Von Lutz Adler*
Korbach/Potsdam, 7.11.2016/la – Im Brandenburger Justizministerium hat es bekanntlich einen Amtswechsel gegeben. Der neue Justizminister Stefan Ludwig, *1967, (DIE LINKE) fand anlässlich der Justiz-Minister-Konferenz (JuMiKo) in Nauen am 01.06.2016 trotz eng gesteckter Termine die Zeit und auch das entsprechende Rückgrat, mit uns ins Gespräch zu kommen. Das hat bei den Betroffenen, die durch den DEMO Landesverband Hessen e.V. vertreten waren, einen mehr als guten Eindruck hinterlassen.
Es hat immerhin sechs Jahre gedauert, bis ein Minister zu erkennen gegeben hat, das er an einem Gespräch mit den Betroffenen interessiert ist. Die letzte Aussage seines Vorgängers habe ich persönlich noch heute im Ohr. Der gab ernsthaft zum Besten, leider nur „Elektriker“ zu sein, und „von Juristerei praktisch keine Ahnung zu haben“. Da könnte er leider gar nichts für die Betroffenen tun. Politik ist wohl auch von Personen abhängig. So blieb also meine Erwartung in die Zusage von Nauen verhalten, Gespräche mit uns zu führen.
Die derzeitige Behandlung der Betroffen, die trotz alledem den Mut haben, Anträge nach dem StrehaG zu stellen, vor den Kammern für Rehabilitation ist leider nur mit einem Wort zu beschreiben: Erbärmlich! Eine Kindheit, die von Gewalt, Missbrauch und Entrechtung geprägt war, haben wir überlebt. Und heute sollen wir den Kammern die Beweise dafür vorlegen, die wir als Kinder weder sichern noch beschaffen konnten!
Wir alle waren Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 18 Jahren, die man in Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen unter den fadenscheinigsten Begründungen eingewiesen hat. Aller Rechte beraubt und ohne die Möglichkeit der Beschwerde und der Verteidigung unserer körperlichen Unversehrtheit. Haben gerade wir nicht ein Recht auf die Wiedererlangung unserer Würde und unserer Menschenrechte? Haben wir nicht auch das Recht darauf, das diese schweren Verbrechen und mindestens deren Folgen entschädigt werden? Das 27 Jahre nach der sogen. Wende fragen und konstatieren zu müssen, sollte alle Beteiligten tief beschämen.
Nun hat sich ein Justizminister bewegt und ich muss dem unabhängig von Ergebnissen schon jetzt meinen Respekt zollen. Nach einigen Telefonaten mit dem Ministerium traten zu Beginn einige Probleme (verwaltungsrechtlicher Natur) auf, die wir als Betroffene, aber auch das Ministerium für Justiz und auch ein Minister nicht lösen konnten. So schien es zunächst!

Heimkinder: Stefan Ludwig (Mi.) im Gespräch mit Lutz Adler (3.v.li.) in Korbach/Hessen am 5.11.1016 – Foto: Lutz Adler
Ein Ministerium für Justiz hat, so die Mitteilung aus dem Büro des Ministers, habe leider nicht die Möglichkeit und die gesetzliche Grundlage, Gäste zu Gesprächen einzuladen bzw. deren Reisekosten zu übernehmen. Das müssten oder sollten, so offensichtlich die Haltung des Brandenburger Landtages, die schwächsten Glieder in der Kette, die Kinderopfer der SED- Diktatur selbst stemmen. Diejenigen, die wirtschaftlich in der schlechtesten Position sind und die um ihre Rehabilitierung kämpfen?
Der derzeitige Justizministers des Landes Brandenburg, Stefan Ludwig, hat an diesem Punkt eine gute und richtige Entscheidung getroffen! Können die wirtschaftlich Schwächsten nicht zu ihm kommen, reist er halt zu den Betroffen und deren Vertretern! Das sind bis nach Hessen und in Summe fast 1.000 km! So traf also der Minister nebst Büroleiter und Kraftfahrer am vergangenen Samstag in 34497 Korbach ein. Offen für ein Gespräch und – auch das ist erwähnenswert und keine Selbstverständlichkeit – ohne Zeitlimit! Allein dafür unsere Hochachtung und unsere uneingeschränkte Anerkennung.
Ich kann hier nicht jedes Detail des Gespräches wiedergeben, aber es sind alle wichtigen Themen besprochen worden, die immerhin rund 250.000 Personen betreffen. Einiges will ich hier besonders erwähnen. Die unwürdige Behandlung der Betroffenen vor den Landes- und Oberlandesgerichten in Brandenburg, gefolgt von der vollkommen unverständlichen Verfahrensdauer und der Vernachlässigung der Ermittlungspflicht von Amtswegen der Kammern. Weiter ist besprochen worden, das den Betroffenen bis heute die persönliche Anhörung verweigert wird. Von einer Fürsorgepflicht der Kammern kann zumindest in Brandenburg kaum oder nicht die Rede sein. Das die meisten der Betroffenen schon längst verrentet und oft körperlich nicht mehr in bester Verfassung sind. Wer will das eigentlich verantworten?
Ein wichtiges Thema war die „Beweislastumkehr in den Verfahren ehemaliger Heimkinder der DDR“ nach dem StrehaG. Da besteht nach unserer Meinung auch im Ergebnis der bis heute vorliegenden Publikationen der Wissenschaft und auch der Betroffenen selbst dringender Handlungsbedarf!
Weiter sind meine Ausführungen zum „Beschlussregister“ (Register der Einweisungsbeschlüsse) vom Minister und dem Büroleiter – und auch dafür Anerkennung – aufmerksam verfolgt worden. Dieses Register ist bis heute in den Händen des Jugendamtes der Stadt Potsdam und kann nicht aufgearbeitet oder wissenschaftlich erschlossen werden, weil die Einsicht verweigert wird. Da besteht sofortiger Handlungsbedarf!
Unser Eindruck war nach ca. 3 Stunden Gespräch, dass dieses durchweg positiv zu bewerten ist, auch wenn dieses Gespräch oft ein Monolog war, was aber auch der Fülle der Themen (nach sechs Jahren Untätigkeit) geschuldet war. Der Minister hat uns zugesichert, das sich das Land Brandenburg auf der kommenden JuMiKo am 17.11.2016 dem Themenfeld widmen und trotz engem Zeitplan den vorbereiteten initiativen der Länder MV und Sachsenanhalt anschließen werde.
Unsere Hoffnung ist eindeutig neu befeuert worden, auch wenn es weitere Gespräche und Justierungen um das StrehaG geben muss. Inwiefern das nun noch dünne Eis trägt und wächst wird die Zukunft zeigen. Zeit ist nicht mehr lange vorhanden, für viele Betroffene auch schon längst überschritten, weil sie nicht mehr unter uns weilen. Wir appellieren an die Verantwortungsträger in Brandenburg und in den anderen Bundesländern, diesen begonnenen Dialog fortzusetzen und, wo noch ausstehend, endlich zu suchen. Die Betroffenen sind dazu bereit und dafür auch offen.
Ein herzliches „Danke!“ an den Minister für Justiz des Landes Brandenburg, Herrn Stefan Ludwig, für den hoffnungsvollen Auftakt und das gezeigte Beispiel für Bürgernähe.
* Der Autor ist 1. Vorsitzender des DEMO Landesverbandes Hessen e.V. – Siehe auch: http://www.wlz-online.de/waldeck/korbach/brandenburger-justizminister-stefan-ludwig-diskutiert-korbach-ehemaligen-ddr-heiminsassen-6943648.html , Landeszeitung 07.11.2016
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Tel.: 030-30207785 (1.170)
5 Kommentare
11. November 2016 um 13:45
hanisch stefanie
Ich hoffe, der Freistaat Sachsen nimmt sich dem auch an! Und vergisst nicht die jahrelange Zwangsarbeit, zum Teil noch Kinder- Arbeit! Ich war erst 14 Jahre alt! Die Devisen, die der DDR-Staat durch uns verdient hat, gingen auf auf Kosten unserer Schul- und Berufsbildung! Wo man keine hatte und uns die Perspektive genommen hat für die Zukunft! Und wir dürfen auch nicht die Kinder und Jugendlichen vergessen, die die Qualen körperlich und seelisch nicht mehr ertragen konnten und den Freitod gewählt haben! Wir wollen nicht die Welt, nur etwas Gerechtigkeit!
8. November 2016 um 22:53
Gustav Rust
Jens Thiemke,
hier noch etwas zur Thematik. Du schreibst:
„…Weiter sind meine Ausführungen zum „Beschlussregister“ (Register der Einweisungsbeschlüsse) vom Minister und dem Büroleiter – und auch dafür Anerkennung – aufmerksam verfolgt worden. Dieses Register ist bis heute in den Händen des Jugendamtes der Stadt Potsdam und kann nicht aufgearbeitet oder wissenschaftlich erschlossen werden, weil die Einsicht verweigert wird. Da besteht sofortiger Handlungsbedarf!…“.
Hier werden also auch Akten des Referats Jugendhilfe/Heimerziehung gesperrt. Wie mir schon vor einigen Jahren das Kreisarchiv Teltow-Fläming in Luckenwalde Kopien meiner Akte verweigerte, obwohl ein Teil der damals (1952!) Handelnden zwischenzeitlich mit Sicherheit verstorben sind. Es handelte sich 1952 um eine Frau Klucke, 1974 um den Referatsleiter Brandt … etc. Obwohl ja die leitenden Angestellten des Referats Jugendhilfe/Heimerziehung bei den Räten der Kreise VERANTWORTLICH Handelnde waren, wie z.B. bei der Stasi die Hauptamtlichen… 1990 also bekam ich wenigstens teilweise Auskunft in Papierform. Damals war ja die „DDR“ noch ein eigener Staat, und man bekam sogar Auskunft. …
In Bützow bekam ich im Januar 1959 wegen Widerstand und Staatsverleumdung ein halbes Jahr „Nachschlag“. Durch das Urteil kannte ich noch den Namen des Schlüsselknechtes: Franz Sauerborn, Spitzname: „Lederarsch“. Ich schrieb die Meldestelle in Bützow an und erfuhr, er sei 1972 nach Rostock-Lichtenhagen verzogen. Aus Rostock bekam ich dann seine Anschrift. Zweimal fuhren mich Arbeitskollegen bis vor seine Wohnungstür, Husumer Straße 8. Er und jemand unter ihm hatten keine Namensschilder an den Türen, hatten etwas zu verbergen. Nur die Briefkästen des Hochhauses waren namentlich gekennzeichnet. Leider war der Ex-Schlüsselknecht und Menschenschinder nie anwesend. Später stand er noch im Telefonbuch von Rostock und lebte irgendwo im Zentrum, vielleicht in einer betreuten Wohngemeinschaft? Auch diese Strolche waren ja älter geworden…
Mit kameradschaftlichen Grüßen,
Gustav Rust
8. November 2016 um 10:31
Gustav Rust
Lieber Jens Thiemke,
Du wirfst Dr. Sachse vor, Profit aus der Sache geschlagen zu haben. Das müßtest Du dann auch jedem anderen vorwerfen, der ein Buch geschrieben hat. … Klar, Historiker … kommen schon von ihrer Position an alle (oder fast alle) Akten heran, werden bezahlt und schreiben dann zu unseren Themen Bücher – während ihrer ohnehin bezahlten Zeit… Allerdings bin ich auch etwas sauer darüber, daß kaum ein ehem. pol. Häftling (oder, wie hier, ein ehem. Heimkind) auf solchen Posten zu finden ist (wie hier, bei der UOKG, Dr. Sachse)… Z.B. befand sich in der Gedenkstätte Hohenschönhausen nur eine einzige ehem. pol. Gefangene auf einem bezahlten, sicheren Posten: Dr. Mechthild Günther. Die Besucher-Referenten (ehem. pol.Häftlinge) werden zwar auch bezahlt, aber pauschal und je nach Bedarf herangeholt. Die Qualifikation für solche (festen, bezahlten) Posten wurde … hochgehängt …! Als Beispiel führe ich den/die BStU an. Die Springer-„BZ“ titelte damals, 3000 Leute würden gesucht (für den/die BStU). Nun bin ich kein Büromensch, war lieber beim Stahlhoch- und Brückenbau und hatte feste Arbeit, bewarb mich aber probehalber, um der Antwort halber. Dr. Wolfgang Mayer (Forum „Flucht und Ausreise“) genauso. Auch er bekam damals eine Absage. Dafür aber stellte Herr Gauck seinerzeit lieber Außenstehende, darunter sogar ehem. Stasi-Leute ein! Später, als alles nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte weil diese Typen einen festen Arbeitsvertrag hatten, rauschte es im Blätterwald. Immer wieder wurden ehem. Stasi-Leute in den Reihen des/der BStU entdeckt. … Marianne Birthler, Gaucks Nachfolgerin, stellte ehrlich fest, sie bekäme zumindest diese Stasi-Typen nicht mehr aus der Behörde. Dann trat, mit großem Getöse in dieser Sache, Roland Jahn seinen BStU-Posten an und erreichte ebenfalls kaum etwas. …
Kameradschaftliche Grüße,
Gustav Rust
8. November 2016 um 09:55
Edda Sperling
ich wünsche den Betroffenen auch viel Glück, oft habe ich an den Demos teilgenommen aus Solidarität
7. November 2016 um 20:31
Thiemke
Da wird sich gar nichts tun, alles nur leere Worte und Phrasen. Wie mit Ikea ! Da kenn ich nur, einen der daraus Profit geschlagen hat mit der Begründung der Aufarbeitung. Ein Herr Dr. Christian Sachse. Wann war der öffentliche Termin zur Bekanntgabe von IKEA, politische Häftlinge in der DDR hätten für IKEA gearbeitet? Moment… ich überlege, richtig, November 2012. Vier Jahre ist das jetzt her, alles schon vergessen? Nichts tut sich, und das gleiche passiert auch mit Euch, die in den Kinderheimen der DDR waren. 250.000 Personen seit ihr noch, viel zu viel. Da muss die Natur noch eine Menge leisten, dürfte aber von der Zeitrechnung her nicht mehr all zu lange dauern. Und diejenigen, die dann doch noch eine Entschädigung bekommen sollten, sind dann vielleicht mit Demenz im Pflegeheim. Und Schwupp ist das Geld weg für den Eigenbedarf. Ich glaube hier an gar nichts mehr.
Trotzdem wünsche ich Euch viel Glück
Jens Thiemke