId=40044874) der offiziellen Lesart seiner Partei im Bundestag: Es sei niemals Intention dieser gesetzlichen Regelung gewesen, Flüchtlinge wieder zu DDR-Bürgern zu machen. Mit seinem Statement kommt der ehemalige Politiker und Rechtsanwalt allerdings zu spät. Noch 2011 stimmte er regierungskonform gegen den SPD-Antrag. Damit liegt er auf einer inzwischen bekannten Linie: Kaum der Fraktionsdizipilin entronnen, werden Politiker mutig und erklären sich öffentlich in einer Deutlichkeit, die sie seit Jahren im Parlament vermissen lassen.
Die Betroffenen wollen sich trotz dieser desaströsen Lage (noch) nicht entmutigen lassen und haben zu einer dritten Demonstration gegen den RENTENBETRUG am 21.März 2017 im Regierungsviertel (von 14:00 – 17:00 Uhr) in Berlin aufgerufen. Eine letzte Hoffnung ergibt sich für die Organisatoren Wolfgang Graetz (Berlin) und Dr. Wolfgang Meyer (Speyer) aus der bevorstehenden Bundestagswahl am 24. September: An diesem Tag würden die Karten neu gemischt werden. Es bestände die Aussicht, dass dann die „Rentenbetrüger“ ihre Mehrheiten verlören. Vielleicht schließen sich ja betroffene Bergleute dem diesjährigen Protest an.
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7 Kommentare
24. Januar 2017 um 13:04
Bruni Grabow
Im Bundestag habe ich diese Diskussion letzte Woche live gesehen. Hier ging es aber um die Gruppe der DDR-Bergleute. Für Verfolgte nach dem FRG wurde bereits als Drucksache von den Linken früher eingebracht und diskutiert und abgelehnt. Gewundert hatte mich nur, dass diese Gruppe von Bergleuten vor dem Mauerfall nicht im Westen lebten, sondern in der DDR verblieben. Trotzdem werden sie als rentenrechtliche Gruppe mit dem Begehren der Verfolgten vor 1990 nach dem FRG aus Gleichheitsgründen eingeordnet und gegenübergestellt. Soll heißen, dass wenn für die Gruppe der Bergleute Ost rentenrechtliche Sonderregelungen getroffen werden würden, auch über das FRG-Problem positiv abgestimmt werden müßte. Da dies aber nicht kommen wird, hatte sich die SPD-Sprecherin ausgedacht und auch im Bundestag angeboten, dass aufgrund des fehlenden gesundheitlichen Arbeitsschutzes bei den Bergleuten Ost (noch verbleibene ca. 900 Kumpels ) sie keine erhöhten Rentenpunkte erhalten sollten, sondern eine Möglichkeit zu finden sei, die gesundheitlichen Schädigungsfolgen schnell auszugleichen. Damit wurde das ganze Problem beendet und in die Ausschüsse geschickt. Und natürlich wurde dadurch von der SPD das Rentenproblem nach dem Gleichheitsparagraph geschickt umgangen. Sie brauchen kein Rentenproblem lösen, sie regeln es über einen Gesundheitsfond. Für SED- Verfolgte gibt es diese Möglichkeit bereits im § 4 HHG und § 21 StrRehaG sowie im § 4 VwRehaG. Allerdings gibt es diese Variante nicht für „Übergesiedelte“ infolge Familienzusammenführung, es sei denn dass sie aus Verfolgtengründen (VwRehaG) in die Bundesrepublik kamen. Ich frage mich allerdings, wieso Bergleute, die bis zur Wiedervereinigung im Osten verblieben, gegenüber allen anderen ehem. ostdeutschen Bürgern mit Rentenanwartschaften, dass ja erst 2025 bundesweit gleichgestellt werden soll, nun als Sonder- gruppe wegen fehlenden Arbeitsschutzes eine eigene Regelung bekommen sollen. Das ist zu kurz gedacht, da ja nach den Gleichheitsprinzip auch alle Lakierer, Maurer usw., die auch ohne unzureichenden Arbeitsschutz in der DDR arbeiten mußten, auch Ansprüche über einen Gesundheitsfond stellen könnten oder sehe ich das falsch ?
Bruni Grabow
http://www.sed-opfer-hilfe.de
24. Januar 2017 um 01:36
Edith Fiedler
Wieder ein Neidangriff auf die hochbetagten Opfer der Rentenpoltik. Erst denken und rechnen und dann posaunieren. Vorher gründlich mit dem Arbeits- und Rentenrecht und der deutschen Nachkriegsgeschichte befassen. Es muß doch stutzig machen, warum gerade zwischen 1935 und 1936 die Grenze für die Rentenberechnung gezogen wurde. Na weil es billiger wurde für den Rententräger. Statt die hochbetagten Rentenempfänger in die Proteste mit einzubeziehen und auch ihre Nachteile zu vertreten, wird Spaltung bevorzugt. Weiter so! Es lebe die Neidkultur.
22. Januar 2017 um 10:35
Bernd Stichler
Persönlich bin ich der festen Überzeugung dass die Unterdrückung unserer berechtigten Ansprüche in direkter Weise mit der Person Merkel verbunden ist .
22. Januar 2017 um 03:13
Edda Sperling
Für mich eine ganz klare Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gegenüber den vor 1937 geborenen
Flüchtlingen! Augenscheinlich beherrschen Politiker und Verfassungsrichter die deutsche Geschichte nicht so ganz!
21. Januar 2017 um 19:00
M. Sachse
Der Artikel trifft es auf den Punkt.Der in „“ gesetzte Rechtsstaat drückt das in besonderer Weise aus. Ein Staat, der gegen geltendes Recht alle zu Flüchtlingen macht und DDR-Flüchtlinge nach 4 Jahren mit der Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde „ehrt“, kann nicht mehr ernst genommen werden. Es ist ein Affront gegen diejenigen, die in der DDR-Diktatur Recht und Freiheit verteidigt haben.
21. Januar 2017 um 18:34
Springer
In wessen Taschen verschwindet wohl unser Geld – nicht nur aus unserem vorenthaltenen,verweigerten „Fremdrentengesetz“? fragt Manfred Springer aus dem roten Hamburg. Früher, bei den roten Nazis, kannte man kein Feingefühl-und weshalb sollte es die jetzige Regierung kennen?!
21. Januar 2017 um 15:23
☆ nagelfrank ☆
Hat dies auf ☆ nagelfrank ☆ rebloggt und kommentierte:
der Artikel zeigt mir eine erschreckende Realität.