Berlin, 15.12.2016/cw – Er war wohl sechzehn Jahre alt, als er sich im jugendlichen Überschwang für einen Wehrdienst bei der Stasi-Truppe „Wachregiment Feliks Dzierzynski“ entschied. Aber er war neunzehn Jahre alt, als er sich für eine Karriere bei der Stasi entschied und hauptberuflich angestellt wurde. Mit 18 Jahren war man, anders als in der frühen Bundesrepublik, in der DDR volljährig. Was der Jugendliche Andrej Holm –vielleicht- aus einem verzeihlichen Irrtum entschied, bestätigte der erwachsene junge Mann Andrej Holm durch seinen karrierebewussten Arbeitsvertrag mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Jugendsünde?
Die VOS und das Wachregiment
Der älteste und einst größte Opferverband der zweiten Diktatur, die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), hatte vor vielen Jahren eine ähnliche Auseinandersetzung. Durfte ein ehemaliger Angehöriger des Stasi-Wachregimentes Mitglied oder gar Funktionär in einem Diktatur-Opfer-Verband sein?
Jürgen Wuselt (Name geändert) war als 17jähriger Zögling eines Heimes zum Wachdienst verpflichtet worden, konnte sich gegen diese „Vergewaltigung“ (Wuselt) nicht wehren. Aber Wuselt wurde volljährig und sein erster Schritt war der Austritt aus dem Wachregiment. Punkt. Der Verband bestätigte nach eingehender Prüfung seine Wahl zum Bezirksvorsitzen-den, als der Wuselt noch heute anerkannt tätig ist.
Anders der nunmehr frisch gebackene Staatssekretär in Berlin. Ja, er wollte bei der Stasi Karriere machen, bestätigt Holm beinahe „locker vom Hocker“. Und er habe nicht den Mut gehabt, nachdem das Ende der DDR in Sicht gewesen sei, sich aus dem Dienst zu entfernen. Dass Holm seinen in der Zweiten Diktatur und wohl auch bei der Stasi gewonnenen „linksextremen“ Überzeugungen treu geblieben ist, war wohl der ungewohnten und vornehmlich von Staatsfeinden der DDR errungenen Freiheit zu verdanken: „Ich habe Schlussfolgerungen gezogen, dass ich mit wirklich vollster Überzeugung eine Gesellschaft, in der Freiheit, Demokratie, Mitbestimmung und Meinungsfreiheit herrschen, allen anderen vorziehe.“
Eine Verhöhnung der Opfer
„Die Berufung verhöhnt die Opfer des DDR-Regimes“, stellt FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja nüchtern fest. Und nicht nur Hubertus Knabe, Chef der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen (dort hatte das Wachregiment der Stasi die politischen Gefangenen der SED-DDR bewacht) hält diese Personalie der Rot-ROT-Grünen-Regierung für einen Tabu-Bruch: „Mir ist kein Fall aus der Vergangenheit bekannt, dass ein Regierungsmitglied in Bund und Ländern einen Stasi-Ausweis besessen hätte.“
Die LINKE beschwört jetzt die Solidarität mit Holm und damit einen Wert, der in anderen Parteien nicht gerade seine Wurzeln hat. Diese lassen schon mal „schneller als erwartet“ „Parteifreunde“ in das kalte Loch der distanzierenden Verachtung fallen, sobald auch nur ein (parteischädlicher) Verdacht öffentlich gemacht wird. Aber hier geht es weder um einen bloßen Verdacht und schon gar nicht um Verachtung, hier geht es um Ethik, Anstand und Moral. Man kann auch 26 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und einen zweifellos Stasi-Belasteten in ein Regierungsamt berufen. Solidarität bezeichnet eine benannte Haltung der Verbundenheit und Unterstützung gemeinsamer Ideen, Aktivitäten und Zielen und drückt den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten Individuen und Gruppen und deren Einsatz für gemeinsame Werte aus. Die durch die LINKE bekundete Solidarität mit Holm bedeutet ein klares Bekenntnis zu dessen Stasi-Vergangenheit und damit wohl auch das nach wie vor uneingeschränkte Bekenntnis zum einstigen „Schild und Schwert der Partei“.
Was interessiert uns unser Geschwätz von Gestern?
Und die SPD? Sie schweigt. Der Regierende Bürgermeister macht von seiner Regierungskompetenz bislang keinen Gebrauch. Allein um der Macht willen?
Und Bündnis90/Grüne? Die einstige Bürgerrechtler-Partei hält wohl die neu gewonnenen Senatorenposten inzwischen für wichtiger, als das Bekenntnis einstiger Bürgerrechtler gegen die SED-Krake „Staatssicherheit“. Was interessiert uns unser Geschwätz von Gestern?
Berlin, einstiges Leuchtfeuer der Freiheit nach den dunklen zwölf Jahren der Mord-Furie und der darauf folgenden vierzigjährigen Terrorpraxis hinter Mauer und Stacheldraht hat einen anderen, einen besseren und überzeugenderen Start in eine neue Dekade verdient. Noch handelt es sich um einen Fehler, der korrigiert werden kann. Und noch bleibt die, wenn auch vage Hoffnung, dass die Berufung eines Stasi-Mannes in die Regierung nicht zu deren Programm wird. Und noch läutet die Freiheitsglocke in Schöneberg das Bekenntnis von Philadelphia unüberhörbar in die Welt.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – redaktion.hoheneck@gmail.com (1.191)
5 Kommentare
14. Dezember 2016 um 12:46
Klaus Hoffmann
Die hässliche Fratze von ROT-FRONT!
Umgangssprachlich spricht man von ROT-ROT-GRÜN.
Tatsächlich regiert ROT-FRONT Berlin!
Nur so erklärt sich, dass man einen „Dzierzynski“ zum Staatsekretär beruft!
Perfide ist die Taktik, mit der die Regierenden versuchen trotz der Proteste, an seiner Ernennung festzuhalten!
Das ist ROT-FRONT-Methode!
Um HOLM scharen sich die ROTEN (die Grünen sind aussen grün und innen rot) nicht um irgendeinen „Dzierzynski“.
HOLM ist erst in den letzten Monaten vor dem „DDR“-Zusammenbruch freiwillig dieser Kader-Elite beigetreten!
Da braucht es m.E. überhaupt keiner „Überprüfung auf Verstrickung“.
Mag ein „Dzierzynski“ Karriere machen, bei Wem und wo auch immer – im freien Deutschland hat so ein Mann nichts, aber auch gar nichts in der Politik zu suchen.
Er möge zufrieden damit sein, mit dem Leben davongekommen zu sein.
Das „Wachregiment Feliks Dzierzynski“ war die physische Stütze des Sicherheitssystems der „DDR“.
Dort konnte man sich zwar freiwillig melden, aber aufgenommen wurde man erst bei abgeprüfter, glaubhafter Loyalität – Schutz des „DDR“-Sozialismus bis zum Tod!
HOLM, mit reinrassig-sozialistischem Stammbaum trat freiwillig in das „Wachregiment Feliks Dzierzynski“ ein, als das „DDR“-System sich sowohl physich als auch politisch in Auflösung befand. Das konnte er bei seinem Intellekt, 18 Jahre alt, voll begreifen!
Welchen Einsatzbefehlen ist er in dieser Zeit gefolgt oder bei welchem wäre er bereit gewesen – bis in den Tod – zu folgen?
HOLM als Staatsekretär, das liegt jenseits meiner Sollbruchstelle zum Glauben an den deutschen Rechtsstaat.
12. Dezember 2016 um 11:28
Edda Sperling
Holm stand 2007 unter Terrorverdacht-die anderen wurden verurteilt und er ging leer aus, man mag annehmen das er gut ausgebildet wurde von der STASI, ich bin fassungslos, deshalb habe ich auch diese Petition unterschrieben an den Berliner Senat: https://www.openpetition.de/petition/online/keine-stasi-mitarbeiter-im-berliner-senat
12. Dezember 2016 um 10:00
Matze
Verwunderung? Läuft doch alles nach Plan.
https://philosophia-perennis.com/2016/12/12/ddr-2-0/
https://sciencefiles.org/2016/12/11/stasi-alarm-was-tun-wenn-der-nachbar-mitarbeiter-der-amadeu-antonio-stiftung-ist/
11. Dezember 2016 um 19:01
Bernd Stichler
“ Ich bin in einem antifaschistischen Haushalt aufgewachsen “ –
argumentiert Holm . Diese Aussage ist natürlich eine klassische Nebelkerze.
Er ist nicht in einem antifaschistischen sondern in einem linksfaschistischen Haushalt aufgewachsen. Das ist ein hochgradig gravierender Unterschied. Aber die Tatsache, das ein so vorbelasteter Mann überhaupt nominiert wurde zeigt, dass sich die SPD inzwischen meilenweit von wirklicher Demokratie entfernt hat. Die Grünen selbst waren noch nie Demokraten. Aus diesen Gründen blieb auch der erforderlich gewesene energische Protest aus. Aber ein Heiko Maas könnte hierbei sogar „klammheimliche Freude“ empfinden.
11. Dezember 2016 um 17:40
Thiemke
Und die Wundern sich, wenn Sie von uns nicht mehr gewählt werden !
Welch ein Hohn, welch eine Schande. Wahlen waren für mich einst das wichtigste in meinem Leben, ich genoss es meine Meinung und Freiheit durch Wahlen zum Ausdruck zu bringen.
Das alles ist seit letztes Jahr für mich Geschichte. Mit einem Handwink werden hier Millionen von deutschen Bürgen deren Lebenslauf verändert. Und seit Jahren wird so getan als ob die SED-Opfer human weggesperrt wurden. Ich mach das nicht mehr mit. Jeder kocht sein Süppchen. Haben Sie uns jahrelang beigebracht, Ich wollte es nicht glauben, aber es ist so.
Es ist den da Oben völlig egal.
Liebe Grüße und ein schönes Weihnachtsfest wünscht Euch
Jens Thiemke